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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Über den Brenner

Treviso nach Venedig. Da sie die kürzeste dorthin war und zugleich die ge¬
fährlichen Engen der Veroneser Klause umging, so schlugen die nach und von
Venedig kommenden Frachtzüge und Reisenden diese Linie mit Vorliebe ein, so
zum Beispiel der Dominikaner Felix Faber aus Zürich 1480 auf der Reise nach
dem Heiligen Lande. Darüber schlössen Venedig und Treviso schon 1261 einen
Vertrag, und für diese Straße erbat Venedig 1351 von Ludwig von Branden¬
burg seinen Schutz. Ebenso versprach Rudolf der Vierte, der erste Habsburger, der
Tirol beherrschte, 1363 den Bürgern von Innsbruck freie Fahrt durch seine Lande
auf der Straße nach Treviso (Terveys), wie sie solche von jeher gehabt hätten.
Bestimmend war dafür wohl auch, daß wenigstens die obere Val Sugana noch
im sechzehnten Jahrhundert überwiegend deutsch war. Heute ist das Deutschtum
auf einige Seitentäler (Fersen, Lusern, Se. Sebastian, Folgareit) beschränkt, hält
sich aber deutsche Schulen und hat auch im Haupttal einen festern Halt dadurch
gefunden, daß 1905 die Burg Pergine (Perser) mit ausgedehntem Gelände und
ein guter Teil des Nordufers des nahen Caldonazzosees (Christophlesees) in
deutsche Hände übergegangen ist. Die Straße selbst ist heute in den Hintergrund
getreten, immerhin besteht schon eine Eisenbahn bis zur Grenze bei Tezze, der
freilich noch die Fortsetzung bis zur ersten italienischen Station Feltre fehlt.
Es ist im ganzen die römische Via Claudia von Trient über Ausugo (heute
Borgo) nach Feltria.

Die gerade Straße von Trient nach Italien ist immer im Etschtale über
Roveredo gegangen in dem breiten, sorgfältig angebauten, auf beiden Seiten
von kahlen Felsbergen begrenzten Etschtale, über deren westliche Seite dann der
lange Schneerücken des Monte Batto herüberschaut. Hinter Ala, wo der erste
freistehende Campanile auftaucht, überschreitet fie die italienische Grenze. Noch
ist das Tal breit und weithin mit Kulturen bedeckt. Dann schließen sich die
graurötlichen Felsberge plötzlich von beiden Seiten eng zusammen, sodaß neben
der brausenden Etsch eben nur für Straße und Eisenbahn zwischen senkrecht ab¬
stürzenden Wänden Raum bleibt; Sperrwerke zeigen sich rechts und links hoch
oben; rechts thront unersteiglich eine alte Burg. Das ist die berühmte Veroneser
(Berner) Klause. Hier und schon vorher stieß Kaiser Lothar 1136 auf hart¬
näckigen Widerstand, den er mit Mühe überwand; er belehnte wahrscheinlich
gleich damals einen Deutschen mit der jetzt in Ruinen liegenden Burg Castel-
barco beim Dorfe Chiusole am rechten Etschufer, denn 1142 schon erscheint ein
Engilbero de Chostelwarch in Friesach als Zeuge im Gefolge des Bischofs Alt-
mnnn von Trient, dessen Vasall er war, und die Herren von Castelbarco gehörten
später zu den bedeutendsten Geschlechtern des südtirolischen Adels. Trotzdem
mußte auch für Friedrich Barbarossa, als er im September 1155 vom ersten
Römerzuge über Verona heimkehrte, der Pfalzgraf Otto von Wittelsbach mit
seinen bayrischen Alpensteigern die sperrende Burg der Veroneser hinter Volargne
(ÄausurW Volsrni) erklimmen. Mit welchem Jubel mögen da die deutschen Heere
die Türme von Verona begrüßt haben, die, sobald sie die gefährlichen Engen


Über den Brenner

Treviso nach Venedig. Da sie die kürzeste dorthin war und zugleich die ge¬
fährlichen Engen der Veroneser Klause umging, so schlugen die nach und von
Venedig kommenden Frachtzüge und Reisenden diese Linie mit Vorliebe ein, so
zum Beispiel der Dominikaner Felix Faber aus Zürich 1480 auf der Reise nach
dem Heiligen Lande. Darüber schlössen Venedig und Treviso schon 1261 einen
Vertrag, und für diese Straße erbat Venedig 1351 von Ludwig von Branden¬
burg seinen Schutz. Ebenso versprach Rudolf der Vierte, der erste Habsburger, der
Tirol beherrschte, 1363 den Bürgern von Innsbruck freie Fahrt durch seine Lande
auf der Straße nach Treviso (Terveys), wie sie solche von jeher gehabt hätten.
Bestimmend war dafür wohl auch, daß wenigstens die obere Val Sugana noch
im sechzehnten Jahrhundert überwiegend deutsch war. Heute ist das Deutschtum
auf einige Seitentäler (Fersen, Lusern, Se. Sebastian, Folgareit) beschränkt, hält
sich aber deutsche Schulen und hat auch im Haupttal einen festern Halt dadurch
gefunden, daß 1905 die Burg Pergine (Perser) mit ausgedehntem Gelände und
ein guter Teil des Nordufers des nahen Caldonazzosees (Christophlesees) in
deutsche Hände übergegangen ist. Die Straße selbst ist heute in den Hintergrund
getreten, immerhin besteht schon eine Eisenbahn bis zur Grenze bei Tezze, der
freilich noch die Fortsetzung bis zur ersten italienischen Station Feltre fehlt.
Es ist im ganzen die römische Via Claudia von Trient über Ausugo (heute
Borgo) nach Feltria.

