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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Reichsanleihen und preußische Ronsols

Gegen diesen Grundsatz hat auch das Deutsche Reich unzweifelhaft schwer
gesündigt, als es die sozialen Versicherungsgesetze annahm, das zur Deckung
der durch sie verursachten neuen Ausgaben von Bismarck beantragte Tabak¬
monopol aber ablehnte. Seitdem ist des Neichsschuldenmachens kein Ende ge¬
wesen. Und doch genügt ein Blick ans das französische Budget, worin das
Tabakmonopol eine 447 Millionen Franken betragende Einnahme aufweist,
uns vor Augen zu führen, wie viel besser wir getan hätten, den Rat unsers
größten deutschen Staatsmannes zu befolgen. Alle andern bisher eingeführten
Steuern und Abgaben sind kaum ausreichend gewesen, das Defizit zu decken,
konnten also für eine verstärkte Schuldentilgung nicht in Frage kommen.

Es mag paradox klingen, daß ich die gesteigerte Fürsorge für Heer und
Marine auch uuter deu Kredit verbessernden Mitteln genannt habe, wird doch
immer wieder darauf hingewiesen, daß das Deutsche Reich nur deshalb
finanziell auf keinen grünen Zweig kommen könne, weil die Bndgetposten für
die Heer- und Marineausgaben in ständiger Steigerung begriffen seien; daß
solche Argumentationen nach den Erfahrungen der deutschen Geschichte aber
für richtig gehalten und geglaubt werden können, ist für mich nur ein weiterer
Beweis dafür, daß sich viele von uns leider von Franzosen und Engländern
an Nationalgefühl und an Verständnis für große Politik übertreffen lassen.
Und dabei liegt England auf einer unangreifbaren Insel und Frankreich am
Rande des europäischen Kontinents, nur mit einer Großmacht als Nachbarn,
während unser Vaterland im Herzen von Europa liegt und erst seit einem
Menschenalter so stark geworden ist, daß man keine Kriege mehr auf seinem
Boden zu führen wagt. In dem Augenblick, wo irgendeine Großmacht auch nur
von der Wahrscheinlichkeit überzeugt wäre, uns besiegen zu köunen, würde man
wieder über uns herfallen. Das ist eine Tatsache, die niemand bestreiten
wird, der länger im Auslande gelebt und erfahren hat, wie wenig beliebt und
wie herzlich beneidet wir überall sind. Jeder Groschen also, den wir aus¬
geben, um unser Heer und unsre Marine auf der Höhe der modernsten Au-
forderungen zu erhalten, ist eine Versicherungsprämie, die zu zahlen uns der
gesunde Menschenverstand gebietet, und die irgendwie zu beschneiden uns nur
ein unhistorischer, kleinlicher Sinn raten kann. In der Verbindung der kon¬
tinentalen und der ozeanischen Politik liegt die Zukunft einer jeden Weltmacht
begründet. Das Deutsche Reich wird von Tag zu Tag mehr Weltmacht
werden, wenn es unerschütterlich seiue Wehr zu Wasser und zu Lande weiter
ausgestaltet, aber es kann nicht einmal Großmacht bleiben, sobald es aufhört,
alles an die Erfüllung dieser Aufgabe zu setzen. Der auswärtige Kredit des
Deutschen Reiches wird immer ein getreues Spiegelbild sein der größern oder
der geringern Wahrscheinlichkeit seiner Bekriegung durch andre Mächte.

