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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Reinkens

gepachteter Gärten, iiainentlich beim Kardenbau, geholfen hatten, faßten einen
heldenhaften Entschluß: der durch all das Unglück gebrochne Vater sollte sich
zur Ruhe setzen, und sie wollten ihn mit ihrer Hunde Arbeit ernähren. Das
haben sie denn auch als Gärtnerburschen und Feinspinner eine Zeit laug getan.
Aber ein Freund der Familie, der Pfarrer Hüllenkremer, konnte es nicht mit
ansehen, daß das Talent Josephs verkümmere. Er sorgte für Unterricht und
Anleitung -- eigentlich nur diese war nötig --, und nach der Bewältigung der
Anfangsgründe trat 1840 der Neunzehnjährige in die Quarta des Aachener
Gymnasiums ein, das er nach glänzend bestandnen Abiturientenexamen am
28. August 1844 verließ, um in Bonn Theologie und klassische Philologie zu
studieren; diese mit solchem Erfolg, daß er ein Lieblingsschüler Ritschls wurde.
Diesem, der mittlerweile nach Leipzig übergesiedelt war, schickte Reinkens 1870
sein Buch: "Aristoteles über Kunst, besonders über Tragödie." Darauf schrieb
ihm Ritschl, er wünsche nur, die Welt möchte es erfahren, daß ein solches Werk
mittelbar aus dem Bonner Seminar hervorgegangen sei. "Sehr möglich, fügte
er bei, daß Ihre moralische Tapferkeit in den weltbewegenden Kirchenkämpfen
Ihnen weltliche Unbill als Lohn zuzieht! Aber ein Mann wie Sie findet
überall und jederzeit seinen Platz, und so ist mir auch im schlimmsten Falle
nicht bange um Sie. Jede philosophische Fakultät würde Sie mit offne"
Armen aufnehmen." Wenig Monate später meldete sich Reinkens zur Doktor¬
promotion in Leipzig. "Nischt schrieb, er könne wohl zum Doktor donoris Lg,usa
ernannt werden. Reinkens wollte das nicht annehmen; er habe sich in seinem
ganzen Leben nichts schenken lassen, sondern alles rite" erworben. Seine Be¬
denken wurden jedoch durch Hinweis auf die Universitätsstatuten gehoben, und
am 22. Februar 1871 konnte Ritschl seinem "lieben, tapfern, treuen Freunde"
mitteilen, daß der Wunsch erfüllt sei. Am 8. März teilte der Dekan der philo¬
sophischen Faknltüt dem funfzigjährigen Doktoranden mit, daß die Fakultät ihn
einstimmig in die Reihe der Doktoren der Philosophie aufgenommen habe, und zwar
boiuZW os.u"a, wie es sich bei einem Manne von seinem wissenschaftlichen und
sittlichen Werte gebühre." Im Diplom lautet die Begründung verdeutscht: "Weil
er sich durch unverdrossenen Unterricht der Jugend um die akademischen Studien
wohlverdient gemacht und durch eine Fülle gelehrter Bücher nicht nur die
theologische, sondern auch die philosophische und die philologische Literatur be¬
reichert und mit ganz besonderm Fleiße die Lehre des Aristoteles über Kunst
und Tragödie in lobenswerter Weise beleuchtet hat, kürzlich aber als tapferer
Beschützer und feuriger Vorkämpfer der Wahrheit, der gesunden Vernunft und
der vernunftgemäßen Freiheit in der Kirche hervorgetreten ist."

