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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Der Bopxarder Krieg

war er offenbar unschlüssig, wohin er seine Schritte lenken sollte: da mit einem¬
mal gewahrte er in einiger Entfernung das Zollhaus, das ihn mit seiner weit-
geöffneten Tür an den heimatlichen Stall erinnern mochte. Er trottete langsam
darauf los und würde sicher wenig Augenblicke später gleich dem auf Europas
Spuren wandelnden Zeus mitten uuter den schlafenden Stadtknechten gestanden
haben, wenn ihm nicht die rüstige Billa zuvorgekommen wäre und mit bewunderungs¬
würdiger Geistesgegenwart das Tor des feindlichen Lagers vor der Nase zuge¬
schlagen hätte. Das verblüffte ihn so, daß er sich von seinen Verfolgern nun willig
bei den Hörnern fassen und im Sturmschritt an den Ort seiner Bestimmung
führen ließ.

Die Zugbrücke war kaum wieder emporgewunden worden, der Nachen kaum
vom Ufer abgestoßen, als die Ablösungsmannschaft vor dem Zollhause erschien. Sie
hörte noch die Ruderschläge der über den Strom setzenden Schiffer, vernahm auch
den Lcirm in der Burg, vermochte aber, als sie den Zusammenhang zwischen dem
Malvasierfäßlein, dem schnell entschwindenden Fahrzeug und dem dumpfen Gebrüll
im Burghofe erraten hatte, nichts weiter zu tun, als sich nach einem vergeblichen
Versuche, die Kameraden zu wecken, mit dem kärglichen Reste des edeln Weines für
die Überraschung und den Ärger zu entschädigen.

Die Belagerten verzichteten diesesmal auf die gewohnte Nachtruhe und machten
sich, nachdem sie den einen der Ochsen in den verwaisten Pferdestall gestellt und
der Obhut Nickels anvertraut hatten, sofort ans Werk, das zweite der Tiere zu
schlachten.

Zum Glück war unter der kleinen Besatzung ein Mann, der sich auf diese
Hantierung verstand: der Bote Engel Schwabe. Er hatte das Metzgerhandwcrk
erlernt und war viele Jahre lang zum Vieheinkauf über Land gezogen. Dabei
war ihm das Nebenamt der Briefbeförderung von Stadt zu Stadt und von Burg
zu Burg allmählich vertrauter und lieber geworden als sein beschwerliches Hand¬
werk, und schließlich hatte er das Schlächterbeil endgiltig mit dem Brieffelleisen
vertauscht und war von Herrn Emmerichs Vorgänger als kurfürstlicher Amtsbote
in Pflicht und Sold genommen worden. Vor einem Vierteljahre noch würde er
die Zumutung, eine Probe seiner blutigen Kunst abzulegen, sicherlich mit Entrüstung
zurückgewiesen haben, jetzt aber, wo ihn die Händel mit der Stadt zwangen, seiner
Wanderlust eine unfreiwillige Beschränkung aufzuerlegen und statt der derbbeschuhten
Füße nur die leichtbeschwingten Gedanken durch das Land schweifen zu lasten, war
er von Herzen froh, zu dem Gewerbe seiner Jugend wieder einmal zurückkehre
und mit Beil und Messer hantieren zu können.

Vor drei Wochen, als man Herrn Emmerichs Roß voni Leben zum Tode be¬
fördert hatte, war Engel Schwabe allerdings auch schon tätig gewesen, aber mehr
beratend als selbst mit zugreifend, denn die Pferdeschlächterei, oder wie er es nannte:
die Schindcrarbeit, vertrug sich nicht mit seiner Reputation als gelernter und von
der Zunft ordnungsgemäß freigesprochner Metzger und konnte von den Schützen
ebensogut ausgeführt werden. Jetzt aber, wo es einen veritabeln Ochsen und
noch dazu einen Westerwalder Ochsen zu schlachten galt, fühlte sich Schwabe als
die wichtigste Person in der Burg. Er, der sonst schweigsam und gegen den Amt¬
mann und die beiden Junker von respektvoller Unterwürfigkeit war, führte jetzt
das große Wort und traf seine Anordnungen, als ob er Plötzlich auf dem kleinen
kurtrierischen Territorium der Höchstgebietende geworden sei, ließ, unbekümmert um
alle Einreden, die Laternen und die Lampen nicht nur aus der Wachtstube und der
Küche, sondern auch aus dem Wohngemache der Herren in den Hof holen und
verteilte aus eigner Machtvollkommenheit die Rollen, die jeder der Burgsassen bei
der Haupt- und Staatsaktion des Schlächters übernehmen sollte. Und in der Tat
fand er bei allen den nötigen Gehorsam. Die Herren lachten, die Schützen murrten,
die alte Billa, die weil sie den Ochsen, dem alle diese Vorbereitungen galten, vor
der Desertion in das feindliche Lager bewahrt hatte, auch ein Wörtlein mitreden


