Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Vorgeschichte der französischen Revolution von 1.739

mehr schadete. Die eigentlichen Staatsbeamten gingen vielmehr aus bürger¬
lichen Familien hervor, die wie einst in Rom viele Plebejerfamilien einen
Amtsadel ausmachten und sich meist durch Arbeitsamkeit, Ehrlichkeit und
Tüchtigkeit auszeichneten. Aber an Schattenseiten fehlte es auch hier nicht:
diese Amtsaristokraten hatten nur juristische Vorbildung und standen doch an
der Spitze der Flotte, des Kriegswesens und andrer Ressorts, zu denen eben
gründliche Sachkenntnis nötig gewesen wäre; auch klebten sie gar zu sehr an
ihren Ämtern und vermieden es ängstlich, mit den bei Hofe angesehenen Kreisen
in Konflikt zu geraten.

Im allgemeinen wurde im Staate Ludwigs des Fünfzehnten viel regiert
und viel geschrieben, aber ein Unterschied gegen frühere Zeiten macht sich doch
bemerkbar: der König besteht nicht mehr so schroff auf seiner absoluten Gewalt
wie Ludwig der Vierzehnte; er redet schon von den "Rechten der Nation" und
widerspricht nicht mehr, wenn ihm bedeutet wird, daß er der erste Beamte in
Frankreich sei, eine Auffassung, die an die Friedrichs des Großen erinnert.
Man erwägt schon den Gedanken an eine Reform der Verwaltung. Aber
vorderhand schien doch nichts hierzu zu drängen. Die Generalstände waren
seit 1614 nicht mehr berufen, konnten also ihren Willen nicht kundtun. Die
Provinzialstände, die Masse des Volks, die Kirche, der Adel lebten im großen
und ganzen mit der Regierung in Frieden. Dagegen gab es eine Körperschaft,
die unter Ludwig dem Fünfzehnten in zunehmendem Maße auf dem Gebiete
der Gesetzgebung und der Besteuerung dem Könige Opposition machte. Es
war dies das Pariser Parlament, der höchste französische Gerichtshof, insofern
als er in gewissen Fällen die Appellinstanz für die übrigen zwölf ihm sonst
gleichgestellten Parlamente war. Die Mitglieder der Parlamente erwarben ihre
Stellen durch Kauf als volles Eigentum und waren deshalb unabsetzbar. Das
vornehmste Recht dieser Gerichtshöfe bestand seit Ludwig dem Zwölften darin,
daß sie die königlichen Gesetze einzuregistrieren hatten, woraus sehr bald der
Schluß gezogen worden war, daß die Gesetze des Königs nur dann Geltung
haben dürften, wenn die Einregistrierung wirklich stattgefunden habe. Das
Pariser Parlament, dessen Sprengel übrigens bei weitem der größte war, ver¬
weigerte nun die Einregistrierung sehr häufig. Um es hierzu zu zwingen, hielt
der König allerdings einen lit as justios ab, wo jeder Widerspruch verstummen
mußte; aber eine solche "Kissensitzung" war beim Volke höchst unbeliebt, und
da das Parlament auch das Recht hatte, eigne Verfügungen selbständig zu er¬
lassen, so kam es unter Ludwig dem Fünfzehnten immer häufiger vor, daß
Verfügungen des Parlaments gerade das Gegenteil von dem anordneten, was
der König befohlen hatte, und auch wirklich geltend gemacht wurden. Mit
einem Worte: die damaligen Parlamente fühlten sich als die eigentlichen Ver¬
treter der Nation und als Beschützer des niedern Volkes gegenüber der abso¬
luten Monarchie und den beiden ersten Ständen. Das Beispiel des Ungehorsams,
das sie so oft gaben, fand Nachahmung im gesamten Volke. Man achtete nicht


