Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.Der gerichtliche Zwangsvergleich außerhalb des Konkurses also, UM den Zweck einer "ehrlichen und anständigen Auseinandersetzung" des So lehren die Anhänger dieser neuen Rechtseinrichtung, deren Wert oder Die Gesetzgebungen früherer Zeiten kannten sogenannte "Moratorien" Der gerichtliche Zwangsvergleich außerhalb des Konkurses also, UM den Zweck einer „ehrlichen und anständigen Auseinandersetzung" des So lehren die Anhänger dieser neuen Rechtseinrichtung, deren Wert oder Die Gesetzgebungen früherer Zeiten kannten sogenannte „Moratorien" <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0688" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299729"/> <fw type="header" place="top"> Der gerichtliche Zwangsvergleich außerhalb des Konkurses</fw><lb/> <p xml:id="ID_3044" prev="#ID_3043"> also, UM den Zweck einer „ehrlichen und anständigen Auseinandersetzung" des<lb/> Schuldners mit den Gläubigern zu erreichen, nach dem Vorbilde ausländischer<lb/> Gesetzgebungen auch in Deutschland den „Prüventivakkord" einführen, also ein<lb/> Zivangsvergleichsverfahren, das unter Mitwirkung des Gerichts, jedoch ohne<lb/> Eröffnung des Konkurses stattfinden soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_3045"> So lehren die Anhänger dieser neuen Rechtseinrichtung, deren Wert oder<lb/> Unwert im folgenden geprüft werden soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_3046" next="#ID_3047"> Die Gesetzgebungen früherer Zeiten kannten sogenannte „Moratorien"<lb/> oder „Jndulte". Das Gericht konnte dem Schuldner auf seinen Antrag unter<lb/> der Voraussetzung, daß die sofortige Vollstreckung den wirtschaftlichen Zusammen¬<lb/> bruch des Schuldners herbeiführen würde, daß durch eine Stundung aber die<lb/> Sicherheit des Gläubigers nicht gefährdet würde, Zahlungsfristen bis zum<lb/> Ablauf von fünf Jahren bewilligen. Diese Moratorien oder Jndulte beruhten<lb/> auf einer eigentümlichen Verquickung von Recht und Billigkeit: das Gericht,<lb/> das durch Urteil die sofortige Zahlungspflicht des Schuldners feststellte, legte<lb/> dem Gläubiger zugleich die Pflicht auf, im Interesse des Schuldners auf die<lb/> Zahlung zu warten. Die richtige Abwägung der vom Gericht hier zu berück¬<lb/> sichtigenden Umstände war außerordentlich schwierig, sodaß die Moratorien<lb/> mehr Unsegen als Segen stifteten, als Ungerechtigkeit und Willkür empfunden<lb/> wurden und unter Hinweis auf die Zulässigkeit einer Lüngstfrist von fünf<lb/> Jahren das Nechtssprichwort entstand: „Quinquennellen gehören in dieHöllen."<lb/> Daß die Rechtseinrichtung der Moratorien nichtsdestoweniger lange erhalten<lb/> blieb, erklärt sich jedoch aus dem damaligen Vollstreckungsmittel der Schuld-<lb/> Haft: der Gläubiger konnte seinen Schuldner zur Erzwingung der Zahlung<lb/> in den Schuldturm setzen lassen; hierdurch wurde dem Schuldner die Möglich¬<lb/> keit genommen, durch Verwertung seiner Arbeitskraft für seinen und seiner<lb/> Angehörigen Unterhalt zu sorgen, geschweige denn etwas zur Befriedigung<lb/> seiner Gläubiger zu erübrigen; und zur Vermeidung dieses äußersten Übels<lb/> der Schuldhaft waren die Moratorien immerhin ein annehmbares Mittel. Nun<lb/> wurde aber die Schuldhaft im Jahre 1869 für das Gebiet des damaligen<lb/> Norddeutschen Bundes aufgehoben; hiermit fiel auch der letzte Grund für die<lb/> Beibehaltung der Moratorien weg, und sie wurden, soweit sie in mehr oder<lb/> minder abgeschwächter Gestalt in einzelnen Bundesstaaten noch bestanden, durch<lb/> das Einführuugsgesetz zur Zivilprozeßordnung beseitigt. Der Staat ist eben<lb/> nicht berufen, dafür zu sorgen, daß der Gläubiger möglichst schonend gegen<lb/> den Schuldner vorgehe, ebensowenig aber, daß beim wirtschaftlichen Zusammen¬<lb/> bruch des Schuldners die Gläubiger möglichst viel erhalten, und daß keiner<lb/> vor dem andern den Vorzug habe. Von diesem Standpunkt erscheint denn<lb/> auch das Konkursverfahren als eine ganz regelwidrige Einrichtung. Wenn<lb/> ein Schuldner in den Zustand der Zahlungseinstellung gerät, also seine<lb/> Gläubiger nicht mehr befriedigen kann, so leiht der Staat diesen seinen starken<lb/> Arm zur Beitreibung ihrer Forderungen, und die Veitreibung erfolgt, wie es<lb/> die Pandekten bezeichnen, nach dem Grundsatz: ourioZus äsbst osss orsäiwr,<lb/> d. h. jeder Gläubiger mag auf seiner Hut sein; oder wie der Sachsenspiegel<lb/> zutreffend sagt: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst", d. h. der Gläubiger, der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0688]
Der gerichtliche Zwangsvergleich außerhalb des Konkurses
also, UM den Zweck einer „ehrlichen und anständigen Auseinandersetzung" des
Schuldners mit den Gläubigern zu erreichen, nach dem Vorbilde ausländischer
Gesetzgebungen auch in Deutschland den „Prüventivakkord" einführen, also ein
Zivangsvergleichsverfahren, das unter Mitwirkung des Gerichts, jedoch ohne
Eröffnung des Konkurses stattfinden soll.
