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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Über den Brenner

Von diesen Grundherrschaften, weltlichen wie geistlichen, ging die Besiedlung
der noch unkultivierten Landstriche aus, die zugleich eine Germanisierung des
ganzen Eisack- und Etschtales war, denn die Grundherren und das Personal
der geistlichen Stiftungen waren Deutsche, die Stiftungen selbst Kolonien ähnlicher
Ansiedlungen in Bayern. So eroberte der deutsche Bauer, den sie herbeiriefen,
im elften und im zwölften Jahrhundert das ganze Land längs der Brenner¬
straße bis weit über die heutige Sprachgrenze hinaus, das romanische Wesen
in die Nebentäler zuriickdrnngend und sogar manche von diesen ergreifend, eine
Tatsache, die für die Sicherung dieser .'.Kcnscrstraße" von größter Bedeutung
war. Zugleich steigerten Römerzuge und Kreuzfahrten den Verkehr, Die Zölle
wurden wertvoll, die wichtigsten Ansiedlungen erhielten Marktrecht, Innsbruck,
das zuerst 1027 genannt wird, 1188, Vozen in einer nicht bestimmbaren Zeit,
Buxen 1179. Sogar die größern Alpenflüsse mußten dein Verkehre dienen, im
Norden der Jnn, der schon von Innsbruck aus mit leichten, von Hall an auch
mit größern Schiffen befahren wurde, die Jsar und der Lech, auf dem die Augs-
burger ihre Waren (wenigstens talabwärts) beförderten, im Süden die Etsch, deren
Schiffs- und Floßverkehr um 1187 dem Bischof von Trient einen einträglichen
Zoll abwarf. Seine Höhe aber erreichte dieser Verkehr, als 1204 Venedig anstatt
Konstantinopels der Mittelpunkt des Welthandels wurde, und Deutschland, das
bisher von seinen wichtigsten Straßen kaum berührt worden war, fast urplötzlich
in seinen Zusammenhang hereingezogen wurde. Keine Straße wurde dafür so
wichtig wie der Brenner, für den größten Teil Deutschlands der kürzeste Weg
nach dem Süden. Hier entstand deshalb schon vor 1223 das deutsche Kaufhans,
der Fondaco dei Tedeschi am Rialto, dicht an der Nialtobrncke, in dem Mittel¬
punkte des venezianischen Verkehrs, wo die deutschen Kaufleute ihre Kondore,
Warenlager und Wohnzimmer hatten, von der venezianischen Signoria in jeder
Weise begünstigt, und Venedig wurde für mehrere Jahrhunderte die.Hochschule
für die jungen süddeutschen Kaufleute, wie Jakob Fugger (seit 1473), den Be¬
gründer der Größe seines Welthauses, eine beneidenswerte Schule, wie sie sonst
niemals existiert hat, denn mit dem Getriebe eines Welthcmdelsplatzes vereinigte
sich hier die glänzendste Blüte der Kunst und der feinsten Bildung. So lebhaft
war dieser Verkehr, daß Nngsbnrg schon im vierzehnten Jahrhundert eine regel¬
mäßige Neitpost (Ordinaripost) einrichtete, die auch Reisende mitnahm und deren
Leute vom Rate bestellt wurden, auch eine Zunft bildeten. Für deu Transport
der Waren bestand zum Beispiel in Mittenwald an der Straße über die Scharnitz
eine privilegierte Zunft von Fuhrleuten, die sogenannte Rott; sonst gingen die
Waren gewöhnlich in großen Wagenzügen oder auf Saumtieren. Seitdem gegen
Ende des dreizehnten Jahrhunderts die Grafen von Tirol den größten Teil
dieses Gebirgslaudes unter ihrer Herrschaft vereinigt hatten, sorgten sie klug und
energisch für die Sicherheit und die Erhaltung oder Verbesserung der Straßen.
