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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Über den Brenner

hinter sich hatten, vor ihnen in der Ferne inmitten der reichen Fruchtebene
auftauchten!

Ganz natürlich, daß alle die, die nach der Lombardei wollten, diesen Engpaß
vermieden und vorher westwärts abbogen. Auf verschiednen Wegen kamen sie
dorthin. Der eine führt von Trient westwärts über Toblino ins wasserreiche
Sarcatal und durch dieses hinunter nach dem Gardasee, aber er hat enge,
schluchtenartige Täter zu passieren und eine Paßhöhe von 492 Metern zu er¬
steigen. Von ihm zweigt sich eine andre Straße westlich ab, die erst dem Sarca-
tale bis Tione (565 Meter) folgt und dann südwärts nach dem Chiese hinübergeht
(Judikarien), aber sie hat noch größere Schwierigkeiten zu überwinden als jene
und trifft schließlich mit dem vom Gardasee durch das Ledrotal kommenden Wege
zusammen. Viel bequemer ist der Weg, der bei Mori südlich von Roveredo in
einer Seehöhe von nur 174 Metern abzweigt und im Loppiovaß s279 Meter)
einen Höhenunterschied von wenig über 100 Metern zu überwinden hat. Es ist
zugleich der überraschendste und eindruckvollste Übergang vom Etschtale nach
dem Gardasee. In rascher Fahrt führt jetzt die kleine Lokalbahn, meist der Straße
folgend, aufwärts durch Rebengelände, dann auf der Höhe inmitten eines Kessels
kahler Felsberge an dem sonderbar gewundnen Loppiosee vorüber und durch
wüstes, ödes Felsgeröll über den Loppiopaß. Bei der Station Nago öffnet
sich plötzlich auf einen kurzen Moment der Blick tief hinunter nach dem blauen
Spiegel des Gardasees. Hier geht die alte Straße nach Torbole steil hinab;
die Bahn, die hier auf der Straße nach Arco läuft, biegt scharf nach Norden
um, indem sie sich allmählich senkt. Tief unten breitet sich das fruchtbare, mit
Kulturen bedeckte Tal der Sarca, die es wie ein Silberstreifen durchzieht, gegen¬
über starren die Felsmauern des Monte Brione, ringsum ein Kreis mächtiger,
bis hoch hinauf bewachsner Kalkberge; im Norden ragt, die Ebene völlig be¬
herrschend, der kolossale isolierte Felsklotz auf, der nach Norden, Osten und
Westen in senkrechten Wänden abfällt, auf seinem südlichen, unbewaldeten Ab¬
Hange die Reste der stolzen Burg von Arco trügt, zwei mächtige Türme inmitten
hoher, dunkler Zypressen, an seinen Fuß schmiegt sich das freundliche Städtchen
Arco inmitten blühender Gärten von südlicher Vegetation. Die Burg gehörte
lange Zeit der Gemeinde und ihrer Nachbarschaft als Zufluchtsstätte in Kriegs¬
gefahr; erst seit dem Anfange des zwölften Jahrhunderts erscheint sie im Besitz
eines Geschlechts von Tridentiner Vasallen, die sich danach nannten, von den
Bischöfen allmählich mit ausgedehnten Gütern und Rechten in der Umgegend
ausgestattet wurden, 1359 aber den Grafen von Tirol, 1396 endlich den Habs¬
burger" huldigten. Noch im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts erschien das
feste Schloß militärisch so wichtig, daß die Franzosen bei ihrem Vormarsche nach
Tirol 1703 hier hartnäckigen Widerstand fanden und es nach der Einnahme
zerstörten.

Hier überschreiten Straße und Bahn die Sarca und biegen, längs des West¬
randes der Fruchtebene laufend, südwärts nach Riva um. So dicht im Schutze


Über den Brenner

hinter sich hatten, vor ihnen in der Ferne inmitten der reichen Fruchtebene
auftauchten!

Ganz natürlich, daß alle die, die nach der Lombardei wollten, diesen Engpaß
vermieden und vorher westwärts abbogen. Auf verschiednen Wegen kamen sie
dorthin. Der eine führt von Trient westwärts über Toblino ins wasserreiche
Sarcatal und durch dieses hinunter nach dem Gardasee, aber er hat enge,
schluchtenartige Täter zu passieren und eine Paßhöhe von 492 Metern zu er¬
steigen. Von ihm zweigt sich eine andre Straße westlich ab, die erst dem Sarca-
tale bis Tione (565 Meter) folgt und dann südwärts nach dem Chiese hinübergeht
(Judikarien), aber sie hat noch größere Schwierigkeiten zu überwinden als jene
und trifft schließlich mit dem vom Gardasee durch das Ledrotal kommenden Wege
zusammen. Viel bequemer ist der Weg, der bei Mori südlich von Roveredo in
einer Seehöhe von nur 174 Metern abzweigt und im Loppiovaß s279 Meter)
einen Höhenunterschied von wenig über 100 Metern zu überwinden hat. Es ist
zugleich der überraschendste und eindruckvollste Übergang vom Etschtale nach
dem Gardasee. In rascher Fahrt führt jetzt die kleine Lokalbahn, meist der Straße
folgend, aufwärts durch Rebengelände, dann auf der Höhe inmitten eines Kessels
kahler Felsberge an dem sonderbar gewundnen Loppiosee vorüber und durch
wüstes, ödes Felsgeröll über den Loppiopaß. Bei der Station Nago öffnet
sich plötzlich auf einen kurzen Moment der Blick tief hinunter nach dem blauen
Spiegel des Gardasees. Hier geht die alte Straße nach Torbole steil hinab;
die Bahn, die hier auf der Straße nach Arco läuft, biegt scharf nach Norden
um, indem sie sich allmählich senkt. Tief unten breitet sich das fruchtbare, mit
Kulturen bedeckte Tal der Sarca, die es wie ein Silberstreifen durchzieht, gegen¬
über starren die Felsmauern des Monte Brione, ringsum ein Kreis mächtiger,
bis hoch hinauf bewachsner Kalkberge; im Norden ragt, die Ebene völlig be¬
herrschend, der kolossale isolierte Felsklotz auf, der nach Norden, Osten und
Westen in senkrechten Wänden abfällt, auf seinem südlichen, unbewaldeten Ab¬
Hange die Reste der stolzen Burg von Arco trügt, zwei mächtige Türme inmitten
hoher, dunkler Zypressen, an seinen Fuß schmiegt sich das freundliche Städtchen
Arco inmitten blühender Gärten von südlicher Vegetation. Die Burg gehörte
lange Zeit der Gemeinde und ihrer Nachbarschaft als Zufluchtsstätte in Kriegs¬
gefahr; erst seit dem Anfange des zwölften Jahrhunderts erscheint sie im Besitz
eines Geschlechts von Tridentiner Vasallen, die sich danach nannten, von den
Bischöfen allmählich mit ausgedehnten Gütern und Rechten in der Umgegend
ausgestattet wurden, 1359 aber den Grafen von Tirol, 1396 endlich den Habs¬
burger» huldigten. Noch im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts erschien das
feste Schloß militärisch so wichtig, daß die Franzosen bei ihrem Vormarsche nach
Tirol 1703 hier hartnäckigen Widerstand fanden und es nach der Einnahme
zerstörten.

Hier überschreiten Straße und Bahn die Sarca und biegen, längs des West¬
randes der Fruchtebene laufend, südwärts nach Riva um. So dicht im Schutze


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/154>, abgerufen am 23.07.2024.