Die gerade Straße von Trient nach Italien ist immer im Etschtale über
Roveredo gegangen in dem breiten, sorgfältig angebauten, auf beiden Seiten
von kahlen Felsbergen begrenzten Etschtale, über deren westliche Seite dann der
lange Schneerücken des Monte Batto herüberschaut. Hinter Ala, wo der erste
freistehende Campanile auftaucht, überschreitet fie die italienische Grenze. Noch
ist das Tal breit und weithin mit Kulturen bedeckt. Dann schließen sich die
graurötlichen Felsberge plötzlich von beiden Seiten eng zusammen, sodaß neben
der brausenden Etsch eben nur für Straße und Eisenbahn zwischen senkrecht ab¬
stürzenden Wänden Raum bleibt; Sperrwerke zeigen sich rechts und links hoch
oben; rechts thront unersteiglich eine alte Burg. Das ist die berühmte Veroneser
(Berner) Klause. Hier und schon vorher stieß Kaiser Lothar 1136 auf hart¬
näckigen Widerstand, den er mit Mühe überwand; er belehnte wahrscheinlich
gleich damals einen Deutschen mit der jetzt in Ruinen liegenden Burg Castel-
barco beim Dorfe Chiusole am rechten Etschufer, denn 1142 schon erscheint ein
Engilbero de Chostelwarch in Friesach als Zeuge im Gefolge des Bischofs Alt-
mnnn von Trient, dessen Vasall er war, und die Herren von Castelbarco gehörten
später zu den bedeutendsten Geschlechtern des südtirolischen Adels. Trotzdem
mußte auch für Friedrich Barbarossa, als er im September 1155 vom ersten
Römerzuge über Verona heimkehrte, der Pfalzgraf Otto von Wittelsbach mit
seinen bayrischen Alpensteigern die sperrende Burg der Veroneser hinter Volargne
(ÄausurW Volsrni) erklimmen. Mit welchem Jubel mögen da die deutschen Heere
die Türme von Verona begrüßt haben, die, sobald sie die gefährlichen Engen


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[0153] Über den Brenner Treviso nach Venedig. Da sie die kürzeste dorthin war und zugleich die ge¬ fährlichen Engen der Veroneser Klause umging, so schlugen die nach und von Venedig kommenden Frachtzüge und Reisenden diese Linie mit Vorliebe ein, so zum Beispiel der Dominikaner Felix Faber aus Zürich 1480 auf der Reise nach dem Heiligen Lande. Darüber schlössen Venedig und Treviso schon 1261 einen Vertrag, und für diese Straße erbat Venedig 1351 von Ludwig von Branden¬ burg seinen Schutz. Ebenso versprach Rudolf der Vierte, der erste Habsburger, der Tirol beherrschte, 1363 den Bürgern von Innsbruck freie Fahrt durch seine Lande auf der Straße nach Treviso (Terveys), wie sie solche von jeher gehabt hätten. Bestimmend war dafür wohl auch, daß wenigstens die obere Val Sugana noch im sechzehnten Jahrhundert überwiegend deutsch war. Heute ist das Deutschtum auf einige Seitentäler (Fersen, Lusern, Se. Sebastian, Folgareit) beschränkt, hält sich aber deutsche Schulen und hat auch im Haupttal einen festern Halt dadurch gefunden, daß 1905 die Burg Pergine (Perser) mit ausgedehntem Gelände und ein guter Teil des Nordufers des nahen Caldonazzosees (Christophlesees) in deutsche Hände übergegangen ist. Die Straße selbst ist heute in den Hintergrund getreten, immerhin besteht schon eine Eisenbahn bis zur Grenze bei Tezze, der freilich noch die Fortsetzung bis zur ersten italienischen Station Feltre fehlt. Es ist im ganzen die römische Via Claudia von Trient über Ausugo (heute Borgo) nach Feltria. Die gerade Straße von Trient nach Italien ist immer im Etschtale über Roveredo gegangen in dem breiten, sorgfältig angebauten, auf beiden Seiten von kahlen Felsbergen begrenzten Etschtale, über deren westliche Seite dann der lange Schneerücken des Monte Batto herüberschaut. Hinter Ala, wo der erste freistehende Campanile auftaucht, überschreitet fie die italienische Grenze. Noch ist das Tal breit und weithin mit Kulturen bedeckt. Dann schließen sich die graurötlichen Felsberge plötzlich von beiden Seiten eng zusammen, sodaß neben der brausenden Etsch eben nur für Straße und Eisenbahn zwischen senkrecht ab¬ stürzenden Wänden Raum bleibt; Sperrwerke zeigen sich rechts und links hoch oben; rechts thront unersteiglich eine alte Burg. Das ist die berühmte Veroneser (Berner) Klause. Hier und schon vorher stieß Kaiser Lothar 1136 auf hart¬ näckigen Widerstand, den er mit Mühe überwand; er belehnte wahrscheinlich gleich damals einen Deutschen mit der jetzt in Ruinen liegenden Burg Castel- barco beim Dorfe Chiusole am rechten Etschufer, denn 1142 schon erscheint ein Engilbero de Chostelwarch in Friesach als Zeuge im Gefolge des Bischofs Alt- mnnn von Trient, dessen Vasall er war, und die Herren von Castelbarco gehörten später zu den bedeutendsten Geschlechtern des südtirolischen Adels. Trotzdem mußte auch für Friedrich Barbarossa, als er im September 1155 vom ersten Römerzuge über Verona heimkehrte, der Pfalzgraf Otto von Wittelsbach mit seinen bayrischen Alpensteigern die sperrende Burg der Veroneser hinter Volargne (ÄausurW Volsrni) erklimmen. Mit welchem Jubel mögen da die deutschen Heere die Türme von Verona begrüßt haben, die, sobald sie die gefährlichen Engen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/153>, abgerufen am 27.12.2024.