Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.Vorgeschichte der französischen Revolution von 1,739 Der moderne Absolutismus schrieb sich in Frankreich schon von den Zeiten Bei jeder Verfassung kommt es weniger darauf an, wie sie beschaffen ist, Vorgeschichte der französischen Revolution von 1,739 Der moderne Absolutismus schrieb sich in Frankreich schon von den Zeiten Bei jeder Verfassung kommt es weniger darauf an, wie sie beschaffen ist, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300037"/> <fw type="header" place="top"> Vorgeschichte der französischen Revolution von 1,739</fw><lb/> <p xml:id="ID_890"> Der moderne Absolutismus schrieb sich in Frankreich schon von den Zeiten<lb/> Ludwigs des Elster, Franz des Ersten und Heinrichs des Zweiten her, seine<lb/> völlige Ausbildung erhielt er aber erst durch den Kardinal Richelieu. Was<lb/> bis dahin an Staatseinrichtungen geschaffen worden war, bestand im wesent¬<lb/> lichen auch noch unter der Regierung Ludwigs des Fünfzehnten. Neben dem<lb/> König, in dem sich alle Machtflllle vereinigte, bildeten der Große Rat und die<lb/> Minister, die je nach ihren Persönlichkeiten größern oder geringern Einfluß<lb/> hatten, die Zentralregierung in der Hauptstadt. Zum Zwecke der Landes¬<lb/> verwaltung war Frankreich schon seit dem sechzehnten Jahrhundert in einund¬<lb/> dreißig Generalitäten (Provinzen) geteilt worden. Bezirke von überaus ver-<lb/> schiednen Umfang, an deren Spitze seit Richelieu der Intendant mit<lb/> außerordentlichen Befugnissen stand. Hatte dieser höchste Provinzialbeamte im<lb/> Grunde nur die Befehle des Ministeriums auszuführen und nur vorläufige<lb/> Entscheidungen zu treffen, so sah andrerseits die Regierung doch „nur mit<lb/> seinen Augen" und genehmigte regelmäßig alle seine Maßnahmen ans dem ge¬<lb/> samten Gebiete der Militär- und der Zivilverwaltung. Überdies hatte er die<lb/> Kontrolle über die Grundherren (ssiAneurs), Stadtgemeinden und Gerichte.<lb/> Aber er war und blieb ein absetzbarer, der Regierung unbedingt unterworfner<lb/> Beamter, ein Kommissar, auf den die Inhaber von ordentlichen Ämtern mit<lb/> Verachtung hinabsahen.</p><lb/> <p xml:id="ID_891" next="#ID_892"> Bei jeder Verfassung kommt es weniger darauf an, wie sie beschaffen ist,<lb/> als vielmehr darauf, in welcher Weise sie gebraucht wird; am meisten gilt dieser<lb/> Satz von einem absolut regierten Staatswesen. Es fragt sich deshalb, was<lb/> für eine Persönlichkeit Ludwig der Fünfzehnte gewesen ist. Er war jedenfalls<lb/> kein herzloser, bösartiger oder habgieriger Herrscher, aber haltlos, schwach und<lb/> von seiner Umgebung völlig beeinflußt; ihm fehlte jegliches Selbstvertrauen,<lb/> und einem tatkräftigen Widerstande gegenüber zeigte er geradezu Furcht. Seine<lb/> Geliebten, die ihn nacheinander beherrschten, die Mailly. die Pompadour, sogar<lb/> die verworfne du Barry, hinderten nicht, daß immer noch tüchtige Männer zu<lb/> den Staatsgeschäften zugelassen wurden; aber wie unwürdig war es für diese<lb/> Räte, einem Hofe zu dienen, der zum Bordell hinabgesunken war, zumal als<lb/> der greise Herrscher in immer gierigerer Lüsternheit und ausschweifenderer<lb/> Sinnlichkeit verkam. Das war es auch, was dem Könige, der einst von seinem<lb/> Volke so sehr geliebt wurde, schließlich den größten Haß eintrug. Und doch:<lb/> Ludwig der Fünfzehnte verlor keineswegs das Interesse an den Staats¬<lb/> geschäften ; er arbeitete, wenn auch nicht regelmäßig, so doch angestrengt in der<lb/> innern und vor allem in der äußern Politik, die er überhaupt nicht aus den<lb/> Händen gab. Auch das ist ein weitverbreiteter Irrtum, daß er seine Ratgeber<lb/> aus dem hohen Geburtsadel entnommen habe, der in glänzend bezahlten<lb/> Stellungen am Hofe lebte, sich in Himmelblau und Rosa kleidete, tändelte,<lb/> witzelte und eigentlich nichts nützliches tat, aber dafür auch seine frühere<lb/> Freiheit und Unabhängigkeit verloren hatte und darum dem Königtum nicht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0250]