Vorgeschichte der französischen Revolution von 1.739

mehr schadete. Die eigentlichen Staatsbeamten gingen vielmehr aus bürger¬
lichen Familien hervor, die wie einst in Rom viele Plebejerfamilien einen
Amtsadel ausmachten und sich meist durch Arbeitsamkeit, Ehrlichkeit und
Tüchtigkeit auszeichneten. Aber an Schattenseiten fehlte es auch hier nicht:
diese Amtsaristokraten hatten nur juristische Vorbildung und standen doch an
der Spitze der Flotte, des Kriegswesens und andrer Ressorts, zu denen eben
gründliche Sachkenntnis nötig gewesen wäre; auch klebten sie gar zu sehr an
ihren Ämtern und vermieden es ängstlich, mit den bei Hofe angesehenen Kreisen
in Konflikt zu geraten.

Im allgemeinen wurde im Staate Ludwigs des Fünfzehnten viel regiert
und viel geschrieben, aber ein Unterschied gegen frühere Zeiten macht sich doch
bemerkbar: der König besteht nicht mehr so schroff auf seiner absoluten Gewalt
wie Ludwig der Vierzehnte; er redet schon von den „Rechten der Nation" und
widerspricht nicht mehr, wenn ihm bedeutet wird, daß er der erste Beamte in
Frankreich sei, eine Auffassung, die an die Friedrichs des Großen erinnert.
Man erwägt schon den Gedanken an eine Reform der Verwaltung. Aber
vorderhand schien doch nichts hierzu zu drängen. Die Generalstände waren
seit 1614 nicht mehr berufen, konnten also ihren Willen nicht kundtun. Die
Provinzialstände, die Masse des Volks, die Kirche, der Adel lebten im großen
und ganzen mit der Regierung in Frieden. Dagegen gab es eine Körperschaft,
die unter Ludwig dem Fünfzehnten in zunehmendem Maße auf dem Gebiete
der Gesetzgebung und der Besteuerung dem Könige Opposition machte. Es
war dies das Pariser Parlament, der höchste französische Gerichtshof, insofern
als er in gewissen Fällen die Appellinstanz für die übrigen zwölf ihm sonst
gleichgestellten Parlamente war. Die Mitglieder der Parlamente erwarben ihre
Stellen durch Kauf als volles Eigentum und waren deshalb unabsetzbar. Das
vornehmste Recht dieser Gerichtshöfe bestand seit Ludwig dem Zwölften darin,
daß sie die königlichen Gesetze einzuregistrieren hatten, woraus sehr bald der
Schluß gezogen worden war, daß die Gesetze des Königs nur dann Geltung
haben dürften, wenn die Einregistrierung wirklich stattgefunden habe. Das
Pariser Parlament, dessen Sprengel übrigens bei weitem der größte war, ver¬
weigerte nun die Einregistrierung sehr häufig. Um es hierzu zu zwingen, hielt
der König allerdings einen lit as justios ab, wo jeder Widerspruch verstummen
mußte; aber eine solche „Kissensitzung" war beim Volke höchst unbeliebt, und
da das Parlament auch das Recht hatte, eigne Verfügungen selbständig zu er¬
lassen, so kam es unter Ludwig dem Fünfzehnten immer häufiger vor, daß
Verfügungen des Parlaments gerade das Gegenteil von dem anordneten, was
der König befohlen hatte, und auch wirklich geltend gemacht wurden. Mit
einem Worte: die damaligen Parlamente fühlten sich als die eigentlichen Ver¬
treter der Nation und als Beschützer des niedern Volkes gegenüber der abso¬
luten Monarchie und den beiden ersten Ständen. Das Beispiel des Ungehorsams,
das sie so oft gaben, fand Nachahmung im gesamten Volke. Man achtete nicht


