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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Reinkens

und zu hören bekommen haben, werden sich freuen, etwas aus seinem Leben zu
vernehmen. Ich habe ihn als Student nur im Kolleg und in der Kirche kennen
lernen, ohne des Glücks eines persönlichen Umgangs mit ihm teilhaft zu werden,
dann hat sich in zwei kurzen Perioden ein Verkehr entsponnen, der aber fast
ausschließlich schriftlich verlaufen ist und in der zweiten den amtlichen Charakter
getragen hat. Darum war mir alles neu, was Martin Reinkens aus der Jugend¬
geschichte des Bischofs erzählt und über sein häusliches Leben berichtet.

Seine Eltern entstammten einem Bauerugeschlecht der Aachener Gegend,
das den Nachkommen hohe Statur, edle Gesichtsbildung und reiche Geistes- und
Herzensanlagen vererbt hat. Der Vater besaß in Burtscheid ein Haus mit
Garten, worin er Brennerei und Gastwirtschaft betrieb. Von den sechs am
Leben gebliebner Kindern war der 1821 geborne Joseph Hubert das sechste.
Der älteste Bruder, Dr. Franz Wilhelm Reinkens, hat als Pfarrer in Bonn ein
Buch: "DaS Paradies der Kindheit" herausgegeben, worin er schreibt: "Die
Kinder wuchsen ans vor den Angen des weisen und trefflichen Vaters in Arbeit
und Gebet, in harmlosen Freuden und viel jungritterlichen Spielen; sie hatten
alles miteinander gemeinsam, Blumen, Wälder, Vogelherde, Freunde. Der
Vater . . . gebot mit jener Würde, die keinen Widerspruch findet, weil sie keinen
fürchtet. Unvermerkt wandelte sich uns die Folgsamkeit der Ehrfurcht in den
fröhlichen Gehorsam, in die freie Tat der Liebe. Die Mutter war immer heiter,
immer freundlich, aber nie lustig. Das Kreuz war ihr Zepter, viel Leid hatte
sie ehrwürdig gemacht. Mutter und Vater waren ein Herz und eine Seele.
Nie waren zwei Menschen einander so gleich in ihren Anschauungen, Wünschen
und Absichten, und waren doch von Hans aus sehr verschieden." Joseph schreibt
am 24. Dezember 1850 aus Breslau an seineu Bater: "Die lieblichste Er¬
innerung an die Heilige Nacht geht bis an die ersten Jahre meiner .Kindheit
zurück. Ich danke Ihnen besonders, guter Vater! daß Sie mich so früh zur
rechten Krippe in die unvergeßliche Christmesse um vier Uhr geführt haben, ohne
durch die törichte Besorgnis so vieler Eltern, der frühe Kirchgang schade der
Gesundheit der Kinder, sich abhalten zu lassen. Als ich das erstemal diese
Freude haben sollte, war die selige Müller dabei >sie war 1836 gestorbens,
es muß in meinem vierten bis sechsten Jahre gewesen sein. Die Nacht war
sternenhell, der Schnee funkelte, die Kirchenfenster hell erleuchtet, wie ich sie nie
vorher gesehen hatte, die Glocken hatten nie so reinen Klang gehabt, viel schöner
noch hörte ich im Geiste den Engclgesaug, von dem die Mutter so schön erzählte,
als hätte sie mitgesungen. Das vergeß ich nie, und auch nicht die Stimmung,
in der wir da beten konnten." Wilhelm durfte studieren und konnte als Kaplan
in Bonn die Schwester und die zwei jüngsten Brüder zu sich nehmen, aber für
Martin, der später Kaufmann geworden ist, und Joseph Hubert, die beide nicht
weniger begabt waren, langte eS nicht mehr, weil die Familie von allerlei Un¬
glück heimgesucht wurde. Das Besitztum mußte verkauft werde", und die beiden
Knaben, die bei dem Vater geblieben waren uno ihm bei der Bewirtschaftung


Reinkens

und zu hören bekommen haben, werden sich freuen, etwas aus seinem Leben zu
vernehmen. Ich habe ihn als Student nur im Kolleg und in der Kirche kennen
lernen, ohne des Glücks eines persönlichen Umgangs mit ihm teilhaft zu werden,
dann hat sich in zwei kurzen Perioden ein Verkehr entsponnen, der aber fast
ausschließlich schriftlich verlaufen ist und in der zweiten den amtlichen Charakter
getragen hat. Darum war mir alles neu, was Martin Reinkens aus der Jugend¬
geschichte des Bischofs erzählt und über sein häusliches Leben berichtet.

Seine Eltern entstammten einem Bauerugeschlecht der Aachener Gegend,
das den Nachkommen hohe Statur, edle Gesichtsbildung und reiche Geistes- und
Herzensanlagen vererbt hat. Der Vater besaß in Burtscheid ein Haus mit
Garten, worin er Brennerei und Gastwirtschaft betrieb. Von den sechs am
Leben gebliebner Kindern war der 1821 geborne Joseph Hubert das sechste.
Der älteste Bruder, Dr. Franz Wilhelm Reinkens, hat als Pfarrer in Bonn ein
Buch: „DaS Paradies der Kindheit" herausgegeben, worin er schreibt: „Die
Kinder wuchsen ans vor den Angen des weisen und trefflichen Vaters in Arbeit
und Gebet, in harmlosen Freuden und viel jungritterlichen Spielen; sie hatten
alles miteinander gemeinsam, Blumen, Wälder, Vogelherde, Freunde. Der
Vater . . . gebot mit jener Würde, die keinen Widerspruch findet, weil sie keinen
fürchtet. Unvermerkt wandelte sich uns die Folgsamkeit der Ehrfurcht in den
fröhlichen Gehorsam, in die freie Tat der Liebe. Die Mutter war immer heiter,
immer freundlich, aber nie lustig. Das Kreuz war ihr Zepter, viel Leid hatte
sie ehrwürdig gemacht. Mutter und Vater waren ein Herz und eine Seele.
Nie waren zwei Menschen einander so gleich in ihren Anschauungen, Wünschen
und Absichten, und waren doch von Hans aus sehr verschieden." Joseph schreibt
am 24. Dezember 1850 aus Breslau an seineu Bater: „Die lieblichste Er¬
innerung an die Heilige Nacht geht bis an die ersten Jahre meiner .Kindheit
zurück. Ich danke Ihnen besonders, guter Vater! daß Sie mich so früh zur
rechten Krippe in die unvergeßliche Christmesse um vier Uhr geführt haben, ohne
durch die törichte Besorgnis so vieler Eltern, der frühe Kirchgang schade der
Gesundheit der Kinder, sich abhalten zu lassen. Als ich das erstemal diese
Freude haben sollte, war die selige Müller dabei >sie war 1836 gestorbens,
es muß in meinem vierten bis sechsten Jahre gewesen sein. Die Nacht war
sternenhell, der Schnee funkelte, die Kirchenfenster hell erleuchtet, wie ich sie nie
vorher gesehen hatte, die Glocken hatten nie so reinen Klang gehabt, viel schöner
noch hörte ich im Geiste den Engclgesaug, von dem die Mutter so schön erzählte,
als hätte sie mitgesungen. Das vergeß ich nie, und auch nicht die Stimmung,
in der wir da beten konnten." Wilhelm durfte studieren und konnte als Kaplan
in Bonn die Schwester und die zwei jüngsten Brüder zu sich nehmen, aber für
Martin, der später Kaufmann geworden ist, und Joseph Hubert, die beide nicht
weniger begabt waren, langte eS nicht mehr, weil die Familie von allerlei Un¬
glück heimgesucht wurde. Das Besitztum mußte verkauft werde», und die beiden
Knaben, die bei dem Vater geblieben waren uno ihm bei der Bewirtschaftung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/23>, abgerufen am 23.07.2024.