Vorgeschichte der französischen Revolution von 1,739
Der moderne Absolutismus schrieb sich in Frankreich schon von den Zeiten
Ludwigs des Elster, Franz des Ersten und Heinrichs des Zweiten her, seine
völlige Ausbildung erhielt er aber erst durch den Kardinal Richelieu. Was
bis dahin an Staatseinrichtungen geschaffen worden war, bestand im wesent¬
lichen auch noch unter der Regierung Ludwigs des Fünfzehnten. Neben dem
König, in dem sich alle Machtflllle vereinigte, bildeten der Große Rat und die
Minister, die je nach ihren Persönlichkeiten größern oder geringern Einfluß
hatten, die Zentralregierung in der Hauptstadt. Zum Zwecke der Landes¬
verwaltung war Frankreich schon seit dem sechzehnten Jahrhundert in einund¬
dreißig Generalitäten (Provinzen) geteilt worden. Bezirke von überaus ver-
schiednen Umfang, an deren Spitze seit Richelieu der Intendant mit
außerordentlichen Befugnissen stand. Hatte dieser höchste Provinzialbeamte im
Grunde nur die Befehle des Ministeriums auszuführen und nur vorläufige
Entscheidungen zu treffen, so sah andrerseits die Regierung doch „nur mit
seinen Augen" und genehmigte regelmäßig alle seine Maßnahmen ans dem ge¬
samten Gebiete der Militär- und der Zivilverwaltung. Überdies hatte er die
Kontrolle über die Grundherren (ssiAneurs), Stadtgemeinden und Gerichte.
Aber er war und blieb ein absetzbarer, der Regierung unbedingt unterworfner
Beamter, ein Kommissar, auf den die Inhaber von ordentlichen Ämtern mit
Verachtung hinabsahen.
Bei jeder Verfassung kommt es weniger darauf an, wie sie beschaffen ist,
als vielmehr darauf, in welcher Weise sie gebraucht wird; am meisten gilt dieser
Satz von einem absolut regierten Staatswesen. Es fragt sich deshalb, was
für eine Persönlichkeit Ludwig der Fünfzehnte gewesen ist. Er war jedenfalls
kein herzloser, bösartiger oder habgieriger Herrscher, aber haltlos, schwach und
von seiner Umgebung völlig beeinflußt; ihm fehlte jegliches Selbstvertrauen,
und einem tatkräftigen Widerstande gegenüber zeigte er geradezu Furcht. Seine
Geliebten, die ihn nacheinander beherrschten, die Mailly. die Pompadour, sogar
die verworfne du Barry, hinderten nicht, daß immer noch tüchtige Männer zu
den Staatsgeschäften zugelassen wurden; aber wie unwürdig war es für diese
Räte, einem Hofe zu dienen, der zum Bordell hinabgesunken war, zumal als
der greise Herrscher in immer gierigerer Lüsternheit und ausschweifenderer
Sinnlichkeit verkam. Das war es auch, was dem Könige, der einst von seinem
Volke so sehr geliebt wurde, schließlich den größten Haß eintrug. Und doch:
Ludwig der Fünfzehnte verlor keineswegs das Interesse an den Staats¬
geschäften ; er arbeitete, wenn auch nicht regelmäßig, so doch angestrengt in der
innern und vor allem in der äußern Politik, die er überhaupt nicht aus den
Händen gab. Auch das ist ein weitverbreiteter Irrtum, daß er seine Ratgeber
aus dem hohen Geburtsadel entnommen habe, der in glänzend bezahlten
Stellungen am Hofe lebte, sich in Himmelblau und Rosa kleidete, tändelte,
witzelte und eigentlich nichts nützliches tat, aber dafür auch seine frühere
Freiheit und Unabhängigkeit verloren hatte und darum dem Königtum nicht
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |