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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Vorgeschichte der französischen Revolution von ^739

mehr die Gesetze, man entzog sich den Steuerzahlungen, man höhnte die Bücher-
zensur, man vergriff sich an den königlichen Forsten, die man hier und da ohne
weiteres in Ackerland verwandelte. Das war einer der vornehmsten Gründe der
Revolution; wie sich Condorcet ausdrückte: "Man litt unter den Nachteilen der
Monarchie, glaubte aber die des Despotismus zu empfinden." Aus dieser Not¬
lage Hütte nur eine Stärkung der Regierungsgewalt helfen können.

In der zweiten Hälfte der Regierung Ludwigs des Fünfzehnten brach auch
die äußere Machtstellung Frankreichs völlig zusammen. Die Kriege seines Vor¬
gängers hatten ungeheure Kosten verursacht und das Volk materiell zugrunde
gerichtet; denn der Kampf wurde immer mit zwei Gegnern, England und
Österreich, zugleich aufgenommen, und das überstieg die Kräfte des Landes.
Ludwig der Vierzehnte übersah dabei, daß es wichtiger gewesen wäre, die
Kolonien und den Handel durch eine starke Flotte zu schützen, als mit einem
gewaltigen Landheere die Grenzen auf dem Festlande fortwährend zu erweitern.
Die Regierung Ludwigs des Fünfzehnten erkannte diesen Fehler durchaus, und
nur so ist es zu verstehn, daß sie 1756 zu Versailles das Bündnis mit Österreich
einging und es mit England in dem siebenjährigen Kolonialkrieg aufnahm.
Wenn dieser trotzdem 1763 für Frankreich ganz klüglich endete, wenn damals
Nordamerika, Indien und die ganze Flotte verloren gingen, so lag das freilich
an Umständen, die man nicht voraussehen konnte: an dem Aufkommen Preußens,
dessen genialer König die französische Armee bei Roßbach auseinandersprengte,
und an der falschen Wahl des Bundesgenossen; England war eben stärker als
Österreich.

Bekanntlich hat Napoleon der Erste als die erste von drei Ursachen der
französischen Revolution den siebenjährigen Krieg bezeichnet; denn die Schande,
die damit über das Land hereinbrach, ließ gerade die Besten der Nation an ihrer
Regierung verzweifeln. Das Heerwesen wies die schwersten Schäden auf. Die
Armee zählte zwar 1774 trotz ihrer Verminderung immer noch über 170000 Mann
und wäre an sich stark genug gewesen. Aber das Offizierkorps setzte sich größten¬
teils aus ganz unfähigen jungen Leuten der vornehmsten Abkunft zusammen,
die schon im Alter von fünfzehn bis zwanzig Jahren in die wichtigsten Stellen,
vor allem in die der Regimentskommandeure gelangten, oder aus Obersten und
Hauptleuten zum Teil des Bürgerstandes, die ihre Stellen vom Vorgänger
käuflich erworben hatten, obwohl sie ihre Ernennung von den vorgesetzten Be¬
hörden erhielten. Weitere Übel waren die ganz ungenügende Ausbildung der
Offiziere, ihre Neigung, den ohnehin reichlichen Urlaub übermäßig zu verlängern,
nicht zuletzt die Unfähigkeit des obersten Kriegsherrn, also des Königs, in allen
Fragen des Heerwesens. Die Mannschaften gehörten vielmehr dem Vagabunden-
und Verbrechertum an, wurden ungenügend besoldet und überdies mit nicht¬
militärischen Arbeiten (Corvees) beschäftigt; die Truppenteile wechselten oft schon
nach wenig Jahren ihre Garnisonen, in denen es nur selten Kasernen gab, und
desertierten dabei in großer Zahl ans den Märschen durch das Land, die oft


Vorgeschichte der französischen Revolution von ^739

mehr die Gesetze, man entzog sich den Steuerzahlungen, man höhnte die Bücher-
zensur, man vergriff sich an den königlichen Forsten, die man hier und da ohne
weiteres in Ackerland verwandelte. Das war einer der vornehmsten Gründe der
Revolution; wie sich Condorcet ausdrückte: „Man litt unter den Nachteilen der
Monarchie, glaubte aber die des Despotismus zu empfinden." Aus dieser Not¬
lage Hütte nur eine Stärkung der Regierungsgewalt helfen können.

In der zweiten Hälfte der Regierung Ludwigs des Fünfzehnten brach auch
die äußere Machtstellung Frankreichs völlig zusammen. Die Kriege seines Vor¬
gängers hatten ungeheure Kosten verursacht und das Volk materiell zugrunde
gerichtet; denn der Kampf wurde immer mit zwei Gegnern, England und
Österreich, zugleich aufgenommen, und das überstieg die Kräfte des Landes.
Ludwig der Vierzehnte übersah dabei, daß es wichtiger gewesen wäre, die
Kolonien und den Handel durch eine starke Flotte zu schützen, als mit einem
gewaltigen Landheere die Grenzen auf dem Festlande fortwährend zu erweitern.
Die Regierung Ludwigs des Fünfzehnten erkannte diesen Fehler durchaus, und
nur so ist es zu verstehn, daß sie 1756 zu Versailles das Bündnis mit Österreich
einging und es mit England in dem siebenjährigen Kolonialkrieg aufnahm.
Wenn dieser trotzdem 1763 für Frankreich ganz klüglich endete, wenn damals
Nordamerika, Indien und die ganze Flotte verloren gingen, so lag das freilich
an Umständen, die man nicht voraussehen konnte: an dem Aufkommen Preußens,
dessen genialer König die französische Armee bei Roßbach auseinandersprengte,
und an der falschen Wahl des Bundesgenossen; England war eben stärker als
Österreich.

Bekanntlich hat Napoleon der Erste als die erste von drei Ursachen der
französischen Revolution den siebenjährigen Krieg bezeichnet; denn die Schande,
die damit über das Land hereinbrach, ließ gerade die Besten der Nation an ihrer
Regierung verzweifeln. Das Heerwesen wies die schwersten Schäden auf. Die
Armee zählte zwar 1774 trotz ihrer Verminderung immer noch über 170000 Mann
und wäre an sich stark genug gewesen. Aber das Offizierkorps setzte sich größten¬
teils aus ganz unfähigen jungen Leuten der vornehmsten Abkunft zusammen,
die schon im Alter von fünfzehn bis zwanzig Jahren in die wichtigsten Stellen,
vor allem in die der Regimentskommandeure gelangten, oder aus Obersten und
Hauptleuten zum Teil des Bürgerstandes, die ihre Stellen vom Vorgänger
käuflich erworben hatten, obwohl sie ihre Ernennung von den vorgesetzten Be¬
hörden erhielten. Weitere Übel waren die ganz ungenügende Ausbildung der
Offiziere, ihre Neigung, den ohnehin reichlichen Urlaub übermäßig zu verlängern,
nicht zuletzt die Unfähigkeit des obersten Kriegsherrn, also des Königs, in allen
Fragen des Heerwesens. Die Mannschaften gehörten vielmehr dem Vagabunden-
und Verbrechertum an, wurden ungenügend besoldet und überdies mit nicht¬
militärischen Arbeiten (Corvees) beschäftigt; die Truppenteile wechselten oft schon
nach wenig Jahren ihre Garnisonen, in denen es nur selten Kasernen gab, und
desertierten dabei in großer Zahl ans den Märschen durch das Land, die oft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/252>, abgerufen am 23.07.2024.