So lehren die Anhänger dieser neuen Rechtseinrichtung, deren Wert oder
Unwert im folgenden geprüft werden soll.
Die Gesetzgebungen früherer Zeiten kannten sogenannte „Moratorien"
oder „Jndulte". Das Gericht konnte dem Schuldner auf seinen Antrag unter
der Voraussetzung, daß die sofortige Vollstreckung den wirtschaftlichen Zusammen¬
bruch des Schuldners herbeiführen würde, daß durch eine Stundung aber die
Sicherheit des Gläubigers nicht gefährdet würde, Zahlungsfristen bis zum
Ablauf von fünf Jahren bewilligen. Diese Moratorien oder Jndulte beruhten
auf einer eigentümlichen Verquickung von Recht und Billigkeit: das Gericht,
das durch Urteil die sofortige Zahlungspflicht des Schuldners feststellte, legte
dem Gläubiger zugleich die Pflicht auf, im Interesse des Schuldners auf die
Zahlung zu warten. Die richtige Abwägung der vom Gericht hier zu berück¬
sichtigenden Umstände war außerordentlich schwierig, sodaß die Moratorien
mehr Unsegen als Segen stifteten, als Ungerechtigkeit und Willkür empfunden
wurden und unter Hinweis auf die Zulässigkeit einer Lüngstfrist von fünf
Jahren das Nechtssprichwort entstand: „Quinquennellen gehören in dieHöllen."
Daß die Rechtseinrichtung der Moratorien nichtsdestoweniger lange erhalten
blieb, erklärt sich jedoch aus dem damaligen Vollstreckungsmittel der Schuld-
Haft: der Gläubiger konnte seinen Schuldner zur Erzwingung der Zahlung
in den Schuldturm setzen lassen; hierdurch wurde dem Schuldner die Möglich¬
keit genommen, durch Verwertung seiner Arbeitskraft für seinen und seiner
Angehörigen Unterhalt zu sorgen, geschweige denn etwas zur Befriedigung
seiner Gläubiger zu erübrigen; und zur Vermeidung dieses äußersten Übels
der Schuldhaft waren die Moratorien immerhin ein annehmbares Mittel. Nun
wurde aber die Schuldhaft im Jahre 1869 für das Gebiet des damaligen
Norddeutschen Bundes aufgehoben; hiermit fiel auch der letzte Grund für die
Beibehaltung der Moratorien weg, und sie wurden, soweit sie in mehr oder
minder abgeschwächter Gestalt in einzelnen Bundesstaaten noch bestanden, durch
das Einführuugsgesetz zur Zivilprozeßordnung beseitigt. Der Staat ist eben
nicht berufen, dafür zu sorgen, daß der Gläubiger möglichst schonend gegen
den Schuldner vorgehe, ebensowenig aber, daß beim wirtschaftlichen Zusammen¬
bruch des Schuldners die Gläubiger möglichst viel erhalten, und daß keiner
vor dem andern den Vorzug habe. Von diesem Standpunkt erscheint denn
auch das Konkursverfahren als eine ganz regelwidrige Einrichtung. Wenn
ein Schuldner in den Zustand der Zahlungseinstellung gerät, also seine
Gläubiger nicht mehr befriedigen kann, so leiht der Staat diesen seinen starken
Arm zur Beitreibung ihrer Forderungen, und die Veitreibung erfolgt, wie es
die Pandekten bezeichnen, nach dem Grundsatz: ourioZus äsbst osss orsäiwr,
d. h. jeder Gläubiger mag auf seiner Hut sein; oder wie der Sachsenspiegel
zutreffend sagt: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst", d. h. der Gläubiger, der
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