Der Bopxarder Krieg

war er offenbar unschlüssig, wohin er seine Schritte lenken sollte: da mit einem¬
mal gewahrte er in einiger Entfernung das Zollhaus, das ihn mit seiner weit-
geöffneten Tür an den heimatlichen Stall erinnern mochte. Er trottete langsam
darauf los und würde sicher wenig Augenblicke später gleich dem auf Europas
Spuren wandelnden Zeus mitten uuter den schlafenden Stadtknechten gestanden
haben, wenn ihm nicht die rüstige Billa zuvorgekommen wäre und mit bewunderungs¬
würdiger Geistesgegenwart das Tor des feindlichen Lagers vor der Nase zuge¬
schlagen hätte. Das verblüffte ihn so, daß er sich von seinen Verfolgern nun willig
bei den Hörnern fassen und im Sturmschritt an den Ort seiner Bestimmung
führen ließ.

Die Zugbrücke war kaum wieder emporgewunden worden, der Nachen kaum
vom Ufer abgestoßen, als die Ablösungsmannschaft vor dem Zollhause erschien. Sie
hörte noch die Ruderschläge der über den Strom setzenden Schiffer, vernahm auch
den Lcirm in der Burg, vermochte aber, als sie den Zusammenhang zwischen dem
Malvasierfäßlein, dem schnell entschwindenden Fahrzeug und dem dumpfen Gebrüll
im Burghofe erraten hatte, nichts weiter zu tun, als sich nach einem vergeblichen
Versuche, die Kameraden zu wecken, mit dem kärglichen Reste des edeln Weines für
die Überraschung und den Ärger zu entschädigen.

Die Belagerten verzichteten diesesmal auf die gewohnte Nachtruhe und machten
sich, nachdem sie den einen der Ochsen in den verwaisten Pferdestall gestellt und
der Obhut Nickels anvertraut hatten, sofort ans Werk, das zweite der Tiere zu
schlachten.

Zum Glück war unter der kleinen Besatzung ein Mann, der sich auf diese
Hantierung verstand: der Bote Engel Schwabe. Er hatte das Metzgerhandwcrk
erlernt und war viele Jahre lang zum Vieheinkauf über Land gezogen. Dabei
war ihm das Nebenamt der Briefbeförderung von Stadt zu Stadt und von Burg
zu Burg allmählich vertrauter und lieber geworden als sein beschwerliches Hand¬
werk, und schließlich hatte er das Schlächterbeil endgiltig mit dem Brieffelleisen
vertauscht und war von Herrn Emmerichs Vorgänger als kurfürstlicher Amtsbote
in Pflicht und Sold genommen worden. Vor einem Vierteljahre noch würde er
die Zumutung, eine Probe seiner blutigen Kunst abzulegen, sicherlich mit Entrüstung
zurückgewiesen haben, jetzt aber, wo ihn die Händel mit der Stadt zwangen, seiner
Wanderlust eine unfreiwillige Beschränkung aufzuerlegen und statt der derbbeschuhten
Füße nur die leichtbeschwingten Gedanken durch das Land schweifen zu lasten, war
er von Herzen froh, zu dem Gewerbe seiner Jugend wieder einmal zurückkehre
und mit Beil und Messer hantieren zu können.

Vor drei Wochen, als man Herrn Emmerichs Roß voni Leben zum Tode be¬
fördert hatte, war Engel Schwabe allerdings auch schon tätig gewesen, aber mehr
beratend als selbst mit zugreifend, denn die Pferdeschlächterei, oder wie er es nannte:
die Schindcrarbeit, vertrug sich nicht mit seiner Reputation als gelernter und von
der Zunft ordnungsgemäß freigesprochner Metzger und konnte von den Schützen
ebensogut ausgeführt werden. Jetzt aber, wo es einen veritabeln Ochsen und
noch dazu einen Westerwalder Ochsen zu schlachten galt, fühlte sich Schwabe als
die wichtigste Person in der Burg. Er, der sonst schweigsam und gegen den Amt¬
mann und die beiden Junker von respektvoller Unterwürfigkeit war, führte jetzt
das große Wort und traf seine Anordnungen, als ob er Plötzlich auf dem kleinen
kurtrierischen Territorium der Höchstgebietende geworden sei, ließ, unbekümmert um
alle Einreden, die Laternen und die Lampen nicht nur aus der Wachtstube und der
Küche, sondern auch aus dem Wohngemache der Herren in den Hof holen und
verteilte aus eigner Machtvollkommenheit die Rollen, die jeder der Burgsassen bei
der Haupt- und Staatsaktion des Schlächters übernehmen sollte. Und in der Tat
fand er bei allen den nötigen Gehorsam. Die Herren lachten, die Schützen murrten,
die alte Billa, die weil sie den Ochsen, dem alle diese Vorbereitungen galten, vor
der Desertion in das feindliche Lager bewahrt hatte, auch ein Wörtlein mitreden