So gewährte Herzog Otto 1309 den Ulmer Kaufleuten freien Durchzug und
"hernahm mit seinen Brüdern Ludwig und Heinrich die Versicherung aller durch


Über den Brenner

Von diesen Grundherrschaften, weltlichen wie geistlichen, ging die Besiedlung
der noch unkultivierten Landstriche aus, die zugleich eine Germanisierung des
ganzen Eisack- und Etschtales war, denn die Grundherren und das Personal
der geistlichen Stiftungen waren Deutsche, die Stiftungen selbst Kolonien ähnlicher
Ansiedlungen in Bayern. So eroberte der deutsche Bauer, den sie herbeiriefen,
im elften und im zwölften Jahrhundert das ganze Land längs der Brenner¬
straße bis weit über die heutige Sprachgrenze hinaus, das romanische Wesen
in die Nebentäler zuriickdrnngend und sogar manche von diesen ergreifend, eine
Tatsache, die für die Sicherung dieser .'.Kcnscrstraße" von größter Bedeutung
war. Zugleich steigerten Römerzuge und Kreuzfahrten den Verkehr, Die Zölle
wurden wertvoll, die wichtigsten Ansiedlungen erhielten Marktrecht, Innsbruck,
das zuerst 1027 genannt wird, 1188, Vozen in einer nicht bestimmbaren Zeit,
Buxen 1179. Sogar die größern Alpenflüsse mußten dein Verkehre dienen, im
Norden der Jnn, der schon von Innsbruck aus mit leichten, von Hall an auch
mit größern Schiffen befahren wurde, die Jsar und der Lech, auf dem die Augs-
burger ihre Waren (wenigstens talabwärts) beförderten, im Süden die Etsch, deren
Schiffs- und Floßverkehr um 1187 dem Bischof von Trient einen einträglichen
Zoll abwarf. Seine Höhe aber erreichte dieser Verkehr, als 1204 Venedig anstatt
Konstantinopels der Mittelpunkt des Welthandels wurde, und Deutschland, das
bisher von seinen wichtigsten Straßen kaum berührt worden war, fast urplötzlich
in seinen Zusammenhang hereingezogen wurde. Keine Straße wurde dafür so
wichtig wie der Brenner, für den größten Teil Deutschlands der kürzeste Weg
nach dem Süden. Hier entstand deshalb schon vor 1223 das deutsche Kaufhans,
der Fondaco dei Tedeschi am Rialto, dicht an der Nialtobrncke, in dem Mittel¬
punkte des venezianischen Verkehrs, wo die deutschen Kaufleute ihre Kondore,
Warenlager und Wohnzimmer hatten, von der venezianischen Signoria in jeder
Weise begünstigt, und Venedig wurde für mehrere Jahrhunderte die.Hochschule
für die jungen süddeutschen Kaufleute, wie Jakob Fugger (seit 1473), den Be¬
gründer der Größe seines Welthauses, eine beneidenswerte Schule, wie sie sonst
niemals existiert hat, denn mit dem Getriebe eines Welthcmdelsplatzes vereinigte
sich hier die glänzendste Blüte der Kunst und der feinsten Bildung. So lebhaft
war dieser Verkehr, daß Nngsbnrg schon im vierzehnten Jahrhundert eine regel¬
mäßige Neitpost (Ordinaripost) einrichtete, die auch Reisende mitnahm und deren
Leute vom Rate bestellt wurden, auch eine Zunft bildeten. Für deu Transport
der Waren bestand zum Beispiel in Mittenwald an der Straße über die Scharnitz
eine privilegierte Zunft von Fuhrleuten, die sogenannte Rott; sonst gingen die
Waren gewöhnlich in großen Wagenzügen oder auf Saumtieren. Seitdem gegen
Ende des dreizehnten Jahrhunderts die Grafen von Tirol den größten Teil
dieses Gebirgslaudes unter ihrer Herrschaft vereinigt hatten, sorgten sie klug und
energisch für die Sicherheit und die Erhaltung oder Verbesserung der Straßen.