Außer den von mir vorgeschlagnen Maßnahmen sind von einigen noch
andre Forderungen zur Hebung und zur Stabilisierung der Kurse unsrer
Reichs- und Staatsanleihen erhoben worden, so insbesondre das Verlangen
nach einer stärkern Vermehrung des heimischen Goldvorrats. Große Gold¬
vorräte eines Landes sind in der Regel auch die Begleiterscheinung niedriger
Zinssätze und verhältnismüßig hoher Kurse seiner Staatspapiere. Im Falle


Deutsche Reichsanleihen und preußische Ronsols

Gegen diesen Grundsatz hat auch das Deutsche Reich unzweifelhaft schwer
gesündigt, als es die sozialen Versicherungsgesetze annahm, das zur Deckung
der durch sie verursachten neuen Ausgaben von Bismarck beantragte Tabak¬
monopol aber ablehnte. Seitdem ist des Neichsschuldenmachens kein Ende ge¬
wesen. Und doch genügt ein Blick ans das französische Budget, worin das
Tabakmonopol eine 447 Millionen Franken betragende Einnahme aufweist,
uns vor Augen zu führen, wie viel besser wir getan hätten, den Rat unsers
größten deutschen Staatsmannes zu befolgen. Alle andern bisher eingeführten
Steuern und Abgaben sind kaum ausreichend gewesen, das Defizit zu decken,
konnten also für eine verstärkte Schuldentilgung nicht in Frage kommen.

Es mag paradox klingen, daß ich die gesteigerte Fürsorge für Heer und
Marine auch uuter deu Kredit verbessernden Mitteln genannt habe, wird doch
immer wieder darauf hingewiesen, daß das Deutsche Reich nur deshalb
finanziell auf keinen grünen Zweig kommen könne, weil die Bndgetposten für
die Heer- und Marineausgaben in ständiger Steigerung begriffen seien; daß
solche Argumentationen nach den Erfahrungen der deutschen Geschichte aber
für richtig gehalten und geglaubt werden können, ist für mich nur ein weiterer
Beweis dafür, daß sich viele von uns leider von Franzosen und Engländern
an Nationalgefühl und an Verständnis für große Politik übertreffen lassen.
Und dabei liegt England auf einer unangreifbaren Insel und Frankreich am
Rande des europäischen Kontinents, nur mit einer Großmacht als Nachbarn,
während unser Vaterland im Herzen von Europa liegt und erst seit einem
Menschenalter so stark geworden ist, daß man keine Kriege mehr auf seinem
Boden zu führen wagt. In dem Augenblick, wo irgendeine Großmacht auch nur
von der Wahrscheinlichkeit überzeugt wäre, uns besiegen zu köunen, würde man
wieder über uns herfallen. Das ist eine Tatsache, die niemand bestreiten
wird, der länger im Auslande gelebt und erfahren hat, wie wenig beliebt und
wie herzlich beneidet wir überall sind. Jeder Groschen also, den wir aus¬
geben, um unser Heer und unsre Marine auf der Höhe der modernsten Au-
forderungen zu erhalten, ist eine Versicherungsprämie, die zu zahlen uns der
gesunde Menschenverstand gebietet, und die irgendwie zu beschneiden uns nur
ein unhistorischer, kleinlicher Sinn raten kann. In der Verbindung der kon¬
tinentalen und der ozeanischen Politik liegt die Zukunft einer jeden Weltmacht
begründet. Das Deutsche Reich wird von Tag zu Tag mehr Weltmacht
werden, wenn es unerschütterlich seiue Wehr zu Wasser und zu Lande weiter
ausgestaltet, aber es kann nicht einmal Großmacht bleiben, sobald es aufhört,
alles an die Erfüllung dieser Aufgabe zu setzen. Der auswärtige Kredit des
Deutschen Reiches wird immer ein getreues Spiegelbild sein der größern oder
der geringern Wahrscheinlichkeit seiner Bekriegung durch andre Mächte.

