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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Der Bopparder Krieg

Konzessionen wieder einschränken mußte. Infolgedessen war das Ergebnis dieser selt¬
samen Verhandlung ein Dokument, aus dem kein Mensch hätte ersehen können, wer
von den beiden Kontrahierenden aus dem Streite als Sieger hervorgegangen war,
wenn nicht Herzog Johann, um seinem hohen Auftraggeber wenigstens eine kleine
Genugtuung zu verschaffen, die Klausel hineingebracht hätte, daß der Kurfürst die
Stadt mit seiner Heeresmacht besetzen und die Huldigung der ganzen Bürgerschaft
entgegennehmen müsse, wogegen er sich verpflichte, jede Schädigung der Einwohner
an Leib, Leben, Ehre oder Gut zu verhüten, dem auswärtigen Adel und deu von
den Boppardern cmgeworbnen Söldnern freies Geleit rheinaufwä'res bis Bingen und
rheinabwärts bis Andernach zu gewähren und dem löblichen Rate samt Ehefrauen
und Töchtern in seiner Burg ein Bankett zu geben. Im übrigen sollte Bann und
Interdikt von der Stadt genommen, das alte Verhältnis, wie es vor der Irrung
bestanden habe, wiederhergestellt und aller Zwist gänzlich abgetan, ausgetilgt und
vergessen werden.

So fand die Fehde, die, wenn man von dem halben Dutzend Toter absah,
mehr als ein auf die Sommersonnenwende verlegter Fastnachtsschwank als ein Krieg
gewesen war, einen beide Gegner befriedigenden Abschluß. Johann der Zweite war
glücklich, daß ihm die Stadt die Tore öffnen wollte, und die Bopparder trium¬
phierten darüber, daß der Kurfürst sie nicht habe zwingen können, zur Huldigung
zu ihm in sein Hauptquartier hinauszukommen, sondern sich nun in eigner Person
zu ihnen in die Stadt bemühen müsse. Und um dem Einzug der kurtrierischen Völker
jeden Beigeschmack einer kriegerischen Besetzung zu nehmen, beschlossen sie, die Tore
und die Gassen mit Laub- und Blumengewinden zu schmücken und das bevorstehende
Ereignis sich selbst zum Troste und dem Gegner zu Ehren in ein fröhliches Fest
umzuwandeln.

Daß ihre adlichen Bundesgenossen, die Herren von Löwenstein, von Seyntenbach,
von Breitbach, die beiden Hilgin, Herr Friedrich von Rüdesheim, dessen Stiefsohn
Brömser und der unselige Schultheiß Paul von Lepe samt den gewordnen Söldnern
in aller Frühe des Einzugstages die Stadt ohne Sang und Klang räumen mußten,
schmerzte die Bürgerschaft nicht allzusehr, und als Nickel Langhenne, gerade als das
Schiff die Burg passierte, vom Turme hinab auf einem Zinken das Lied "In Gottes
Namen fahren wir" blies, hatte er allenthalben die Lacher auf seiner Seite.

Zwei Stunden darauf krachten die Kartaunen auf den Mauern zum letztenmal,
nicht Tod und Verderben drohend wie bisher, sondern zur festlichen Begrüßung
des besiegten Gegners oder des siegreichen Unterlegnen, dessen Vasallen und Knechte
in Rotten und Fähnlein durch die Bälzerpforte in die Stadt rückten, allen voran
die erzstiftischen Würdenträger und Feldhauptleute, die ihre Helme und Etsenhauben
mit grünen Reisern geschmückt hatten und aussahen, als ob sie zu einer Hochzeit
zögen. Die Heeresmacht verteilte sich durch alle Gassen und Häuser, um im Namen
des Kurfürsten wenigstens symbolisch von Boppard Besitz zu ergreifen. Überall fand
sie den freundlichsten Empfang: die Hausväter zapften vom Besten, und die Frauen
trugen auf, was Küche und Vorratskammer zu bieten vermochten.

Das war freilich wenig genug, und die Gäste merkten gar bald, wie es mit
den Fleischtöpfen stand, um derentwillen ihr Gebietender die Belagerung so bald
abgebrochen hatte. Weil man jedoch den Städtischen zeigen wollte, daß man ihnen
ihre Kriegslist und den übermütigen Streich mit dem kurtrierischen Ochsen nicht
nachtrage, beeilte man sich, dem Kurfürsten, der noch auf dem hohen Kloster weilte,
den Sachverhalt mitzuteilen und ihm die Not seiner getreuen Bopparder mit beweg¬
lichen Worten zu schildern. Da ließ der alte Herr, froh, den wiedergefundnen
Söhnen einen Beweis seiner väterlichen Milde geben zu können, eine ganze Herde
Rindvieh und Hämmel in die Stadt treiben und auf dem Markte Fleischbänke er-


