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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Anastasius Grün

Aber während Anastasius Grün bisher harmlos, fast konservativ aufzu¬
treten schien, war der Geist der Julirevolution doch in ihm mächtig und trieb
ihn zu einer neuen dichterischen Tat ganz andrer Art, die ihn mit einem Schlage
auf den Gipfel seines nationalen Dichterruhms erhob. Völlig namenlos er¬
schien 1831 in Hamburg bei Hoffmann und Campe ein Bändchen Gedichte
unter dem harmlosen Titel: "Spaziergänge eines Wiener Poeten." Es
war ein Bündel scharfgespitzter Pfeile, von denen jeder prachtvoll ins Schwarze
traf. "Man war gewohnt, sagt Gottschall (Die deutsche Nationalliteratur in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Bd. 3, S. 90), sich unter einem
Wiener Poeten einen Blumauer, einen Castelli u. a. zu denken, und wenn ein
solcher Poet spazieren ging, so brachte er einige humoristische Knallbonbons,
einige poetische Reminiszenzen aus dem Prater oder irgendeine Romanze aus
dem Lande ob der Enns mit nach Hause." Und nun vernahm man von
einem Anonymus, der sich freilich nicht lange in Dunkelheit hüllen konnte,
plötzlich etwas ganz neues, ungewohntes, eine "politische Bergpredigt," "ein
majestätisches Gewitter des Geistes, das sich über der alte" Kaiserstadt entlud,
Blitz auf Blitz, Schlag auf Schlag, droheud, zündend." Demosthenes war
wieder erstanden, freilich nur im lyrischen Gewände. Uhland war das Werk
gewidmet, dem schwäbischen Helden der Freiheit und des Rechts, dem der
österreichische Dichter den entsprechenden Dank abstattete:

In bequemen achtfüßigen Trochäen wurden hier mit schneidendem Witz und
überlegner Kraft wuchtige Angriffe gerichtet, alle ani noininsm, gegen den
Mautkordon, die Niederträchtigkeit der verblödeten Zensur, die tückische
Spionenriecherei, gegen Pfaffendummheit und Pfaffenbosheit, gegen den al¬
bernen Hochmut der Feudalen -- kurz, um es mit einem Worte zu sagen,
gegen die ganze unselige Negierungspfuscherei Metternichscher Prägung. In
einer begeisterten, oft spinnenartigen Sprache verherrlichte der Dichter die
politische und die soziale Freiheit, indem er sich bald in ganz unerhört kühner
Weise unmittelbar an die Gegenwart wandte, bald prophetischen Geistes Zu¬
kunftsbilder malte. "Freiheit ist die große Losung, deren Klang durchjauchzt
die Welt," das war das Motto dieser lyrischen Kriegserklärung. Mit vollem
Bewußtsein hatte sie der Dichter erlassen; er wollte seine Zeitgenossen zu einer
geistigen Freiheitsschlacht in Österreich begeistern, in Österreich, wo die Menschen
unter dem Zwange des Passes, die literarischen Erzeugnisse unter dem der
Zensur standen, und wo die ganze deutsche Literatur eigentlich verboten war.
Und doch war die Tonart in diesen "Spaziergängen" nicht eigentlich revolu¬
tionär; nur "der heitre Sieg des Lichts" sollte erfochten werden, denn Anastasius
Grün war bei aller freiheitlichen und fortschrittlichen Gesinnung jedem ge¬
waltsamen Vorgehn abgeneigt. "Das Licht, schrieb er in einem Briefe an
S. Brunner, nicht der Brand! Die Bewegung, nicht der Sturm! Der Bau,
nicht die Zerstörung!" (Nord und Süd, September 1877, S. 396.) Dieselbe


Anastasius Grün

Aber während Anastasius Grün bisher harmlos, fast konservativ aufzu¬
treten schien, war der Geist der Julirevolution doch in ihm mächtig und trieb
ihn zu einer neuen dichterischen Tat ganz andrer Art, die ihn mit einem Schlage
auf den Gipfel seines nationalen Dichterruhms erhob. Völlig namenlos er¬
schien 1831 in Hamburg bei Hoffmann und Campe ein Bändchen Gedichte
unter dem harmlosen Titel: „Spaziergänge eines Wiener Poeten." Es
war ein Bündel scharfgespitzter Pfeile, von denen jeder prachtvoll ins Schwarze
traf. „Man war gewohnt, sagt Gottschall (Die deutsche Nationalliteratur in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Bd. 3, S. 90), sich unter einem
Wiener Poeten einen Blumauer, einen Castelli u. a. zu denken, und wenn ein
solcher Poet spazieren ging, so brachte er einige humoristische Knallbonbons,
einige poetische Reminiszenzen aus dem Prater oder irgendeine Romanze aus
dem Lande ob der Enns mit nach Hause." Und nun vernahm man von
einem Anonymus, der sich freilich nicht lange in Dunkelheit hüllen konnte,
plötzlich etwas ganz neues, ungewohntes, eine „politische Bergpredigt," „ein
majestätisches Gewitter des Geistes, das sich über der alte» Kaiserstadt entlud,
Blitz auf Blitz, Schlag auf Schlag, droheud, zündend." Demosthenes war
wieder erstanden, freilich nur im lyrischen Gewände. Uhland war das Werk
gewidmet, dem schwäbischen Helden der Freiheit und des Rechts, dem der
österreichische Dichter den entsprechenden Dank abstattete:

In bequemen achtfüßigen Trochäen wurden hier mit schneidendem Witz und
überlegner Kraft wuchtige Angriffe gerichtet, alle ani noininsm, gegen den
Mautkordon, die Niederträchtigkeit der verblödeten Zensur, die tückische
Spionenriecherei, gegen Pfaffendummheit und Pfaffenbosheit, gegen den al¬
bernen Hochmut der Feudalen — kurz, um es mit einem Worte zu sagen,
gegen die ganze unselige Negierungspfuscherei Metternichscher Prägung. In
einer begeisterten, oft spinnenartigen Sprache verherrlichte der Dichter die
politische und die soziale Freiheit, indem er sich bald in ganz unerhört kühner
Weise unmittelbar an die Gegenwart wandte, bald prophetischen Geistes Zu¬
kunftsbilder malte. „Freiheit ist die große Losung, deren Klang durchjauchzt
die Welt," das war das Motto dieser lyrischen Kriegserklärung. Mit vollem
Bewußtsein hatte sie der Dichter erlassen; er wollte seine Zeitgenossen zu einer
geistigen Freiheitsschlacht in Österreich begeistern, in Österreich, wo die Menschen
unter dem Zwange des Passes, die literarischen Erzeugnisse unter dem der
Zensur standen, und wo die ganze deutsche Literatur eigentlich verboten war.
Und doch war die Tonart in diesen „Spaziergängen" nicht eigentlich revolu¬
tionär; nur „der heitre Sieg des Lichts" sollte erfochten werden, denn Anastasius
Grün war bei aller freiheitlichen und fortschrittlichen Gesinnung jedem ge¬
waltsamen Vorgehn abgeneigt. „Das Licht, schrieb er in einem Briefe an
S. Brunner, nicht der Brand! Die Bewegung, nicht der Sturm! Der Bau,
nicht die Zerstörung!" (Nord und Süd, September 1877, S. 396.) Dieselbe


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[0098] Anastasius Grün Aber während Anastasius Grün bisher harmlos, fast konservativ aufzu¬ treten schien, war der Geist der Julirevolution doch in ihm mächtig und trieb ihn zu einer neuen dichterischen Tat ganz andrer Art, die ihn mit einem Schlage auf den Gipfel seines nationalen Dichterruhms erhob. Völlig namenlos er¬ schien 1831 in Hamburg bei Hoffmann und Campe ein Bändchen Gedichte unter dem harmlosen Titel: „Spaziergänge eines Wiener Poeten." Es war ein Bündel scharfgespitzter Pfeile, von denen jeder prachtvoll ins Schwarze traf. „Man war gewohnt, sagt Gottschall (Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Bd. 3, S. 90), sich unter einem Wiener Poeten einen Blumauer, einen Castelli u. a. zu denken, und wenn ein solcher Poet spazieren ging, so brachte er einige humoristische Knallbonbons, einige poetische Reminiszenzen aus dem Prater oder irgendeine Romanze aus dem Lande ob der Enns mit nach Hause." Und nun vernahm man von einem Anonymus, der sich freilich nicht lange in Dunkelheit hüllen konnte, plötzlich etwas ganz neues, ungewohntes, eine „politische Bergpredigt," „ein majestätisches Gewitter des Geistes, das sich über der alte» Kaiserstadt entlud, Blitz auf Blitz, Schlag auf Schlag, droheud, zündend." Demosthenes war wieder erstanden, freilich nur im lyrischen Gewände. Uhland war das Werk gewidmet, dem schwäbischen Helden der Freiheit und des Rechts, dem der österreichische Dichter den entsprechenden Dank abstattete: In bequemen achtfüßigen Trochäen wurden hier mit schneidendem Witz und überlegner Kraft wuchtige Angriffe gerichtet, alle ani noininsm, gegen den Mautkordon, die Niederträchtigkeit der verblödeten Zensur, die tückische Spionenriecherei, gegen Pfaffendummheit und Pfaffenbosheit, gegen den al¬ bernen Hochmut der Feudalen — kurz, um es mit einem Worte zu sagen, gegen die ganze unselige Negierungspfuscherei Metternichscher Prägung. In einer begeisterten, oft spinnenartigen Sprache verherrlichte der Dichter die politische und die soziale Freiheit, indem er sich bald in ganz unerhört kühner Weise unmittelbar an die Gegenwart wandte, bald prophetischen Geistes Zu¬ kunftsbilder malte. „Freiheit ist die große Losung, deren Klang durchjauchzt die Welt," das war das Motto dieser lyrischen Kriegserklärung. Mit vollem Bewußtsein hatte sie der Dichter erlassen; er wollte seine Zeitgenossen zu einer geistigen Freiheitsschlacht in Österreich begeistern, in Österreich, wo die Menschen unter dem Zwange des Passes, die literarischen Erzeugnisse unter dem der Zensur standen, und wo die ganze deutsche Literatur eigentlich verboten war. Und doch war die Tonart in diesen „Spaziergängen" nicht eigentlich revolu¬ tionär; nur „der heitre Sieg des Lichts" sollte erfochten werden, denn Anastasius Grün war bei aller freiheitlichen und fortschrittlichen Gesinnung jedem ge¬ waltsamen Vorgehn abgeneigt. „Das Licht, schrieb er in einem Briefe an S. Brunner, nicht der Brand! Die Bewegung, nicht der Sturm! Der Bau, nicht die Zerstörung!" (Nord und Süd, September 1877, S. 396.) Dieselbe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/98>, abgerufen am 24.07.2024.