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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Über den Brenner

der Rienz und der Dram mit den kärntischen Slowenen zusammen, und 678
saß ein bayrischer Graf als Grenzhüter in Bozen. Die Masse der Bevölkerung
blieb freilich längs der Brennerstraße und namentlich in ihren Seitentälern noch
lange romanisch; die Grundbesitzer dagegen waren im Bistum Brixen im zehnten
Jahrhundert, soweit sie in Urkunden als Zeugen erscheinen, alle Deutsche. So
erklärt es sich, daß die Ortsnamen längs der Brennerstraße noch weit nördlich
der heutigen Sprachgrenze ganz überwiegend romanisch sind. Einen Halt fand
das romanische Element jahrhundertelang an dein romanischen Bistum Gaben,
das erst 798 von Aquileja getrennt und zu dem neu errichteten bayrischen Erz¬
bistum Salzburg geschlagen wurde. Wie die Bayern ihre Siedlungsweise und
ihr Recht nach Tirol übertrugen, so auch ihre Verwaltungsformen, vor allem
die Einteilung dieses Gebiets in Gaue. Längs des Brenners erstreckte sich der
Noritalgau, der das Silltal von Steinach ab und das Eisacktal mit Bozen um¬
faßte und kurzweg als der bayrische Gau zu deuten ist, denn der alte Name
der Noriker wurde oft auch auf die Bayern angewandt. Das heutige Tirol
bildete also keineswegs eine Verwaltungseinheit, sondern weiter nichts als eine
Gruppe bayrischer und langobardischer Gaue und ebensowenig eine kirchliche
Einheit, denn neben dein Bistum Brixen, das ungefähr die Mitte des Landes
längs der Brennerstraße umfaßte, stand im Süden Trident, im Westen Chur,
im Nordosten Salzburg.

Dieses kirchlich, administrativ und national so vielgespciltne und auch in
physischer Beziehung nichts weniger als einheitliche Gebiet, das wir heute Tirol
nennen, ist in den Grenzen, innerhalb deren das überhaupt geschehn ist, erst
germanisiert worden, als es mit Bayern ein Teil des Deutschen Reichs geworden
war. Denn damit erst gewann die Brennerstraße ihre volle Bedeutung als die
wichtigste Heerstraße nach Italien. Unter den Karolingern hatte neben den Pässen
der Westalpen der Se. Bernhard und neben ihm der eine oder der andre der
churrätischen Pässe die Hauptrolle gespielt; für die Kaiser sächsischen und frän¬
kischen Stammes kam jener gar nicht, eine der churrätischen Straßen nur wenig
in Betracht; so trat der Brenner in den Vordergrund, er wurde zur eigentlichen
Kaiserstraße des Mittelalters, über den von 144 Heereszügen dieser Zeit 66 ge¬
gangen sind. Den Neigen eröffnete hier Otto der Große, der Begründer der
Kaiserpolitik, der zweimal, 951 und 961, beidemal im August, also im Hoch¬
sommer, 967 im Oktober den Brenner überschritt; dagegen wagte sein Enkel
Otto der Dritte im Jahre 997 den Gebirgsmarsch mitten im Winter, im De¬
zember, ebenso Heinrich der Zweite im Dezember 1021, während dieser seinen
ersten Übergang über den Paß im Jahre 1004 zu Anfang April, den zweiten
im Mai 1014 gemacht hatte. Denselben Weg schlug Konrad der Zweite 1026/27
auf dem Hin- und Rückmarsch ein, denn wieder 1037 im Dezember, ebenso
Heinrich der Dritte beidemal, 1046 und 1055, Heinrich der Vierte 1081 und
1090, Heinrich der Fünfte 1111. Lothar 1132/33 und 1136/37 auf dem Hin-
und Rückmärsche; indem er im November 1137 den winterlichen Paß heimwärts-


