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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Der Kchtelberg
Julius pistor Aulturgeographische Bilder von

WM
WWM>le Zahl derer, die alljährlich im Sommer die schattigen Täter
und die sonnigen Höhen des Fichtelgebirges aufsuchen, ist im
Vergleich mit andern deutschen Mittelgebirgslandschaften ziemlich
gering. Noch weniger freilich kannte man in frühern Zeiten dies
I Gebiet aus eigner Anschauung, und man wußte kaum mehr
davon, als daß es ein unwegsames und rauhes, mit dichten Forsten bestandnes
Bergland sei, auf dem Main, Nab, Eger und Saale entspringen. Über seinen
Aufbau vollends, seine Höhenlage und seine Stellung im Gebirgsbnn Deutsch¬
lands herrschten bis in die neuere Zeit hinein vielfach irrige Ansichten, und es
ist noch nicht allzu lange her, daß man aufgehört hat, vom Fichtelgebirge als
von einem Knoten zu sprechen, der durch einander kreuzende Gebirgszüge ge¬
bildet werde. Nicht einmal seinen Namen hat uns das Mittelalter überliefert,
und erst Matthias von Keinmal, ein Landeskind, der zu den ältesten Jüngern
des deutschen Humanismus gehört, nennt den stark hervortretenden, von Ochsen¬
kopf und Schneeberg überragten Westrand des Gebirges Fichtelberg, eine Be¬
zeichnung, die dort noch heute hierfür im Volksmunde üblich ist. Seiner echt
humanistischen Heimatliebe verdanken wir aber zugleich die erste Beschreibung
dieses Gebiets, ein zwar eng umrahmtes, aber eigenartiges und anziehendes Bild,
das er seiner Chronik Friedrichs des Ersten von der Pfalz einverleibt hat.

Gereizt durch die Wunderdinge, die das Volk von dem Gebirge zu er¬
zählen wußte, ist er einst in jungen Jahren, als die Gicht seine Glieder noch
nicht gelähmt hatte, mit einigen Genossen durch dichten Urwald zum Fichtel¬
berg emporgestiegen. Die Ausdehnung des Gebirges, das zwei Herren, dem
Kurfürsten von der Pfalz und dem Markgrafen von Brandenburg, gehört, gibt
Matthias nach der Schätzung von Förstern und Zinngräbern auf sechs Meilen
in der Runde an. Kein Weg führt zu der Höhe hinan, und es ist gar nicht
daran zu denken, daß man hinausreiten könnte: Schluchten, Felsbrocken, um¬
gestürzte Baumstämme und tausend andre Hindernisse, wie sie der Urwald dein
eindringenden Menschen entgegenstellt, machen den Aufstieg sogar für einen
rüstigen Fußwandrer höchst beschwerlich, wenngleich sich das Gebirge nur all¬
mählich abdacht. Dann bedecken dichte Wälder, die neben Hirschen auch Raub¬
tiere, wie Bären, Wölfe und Luchse, beherbergen, die Abhänge. Matthias sah
hier Ahornbäume, Föhren, Fichten und Tannen von einer Größe, wie er sie
sonst nirgends angetroffen hatte. Wer sich in diese Wildnis wagt, bedarf der
Führung durch einen ortskundigen Förster, Schindelmacher oder Zinngräber,
und es empfiehlt sich auch, Feuer und Proviant mitzuführen, denn der Weg
ist weit, und das Gebirge hoch, so hoch wie sonst keins in deutscheu Landen.




Der Kchtelberg
Julius pistor Aulturgeographische Bilder von

WM
WWM>le Zahl derer, die alljährlich im Sommer die schattigen Täter
und die sonnigen Höhen des Fichtelgebirges aufsuchen, ist im
Vergleich mit andern deutschen Mittelgebirgslandschaften ziemlich
gering. Noch weniger freilich kannte man in frühern Zeiten dies
I Gebiet aus eigner Anschauung, und man wußte kaum mehr
davon, als daß es ein unwegsames und rauhes, mit dichten Forsten bestandnes
Bergland sei, auf dem Main, Nab, Eger und Saale entspringen. Über seinen
Aufbau vollends, seine Höhenlage und seine Stellung im Gebirgsbnn Deutsch¬
lands herrschten bis in die neuere Zeit hinein vielfach irrige Ansichten, und es
ist noch nicht allzu lange her, daß man aufgehört hat, vom Fichtelgebirge als
von einem Knoten zu sprechen, der durch einander kreuzende Gebirgszüge ge¬
bildet werde. Nicht einmal seinen Namen hat uns das Mittelalter überliefert,
und erst Matthias von Keinmal, ein Landeskind, der zu den ältesten Jüngern
des deutschen Humanismus gehört, nennt den stark hervortretenden, von Ochsen¬
kopf und Schneeberg überragten Westrand des Gebirges Fichtelberg, eine Be¬
zeichnung, die dort noch heute hierfür im Volksmunde üblich ist. Seiner echt
humanistischen Heimatliebe verdanken wir aber zugleich die erste Beschreibung
dieses Gebiets, ein zwar eng umrahmtes, aber eigenartiges und anziehendes Bild,
das er seiner Chronik Friedrichs des Ersten von der Pfalz einverleibt hat.

Gereizt durch die Wunderdinge, die das Volk von dem Gebirge zu er¬
zählen wußte, ist er einst in jungen Jahren, als die Gicht seine Glieder noch
nicht gelähmt hatte, mit einigen Genossen durch dichten Urwald zum Fichtel¬
berg emporgestiegen. Die Ausdehnung des Gebirges, das zwei Herren, dem
Kurfürsten von der Pfalz und dem Markgrafen von Brandenburg, gehört, gibt
Matthias nach der Schätzung von Förstern und Zinngräbern auf sechs Meilen
in der Runde an. Kein Weg führt zu der Höhe hinan, und es ist gar nicht
daran zu denken, daß man hinausreiten könnte: Schluchten, Felsbrocken, um¬
gestürzte Baumstämme und tausend andre Hindernisse, wie sie der Urwald dein
eindringenden Menschen entgegenstellt, machen den Aufstieg sogar für einen
rüstigen Fußwandrer höchst beschwerlich, wenngleich sich das Gebirge nur all¬
mählich abdacht. Dann bedecken dichte Wälder, die neben Hirschen auch Raub¬
tiere, wie Bären, Wölfe und Luchse, beherbergen, die Abhänge. Matthias sah
hier Ahornbäume, Föhren, Fichten und Tannen von einer Größe, wie er sie
sonst nirgends angetroffen hatte. Wer sich in diese Wildnis wagt, bedarf der
Führung durch einen ortskundigen Förster, Schindelmacher oder Zinngräber,
und es empfiehlt sich auch, Feuer und Proviant mitzuführen, denn der Weg
ist weit, und das Gebirge hoch, so hoch wie sonst keins in deutscheu Landen.


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[0100] [Abbildung] Der Kchtelberg Julius pistor Aulturgeographische Bilder von WM WWM>le Zahl derer, die alljährlich im Sommer die schattigen Täter und die sonnigen Höhen des Fichtelgebirges aufsuchen, ist im Vergleich mit andern deutschen Mittelgebirgslandschaften ziemlich gering. Noch weniger freilich kannte man in frühern Zeiten dies I Gebiet aus eigner Anschauung, und man wußte kaum mehr davon, als daß es ein unwegsames und rauhes, mit dichten Forsten bestandnes Bergland sei, auf dem Main, Nab, Eger und Saale entspringen. Über seinen Aufbau vollends, seine Höhenlage und seine Stellung im Gebirgsbnn Deutsch¬ lands herrschten bis in die neuere Zeit hinein vielfach irrige Ansichten, und es ist noch nicht allzu lange her, daß man aufgehört hat, vom Fichtelgebirge als von einem Knoten zu sprechen, der durch einander kreuzende Gebirgszüge ge¬ bildet werde. Nicht einmal seinen Namen hat uns das Mittelalter überliefert, und erst Matthias von Keinmal, ein Landeskind, der zu den ältesten Jüngern des deutschen Humanismus gehört, nennt den stark hervortretenden, von Ochsen¬ kopf und Schneeberg überragten Westrand des Gebirges Fichtelberg, eine Be¬ zeichnung, die dort noch heute hierfür im Volksmunde üblich ist. Seiner echt humanistischen Heimatliebe verdanken wir aber zugleich die erste Beschreibung dieses Gebiets, ein zwar eng umrahmtes, aber eigenartiges und anziehendes Bild, das er seiner Chronik Friedrichs des Ersten von der Pfalz einverleibt hat. Gereizt durch die Wunderdinge, die das Volk von dem Gebirge zu er¬ zählen wußte, ist er einst in jungen Jahren, als die Gicht seine Glieder noch nicht gelähmt hatte, mit einigen Genossen durch dichten Urwald zum Fichtel¬ berg emporgestiegen. Die Ausdehnung des Gebirges, das zwei Herren, dem Kurfürsten von der Pfalz und dem Markgrafen von Brandenburg, gehört, gibt Matthias nach der Schätzung von Förstern und Zinngräbern auf sechs Meilen in der Runde an. Kein Weg führt zu der Höhe hinan, und es ist gar nicht daran zu denken, daß man hinausreiten könnte: Schluchten, Felsbrocken, um¬ gestürzte Baumstämme und tausend andre Hindernisse, wie sie der Urwald dein eindringenden Menschen entgegenstellt, machen den Aufstieg sogar für einen rüstigen Fußwandrer höchst beschwerlich, wenngleich sich das Gebirge nur all¬ mählich abdacht. Dann bedecken dichte Wälder, die neben Hirschen auch Raub¬ tiere, wie Bären, Wölfe und Luchse, beherbergen, die Abhänge. Matthias sah hier Ahornbäume, Föhren, Fichten und Tannen von einer Größe, wie er sie sonst nirgends angetroffen hatte. Wer sich in diese Wildnis wagt, bedarf der Führung durch einen ortskundigen Förster, Schindelmacher oder Zinngräber, und es empfiehlt sich auch, Feuer und Proviant mitzuführen, denn der Weg ist weit, und das Gebirge hoch, so hoch wie sonst keins in deutscheu Landen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/100>, abgerufen am 27.12.2024.