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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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ziehend eilig überstieg, zog er von Junten aus die Straße über den Fernpaß,
denn er starb am 3. oder 4. Dezember in Breitenwang bei Reutte. Den Hohen-
staufen lagen von Schwaben aus die chnrrätischen Pässe näher, indes hat auch
Friedrich Barbarossa seine Ritterschaft mehrmals über den Brenner geführt, so
1154, 1158 und 1166, ebenso Heinrich der Sechste im Winter 1190/91, im
August 1209 der Welse Otto der Vierte, Friedrich der Zweite 1236, 1251 Konrad
der Vierte, und schließlich hat auch Konradin, der letzte Hohenstaufe, im Herbste
1267 seinen Todesweg nach Neapel über den Brenner angetreten. Der Sammel¬
platz für die deutschen Aufgebote war dabei gewöhnlich Augsburg. Die Marsch¬
geschwindigkeit überschritt selten zwanzig Kilometer täglich.

Je wichtiger der Brenner für die Kaiser wurde, desto mehr mußte ihnen
daran liegen, die Straße in sichern Händen zu wissen. Da die weltlichen Beamten,
die Grafen, dafür ihrer ganzen Gesinnung nach viel zu unzuverlässig waren, so
vertraute schou Konrad der Zweite diese Ausgabe 1027 den Bischöfen von Trident
und Brixen an, die der König wie alle andern bis zum Investiturstreit tatsächlich
ernannte, seit dem Wormser Konkordat von 1122 wenigstens mit den Reichsgütern
und Neichsrechteu belehnte, indem er jenem die Grafschaften Trident, Bozen und
Vintschgml, diesem die Grafschaft im größten Teile des Noritalgcms übertrug.
Dasselbe Ziel verfolgten die Könige, wenn sie die bischöflichen Güter, die als
Immunitäten von der gräflichen Amtsgewalt befreit waren, durch Schenkung von
Reichsgut tunlichst erweiterten. Das bis dahin wenig bedeutende Bistum Gaben
erhielt schou 901 deu Königshof Brixen (Prichsnci), wohin um 990 der Sitz des
Bistums verlegt wurde, während des elften Jahrhunderts eine Reihe von Be¬
sitzungen an der Brennerstraße (Mauls, Stilfes, Sterzing, Matrei, Willen). Auch
die großen Grafeugeschlcchter, die hier seit dein dreizehnten Jahrhundert erwuchsen,
die von Eppan mit ihren Verzweigungen und die von Tirol (bei Meran), suchten
durch Erbauung fester Burgen einen Anteil an der Herrschaft über die Straße
und namentlich über ihre Zölle zu gewinnen, und deutsch warm auch die mächtigen
Herrengeschlechter im welschen Südtirol, die Grafen von Flavon (Pflaum) in,
Nontale, die Herren von Castelbarco an der Veroneser Klause, von Arco, nördlich
vom Gardasee, vou Lodron, südlich vom Jdrosce. Von diesen reichbegüterten
Familien gingen die Klostergründungen des zwölften Jahrhunderts ans, deren
Lage an der Brennerstraße die zunehmende Wichtigkeit dieser Linie beweist. Um
1140 entstand das Prämoustrateuserstift Wilten bei Innsbruck, um dieselbe Zeit
die Augustiner-Chorhcrreustiftc Neustift bei Brixen und Se. Michael, südlich von
Bozen, 1160/65 Gries bei Bozen, eine Niederlassung desselben Ordens. Denn
diese Klöster waren zugleich Hospitäler für die Reisenden, vornehmlich für die
Nvmpilger, was bei der Gründung von Neustift besonders hervorgehoben wird,
und auch unmittelbar für diesen Zweck wurden Hospize gestiftet, so das zum
Heiligen Kreuz in Brixen vor 1157, ein andres in Klausen nach 1200. So
wenig war damals die Laienkultur auch in dieser Beziehung uoch entwickelt,
daß die Kirche auch für solche weltliche Zwecke aufkommen mußte.


