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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Vorgeschichte der französischen Revolution von

nur noch den letzten Nest gab; trotzdem brachte er damals noch eine ganze
Reihe tüchtiger Männer hervor, die sich auf vielerlei Gebieten hervortaten.

Auch der Klerus umfaßte keine gleichartige Gesellschaftsklasse. Da gab es
zunächst die Mönche in den Klöstern, die noch vielfach schlichte Frömmigkeit
und Pflichterfüllung übten, doch anderwärts auch Spuren sittlichen Verfalls
aufwiesen. Aber die Zahl der Insassen ging doch zusehends zurück, teils weil
die ganze Zeit mehr auf das Irdische als auf das Überirdische gerichtet war,
teils weil die Regierung den Eintritt in die Klöster erschwerte und unzweifel¬
haftes Gelüste nach dem reichen Klostergute an den Tag legte. Dem Sekundär¬
klerus gehörten sodann alle Pfarrer und Vikare auf dem Lande und in den
kleinen Städten an, die sich mit geringen Einkünften begnügen mußten und
deshalb mit ihrer Lage unzufrieden waren, aber ein sittlich vorwurffreies Leben
führten. Dagegen hatten die Pfarrer der großen Städte, die Domherren, Äbte,
Bischöfe geradezu glänzende Einnahmen, bei den Erzbischöfen betrugen sie oft
weit über hunderttausend Franken. Diese guten Stellen wurden unter Ludwig
dem Fünfzehnten fast ausnahmlos den Männern vom hohen Adel übertragen,
und das war ein schwerer Fehler; denn die hohen Herren lebten bei Hofe in
Saus und Braus, nahmen Kvadjutoren in ihren Dienst und vernachlässigten
durchaus ihre Kircheupflichten. Anders wurde es erst gegen Ende der Regierung
Ludwigs des Fünfzehnten und unter Ludwig dem Sechzehnten. Damals traten
gerade unter den ersten Geistlichen hervorragende Männer auf, teils solche, die
auf weltlichem Gebiete in wirtschaftlicher Hinsicht ihre Kirchenprovinz zur Blüte
brachten, teils solche, die es mit ihren priesterlichen Pflichten sehr ernst nahmen.
Sie alle waren freilich wenig glaubensstark, und ihr Protest gegen die herrschende
Philosophie war mehr formell als tief empfunden.

Am ungleichmäßigsten gestaltete sich der dritte Stand; er reichte vom hohen
Beamten bürgerlicher Herkunft und vom Großkaufmann herab bis zum Klein¬
bauern, Fabrikarbeiter und Bettler. Auch die oberste Schicht, die Bourgeoisie,
war in ihrer Zusammensetzung keineswegs gleichartig; zu ihr gehörten nämlich
einerseits die wirklich tüchtigen Staatsdiener, viele Offiziere und die Kirchen¬
diener in den bessern Stellen, in deren Familien fast immer ein Landgut vom
ältesten Sohne bewirtschaftet wurde, andrerseits aber auch heraufgekommne
Kaufleute und Handwerker, Emporkömmlinge, die ihr erworbnes Geld ebenfalls
in einem Gute anlegten, aber es verwalten ließen, mit der Absicht, es den
Beamten in den Städten gleichtun zu können, und die sich womöglich ein Adels¬
patent zu verschaffen suchten. Sie hauptsächlich schürten den Klassenhaß und
hielten, jeder edeln Regung bar, in der Revolution am festesten an den mühsam
erworbnen Vorteilen. Zur Bourgeoisie im weitern Sinne muß "^n auch die
Großkaufleute, Reeber und Industriellen rechnen, eine einflußreiche Klasse die
nebenher in den Stadtverwaltungen eine Rolle spielte und nach dem Beispiele
der Parlamente der Regierung Opposition machte. In einigen Provinzen aber,
namentlich in der Bretagne, zeigten diese reichen Leute einen ganz andern, höchst


Vorgeschichte der französischen Revolution von

nur noch den letzten Nest gab; trotzdem brachte er damals noch eine ganze
Reihe tüchtiger Männer hervor, die sich auf vielerlei Gebieten hervortaten.