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0251" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300038"/>
          <fw type="header" place="top"> Vorgeschichte der französischen Revolution von 1.739</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_892" prev="#ID_891"> mehr schadete. Die eigentlichen Staatsbeamten gingen vielmehr aus bürger¬<lb/>
lichen Familien hervor, die wie einst in Rom viele Plebejerfamilien einen<lb/>
Amtsadel ausmachten und sich meist durch Arbeitsamkeit, Ehrlichkeit und<lb/>
Tüchtigkeit auszeichneten. Aber an Schattenseiten fehlte es auch hier nicht:<lb/>
diese Amtsaristokraten hatten nur juristische Vorbildung und standen doch an<lb/>
der Spitze der Flotte, des Kriegswesens und andrer Ressorts, zu denen eben<lb/>
gründliche Sachkenntnis nötig gewesen wäre; auch klebten sie gar zu sehr an<lb/>
ihren Ämtern und vermieden es ängstlich, mit den bei Hofe angesehenen Kreisen<lb/>
in Konflikt zu geraten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_893" next="#ID_894"> Im allgemeinen wurde im Staate Ludwigs des Fünfzehnten viel regiert<lb/>
und viel geschrieben, aber ein Unterschied gegen frühere Zeiten macht sich doch<lb/>
bemerkbar: der König besteht nicht mehr so schroff auf seiner absoluten Gewalt<lb/>
wie Ludwig der Vierzehnte; er redet schon von den &#x201E;Rechten der Nation" und<lb/>
widerspricht nicht mehr, wenn ihm bedeutet wird, daß er der erste Beamte in<lb/>
Frankreich sei, eine Auffassung, die an die Friedrichs des Großen erinnert.<lb/>
Man erwägt schon den Gedanken an eine Reform der Verwaltung. Aber<lb/>
vorderhand schien doch nichts hierzu zu drängen.  Die Generalstände waren<lb/>
seit 1614 nicht mehr berufen, konnten also ihren Willen nicht kundtun. Die<lb/>
Provinzialstände, die Masse des Volks, die Kirche, der Adel lebten im großen<lb/>
und ganzen mit der Regierung in Frieden. Dagegen gab es eine Körperschaft,<lb/>
die unter Ludwig dem Fünfzehnten in zunehmendem Maße auf dem Gebiete<lb/>
der Gesetzgebung und der Besteuerung dem Könige Opposition machte. Es<lb/>
war dies das Pariser Parlament, der höchste französische Gerichtshof, insofern<lb/>
als er in gewissen Fällen die Appellinstanz für die übrigen zwölf ihm sonst<lb/>
gleichgestellten Parlamente war. Die Mitglieder der Parlamente erwarben ihre<lb/>
Stellen durch Kauf als volles Eigentum und waren deshalb unabsetzbar. Das<lb/>
vornehmste Recht dieser Gerichtshöfe bestand seit Ludwig dem Zwölften darin,<lb/>
daß sie die königlichen Gesetze einzuregistrieren hatten, woraus sehr bald der<lb/>
Schluß gezogen worden war, daß die Gesetze des Königs nur dann Geltung<lb/>
haben dürften, wenn die Einregistrierung wirklich stattgefunden habe. Das<lb/>
Pariser Parlament, dessen Sprengel übrigens bei weitem der größte war, ver¬<lb/>
weigerte nun die Einregistrierung sehr häufig. Um es hierzu zu zwingen, hielt<lb/>
der König allerdings einen lit as justios ab, wo jeder Widerspruch verstummen<lb/>
mußte; aber eine solche &#x201E;Kissensitzung" war beim Volke höchst unbeliebt, und<lb/>
da das Parlament auch das Recht hatte, eigne Verfügungen selbständig zu er¬<lb/>
lassen, so kam es unter Ludwig dem Fünfzehnten immer häufiger vor, daß<lb/>
Verfügungen des Parlaments gerade das Gegenteil von dem anordneten, was<lb/>
der König befohlen hatte, und auch wirklich geltend gemacht wurden. Mit<lb/>
einem Worte: die damaligen Parlamente fühlten sich als die eigentlichen Ver¬<lb/>
treter der Nation und als Beschützer des niedern Volkes gegenüber der abso¬<lb/>
