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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Der Bopparder Krieg

zu dürfen glaubte, protestierte sogar mit großer Zungenfertigkeit, alle taten jedoch,
was Engel Schwabe ihnen auftrug: es waren die Laien und die Bönhasen, die
den erfahrnen Meister über sich fühlten.

Mit-dem Pferde waren nicht viel Umstände gemacht worden. Man hatte es
einfach abgestochen und den Leichnam ausgeweidet, abgehäutet und zerstückelt. Es
war aber auch nur ein Pferd gewesen, doppelt verächtlich für einen Mann, der
gelernter Metzger und laufender Bote war.

Jetzt wurde die Sache anders angefaßt. Schwabe suchte sich aus dem Gerümpel,
das in der Kammer hinter dem Stalle lag, eine zerbrochne Wagendeichsel hervor,
ließ das vordere Ende auf halbe Manneslänge absägen, an der abgesagter Stelle
mit der Holzaxt zuspitzen und mitten im Hofe, wo eine Lücke im Pflaster war, so
tief wie möglich in den Boden treiben. Das andre Deichselstück wurde an beiden
Enden mit tiefen Kerben versehen und in der Mitte mit einem starken Strick um¬
wickelt. Dann mußte Nickel Laughenne eine Leiter herbeischleppen und über der
Stalltür an dem eisernen Haken, der früher eine Laterne getragen hatte, mit einer
Kette einen Ring befestigen, durch den die langen Enden des Strickes so weit ge¬
zogen wurden, daß sie bis auf den Boden hinabhingen.

Als dies geschehen war, ließ Schwabe den Ochsen herbeiführen, zog das Leitseil,
das um die Hörner geschlungen war, durch die Öse des Deichselkopfes und erteilte
den fünf Männern, die er als die stärksten ausgesucht hatte, und zu denen auch
Junker Daniel gehörte, die Weisung, das Seil so stark anzuziehen, bis der Ochse
mit der Schnauze den Boden berühre. Dann ergriff er das Beil, stellte sich vor
den Kopf des Schlachtopfers und erhob das Mordinstrument zum Schlage. Aber
zum Erstaunen seiner Gesellen ließ er es wieder sinken, prüfte mit der Fingerspitze
die Schneide und erklärte, das Beil sei nicht scharf genug und müsse erst geschliffen
werden, das könne aber niemand besser als der Junker Wygant, dem er neulich
erst beim Schleifen einer Schwertklinge zugeschaut habe.

Nun ließen die Fünfe das Seil wieder los, der Ochse, der bei dem unerwarteten
Ruck in die Kniee gesunken war, richtete sich noch einmal auf, und Junker Wygant
mußte sich wohl oder übel dazu bequemen, den Wunsch des Meisters zu erfüllen.

Endlich entsprach die Schärfe des Stahls allen billigen Anforderungen, Schwabe
nahm seinen Platz vor dem Ochsen wieder ein, die Fünfe zogen das Seil an, das
Tier senkte schnaufend das breitsttrnige Haupt, und das blanke Blatt des Beiles
stieg empor. Aber auch jetzt kam es noch nicht zum Schlage.

Herr Amtmann, rief Schwabe, und seine Stimme zitterte vor Aufregung, mit
Gassen ists hier nicht getan, wer mit essen will, soll auch mit zugreifen, Nehmt
einmal die Lampe dort vom Sims und haltet sie hierherl Und Ihr, Kaplan, habt
wohl auch nichts zu tun? Da auf der Treppe steht noch ein Lende. Damit stellt
Euch auf die andre Seite. Man muß doch sehen können, wo man hinhaut.

Die beiden folgten dieser Anordnung, und der letzte Eindruck, den der arme
Ochse aus dieser unvollkommnen Erdenwelt mit auf die grünen Weiden des Jenseits
nahm, waren zwei Laternen, die von einer adlichen und einer geistlichen Hand zu
beiden Seiten seines Hauptes gehalten wurden. Denn in diesem Augenblick holte
der Meister zum Hiebe aus; mit dumpfem Krach traf die stumpfe Seite des Bens
die zottige Stirn, und blitzschnell danach folgte der Todeshieb, der den mächtigen
Schädel bis auf die Rachenhöhle spaltete. Das Tier brach zusammen und wand
sich in gewaltigen Zuckungen.

Der Körper war kaum zur Ruhe gekommen, als Schwabe seine Leute aufs
neue an die Arbeit stellte. Sie mußten die eingekerbten Enden des Deichselstücks
durch die Flechsen der Sprunggelenke stecken und dann mit vereinten Kräften den
Ochsen zu dem Haken in der Mauer emporziehn, wobei auf jedes der beiden Strick¬
enden sechs Mann kamen. Als er glücklich an dem Haken hing, begann das Abhäuten,
das Ausnehmen und das Ausschlachten. Auch bei diesen Arbeiten mußte jeder wacker
mit Hand anlegen, und als beim ersten Schimmer des Frühroth das Werk voll-


GrenzSoten II 1906 S2
Der Bopparder Krieg

zu dürfen glaubte, protestierte sogar mit großer Zungenfertigkeit, alle taten jedoch,
was Engel Schwabe ihnen auftrug: es waren die Laien und die Bönhasen, die
den erfahrnen Meister über sich fühlten.

