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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Beziehung wirksam nachhelfen, indem man die Unterlassung der Einsicht in die
Wählerliste, nach ergcmgner öffentlicher Aufforderung, unter Strafe stellte. Außerdem
müßte dieses Listenwesen wenigstens in den größern Städten und Landgemeinden so
organisiert sein, daß es nicht ein Nebenamt ist, sondern daß ein besondrer Wahl¬
beamter für die Richtigkeit dieser Listen, wenigstens für ihre Übereinstimmung mit
den polizeilichen Zuzugs- und Abzugsmeldungen, verantwortlich ist, auch müßte er
die Befugnis haben, die Identität von Persönlichkeiten, die sich in die Listen ein¬
tragen lassen, festzustellen und damit die Kontrolle bei Abgabe des Stimmzettels
vorzubereiten. Der Abgeordnete Arendt weist darauf hin, daß in den meisten
andern Ländern die Wählerlisten ständig geführt werden, und die Parteien dafür
sorgen, daß jeder ihrer Parteiangehörigen in der Liste steht. Diese Fürsorge wird
von den radikalen Parteien auch bei uns schon jetzt ausgeübt. Von den andern
Parteien, denen der besitzenden Klassen, wird das schwer zu erreichen sein, es sei
denn, daß sie sich zu der Leistung aufschwingen, Vertrauensmänner aufzustellen, die
ihnen diese Kontrollarbeit besorgen. Denn die bloße Übereinstimmung mit der
polizeilichen Meldeliste genügt nicht. Es unterliegt keinem Zweifel, daß eine Menge
von Doppeleintragungen in die Wählerlisten vorkommen, keineswegs immer in be¬
trügerischer Absicht, ebenso wie es feststeht, daß die Sozialdemokratie Tausende von
Anhängern aus einem Wahlkreise, den sie sicher beherrscht, in einen andern wirft,
der zweifelhaft ist. Mit der Anführung dieser Tatsache ist der Abgeordnete Arendt
ebenso im Recht wie im weitern damit, daß bei der Abgabe des Stimmzettels
die Kontrolle viel zu lax ist und Gelegenheit zu vielen Betrügereien bietet. "Für
Kranke, Verreiste, Verhinderte, ja sogar für Verstorbne werden von guten Freunden
Stimmzettel zur Urne getragen. Wer kennt den Arbeiter Friedrich Schultz? Gibt
er die Adresse des Wahlberechtigten richtig an, so gibt er den Wahlzettel in die
Urne." Alle solche Vorkommnisse sind eine Fälschung des Wahlrechts und ent¬
sprechen nicht seinem Geiste. Der Schutz liegt wesentlich in der ständigen Wähler¬
liste, deren Behandlung weit gewissenhafter sein muß, als es jetzt vielfach der Fall
zu sein scheint. Als ein weiteres Mittel schlägt der genannte Abgeordnete noch
vor: "Für die in die ständigen Wählerlisten eingetragnen Wähler müssen ständig
Wahleinladungen bereit liegen, sodaß bei Anordnung einer Wahl nur Ort und Zeit
derselben eingetragen zu werden braucht." Diese Wahleinladungen können nach dem
Vorschlage des Herrn Dr. Arendt Belehrungen des Wählers über die Wahlhand¬
lung enthalten, auch besonders die Bestrafung jedes Mißbrauchs für Unberechtigte
hervorhebe". Man könnte vielleicht noch weitergehn und die Zustellung durch ein¬
geschriebnen Brief anordnen. Das gibt eine vorübergehende Mehrarbeit der Post,
die sich aber in der Regel doch nur aller fünf Jahre wiederholen wird. Da die
Wahlen mit das Wichtigste für das Reich sind, so würde die Zustellung doch tat¬
sächlich eine sehr ernste "Reichsdienstsache" sein.

Es ist bedauerlich, daß die Vorkehrungen zur Sicherung der Ausübung des
Wahlrechts sowie die Diäten eingeführt worden sind, ohne daß zugleich Vor¬
kehrungen gegen den Mißbrauch mit in Kraft gesetzt werden konnten. Wir be¬
dürfen einer Revision des Reichswahlgesetzes. Eine solche Vorlage ist wichtiger als
irgendeine andre, die auf dem Gebiete der innern Politik im nächsten Winter ergehen
könnte, denn es ist notwendig, daß die zu erlassenden Vorschriften schon bei den
Reichstagswahlen von 1903 in Kraft und Geltung sind. Bei ständig geführten
Wählerlisten wäre das Reich aber auch in der Lage, sowohl bei den regelmäßigen
Wie bei außergewöhnlichen Neuwahlen, einschließlich der Ersatzwahlen, die Wahl¬
perioden auf einen geringen Zeitraum zu verkürzen Damit würde nicht nur dem
Mißbrauch eine Schranke gezogen, sondern es wurde die Möglichkeit, sowohl der