luten Monarchie und den beiden ersten Ständen. Das Beispiel des Ungehorsams,<lb/>
das sie so oft gaben, fand Nachahmung im gesamten Volke. Man achtete nicht</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0251] Vorgeschichte der französischen Revolution von 1.739 mehr schadete. Die eigentlichen Staatsbeamten gingen vielmehr aus bürger¬ lichen Familien hervor, die wie einst in Rom viele Plebejerfamilien einen Amtsadel ausmachten und sich meist durch Arbeitsamkeit, Ehrlichkeit und Tüchtigkeit auszeichneten. Aber an Schattenseiten fehlte es auch hier nicht: diese Amtsaristokraten hatten nur juristische Vorbildung und standen doch an der Spitze der Flotte, des Kriegswesens und andrer Ressorts, zu denen eben gründliche Sachkenntnis nötig gewesen wäre; auch klebten sie gar zu sehr an ihren Ämtern und vermieden es ängstlich, mit den bei Hofe angesehenen Kreisen in Konflikt zu geraten. Im allgemeinen wurde im Staate Ludwigs des Fünfzehnten viel regiert und viel geschrieben, aber ein Unterschied gegen frühere Zeiten macht sich doch bemerkbar: der König besteht nicht mehr so schroff auf seiner absoluten Gewalt wie Ludwig der Vierzehnte; er redet schon von den „Rechten der Nation" und widerspricht nicht mehr, wenn ihm bedeutet wird, daß er der erste Beamte in Frankreich sei, eine Auffassung, die an die Friedrichs des Großen erinnert. Man erwägt schon den Gedanken an eine Reform der Verwaltung. Aber vorderhand schien doch nichts hierzu zu drängen. Die Generalstände waren seit 1614 nicht mehr berufen, konnten also ihren Willen nicht kundtun. Die Provinzialstände, die Masse des Volks, die Kirche, der Adel lebten im großen und ganzen mit der Regierung in Frieden. Dagegen gab es eine Körperschaft, die unter Ludwig dem Fünfzehnten in zunehmendem Maße auf dem Gebiete der Gesetzgebung und der Besteuerung dem Könige Opposition machte. Es war dies das Pariser Parlament, der höchste französische Gerichtshof, insofern als er in gewissen Fällen die Appellinstanz für die übrigen zwölf ihm sonst gleichgestellten Parlamente war. Die Mitglieder der Parlamente erwarben ihre Stellen durch Kauf als volles Eigentum und waren deshalb unabsetzbar. Das vornehmste Recht dieser Gerichtshöfe bestand seit Ludwig dem Zwölften darin, daß sie die königlichen Gesetze einzuregistrieren hatten, woraus sehr bald der Schluß gezogen worden war, daß die Gesetze des Königs nur dann Geltung haben dürften, wenn die Einregistrierung wirklich stattgefunden habe. Das Pariser Parlament, dessen Sprengel übrigens bei weitem der größte war, ver¬ weigerte nun die Einregistrierung sehr häufig. Um es hierzu zu zwingen, hielt der König allerdings einen lit as justios ab, wo jeder Widerspruch verstummen mußte; aber eine solche „Kissensitzung" war beim Volke höchst unbeliebt, und da das Parlament auch das Recht hatte, eigne Verfügungen selbständig zu er¬ lassen, so kam es unter Ludwig dem Fünfzehnten immer häufiger vor, daß Verfügungen des Parlaments gerade das Gegenteil von dem anordneten, was der König befohlen hatte, und auch wirklich geltend gemacht wurden. Mit einem Worte: die damaligen Parlamente fühlten sich als die eigentlichen Ver¬ treter der Nation und als Beschützer des niedern Volkes gegenüber der abso¬ luten Monarchie und den beiden ersten Ständen. Das Beispiel des Ungehorsams, das sie so oft gaben, fand Nachahmung im gesamten Volke. Man achtete nicht

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/251
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/251>, abgerufen am 28.12.2024.