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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Anastastus Grün

Auffassung zeigt er auch uoch an andern Stellen. So zum Beispiel sagt er
in den "Spaziergängen":

Und auch der Anfang seines "Bundesliedes" in den Gedichten führt denselben

Gedanken aus:

Die "Spaziergänge" fanden fast überall eine begeisterte Aufnahme; denn das
Herz des fünfundzwanzigjährigen Dichters schlug mit dem des Volkes für die
Freiheit der Bewegung, des Wortes und des Glaubens. Das Buch war wie
eine heilsame Arznei, die die von der Lethargie gebundnen Lebensgeister be¬
freite, es klang darin wie lerchcnhaftes Jubilieren, wie die Verkündigung einer
frohen Botschaft von der Erlösung aus dumpfem Druck. Die durchaus
künstlerische und von den höchsten Ideen getragne Art gewann dein Dichter
die Zuneigung aller wahren Freunde der Menschheit und der Freiheit, auch
über die schwarzgelben Grenzpfähle hinaus, im deutschen Vaterlande, "draußen
im Reich," wie man damals sagte. "In der Wärme dieser neuen Lieder, sagt
Wolfgang Menzel, spürte man den Einfluß der Juliussonne in Paris." Sie
waren die "Musik der Zukunft," in denen nicht die Klage, sondern die Hoff¬
nung überwiegt, und die ein freudiger und mutiger Ton durchzieht. Österreich,
sagt derselbe Kritiker, habe nie einen bessern Sänger gehabt, einen bessern
lyrischen Sänger gewiß nicht; höchstens sei ihm Walter von der Vogelweide
in seinen Liedern an Kaiser und Papst an die Seite zu stellen. In vielen
Gedichten der "Spaziergänge" zeigt sich eine treffliche Anschaulichkeit, männ¬
liche Kraft und echte Stimmung, namentlich in denen, die dem Andenken
Kaiser Josephs und andern lichten Bildern der österreichischen Geschichte gelten.
Aber sie alle, obwohl sie nicht hohle Phrasen und leere Abstraktionen boten,
sondern aus dem Leben hervorgegangen waren, hatten doch das Schicksal, das
politische Gedichte eben haben, von denen ganz besonders das Wort gilt:
liÄvent sua lÄta libe-tu. Heute unter dem Einflüsse der Stimmungen des
Tages im Begeisterungssturme hochgepriesen, sind sie morgen, wenn die Be¬
wegung abgeflaut ist, vergessen. Die Wirkung der "Spaziergänge" wurde
durch sein späteres dichterisches Schaffen kaum noch überboten. Es wäre des¬
halb nicht eben wunderbar gewesen, wenn sich der junge Dichter vom Erfolge
Hütte berauschen lassen. Davor jedoch bewahrte ihn die glückliche Anlage seiner
Natur; er war ein stiller Simmer, ein ruhmscheuer Poet; alle Poeteneitelkeit
^ ihm fern. Schluß folgt)




Grenzboten II 190" 12
Anastastus Grün

Auffassung zeigt er auch uoch an andern Stellen. So zum Beispiel sagt er
in den „Spaziergängen":

Und auch der Anfang seines „Bundesliedes" in den Gedichten führt denselben

Gedanken aus:

Die „Spaziergänge" fanden fast überall eine begeisterte Aufnahme; denn das
Herz des fünfundzwanzigjährigen Dichters schlug mit dem des Volkes für die
Freiheit der Bewegung, des Wortes und des Glaubens. Das Buch war wie
eine heilsame Arznei, die die von der Lethargie gebundnen Lebensgeister be¬
freite, es klang darin wie lerchcnhaftes Jubilieren, wie die Verkündigung einer
frohen Botschaft von der Erlösung aus dumpfem Druck. Die durchaus
künstlerische und von den höchsten Ideen getragne Art gewann dein Dichter
die Zuneigung aller wahren Freunde der Menschheit und der Freiheit, auch
über die schwarzgelben Grenzpfähle hinaus, im deutschen Vaterlande, „draußen
im Reich," wie man damals sagte. „In der Wärme dieser neuen Lieder, sagt
Wolfgang Menzel, spürte man den Einfluß der Juliussonne in Paris." Sie
waren die „Musik der Zukunft," in denen nicht die Klage, sondern die Hoff¬
nung überwiegt, und die ein freudiger und mutiger Ton durchzieht. Österreich,
sagt derselbe Kritiker, habe nie einen bessern Sänger gehabt, einen bessern
lyrischen Sänger gewiß nicht; höchstens sei ihm Walter von der Vogelweide
in seinen Liedern an Kaiser und Papst an die Seite zu stellen. In vielen
Gedichten der „Spaziergänge" zeigt sich eine treffliche Anschaulichkeit, männ¬
liche Kraft und echte Stimmung, namentlich in denen, die dem Andenken
Kaiser Josephs und andern lichten Bildern der österreichischen Geschichte gelten.
Aber sie alle, obwohl sie nicht hohle Phrasen und leere Abstraktionen boten,
sondern aus dem Leben hervorgegangen waren, hatten doch das Schicksal, das
politische Gedichte eben haben, von denen ganz besonders das Wort gilt:
liÄvent sua lÄta libe-tu. Heute unter dem Einflüsse der Stimmungen des
Tages im Begeisterungssturme hochgepriesen, sind sie morgen, wenn die Be¬
wegung abgeflaut ist, vergessen. Die Wirkung der „Spaziergänge" wurde
durch sein späteres dichterisches Schaffen kaum noch überboten. Es wäre des¬
halb nicht eben wunderbar gewesen, wenn sich der junge Dichter vom Erfolge
Hütte berauschen lassen. Davor jedoch bewahrte ihn die glückliche Anlage seiner
Natur; er war ein stiller Simmer, ein ruhmscheuer Poet; alle Poeteneitelkeit
^ ihm fern. Schluß folgt)




Grenzboten II 190« 12
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[0099] Anastastus Grün Auffassung zeigt er auch uoch an andern Stellen. So zum Beispiel sagt er in den „Spaziergängen": Und auch der Anfang seines „Bundesliedes" in den Gedichten führt denselben Gedanken aus: Die „Spaziergänge" fanden fast überall eine begeisterte Aufnahme; denn das Herz des fünfundzwanzigjährigen Dichters schlug mit dem des Volkes für die Freiheit der Bewegung, des Wortes und des Glaubens. Das Buch war wie eine heilsame Arznei, die die von der Lethargie gebundnen Lebensgeister be¬ freite, es klang darin wie lerchcnhaftes Jubilieren, wie die Verkündigung einer frohen Botschaft von der Erlösung aus dumpfem Druck. Die durchaus künstlerische und von den höchsten Ideen getragne Art gewann dein Dichter die Zuneigung aller wahren Freunde der Menschheit und der Freiheit, auch über die schwarzgelben Grenzpfähle hinaus, im deutschen Vaterlande, „draußen im Reich," wie man damals sagte. „In der Wärme dieser neuen Lieder, sagt Wolfgang Menzel, spürte man den Einfluß der Juliussonne in Paris." Sie waren die „Musik der Zukunft," in denen nicht die Klage, sondern die Hoff¬ nung überwiegt, und die ein freudiger und mutiger Ton durchzieht. Österreich, sagt derselbe Kritiker, habe nie einen bessern Sänger gehabt, einen bessern lyrischen Sänger gewiß nicht; höchstens sei ihm Walter von der Vogelweide in seinen Liedern an Kaiser und Papst an die Seite zu stellen. In vielen Gedichten der „Spaziergänge" zeigt sich eine treffliche Anschaulichkeit, männ¬ liche Kraft und echte Stimmung, namentlich in denen, die dem Andenken Kaiser Josephs und andern lichten Bildern der österreichischen Geschichte gelten. Aber sie alle, obwohl sie nicht hohle Phrasen und leere Abstraktionen boten, sondern aus dem Leben hervorgegangen waren, hatten doch das Schicksal, das politische Gedichte eben haben, von denen ganz besonders das Wort gilt: liÄvent sua lÄta libe-tu. Heute unter dem Einflüsse der Stimmungen des Tages im Begeisterungssturme hochgepriesen, sind sie morgen, wenn die Be¬ wegung abgeflaut ist, vergessen. Die Wirkung der „Spaziergänge" wurde durch sein späteres dichterisches Schaffen kaum noch überboten. Es wäre des¬ halb nicht eben wunderbar gewesen, wenn sich der junge Dichter vom Erfolge Hütte berauschen lassen. Davor jedoch bewahrte ihn die glückliche Anlage seiner Natur; er war ein stiller Simmer, ein ruhmscheuer Poet; alle Poeteneitelkeit ^ ihm fern. Schluß folgt) Grenzboten II 190« 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/99>, abgerufen am 24.07.2024.