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Beziehung wirksam nachhelfen, indem man die Unterlassung der Einsicht in die
Wählerliste, nach ergcmgner öffentlicher Aufforderung, unter Strafe stellte. Außerdem
müßte dieses Listenwesen wenigstens in den größern Städten und Landgemeinden so
organisiert sein, daß es nicht ein Nebenamt ist, sondern daß ein besondrer Wahl¬
beamter für die Richtigkeit dieser Listen, wenigstens für ihre Übereinstimmung mit
den polizeilichen Zuzugs- und Abzugsmeldungen, verantwortlich ist, auch müßte er
die Befugnis haben, die Identität von Persönlichkeiten, die sich in die Listen ein¬
tragen lassen, festzustellen und damit die Kontrolle bei Abgabe des Stimmzettels
vorzubereiten. Der Abgeordnete Arendt weist darauf hin, daß in den meisten
andern Ländern die Wählerlisten ständig geführt werden, und die Parteien dafür
sorgen, daß jeder ihrer Parteiangehörigen in der Liste steht. Diese Fürsorge wird
von den radikalen Parteien auch bei uns schon jetzt ausgeübt. Von den andern
Parteien, denen der besitzenden Klassen, wird das schwer zu erreichen sein, es sei
denn, daß sie sich zu der Leistung aufschwingen, Vertrauensmänner aufzustellen, die
ihnen diese Kontrollarbeit besorgen. Denn die bloße Übereinstimmung mit der
polizeilichen Meldeliste genügt nicht. Es unterliegt keinem Zweifel, daß eine Menge
von Doppeleintragungen in die Wählerlisten vorkommen, keineswegs immer in be¬
trügerischer Absicht, ebenso wie es feststeht, daß die Sozialdemokratie Tausende von
Anhängern aus einem Wahlkreise, den sie sicher beherrscht, in einen andern wirft,
der zweifelhaft ist. Mit der Anführung dieser Tatsache ist der Abgeordnete Arendt
ebenso im Recht wie im weitern damit, daß bei der Abgabe des Stimmzettels
die Kontrolle viel zu lax ist und Gelegenheit zu vielen Betrügereien bietet. „Für
Kranke, Verreiste, Verhinderte, ja sogar für Verstorbne werden von guten Freunden
Stimmzettel zur Urne getragen. Wer kennt den Arbeiter Friedrich Schultz? Gibt
er die Adresse des Wahlberechtigten richtig an, so gibt er den Wahlzettel in die
Urne." Alle solche Vorkommnisse sind eine Fälschung des Wahlrechts und ent¬
sprechen nicht seinem Geiste. Der Schutz liegt wesentlich in der ständigen Wähler¬
liste, deren Behandlung weit gewissenhafter sein muß, als es jetzt vielfach der Fall
zu sein scheint. Als ein weiteres Mittel schlägt der genannte Abgeordnete noch
vor: „Für die in die ständigen Wählerlisten eingetragnen Wähler müssen ständig
Wahleinladungen bereit liegen, sodaß bei Anordnung einer Wahl nur Ort und Zeit
derselben eingetragen zu werden braucht." Diese Wahleinladungen können nach dem
Vorschlage des Herrn Dr. Arendt Belehrungen des Wählers über die Wahlhand¬
lung enthalten, auch besonders die Bestrafung jedes Mißbrauchs für Unberechtigte
hervorhebe». Man könnte vielleicht noch weitergehn und die Zustellung durch ein¬
geschriebnen Brief anordnen. Das gibt eine vorübergehende Mehrarbeit der Post,
die sich aber in der Regel doch nur aller fünf Jahre wiederholen wird. Da die
Wahlen mit das Wichtigste für das Reich sind, so würde die Zustellung doch tat¬
sächlich eine sehr ernste „Reichsdienstsache" sein.

Es ist bedauerlich, daß die Vorkehrungen zur Sicherung der Ausübung des
Wahlrechts sowie die Diäten eingeführt worden sind, ohne daß zugleich Vor¬
kehrungen gegen den Mißbrauch mit in Kraft gesetzt werden konnten. Wir be¬
dürfen einer Revision des Reichswahlgesetzes. Eine solche Vorlage ist wichtiger als
irgendeine andre, die auf dem Gebiete der innern Politik im nächsten Winter ergehen
könnte, denn es ist notwendig, daß die zu erlassenden Vorschriften schon bei den
Reichstagswahlen von 1903 in Kraft und Geltung sind. Bei ständig geführten
Wählerlisten wäre das Reich aber auch in der Lage, sowohl bei den regelmäßigen
Wie bei außergewöhnlichen Neuwahlen, einschließlich der Ersatzwahlen, die Wahl¬
perioden auf einen geringen Zeitraum zu verkürzen Damit würde nicht nur dem
Mißbrauch eine Schranke gezogen, sondern es wurde die Möglichkeit, sowohl der