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[0728] Der Bopxarder Krieg war er offenbar unschlüssig, wohin er seine Schritte lenken sollte: da mit einem¬ mal gewahrte er in einiger Entfernung das Zollhaus, das ihn mit seiner weit- geöffneten Tür an den heimatlichen Stall erinnern mochte. Er trottete langsam darauf los und würde sicher wenig Augenblicke später gleich dem auf Europas Spuren wandelnden Zeus mitten uuter den schlafenden Stadtknechten gestanden haben, wenn ihm nicht die rüstige Billa zuvorgekommen wäre und mit bewunderungs¬ würdiger Geistesgegenwart das Tor des feindlichen Lagers vor der Nase zuge¬ schlagen hätte. Das verblüffte ihn so, daß er sich von seinen Verfolgern nun willig bei den Hörnern fassen und im Sturmschritt an den Ort seiner Bestimmung führen ließ. Die Zugbrücke war kaum wieder emporgewunden worden, der Nachen kaum vom Ufer abgestoßen, als die Ablösungsmannschaft vor dem Zollhause erschien. Sie hörte noch die Ruderschläge der über den Strom setzenden Schiffer, vernahm auch den Lcirm in der Burg, vermochte aber, als sie den Zusammenhang zwischen dem Malvasierfäßlein, dem schnell entschwindenden Fahrzeug und dem dumpfen Gebrüll im Burghofe erraten hatte, nichts weiter zu tun, als sich nach einem vergeblichen Versuche, die Kameraden zu wecken, mit dem kärglichen Reste des edeln Weines für die Überraschung und den Ärger zu entschädigen. Die Belagerten verzichteten diesesmal auf die gewohnte Nachtruhe und machten sich, nachdem sie den einen der Ochsen in den verwaisten Pferdestall gestellt und der Obhut Nickels anvertraut hatten, sofort ans Werk, das zweite der Tiere zu schlachten. Zum Glück war unter der kleinen Besatzung ein Mann, der sich auf diese Hantierung verstand: der Bote Engel Schwabe. Er hatte das Metzgerhandwcrk erlernt und war viele Jahre lang zum Vieheinkauf über Land gezogen. Dabei war ihm das Nebenamt der Briefbeförderung von Stadt zu Stadt und von Burg zu Burg allmählich vertrauter und lieber geworden als sein beschwerliches Hand¬ werk, und schließlich hatte er das Schlächterbeil endgiltig mit dem Brieffelleisen vertauscht und war von Herrn Emmerichs Vorgänger als kurfürstlicher Amtsbote in Pflicht und Sold genommen worden. Vor einem Vierteljahre noch würde er die Zumutung, eine Probe seiner blutigen Kunst abzulegen, sicherlich mit Entrüstung zurückgewiesen haben, jetzt aber, wo ihn die Händel mit der Stadt zwangen, seiner Wanderlust eine unfreiwillige Beschränkung aufzuerlegen und statt der derbbeschuhten Füße nur die leichtbeschwingten Gedanken durch das Land schweifen zu lasten, war er von Herzen froh, zu dem Gewerbe seiner Jugend wieder einmal zurückkehre und mit Beil und Messer hantieren zu können. Vor drei Wochen, als man Herrn Emmerichs Roß voni Leben zum Tode be¬ fördert hatte, war Engel Schwabe allerdings auch schon tätig gewesen, aber mehr beratend als selbst mit zugreifend, denn die Pferdeschlächterei, oder wie er es nannte: die Schindcrarbeit, vertrug sich nicht mit seiner Reputation als gelernter und von der Zunft ordnungsgemäß freigesprochner Metzger und konnte von den Schützen ebensogut ausgeführt werden. Jetzt aber, wo es einen veritabeln Ochsen und noch dazu einen Westerwalder Ochsen zu schlachten galt, fühlte sich Schwabe als die wichtigste Person in der Burg. Er, der sonst schweigsam und gegen den Amt¬ mann und die beiden Junker von respektvoller Unterwürfigkeit war, führte jetzt das große Wort und traf seine Anordnungen, als ob er Plötzlich auf dem kleinen kurtrierischen Territorium der Höchstgebietende geworden sei, ließ, unbekümmert um alle Einreden, die Laternen und die Lampen nicht nur aus der Wachtstube und der Küche, sondern auch aus dem Wohngemache der Herren in den Hof holen und verteilte aus eigner Machtvollkommenheit die Rollen, die jeder der Burgsassen bei der Haupt- und Staatsaktion des Schlächters übernehmen sollte. Und in der Tat fand er bei allen den nötigen Gehorsam. Die Herren lachten, die Schützen murrten, die alte Billa, die weil sie den Ochsen, dem alle diese Vorbereitungen galten, vor der Desertion in das feindliche Lager bewahrt hatte, auch ein Wörtlein mitreden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/728>, abgerufen am 27.12.2024.