Auch der Klerus umfaßte keine gleichartige Gesellschaftsklasse. Da gab es
zunächst die Mönche in den Klöstern, die noch vielfach schlichte Frömmigkeit
und Pflichterfüllung übten, doch anderwärts auch Spuren sittlichen Verfalls
aufwiesen. Aber die Zahl der Insassen ging doch zusehends zurück, teils weil
die ganze Zeit mehr auf das Irdische als auf das Überirdische gerichtet war,
teils weil die Regierung den Eintritt in die Klöster erschwerte und unzweifel¬
haftes Gelüste nach dem reichen Klostergute an den Tag legte. Dem Sekundär¬
klerus gehörten sodann alle Pfarrer und Vikare auf dem Lande und in den
kleinen Städten an, die sich mit geringen Einkünften begnügen mußten und
deshalb mit ihrer Lage unzufrieden waren, aber ein sittlich vorwurffreies Leben
führten. Dagegen hatten die Pfarrer der großen Städte, die Domherren, Äbte,
Bischöfe geradezu glänzende Einnahmen, bei den Erzbischöfen betrugen sie oft
weit über hunderttausend Franken. Diese guten Stellen wurden unter Ludwig
dem Fünfzehnten fast ausnahmlos den Männern vom hohen Adel übertragen,
und das war ein schwerer Fehler; denn die hohen Herren lebten bei Hofe in
Saus und Braus, nahmen Kvadjutoren in ihren Dienst und vernachlässigten
durchaus ihre Kircheupflichten. Anders wurde es erst gegen Ende der Regierung
Ludwigs des Fünfzehnten und unter Ludwig dem Sechzehnten. Damals traten
gerade unter den ersten Geistlichen hervorragende Männer auf, teils solche, die
auf weltlichem Gebiete in wirtschaftlicher Hinsicht ihre Kirchenprovinz zur Blüte
brachten, teils solche, die es mit ihren priesterlichen Pflichten sehr ernst nahmen.
Sie alle waren freilich wenig glaubensstark, und ihr Protest gegen die herrschende
Philosophie war mehr formell als tief empfunden.

Am ungleichmäßigsten gestaltete sich der dritte Stand; er reichte vom hohen
Beamten bürgerlicher Herkunft und vom Großkaufmann herab bis zum Klein¬
bauern, Fabrikarbeiter und Bettler. Auch die oberste Schicht, die Bourgeoisie,
war in ihrer Zusammensetzung keineswegs gleichartig; zu ihr gehörten nämlich
einerseits die wirklich tüchtigen Staatsdiener, viele Offiziere und die Kirchen¬
diener in den bessern Stellen, in deren Familien fast immer ein Landgut vom
ältesten Sohne bewirtschaftet wurde, andrerseits aber auch heraufgekommne
Kaufleute und Handwerker, Emporkömmlinge, die ihr erworbnes Geld ebenfalls
in einem Gute anlegten, aber es verwalten ließen, mit der Absicht, es den
Beamten in den Städten gleichtun zu können, und die sich womöglich ein Adels¬
patent zu verschaffen suchten. Sie hauptsächlich schürten den Klassenhaß und
hielten, jeder edeln Regung bar, in der Revolution am festesten an den mühsam
erworbnen Vorteilen. Zur Bourgeoisie im weitern Sinne muß "^n auch die
Großkaufleute, Reeber und Industriellen rechnen, eine einflußreiche Klasse die
nebenher in den Stadtverwaltungen eine Rolle spielte und nach dem Beispiele
der Parlamente der Regierung Opposition machte. In einigen Provinzen aber,
namentlich in der Bretagne, zeigten diese reichen Leute einen ganz andern, höchst