Mit-dem Pferde waren nicht viel Umstände gemacht worden. Man hatte es
einfach abgestochen und den Leichnam ausgeweidet, abgehäutet und zerstückelt. Es
war aber auch nur ein Pferd gewesen, doppelt verächtlich für einen Mann, der
gelernter Metzger und laufender Bote war.

Jetzt wurde die Sache anders angefaßt. Schwabe suchte sich aus dem Gerümpel,
das in der Kammer hinter dem Stalle lag, eine zerbrochne Wagendeichsel hervor,
ließ das vordere Ende auf halbe Manneslänge absägen, an der abgesagter Stelle
mit der Holzaxt zuspitzen und mitten im Hofe, wo eine Lücke im Pflaster war, so
tief wie möglich in den Boden treiben. Das andre Deichselstück wurde an beiden
Enden mit tiefen Kerben versehen und in der Mitte mit einem starken Strick um¬
wickelt. Dann mußte Nickel Laughenne eine Leiter herbeischleppen und über der
Stalltür an dem eisernen Haken, der früher eine Laterne getragen hatte, mit einer
Kette einen Ring befestigen, durch den die langen Enden des Strickes so weit ge¬
zogen wurden, daß sie bis auf den Boden hinabhingen.

Als dies geschehen war, ließ Schwabe den Ochsen herbeiführen, zog das Leitseil,
das um die Hörner geschlungen war, durch die Öse des Deichselkopfes und erteilte
den fünf Männern, die er als die stärksten ausgesucht hatte, und zu denen auch
Junker Daniel gehörte, die Weisung, das Seil so stark anzuziehen, bis der Ochse
mit der Schnauze den Boden berühre. Dann ergriff er das Beil, stellte sich vor
den Kopf des Schlachtopfers und erhob das Mordinstrument zum Schlage. Aber
zum Erstaunen seiner Gesellen ließ er es wieder sinken, prüfte mit der Fingerspitze
die Schneide und erklärte, das Beil sei nicht scharf genug und müsse erst geschliffen
werden, das könne aber niemand besser als der Junker Wygant, dem er neulich
erst beim Schleifen einer Schwertklinge zugeschaut habe.

Nun ließen die Fünfe das Seil wieder los, der Ochse, der bei dem unerwarteten
Ruck in die Kniee gesunken war, richtete sich noch einmal auf, und Junker Wygant
mußte sich wohl oder übel dazu bequemen, den Wunsch des Meisters zu erfüllen.

Endlich entsprach die Schärfe des Stahls allen billigen Anforderungen, Schwabe
nahm seinen Platz vor dem Ochsen wieder ein, die Fünfe zogen das Seil an, das
Tier senkte schnaufend das breitsttrnige Haupt, und das blanke Blatt des Beiles
stieg empor. Aber auch jetzt kam es noch nicht zum Schlage.

Herr Amtmann, rief Schwabe, und seine Stimme zitterte vor Aufregung, mit
Gassen ists hier nicht getan, wer mit essen will, soll auch mit zugreifen, Nehmt
einmal die Lampe dort vom Sims und haltet sie hierherl Und Ihr, Kaplan, habt
wohl auch nichts zu tun? Da auf der Treppe steht noch ein Lende. Damit stellt
Euch auf die andre Seite. Man muß doch sehen können, wo man hinhaut.

Die beiden folgten dieser Anordnung, und der letzte Eindruck, den der arme
Ochse aus dieser unvollkommnen Erdenwelt mit auf die grünen Weiden des Jenseits
nahm, waren zwei Laternen, die von einer adlichen und einer geistlichen Hand zu
beiden Seiten seines Hauptes gehalten wurden. Denn in diesem Augenblick holte
der Meister zum Hiebe aus; mit dumpfem Krach traf die stumpfe Seite des Bens
die zottige Stirn, und blitzschnell danach folgte der Todeshieb, der den mächtigen
Schädel bis auf die Rachenhöhle spaltete. Das Tier brach zusammen und wand
sich in gewaltigen Zuckungen.

