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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Über den Brenner

der westlichen Felswand gebaut, daß es den ganzen Nachmittag im Schatten
liegt, drängte es sich ursprünglich dicht am Ufer zusammen um einen freien Platz,
die Piazza Benacese, der jetzt von hohen Steinhäusern mit Laubengängen um¬
geben ist. Ganz in der Nähe ragt ein starker Mauerturin, der Apponale, als
Rest der alten Befestigung auf, östlich davon erhebt sich die alte Burg der Scaliger
von Verona, deren Anlage übrigens viel älter ist und bis 1124 zurückgeht, ur¬
sprünglich ein Viereck mit starken Ecktürmen hinter einem breiten Wassergraben
und dicht am See, jetzt Kaserne eines Bataillons tirolischer Kaiserjäger. Erst in
neuerer Zeit hat sich die Stadt uach der Landseite hinein ausgebreitet und ist
ein besuchter Freudenort mit großen, palastähnlichen Hotels am See geworden.
Die Bedeutung Rivas geht bis in die römische Zeit zurück, wie eine Reihe von
Inschriften bezeugt, die zugleich beweisen, daß der Ort mit dem Tale der Sarca
und dem ganzen nördlichen Teile des Gardasees zur Stadtgemeinde Brixia
(Brescia) gehörte, und sie beruht auf seiner Lage am Ausgangspunkte zweier
Straßen. Die eine ging und geht durch das Ledrotal nach Judikarien (bei Storo)
und dem Jdrosee (368 Meter) hinüber und führt durch die Val Sabbia nach
Brescia (150 Meter) hinunter, hatte also bedeutende Steigungen und gefährliche
Engen zu überwinden. Trotzdem war sie schon in der römischen Zeit viel be¬
gangen; ist uns doch eine Grabschrift aus dem Sabbiatal erhalten, die den
Wandrer anredet, dem Kot oder Staub oder Durst den Weg erschweren. Auch
im Mittelalter benutzten diesen Übergang sogar Heereszüge; Kaiser Lothar mußte
sich im August 1133 den Durchmarsch erkämpfen, indem er die sperrende Berg¬
feste Lodron nördlich vom Jdrosee erstürmte; damals scheint ein Deutscher die
Burg erhalten zu haben, von dem die spätern Herren von Lodron abstammen.
Noch 1703 schlug Marschall Vendome diese Straße nach Trient ein.

Weitaus wichtiger war für die Verbindung mit dem Süden der Gardasee,
der I^g,(ZU8 Lenavns der Alten. Fand er doch auch eine Fortsetzung bis in den
Po durch den in alter Zeit schiffbaren Mincio, dessen ziemlich konstante Tiefe
und langsames Gefäll ihn für kleinere Fahrzeuge zugänglich machte und eine
Wasserstraße von 84 Kilometer Länge an den Gardasee anschloß. So fuhr der
Kardinal Ludwig von Aragon im Januar 1518 auf seiner Rückreise aus Frank¬
reich von Mantua auf dem jetzt völlig verschilften Mincio nach dem Po und diesen
hinab bis Ferrara, wo die Landreise uach Rom begann. An den Ufern des Sees
hin hat niemals eine durchgehende Straße geführt, so wenig wie am Comersee.
Stürzt doch das Kalkgebirge auf seiner Westseite in senkrechten, brennen, kahlen,
gefurchten Felswänden Hunderte von Metern tief in die blaue Flut hinunter;
hoch oben auf breiten Terrassen unter noch höher aufsteigenden Bergen liegen
die stattlichen Dörfer wie Tignale weltabgeschieden, nur auf Kletterwegen oder
für Lasten mit Schwebebahnen zu erreichen, zwischen ihren Maisfeldern und
Nebengarten. Nur da, wo rasche Sturzbäche einen Schuttkegel am Fuße der
Felsen herausgespült haben, also kleinere oder größere Vorländer entstanden
sind, haben sich hier Orte unmittelbar am See bilden können: Limone, Tremosine,