Der Bopparder Krieg

Konzessionen wieder einschränken mußte. Infolgedessen war das Ergebnis dieser selt¬
samen Verhandlung ein Dokument, aus dem kein Mensch hätte ersehen können, wer
von den beiden Kontrahierenden aus dem Streite als Sieger hervorgegangen war,
wenn nicht Herzog Johann, um seinem hohen Auftraggeber wenigstens eine kleine
Genugtuung zu verschaffen, die Klausel hineingebracht hätte, daß der Kurfürst die
Stadt mit seiner Heeresmacht besetzen und die Huldigung der ganzen Bürgerschaft
entgegennehmen müsse, wogegen er sich verpflichte, jede Schädigung der Einwohner
an Leib, Leben, Ehre oder Gut zu verhüten, dem auswärtigen Adel und deu von
den Boppardern cmgeworbnen Söldnern freies Geleit rheinaufwä'res bis Bingen und
rheinabwärts bis Andernach zu gewähren und dem löblichen Rate samt Ehefrauen
und Töchtern in seiner Burg ein Bankett zu geben. Im übrigen sollte Bann und
Interdikt von der Stadt genommen, das alte Verhältnis, wie es vor der Irrung
bestanden habe, wiederhergestellt und aller Zwist gänzlich abgetan, ausgetilgt und
vergessen werden.

So fand die Fehde, die, wenn man von dem halben Dutzend Toter absah,
mehr als ein auf die Sommersonnenwende verlegter Fastnachtsschwank als ein Krieg
gewesen war, einen beide Gegner befriedigenden Abschluß. Johann der Zweite war
glücklich, daß ihm die Stadt die Tore öffnen wollte, und die Bopparder trium¬
phierten darüber, daß der Kurfürst sie nicht habe zwingen können, zur Huldigung
zu ihm in sein Hauptquartier hinauszukommen, sondern sich nun in eigner Person
zu ihnen in die Stadt bemühen müsse. Und um dem Einzug der kurtrierischen Völker
jeden Beigeschmack einer kriegerischen Besetzung zu nehmen, beschlossen sie, die Tore
und die Gassen mit Laub- und Blumengewinden zu schmücken und das bevorstehende
Ereignis sich selbst zum Troste und dem Gegner zu Ehren in ein fröhliches Fest
umzuwandeln.

Daß ihre adlichen Bundesgenossen, die Herren von Löwenstein, von Seyntenbach,
von Breitbach, die beiden Hilgin, Herr Friedrich von Rüdesheim, dessen Stiefsohn
Brömser und der unselige Schultheiß Paul von Lepe samt den gewordnen Söldnern
in aller Frühe des Einzugstages die Stadt ohne Sang und Klang räumen mußten,
schmerzte die Bürgerschaft nicht allzusehr, und als Nickel Langhenne, gerade als das
Schiff die Burg passierte, vom Turme hinab auf einem Zinken das Lied „In Gottes
Namen fahren wir" blies, hatte er allenthalben die Lacher auf seiner Seite.

Zwei Stunden darauf krachten die Kartaunen auf den Mauern zum letztenmal,
nicht Tod und Verderben drohend wie bisher, sondern zur festlichen Begrüßung
des besiegten Gegners oder des siegreichen Unterlegnen, dessen Vasallen und Knechte
in Rotten und Fähnlein durch die Bälzerpforte in die Stadt rückten, allen voran
die erzstiftischen Würdenträger und Feldhauptleute, die ihre Helme und Etsenhauben
mit grünen Reisern geschmückt hatten und aussahen, als ob sie zu einer Hochzeit
zögen. Die Heeresmacht verteilte sich durch alle Gassen und Häuser, um im Namen
des Kurfürsten wenigstens symbolisch von Boppard Besitz zu ergreifen. Überall fand
sie den freundlichsten Empfang: die Hausväter zapften vom Besten, und die Frauen
trugen auf, was Küche und Vorratskammer zu bieten vermochten.

Das war freilich wenig genug, und die Gäste merkten gar bald, wie es mit
den Fleischtöpfen stand, um derentwillen ihr Gebietender die Belagerung so bald
abgebrochen hatte. Weil man jedoch den Städtischen zeigen wollte, daß man ihnen
ihre Kriegslist und den übermütigen Streich mit dem kurtrierischen Ochsen nicht
nachtrage, beeilte man sich, dem Kurfürsten, der noch auf dem hohen Kloster weilte,
den Sachverhalt mitzuteilen und ihm die Not seiner getreuen Bopparder mit beweg¬
lichen Worten zu schildern. Da ließ der alte Herr, froh, den wiedergefundnen
Söhnen einen Beweis seiner väterlichen Milde geben zu können, eine ganze Herde
Rindvieh und Hämmel in die Stadt treiben und auf dem Markte Fleischbänke er-