ziehend eilig überstieg, zog er von Junten aus die Straße über den Fernpaß,
denn er starb am 3. oder 4. Dezember in Breitenwang bei Reutte. Den Hohen-
staufen lagen von Schwaben aus die chnrrätischen Pässe näher, indes hat auch
Friedrich Barbarossa seine Ritterschaft mehrmals über den Brenner geführt, so
1154, 1158 und 1166, ebenso Heinrich der Sechste im Winter 1190/91, im
August 1209 der Welse Otto der Vierte, Friedrich der Zweite 1236, 1251 Konrad
der Vierte, und schließlich hat auch Konradin, der letzte Hohenstaufe, im Herbste
1267 seinen Todesweg nach Neapel über den Brenner angetreten. Der Sammel¬
platz für die deutschen Aufgebote war dabei gewöhnlich Augsburg. Die Marsch¬
geschwindigkeit überschritt selten zwanzig Kilometer täglich.

Je wichtiger der Brenner für die Kaiser wurde, desto mehr mußte ihnen
daran liegen, die Straße in sichern Händen zu wissen. Da die weltlichen Beamten,
die Grafen, dafür ihrer ganzen Gesinnung nach viel zu unzuverlässig waren, so
vertraute schou Konrad der Zweite diese Ausgabe 1027 den Bischöfen von Trident
und Brixen an, die der König wie alle andern bis zum Investiturstreit tatsächlich
ernannte, seit dem Wormser Konkordat von 1122 wenigstens mit den Reichsgütern
und Neichsrechteu belehnte, indem er jenem die Grafschaften Trident, Bozen und
Vintschgml, diesem die Grafschaft im größten Teile des Noritalgcms übertrug.
Dasselbe Ziel verfolgten die Könige, wenn sie die bischöflichen Güter, die als
Immunitäten von der gräflichen Amtsgewalt befreit waren, durch Schenkung von
Reichsgut tunlichst erweiterten. Das bis dahin wenig bedeutende Bistum Gaben
erhielt schou 901 deu Königshof Brixen (Prichsnci), wohin um 990 der Sitz des
Bistums verlegt wurde, während des elften Jahrhunderts eine Reihe von Be¬
sitzungen an der Brennerstraße (Mauls, Stilfes, Sterzing, Matrei, Willen). Auch
die großen Grafeugeschlcchter, die hier seit dein dreizehnten Jahrhundert erwuchsen,
die von Eppan mit ihren Verzweigungen und die von Tirol (bei Meran), suchten
durch Erbauung fester Burgen einen Anteil an der Herrschaft über die Straße
und namentlich über ihre Zölle zu gewinnen, und deutsch warm auch die mächtigen
Herrengeschlechter im welschen Südtirol, die Grafen von Flavon (Pflaum) in,
Nontale, die Herren von Castelbarco an der Veroneser Klause, von Arco, nördlich
vom Gardasee, vou Lodron, südlich vom Jdrosce. Von diesen reichbegüterten
Familien gingen die Klostergründungen des zwölften Jahrhunderts ans, deren
Lage an der Brennerstraße die zunehmende Wichtigkeit dieser Linie beweist. Um
1140 entstand das Prämoustrateuserstift Wilten bei Innsbruck, um dieselbe Zeit
die Augustiner-Chorhcrreustiftc Neustift bei Brixen und Se. Michael, südlich von
Bozen, 1160/65 Gries bei Bozen, eine Niederlassung desselben Ordens. Denn
diese Klöster waren zugleich Hospitäler für die Reisenden, vornehmlich für die
Nvmpilger, was bei der Gründung von Neustift besonders hervorgehoben wird,
und auch unmittelbar für diesen Zweck wurden Hospize gestiftet, so das zum
Heiligen Kreuz in Brixen vor 1157, ein andres in Klausen nach 1200. So
wenig war damals die Laienkultur auch in dieser Beziehung uoch entwickelt,
daß die Kirche auch für solche weltliche Zwecke aufkommen mußte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/18>, abgerufen am 23.07.2024.