Über den Brenner

der westlichen Felswand gebaut, daß es den ganzen Nachmittag im Schatten
liegt, drängte es sich ursprünglich dicht am Ufer zusammen um einen freien Platz,
die Piazza Benacese, der jetzt von hohen Steinhäusern mit Laubengängen um¬
geben ist. Ganz in der Nähe ragt ein starker Mauerturin, der Apponale, als
Rest der alten Befestigung auf, östlich davon erhebt sich die alte Burg der Scaliger
von Verona, deren Anlage übrigens viel älter ist und bis 1124 zurückgeht, ur¬
sprünglich ein Viereck mit starken Ecktürmen hinter einem breiten Wassergraben
und dicht am See, jetzt Kaserne eines Bataillons tirolischer Kaiserjäger. Erst in
neuerer Zeit hat sich die Stadt uach der Landseite hinein ausgebreitet und ist
ein besuchter Freudenort mit großen, palastähnlichen Hotels am See geworden.
Die Bedeutung Rivas geht bis in die römische Zeit zurück, wie eine Reihe von
Inschriften bezeugt, die zugleich beweisen, daß der Ort mit dem Tale der Sarca
und dem ganzen nördlichen Teile des Gardasees zur Stadtgemeinde Brixia
(Brescia) gehörte, und sie beruht auf seiner Lage am Ausgangspunkte zweier
Straßen. Die eine ging und geht durch das Ledrotal nach Judikarien (bei Storo)
und dem Jdrosee (368 Meter) hinüber und führt durch die Val Sabbia nach
Brescia (150 Meter) hinunter, hatte also bedeutende Steigungen und gefährliche
Engen zu überwinden. Trotzdem war sie schon in der römischen Zeit viel be¬
gangen; ist uns doch eine Grabschrift aus dem Sabbiatal erhalten, die den
Wandrer anredet, dem Kot oder Staub oder Durst den Weg erschweren. Auch
im Mittelalter benutzten diesen Übergang sogar Heereszüge; Kaiser Lothar mußte
sich im August 1133 den Durchmarsch erkämpfen, indem er die sperrende Berg¬
feste Lodron nördlich vom Jdrosee erstürmte; damals scheint ein Deutscher die
Burg erhalten zu haben, von dem die spätern Herren von Lodron abstammen.
Noch 1703 schlug Marschall Vendome diese Straße nach Trient ein.

Weitaus wichtiger war für die Verbindung mit dem Süden der Gardasee,
der I^g,(ZU8 Lenavns der Alten. Fand er doch auch eine Fortsetzung bis in den
Po durch den in alter Zeit schiffbaren Mincio, dessen ziemlich konstante Tiefe
und langsames Gefäll ihn für kleinere Fahrzeuge zugänglich machte und eine
Wasserstraße von 84 Kilometer Länge an den Gardasee anschloß. So fuhr der
Kardinal Ludwig von Aragon im Januar 1518 auf seiner Rückreise aus Frank¬
reich von Mantua auf dem jetzt völlig verschilften Mincio nach dem Po und diesen
hinab bis Ferrara, wo die Landreise uach Rom begann. An den Ufern des Sees
hin hat niemals eine durchgehende Straße geführt, so wenig wie am Comersee.
Stürzt doch das Kalkgebirge auf seiner Westseite in senkrechten, brennen, kahlen,
gefurchten Felswänden Hunderte von Metern tief in die blaue Flut hinunter;
hoch oben auf breiten Terrassen unter noch höher aufsteigenden Bergen liegen
die stattlichen Dörfer wie Tignale weltabgeschieden, nur auf Kletterwegen oder
für Lasten mit Schwebebahnen zu erreichen, zwischen ihren Maisfeldern und
Nebengarten. Nur da, wo rasche Sturzbäche einen Schuttkegel am Fuße der
Felsen herausgespült haben, also kleinere oder größere Vorländer entstanden
sind, haben sich hier Orte unmittelbar am See bilden können: Limone, Tremosine,