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[0255] Vorgeschichte der französischen Revolution von nur noch den letzten Nest gab; trotzdem brachte er damals noch eine ganze Reihe tüchtiger Männer hervor, die sich auf vielerlei Gebieten hervortaten. Auch der Klerus umfaßte keine gleichartige Gesellschaftsklasse. Da gab es zunächst die Mönche in den Klöstern, die noch vielfach schlichte Frömmigkeit und Pflichterfüllung übten, doch anderwärts auch Spuren sittlichen Verfalls aufwiesen. Aber die Zahl der Insassen ging doch zusehends zurück, teils weil die ganze Zeit mehr auf das Irdische als auf das Überirdische gerichtet war, teils weil die Regierung den Eintritt in die Klöster erschwerte und unzweifel¬ haftes Gelüste nach dem reichen Klostergute an den Tag legte. Dem Sekundär¬ klerus gehörten sodann alle Pfarrer und Vikare auf dem Lande und in den kleinen Städten an, die sich mit geringen Einkünften begnügen mußten und deshalb mit ihrer Lage unzufrieden waren, aber ein sittlich vorwurffreies Leben führten. Dagegen hatten die Pfarrer der großen Städte, die Domherren, Äbte, Bischöfe geradezu glänzende Einnahmen, bei den Erzbischöfen betrugen sie oft weit über hunderttausend Franken. Diese guten Stellen wurden unter Ludwig dem Fünfzehnten fast ausnahmlos den Männern vom hohen Adel übertragen, und das war ein schwerer Fehler; denn die hohen Herren lebten bei Hofe in Saus und Braus, nahmen Kvadjutoren in ihren Dienst und vernachlässigten durchaus ihre Kircheupflichten. Anders wurde es erst gegen Ende der Regierung Ludwigs des Fünfzehnten und unter Ludwig dem Sechzehnten. Damals traten gerade unter den ersten Geistlichen hervorragende Männer auf, teils solche, die auf weltlichem Gebiete in wirtschaftlicher Hinsicht ihre Kirchenprovinz zur Blüte brachten, teils solche, die es mit ihren priesterlichen Pflichten sehr ernst nahmen. Sie alle waren freilich wenig glaubensstark, und ihr Protest gegen die herrschende Philosophie war mehr formell als tief empfunden. Am ungleichmäßigsten gestaltete sich der dritte Stand; er reichte vom hohen Beamten bürgerlicher Herkunft und vom Großkaufmann herab bis zum Klein¬ bauern, Fabrikarbeiter und Bettler. Auch die oberste Schicht, die Bourgeoisie, war in ihrer Zusammensetzung keineswegs gleichartig; zu ihr gehörten nämlich einerseits die wirklich tüchtigen Staatsdiener, viele Offiziere und die Kirchen¬ diener in den bessern Stellen, in deren Familien fast immer ein Landgut vom ältesten Sohne bewirtschaftet wurde, andrerseits aber auch heraufgekommne Kaufleute und Handwerker, Emporkömmlinge, die ihr erworbnes Geld ebenfalls in einem Gute anlegten, aber es verwalten ließen, mit der Absicht, es den Beamten in den Städten gleichtun zu können, und die sich womöglich ein Adels¬ patent zu verschaffen suchten. Sie hauptsächlich schürten den Klassenhaß und hielten, jeder edeln Regung bar, in der Revolution am festesten an den mühsam erworbnen Vorteilen. Zur Bourgeoisie im weitern Sinne muß "^n auch die Großkaufleute, Reeber und Industriellen rechnen, eine einflußreiche Klasse die nebenher in den Stadtverwaltungen eine Rolle spielte und nach dem Beispiele der Parlamente der Regierung Opposition machte. In einigen Provinzen aber, namentlich in der Bretagne, zeigten diese reichen Leute einen ganz andern, höchst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/255>, abgerufen am 28.12.2024.