Zu den Gaben, mit denen die Reinkens, und Joseph vor allen, ausgestattet
waren, gehörten lebhaftes Naturgefühl, poetische Anlage und glücklicher Humor.
Von diesem hat er in Altkatholikenversammlungen oft Gebrauch gemacht, indem
er über Verstimmungen und peinliche Situationen mit einem Scherzworte hin¬
weghalf. Von seinen religiösen Liedern sind fünf in Vrosigs Gesangbuch für


Reinkens

gepachteter Gärten, iiainentlich beim Kardenbau, geholfen hatten, faßten einen
heldenhaften Entschluß: der durch all das Unglück gebrochne Vater sollte sich
zur Ruhe setzen, und sie wollten ihn mit ihrer Hunde Arbeit ernähren. Das
haben sie denn auch als Gärtnerburschen und Feinspinner eine Zeit laug getan.
Aber ein Freund der Familie, der Pfarrer Hüllenkremer, konnte es nicht mit
ansehen, daß das Talent Josephs verkümmere. Er sorgte für Unterricht und
Anleitung — eigentlich nur diese war nötig —, und nach der Bewältigung der
Anfangsgründe trat 1840 der Neunzehnjährige in die Quarta des Aachener
Gymnasiums ein, das er nach glänzend bestandnen Abiturientenexamen am
28. August 1844 verließ, um in Bonn Theologie und klassische Philologie zu
studieren; diese mit solchem Erfolg, daß er ein Lieblingsschüler Ritschls wurde.
Diesem, der mittlerweile nach Leipzig übergesiedelt war, schickte Reinkens 1870
sein Buch: „Aristoteles über Kunst, besonders über Tragödie." Darauf schrieb
ihm Ritschl, er wünsche nur, die Welt möchte es erfahren, daß ein solches Werk
mittelbar aus dem Bonner Seminar hervorgegangen sei. „Sehr möglich, fügte
er bei, daß Ihre moralische Tapferkeit in den weltbewegenden Kirchenkämpfen
Ihnen weltliche Unbill als Lohn zuzieht! Aber ein Mann wie Sie findet
überall und jederzeit seinen Platz, und so ist mir auch im schlimmsten Falle
nicht bange um Sie. Jede philosophische Fakultät würde Sie mit offne»
Armen aufnehmen." Wenig Monate später meldete sich Reinkens zur Doktor¬
promotion in Leipzig. „Nischt schrieb, er könne wohl zum Doktor donoris Lg,usa
ernannt werden. Reinkens wollte das nicht annehmen; er habe sich in seinem
ganzen Leben nichts schenken lassen, sondern alles rite» erworben. Seine Be¬
denken wurden jedoch durch Hinweis auf die Universitätsstatuten gehoben, und
am 22. Februar 1871 konnte Ritschl seinem »lieben, tapfern, treuen Freunde«
mitteilen, daß der Wunsch erfüllt sei. Am 8. März teilte der Dekan der philo¬
sophischen Faknltüt dem funfzigjährigen Doktoranden mit, daß die Fakultät ihn
einstimmig in die Reihe der Doktoren der Philosophie aufgenommen habe, und zwar
boiuZW os.u»a, wie es sich bei einem Manne von seinem wissenschaftlichen und
sittlichen Werte gebühre." Im Diplom lautet die Begründung verdeutscht: „Weil
er sich durch unverdrossenen Unterricht der Jugend um die akademischen Studien
wohlverdient gemacht und durch eine Fülle gelehrter Bücher nicht nur die
theologische, sondern auch die philosophische und die philologische Literatur be¬
reichert und mit ganz besonderm Fleiße die Lehre des Aristoteles über Kunst
und Tragödie in lobenswerter Weise beleuchtet hat, kürzlich aber als tapferer
Beschützer und feuriger Vorkämpfer der Wahrheit, der gesunden Vernunft und
der vernunftgemäßen Freiheit in der Kirche hervorgetreten ist."

Zu den Gaben, mit denen die Reinkens, und Joseph vor allen, ausgestattet
waren, gehörten lebhaftes Naturgefühl, poetische Anlage und glücklicher Humor.
Von diesem hat er in Altkatholikenversammlungen oft Gebrauch gemacht, indem
er über Verstimmungen und peinliche Situationen mit einem Scherzworte hin¬
weghalf. Von seinen religiösen Liedern sind fünf in Vrosigs Gesangbuch für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/24>, abgerufen am 23.07.2024.