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[0155] Über den Brenner der westlichen Felswand gebaut, daß es den ganzen Nachmittag im Schatten liegt, drängte es sich ursprünglich dicht am Ufer zusammen um einen freien Platz, die Piazza Benacese, der jetzt von hohen Steinhäusern mit Laubengängen um¬ geben ist. Ganz in der Nähe ragt ein starker Mauerturin, der Apponale, als Rest der alten Befestigung auf, östlich davon erhebt sich die alte Burg der Scaliger von Verona, deren Anlage übrigens viel älter ist und bis 1124 zurückgeht, ur¬ sprünglich ein Viereck mit starken Ecktürmen hinter einem breiten Wassergraben und dicht am See, jetzt Kaserne eines Bataillons tirolischer Kaiserjäger. Erst in neuerer Zeit hat sich die Stadt uach der Landseite hinein ausgebreitet und ist ein besuchter Freudenort mit großen, palastähnlichen Hotels am See geworden. Die Bedeutung Rivas geht bis in die römische Zeit zurück, wie eine Reihe von Inschriften bezeugt, die zugleich beweisen, daß der Ort mit dem Tale der Sarca und dem ganzen nördlichen Teile des Gardasees zur Stadtgemeinde Brixia (Brescia) gehörte, und sie beruht auf seiner Lage am Ausgangspunkte zweier Straßen. Die eine ging und geht durch das Ledrotal nach Judikarien (bei Storo) und dem Jdrosee (368 Meter) hinüber und führt durch die Val Sabbia nach Brescia (150 Meter) hinunter, hatte also bedeutende Steigungen und gefährliche Engen zu überwinden. Trotzdem war sie schon in der römischen Zeit viel be¬ gangen; ist uns doch eine Grabschrift aus dem Sabbiatal erhalten, die den Wandrer anredet, dem Kot oder Staub oder Durst den Weg erschweren. Auch im Mittelalter benutzten diesen Übergang sogar Heereszüge; Kaiser Lothar mußte sich im August 1133 den Durchmarsch erkämpfen, indem er die sperrende Berg¬ feste Lodron nördlich vom Jdrosee erstürmte; damals scheint ein Deutscher die Burg erhalten zu haben, von dem die spätern Herren von Lodron abstammen. Noch 1703 schlug Marschall Vendome diese Straße nach Trient ein. Weitaus wichtiger war für die Verbindung mit dem Süden der Gardasee, der I^g,(ZU8 Lenavns der Alten. Fand er doch auch eine Fortsetzung bis in den Po durch den in alter Zeit schiffbaren Mincio, dessen ziemlich konstante Tiefe und langsames Gefäll ihn für kleinere Fahrzeuge zugänglich machte und eine Wasserstraße von 84 Kilometer Länge an den Gardasee anschloß. So fuhr der Kardinal Ludwig von Aragon im Januar 1518 auf seiner Rückreise aus Frank¬ reich von Mantua auf dem jetzt völlig verschilften Mincio nach dem Po und diesen hinab bis Ferrara, wo die Landreise uach Rom begann. An den Ufern des Sees hin hat niemals eine durchgehende Straße geführt, so wenig wie am Comersee. Stürzt doch das Kalkgebirge auf seiner Westseite in senkrechten, brennen, kahlen, gefurchten Felswänden Hunderte von Metern tief in die blaue Flut hinunter; hoch oben auf breiten Terrassen unter noch höher aufsteigenden Bergen liegen die stattlichen Dörfer wie Tignale weltabgeschieden, nur auf Kletterwegen oder für Lasten mit Schwebebahnen zu erreichen, zwischen ihren Maisfeldern und Nebengarten. Nur da, wo rasche Sturzbäche einen Schuttkegel am Fuße der Felsen herausgespült haben, also kleinere oder größere Vorländer entstanden sind, haben sich hier Orte unmittelbar am See bilden können: Limone, Tremosine,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/155>, abgerufen am 23.07.2024.