Grenzboten III 1906 2
Über den Brenner

der Rienz und der Dram mit den kärntischen Slowenen zusammen, und 678
saß ein bayrischer Graf als Grenzhüter in Bozen. Die Masse der Bevölkerung
blieb freilich längs der Brennerstraße und namentlich in ihren Seitentälern noch
lange romanisch; die Grundbesitzer dagegen waren im Bistum Brixen im zehnten
Jahrhundert, soweit sie in Urkunden als Zeugen erscheinen, alle Deutsche. So
erklärt es sich, daß die Ortsnamen längs der Brennerstraße noch weit nördlich
der heutigen Sprachgrenze ganz überwiegend romanisch sind. Einen Halt fand
das romanische Element jahrhundertelang an dein romanischen Bistum Gaben,
das erst 798 von Aquileja getrennt und zu dem neu errichteten bayrischen Erz¬
bistum Salzburg geschlagen wurde. Wie die Bayern ihre Siedlungsweise und
ihr Recht nach Tirol übertrugen, so auch ihre Verwaltungsformen, vor allem
die Einteilung dieses Gebiets in Gaue. Längs des Brenners erstreckte sich der
Noritalgau, der das Silltal von Steinach ab und das Eisacktal mit Bozen um¬
faßte und kurzweg als der bayrische Gau zu deuten ist, denn der alte Name
der Noriker wurde oft auch auf die Bayern angewandt. Das heutige Tirol
bildete also keineswegs eine Verwaltungseinheit, sondern weiter nichts als eine
Gruppe bayrischer und langobardischer Gaue und ebensowenig eine kirchliche
Einheit, denn neben dein Bistum Brixen, das ungefähr die Mitte des Landes
längs der Brennerstraße umfaßte, stand im Süden Trident, im Westen Chur,
im Nordosten Salzburg.

Dieses kirchlich, administrativ und national so vielgespciltne und auch in
physischer Beziehung nichts weniger als einheitliche Gebiet, das wir heute Tirol
nennen, ist in den Grenzen, innerhalb deren das überhaupt geschehn ist, erst
germanisiert worden, als es mit Bayern ein Teil des Deutschen Reichs geworden
war. Denn damit erst gewann die Brennerstraße ihre volle Bedeutung als die
wichtigste Heerstraße nach Italien. Unter den Karolingern hatte neben den Pässen
der Westalpen der Se. Bernhard und neben ihm der eine oder der andre der
churrätischen Pässe die Hauptrolle gespielt; für die Kaiser sächsischen und frän¬
kischen Stammes kam jener gar nicht, eine der churrätischen Straßen nur wenig
in Betracht; so trat der Brenner in den Vordergrund, er wurde zur eigentlichen
Kaiserstraße des Mittelalters, über den von 144 Heereszügen dieser Zeit 66 ge¬
gangen sind. Den Neigen eröffnete hier Otto der Große, der Begründer der
Kaiserpolitik, der zweimal, 951 und 961, beidemal im August, also im Hoch¬
sommer, 967 im Oktober den Brenner überschritt; dagegen wagte sein Enkel
Otto der Dritte im Jahre 997 den Gebirgsmarsch mitten im Winter, im De¬
zember, ebenso Heinrich der Zweite im Dezember 1021, während dieser seinen
ersten Übergang über den Paß im Jahre 1004 zu Anfang April, den zweiten
im Mai 1014 gemacht hatte. Denselben Weg schlug Konrad der Zweite 1026/27
auf dem Hin- und Rückmarsch ein, denn wieder 1037 im Dezember, ebenso
Heinrich der Dritte beidemal, 1046 und 1055, Heinrich der Vierte 1081 und
1090, Heinrich der Fünfte 1111. Lothar 1132/33 und 1136/37 auf dem Hin-
und Rückmärsche; indem er im November 1137 den winterlichen Paß heimwärts-


Grenzboten III 1906 2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/17>, abgerufen am 23.07.2024.