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[0175] Maßgebliches und Unmaßgebliches Beziehung wirksam nachhelfen, indem man die Unterlassung der Einsicht in die Wählerliste, nach ergcmgner öffentlicher Aufforderung, unter Strafe stellte. Außerdem müßte dieses Listenwesen wenigstens in den größern Städten und Landgemeinden so organisiert sein, daß es nicht ein Nebenamt ist, sondern daß ein besondrer Wahl¬ beamter für die Richtigkeit dieser Listen, wenigstens für ihre Übereinstimmung mit den polizeilichen Zuzugs- und Abzugsmeldungen, verantwortlich ist, auch müßte er die Befugnis haben, die Identität von Persönlichkeiten, die sich in die Listen ein¬ tragen lassen, festzustellen und damit die Kontrolle bei Abgabe des Stimmzettels vorzubereiten. Der Abgeordnete Arendt weist darauf hin, daß in den meisten andern Ländern die Wählerlisten ständig geführt werden, und die Parteien dafür sorgen, daß jeder ihrer Parteiangehörigen in der Liste steht. Diese Fürsorge wird von den radikalen Parteien auch bei uns schon jetzt ausgeübt. Von den andern Parteien, denen der besitzenden Klassen, wird das schwer zu erreichen sein, es sei denn, daß sie sich zu der Leistung aufschwingen, Vertrauensmänner aufzustellen, die ihnen diese Kontrollarbeit besorgen. Denn die bloße Übereinstimmung mit der polizeilichen Meldeliste genügt nicht. Es unterliegt keinem Zweifel, daß eine Menge von Doppeleintragungen in die Wählerlisten vorkommen, keineswegs immer in be¬ trügerischer Absicht, ebenso wie es feststeht, daß die Sozialdemokratie Tausende von Anhängern aus einem Wahlkreise, den sie sicher beherrscht, in einen andern wirft, der zweifelhaft ist. Mit der Anführung dieser Tatsache ist der Abgeordnete Arendt ebenso im Recht wie im weitern damit, daß bei der Abgabe des Stimmzettels die Kontrolle viel zu lax ist und Gelegenheit zu vielen Betrügereien bietet. „Für Kranke, Verreiste, Verhinderte, ja sogar für Verstorbne werden von guten Freunden Stimmzettel zur Urne getragen. Wer kennt den Arbeiter Friedrich Schultz? Gibt er die Adresse des Wahlberechtigten richtig an, so gibt er den Wahlzettel in die Urne." Alle solche Vorkommnisse sind eine Fälschung des Wahlrechts und ent¬ sprechen nicht seinem Geiste. Der Schutz liegt wesentlich in der ständigen Wähler¬ liste, deren Behandlung weit gewissenhafter sein muß, als es jetzt vielfach der Fall zu sein scheint. Als ein weiteres Mittel schlägt der genannte Abgeordnete noch vor: „Für die in die ständigen Wählerlisten eingetragnen Wähler müssen ständig Wahleinladungen bereit liegen, sodaß bei Anordnung einer Wahl nur Ort und Zeit derselben eingetragen zu werden braucht." Diese Wahleinladungen können nach dem Vorschlage des Herrn Dr. Arendt Belehrungen des Wählers über die Wahlhand¬ lung enthalten, auch besonders die Bestrafung jedes Mißbrauchs für Unberechtigte hervorhebe». Man könnte vielleicht noch weitergehn und die Zustellung durch ein¬ geschriebnen Brief anordnen. Das gibt eine vorübergehende Mehrarbeit der Post, die sich aber in der Regel doch nur aller fünf Jahre wiederholen wird. Da die Wahlen mit das Wichtigste für das Reich sind, so würde die Zustellung doch tat¬ sächlich eine sehr ernste „Reichsdienstsache" sein. Es ist bedauerlich, daß die Vorkehrungen zur Sicherung der Ausübung des Wahlrechts sowie die Diäten eingeführt worden sind, ohne daß zugleich Vor¬ kehrungen gegen den Mißbrauch mit in Kraft gesetzt werden konnten. Wir be¬ dürfen einer Revision des Reichswahlgesetzes. Eine solche Vorlage ist wichtiger als irgendeine andre, die auf dem Gebiete der innern Politik im nächsten Winter ergehen könnte, denn es ist notwendig, daß die zu erlassenden Vorschriften schon bei den Reichstagswahlen von 1903 in Kraft und Geltung sind. Bei ständig geführten Wählerlisten wäre das Reich aber auch in der Lage, sowohl bei den regelmäßigen Wie bei außergewöhnlichen Neuwahlen, einschließlich der Ersatzwahlen, die Wahl¬ perioden auf einen geringen Zeitraum zu verkürzen Damit würde nicht nur dem Mißbrauch eine Schranke gezogen, sondern es wurde die Möglichkeit, sowohl der

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/175>, abgerufen am 27.12.2024.