Der Körper war kaum zur Ruhe gekommen, als Schwabe seine Leute aufs
neue an die Arbeit stellte. Sie mußten die eingekerbten Enden des Deichselstücks
durch die Flechsen der Sprunggelenke stecken und dann mit vereinten Kräften den
Ochsen zu dem Haken in der Mauer emporziehn, wobei auf jedes der beiden Strick¬
enden sechs Mann kamen. Als er glücklich an dem Haken hing, begann das Abhäuten,
das Ausnehmen und das Ausschlachten. Auch bei diesen Arbeiten mußte jeder wacker
mit Hand anlegen, und als beim ersten Schimmer des Frühroth das Werk voll-


GrenzSoten II 1906 S2
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[0729] Der Bopparder Krieg zu dürfen glaubte, protestierte sogar mit großer Zungenfertigkeit, alle taten jedoch, was Engel Schwabe ihnen auftrug: es waren die Laien und die Bönhasen, die den erfahrnen Meister über sich fühlten. Mit-dem Pferde waren nicht viel Umstände gemacht worden. Man hatte es einfach abgestochen und den Leichnam ausgeweidet, abgehäutet und zerstückelt. Es war aber auch nur ein Pferd gewesen, doppelt verächtlich für einen Mann, der gelernter Metzger und laufender Bote war. Jetzt wurde die Sache anders angefaßt. Schwabe suchte sich aus dem Gerümpel, das in der Kammer hinter dem Stalle lag, eine zerbrochne Wagendeichsel hervor, ließ das vordere Ende auf halbe Manneslänge absägen, an der abgesagter Stelle mit der Holzaxt zuspitzen und mitten im Hofe, wo eine Lücke im Pflaster war, so tief wie möglich in den Boden treiben. Das andre Deichselstück wurde an beiden Enden mit tiefen Kerben versehen und in der Mitte mit einem starken Strick um¬ wickelt. Dann mußte Nickel Laughenne eine Leiter herbeischleppen und über der Stalltür an dem eisernen Haken, der früher eine Laterne getragen hatte, mit einer Kette einen Ring befestigen, durch den die langen Enden des Strickes so weit ge¬ zogen wurden, daß sie bis auf den Boden hinabhingen. Als dies geschehen war, ließ Schwabe den Ochsen herbeiführen, zog das Leitseil, das um die Hörner geschlungen war, durch die Öse des Deichselkopfes und erteilte den fünf Männern, die er als die stärksten ausgesucht hatte, und zu denen auch Junker Daniel gehörte, die Weisung, das Seil so stark anzuziehen, bis der Ochse mit der Schnauze den Boden berühre. Dann ergriff er das Beil, stellte sich vor den Kopf des Schlachtopfers und erhob das Mordinstrument zum Schlage. Aber zum Erstaunen seiner Gesellen ließ er es wieder sinken, prüfte mit der Fingerspitze die Schneide und erklärte, das Beil sei nicht scharf genug und müsse erst geschliffen werden, das könne aber niemand besser als der Junker Wygant, dem er neulich erst beim Schleifen einer Schwertklinge zugeschaut habe. Nun ließen die Fünfe das Seil wieder los, der Ochse, der bei dem unerwarteten Ruck in die Kniee gesunken war, richtete sich noch einmal auf, und Junker Wygant mußte sich wohl oder übel dazu bequemen, den Wunsch des Meisters zu erfüllen. Endlich entsprach die Schärfe des Stahls allen billigen Anforderungen, Schwabe nahm seinen Platz vor dem Ochsen wieder ein, die Fünfe zogen das Seil an, das Tier senkte schnaufend das breitsttrnige Haupt, und das blanke Blatt des Beiles stieg empor. Aber auch jetzt kam es noch nicht zum Schlage. Herr Amtmann, rief Schwabe, und seine Stimme zitterte vor Aufregung, mit Gassen ists hier nicht getan, wer mit essen will, soll auch mit zugreifen, Nehmt einmal die Lampe dort vom Sims und haltet sie hierherl Und Ihr, Kaplan, habt wohl auch nichts zu tun? Da auf der Treppe steht noch ein Lende. Damit stellt Euch auf die andre Seite. Man muß doch sehen können, wo man hinhaut. Die beiden folgten dieser Anordnung, und der letzte Eindruck, den der arme Ochse aus dieser unvollkommnen Erdenwelt mit auf die grünen Weiden des Jenseits nahm, waren zwei Laternen, die von einer adlichen und einer geistlichen Hand zu beiden Seiten seines Hauptes gehalten wurden. Denn in diesem Augenblick holte der Meister zum Hiebe aus; mit dumpfem Krach traf die stumpfe Seite des Bens die zottige Stirn, und blitzschnell danach folgte der Todeshieb, der den mächtigen Schädel bis auf die Rachenhöhle spaltete. Das Tier brach zusammen und wand sich in gewaltigen Zuckungen. Der Körper war kaum zur Ruhe gekommen, als Schwabe seine Leute aufs neue an die Arbeit stellte. Sie mußten die eingekerbten Enden des Deichselstücks durch die Flechsen der Sprunggelenke stecken und dann mit vereinten Kräften den Ochsen zu dem Haken in der Mauer emporziehn, wobei auf jedes der beiden Strick¬ enden sechs Mann kamen. Als er glücklich an dem Haken hing, begann das Abhäuten, das Ausnehmen und das Ausschlachten. Auch bei diesen Arbeiten mußte jeder wacker mit Hand anlegen, und als beim ersten Schimmer des Frühroth das Werk voll- GrenzSoten II 1906 S2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/729>, abgerufen am 27.12.2024.