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[0168] Der Bopparder Krieg Konzessionen wieder einschränken mußte. Infolgedessen war das Ergebnis dieser selt¬ samen Verhandlung ein Dokument, aus dem kein Mensch hätte ersehen können, wer von den beiden Kontrahierenden aus dem Streite als Sieger hervorgegangen war, wenn nicht Herzog Johann, um seinem hohen Auftraggeber wenigstens eine kleine Genugtuung zu verschaffen, die Klausel hineingebracht hätte, daß der Kurfürst die Stadt mit seiner Heeresmacht besetzen und die Huldigung der ganzen Bürgerschaft entgegennehmen müsse, wogegen er sich verpflichte, jede Schädigung der Einwohner an Leib, Leben, Ehre oder Gut zu verhüten, dem auswärtigen Adel und deu von den Boppardern cmgeworbnen Söldnern freies Geleit rheinaufwä'res bis Bingen und rheinabwärts bis Andernach zu gewähren und dem löblichen Rate samt Ehefrauen und Töchtern in seiner Burg ein Bankett zu geben. Im übrigen sollte Bann und Interdikt von der Stadt genommen, das alte Verhältnis, wie es vor der Irrung bestanden habe, wiederhergestellt und aller Zwist gänzlich abgetan, ausgetilgt und vergessen werden. So fand die Fehde, die, wenn man von dem halben Dutzend Toter absah, mehr als ein auf die Sommersonnenwende verlegter Fastnachtsschwank als ein Krieg gewesen war, einen beide Gegner befriedigenden Abschluß. Johann der Zweite war glücklich, daß ihm die Stadt die Tore öffnen wollte, und die Bopparder trium¬ phierten darüber, daß der Kurfürst sie nicht habe zwingen können, zur Huldigung zu ihm in sein Hauptquartier hinauszukommen, sondern sich nun in eigner Person zu ihnen in die Stadt bemühen müsse. Und um dem Einzug der kurtrierischen Völker jeden Beigeschmack einer kriegerischen Besetzung zu nehmen, beschlossen sie, die Tore und die Gassen mit Laub- und Blumengewinden zu schmücken und das bevorstehende Ereignis sich selbst zum Troste und dem Gegner zu Ehren in ein fröhliches Fest umzuwandeln. Daß ihre adlichen Bundesgenossen, die Herren von Löwenstein, von Seyntenbach, von Breitbach, die beiden Hilgin, Herr Friedrich von Rüdesheim, dessen Stiefsohn Brömser und der unselige Schultheiß Paul von Lepe samt den gewordnen Söldnern in aller Frühe des Einzugstages die Stadt ohne Sang und Klang räumen mußten, schmerzte die Bürgerschaft nicht allzusehr, und als Nickel Langhenne, gerade als das Schiff die Burg passierte, vom Turme hinab auf einem Zinken das Lied „In Gottes Namen fahren wir" blies, hatte er allenthalben die Lacher auf seiner Seite. Zwei Stunden darauf krachten die Kartaunen auf den Mauern zum letztenmal, nicht Tod und Verderben drohend wie bisher, sondern zur festlichen Begrüßung des besiegten Gegners oder des siegreichen Unterlegnen, dessen Vasallen und Knechte in Rotten und Fähnlein durch die Bälzerpforte in die Stadt rückten, allen voran die erzstiftischen Würdenträger und Feldhauptleute, die ihre Helme und Etsenhauben mit grünen Reisern geschmückt hatten und aussahen, als ob sie zu einer Hochzeit zögen. Die Heeresmacht verteilte sich durch alle Gassen und Häuser, um im Namen des Kurfürsten wenigstens symbolisch von Boppard Besitz zu ergreifen. Überall fand sie den freundlichsten Empfang: die Hausväter zapften vom Besten, und die Frauen trugen auf, was Küche und Vorratskammer zu bieten vermochten. Das war freilich wenig genug, und die Gäste merkten gar bald, wie es mit den Fleischtöpfen stand, um derentwillen ihr Gebietender die Belagerung so bald abgebrochen hatte. Weil man jedoch den Städtischen zeigen wollte, daß man ihnen ihre Kriegslist und den übermütigen Streich mit dem kurtrierischen Ochsen nicht nachtrage, beeilte man sich, dem Kurfürsten, der noch auf dem hohen Kloster weilte, den Sachverhalt mitzuteilen und ihm die Not seiner getreuen Bopparder mit beweg¬ lichen Worten zu schildern. Da ließ der alte Herr, froh, den wiedergefundnen Söhnen einen Beweis seiner väterlichen Milde geben zu können, eine ganze Herde Rindvieh und Hämmel in die Stadt treiben und auf dem Markte Fleischbänke er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/168>, abgerufen am 27.12.2024.