Außer den von mir vorgeschlagnen Maßnahmen sind von einigen noch
andre Forderungen zur Hebung und zur Stabilisierung der Kurse unsrer
Reichs- und Staatsanleihen erhoben worden, so insbesondre das Verlangen
nach einer stärkern Vermehrung des heimischen Goldvorrats. Große Gold¬
vorräte eines Landes sind in der Regel auch die Begleiterscheinung niedriger
Zinssätze und verhältnismüßig hoher Kurse seiner Staatspapiere. Im Falle


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[0071] Deutsche Reichsanleihen und preußische Ronsols Gegen diesen Grundsatz hat auch das Deutsche Reich unzweifelhaft schwer gesündigt, als es die sozialen Versicherungsgesetze annahm, das zur Deckung der durch sie verursachten neuen Ausgaben von Bismarck beantragte Tabak¬ monopol aber ablehnte. Seitdem ist des Neichsschuldenmachens kein Ende ge¬ wesen. Und doch genügt ein Blick ans das französische Budget, worin das Tabakmonopol eine 447 Millionen Franken betragende Einnahme aufweist, uns vor Augen zu führen, wie viel besser wir getan hätten, den Rat unsers größten deutschen Staatsmannes zu befolgen. Alle andern bisher eingeführten Steuern und Abgaben sind kaum ausreichend gewesen, das Defizit zu decken, konnten also für eine verstärkte Schuldentilgung nicht in Frage kommen. Es mag paradox klingen, daß ich die gesteigerte Fürsorge für Heer und Marine auch uuter deu Kredit verbessernden Mitteln genannt habe, wird doch immer wieder darauf hingewiesen, daß das Deutsche Reich nur deshalb finanziell auf keinen grünen Zweig kommen könne, weil die Bndgetposten für die Heer- und Marineausgaben in ständiger Steigerung begriffen seien; daß solche Argumentationen nach den Erfahrungen der deutschen Geschichte aber für richtig gehalten und geglaubt werden können, ist für mich nur ein weiterer Beweis dafür, daß sich viele von uns leider von Franzosen und Engländern an Nationalgefühl und an Verständnis für große Politik übertreffen lassen. Und dabei liegt England auf einer unangreifbaren Insel und Frankreich am Rande des europäischen Kontinents, nur mit einer Großmacht als Nachbarn, während unser Vaterland im Herzen von Europa liegt und erst seit einem Menschenalter so stark geworden ist, daß man keine Kriege mehr auf seinem Boden zu führen wagt. In dem Augenblick, wo irgendeine Großmacht auch nur von der Wahrscheinlichkeit überzeugt wäre, uns besiegen zu köunen, würde man wieder über uns herfallen. Das ist eine Tatsache, die niemand bestreiten wird, der länger im Auslande gelebt und erfahren hat, wie wenig beliebt und wie herzlich beneidet wir überall sind. Jeder Groschen also, den wir aus¬ geben, um unser Heer und unsre Marine auf der Höhe der modernsten Au- forderungen zu erhalten, ist eine Versicherungsprämie, die zu zahlen uns der gesunde Menschenverstand gebietet, und die irgendwie zu beschneiden uns nur ein unhistorischer, kleinlicher Sinn raten kann. In der Verbindung der kon¬ tinentalen und der ozeanischen Politik liegt die Zukunft einer jeden Weltmacht begründet. Das Deutsche Reich wird von Tag zu Tag mehr Weltmacht werden, wenn es unerschütterlich seiue Wehr zu Wasser und zu Lande weiter ausgestaltet, aber es kann nicht einmal Großmacht bleiben, sobald es aufhört, alles an die Erfüllung dieser Aufgabe zu setzen. Der auswärtige Kredit des Deutschen Reiches wird immer ein getreues Spiegelbild sein der größern oder der geringern Wahrscheinlichkeit seiner Bekriegung durch andre Mächte. Außer den von mir vorgeschlagnen Maßnahmen sind von einigen noch andre Forderungen zur Hebung und zur Stabilisierung der Kurse unsrer Reichs- und Staatsanleihen erhoben worden, so insbesondre das Verlangen nach einer stärkern Vermehrung des heimischen Goldvorrats. Große Gold¬ vorräte eines Landes sind in der Regel auch die Begleiterscheinung niedriger Zinssätze und verhältnismüßig hoher Kurse seiner Staatspapiere. Im Falle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/71>, abgerufen am 24.07.2024.