So gewährte Herzog Otto 1309 den Ulmer Kaufleuten freien Durchzug und
"hernahm mit seinen Brüdern Ludwig und Heinrich die Versicherung aller durch


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[0019] Über den Brenner Von diesen Grundherrschaften, weltlichen wie geistlichen, ging die Besiedlung der noch unkultivierten Landstriche aus, die zugleich eine Germanisierung des ganzen Eisack- und Etschtales war, denn die Grundherren und das Personal der geistlichen Stiftungen waren Deutsche, die Stiftungen selbst Kolonien ähnlicher Ansiedlungen in Bayern. So eroberte der deutsche Bauer, den sie herbeiriefen, im elften und im zwölften Jahrhundert das ganze Land längs der Brenner¬ straße bis weit über die heutige Sprachgrenze hinaus, das romanische Wesen in die Nebentäler zuriickdrnngend und sogar manche von diesen ergreifend, eine Tatsache, die für die Sicherung dieser .'.Kcnscrstraße" von größter Bedeutung war. Zugleich steigerten Römerzuge und Kreuzfahrten den Verkehr, Die Zölle wurden wertvoll, die wichtigsten Ansiedlungen erhielten Marktrecht, Innsbruck, das zuerst 1027 genannt wird, 1188, Vozen in einer nicht bestimmbaren Zeit, Buxen 1179. Sogar die größern Alpenflüsse mußten dein Verkehre dienen, im Norden der Jnn, der schon von Innsbruck aus mit leichten, von Hall an auch mit größern Schiffen befahren wurde, die Jsar und der Lech, auf dem die Augs- burger ihre Waren (wenigstens talabwärts) beförderten, im Süden die Etsch, deren Schiffs- und Floßverkehr um 1187 dem Bischof von Trient einen einträglichen Zoll abwarf. Seine Höhe aber erreichte dieser Verkehr, als 1204 Venedig anstatt Konstantinopels der Mittelpunkt des Welthandels wurde, und Deutschland, das bisher von seinen wichtigsten Straßen kaum berührt worden war, fast urplötzlich in seinen Zusammenhang hereingezogen wurde. Keine Straße wurde dafür so wichtig wie der Brenner, für den größten Teil Deutschlands der kürzeste Weg nach dem Süden. Hier entstand deshalb schon vor 1223 das deutsche Kaufhans, der Fondaco dei Tedeschi am Rialto, dicht an der Nialtobrncke, in dem Mittel¬ punkte des venezianischen Verkehrs, wo die deutschen Kaufleute ihre Kondore, Warenlager und Wohnzimmer hatten, von der venezianischen Signoria in jeder Weise begünstigt, und Venedig wurde für mehrere Jahrhunderte die.Hochschule für die jungen süddeutschen Kaufleute, wie Jakob Fugger (seit 1473), den Be¬ gründer der Größe seines Welthauses, eine beneidenswerte Schule, wie sie sonst niemals existiert hat, denn mit dem Getriebe eines Welthcmdelsplatzes vereinigte sich hier die glänzendste Blüte der Kunst und der feinsten Bildung. So lebhaft war dieser Verkehr, daß Nngsbnrg schon im vierzehnten Jahrhundert eine regel¬ mäßige Neitpost (Ordinaripost) einrichtete, die auch Reisende mitnahm und deren Leute vom Rate bestellt wurden, auch eine Zunft bildeten. Für deu Transport der Waren bestand zum Beispiel in Mittenwald an der Straße über die Scharnitz eine privilegierte Zunft von Fuhrleuten, die sogenannte Rott; sonst gingen die Waren gewöhnlich in großen Wagenzügen oder auf Saumtieren. Seitdem gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts die Grafen von Tirol den größten Teil dieses Gebirgslaudes unter ihrer Herrschaft vereinigt hatten, sorgten sie klug und energisch für die Sicherheit und die Erhaltung oder Verbesserung der Straßen. So gewährte Herzog Otto 1309 den Ulmer Kaufleuten freien Durchzug und "hernahm mit seinen Brüdern Ludwig und Heinrich die Versicherung aller durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/19>, abgerufen am 27.12.2024.