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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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San Francisco und die deutschen Feuerverstcherer

Gegenseitigkeitsgesellschaften sind vermöge des von ihnen in die Praxis über¬
tragnen Grundsatzes der Beschränkung des einzelnen Risikos bei Ausdehnung
des Gesamtbetriebes sowie durch viel stärkere Anwendung der Rückversicherung
unendlich viel besser in der Lage, solche Katastrophen zu ertragen. Zahlen¬
beispiele neben die obengenannten von Hamburg und Berlin zu stellen, ist nicht
angängig, da es unmöglich ist, zu ermitteln, welche Werte an Mobilien und
Waren jede einzelne Gesellschaft in Hamburg oder in Berlin versichert, wieviel
sie davon in Rückdeckung gegeben hat, und wieviel sie auf eigne Rechnung be¬
hält. Kehren wir darum wieder zu dem Beispiel von San Francisco zurück
und fragen, ob die dort beteiligten deutschen Gesellschaften ihren Verpflichtungen
nachkommen könnten, wenn sie dort überhaupt welche hätten, d. h. wenn die
Brandschäden der Katastrophe auf Grund der Versicherungsverträge ersetzt werden
müßten. Trotz den großen Summen, um die es sich dabei handelt, wird man
diese Frage wohl für alle in Betracht kommenden deutschen Gesellschaften ruhig
bejahen können. Beweisen kann man das freilich vorläufig nur für einzelne
Gesellschaften, aber gerade für die, die nach den Zeitungsnachrichten am schwersten
betroffen sein sollen. Die "Aachen-Münchner" rechnete nach eigner Angabe
ihrer Direktion mit einem Verlust von drei Millionen Dollar und hat deshalb
ihre Generalversammlung, die die Verteilung von 100 Prozent Dividende be¬
schließen sollte, bis zum Eintreffen genauerer Nachrichten verschoben. Sie hat,
wie es scheint, nichts rückgedeckt; der Verlust würde sie darum etwa den Gewinn
des letzten Jahres und nicht ganz die Hälfte ihrer Reserven, die mehr als acht¬
zehn Millionen betragen, kosten, also immerhin zu ertragen sein. Und da sie
in ihren kalifornischen Policen die Erdbebenklausel nicht hat, so verlautet, daß
sie "als Reklame" tatsächlich zahlen will. Die "Rhein und Mosel" in Stra߬
burg ist durch den Wortlaut ihrer Policen besser gedeckt; nach einer Newyorker
Kabelmeldung sollte diese Gesellschaft "am schwersten getroffen" sein; tatsächlich
ist sie wahrscheinlich am besten weggekommen, obwohl sie in den verbrannten
Stadtteilen von San Franciso 4^ Millionen Dollar Versicherungssumme deckt;
denn sie hat sich trotz ihrem reichlichen Reservenbesitze sehr stark rückversichert,
und ihre Rückversicherer sind vollständig leistungsfähig; müßte sie zahlen, so
würde sie das kaum die Hälfte eines guten Jahresgewinnes kosten. Die
"Hamburg-Bremer" in Hamburg soll eine Million Dollar für eigne Rechnung
im Feuer gehabt haben. Bei einer Prämieneinnahme von 13 Millionen Mark
und 31/2 Millionen verwendbaren Kapitalbesitzes würde auch sie ihren Ver¬
pflichtungen gerecht werden können. Dasselbe kann man ohne weiteres von
der "Preußischen National" in Stettin und auch von der "Transatlantischen"
und der "Norddeutschen" in Hamburg annehmen, deren mutmaßliche Schaden¬
beträge noch nicht bekannt sind.

Nun haben Neunmalweise in patriotischer Empörung auch die Frage auf¬
geworfen: Was haben denn aber die putschen Gesellschaften überhaupt in Amerika
M suchen? Was geht die "Rhein und Mosel" in Straßburg oder die "Preußische
National" in Stettin denn Kalifornien an? Die Antwort auf diese Frage ist
schon angedeutet worden. Eine verständige Verstcherungsunternehmung muß
in die Weite schweifen; denn das entspricht der Grundaufgabe der Versicherung


Grenzboten II 1306 81
San Francisco und die deutschen Feuerverstcherer

Gegenseitigkeitsgesellschaften sind vermöge des von ihnen in die Praxis über¬
tragnen Grundsatzes der Beschränkung des einzelnen Risikos bei Ausdehnung
des Gesamtbetriebes sowie durch viel stärkere Anwendung der Rückversicherung
unendlich viel besser in der Lage, solche Katastrophen zu ertragen. Zahlen¬
beispiele neben die obengenannten von Hamburg und Berlin zu stellen, ist nicht
angängig, da es unmöglich ist, zu ermitteln, welche Werte an Mobilien und
Waren jede einzelne Gesellschaft in Hamburg oder in Berlin versichert, wieviel
sie davon in Rückdeckung gegeben hat, und wieviel sie auf eigne Rechnung be¬
hält. Kehren wir darum wieder zu dem Beispiel von San Francisco zurück
und fragen, ob die dort beteiligten deutschen Gesellschaften ihren Verpflichtungen
nachkommen könnten, wenn sie dort überhaupt welche hätten, d. h. wenn die
Brandschäden der Katastrophe auf Grund der Versicherungsverträge ersetzt werden
müßten. Trotz den großen Summen, um die es sich dabei handelt, wird man
diese Frage wohl für alle in Betracht kommenden deutschen Gesellschaften ruhig
bejahen können. Beweisen kann man das freilich vorläufig nur für einzelne
Gesellschaften, aber gerade für die, die nach den Zeitungsnachrichten am schwersten
betroffen sein sollen. Die „Aachen-Münchner" rechnete nach eigner Angabe
ihrer Direktion mit einem Verlust von drei Millionen Dollar und hat deshalb
ihre Generalversammlung, die die Verteilung von 100 Prozent Dividende be¬
schließen sollte, bis zum Eintreffen genauerer Nachrichten verschoben. Sie hat,
wie es scheint, nichts rückgedeckt; der Verlust würde sie darum etwa den Gewinn
des letzten Jahres und nicht ganz die Hälfte ihrer Reserven, die mehr als acht¬
zehn Millionen betragen, kosten, also immerhin zu ertragen sein. Und da sie
in ihren kalifornischen Policen die Erdbebenklausel nicht hat, so verlautet, daß
sie „als Reklame" tatsächlich zahlen will. Die „Rhein und Mosel" in Stra߬
burg ist durch den Wortlaut ihrer Policen besser gedeckt; nach einer Newyorker
Kabelmeldung sollte diese Gesellschaft „am schwersten getroffen" sein; tatsächlich
ist sie wahrscheinlich am besten weggekommen, obwohl sie in den verbrannten
Stadtteilen von San Franciso 4^ Millionen Dollar Versicherungssumme deckt;
denn sie hat sich trotz ihrem reichlichen Reservenbesitze sehr stark rückversichert,
und ihre Rückversicherer sind vollständig leistungsfähig; müßte sie zahlen, so
würde sie das kaum die Hälfte eines guten Jahresgewinnes kosten. Die
„Hamburg-Bremer" in Hamburg soll eine Million Dollar für eigne Rechnung
im Feuer gehabt haben. Bei einer Prämieneinnahme von 13 Millionen Mark
und 31/2 Millionen verwendbaren Kapitalbesitzes würde auch sie ihren Ver¬
pflichtungen gerecht werden können. Dasselbe kann man ohne weiteres von
der „Preußischen National" in Stettin und auch von der „Transatlantischen"
und der „Norddeutschen" in Hamburg annehmen, deren mutmaßliche Schaden¬
beträge noch nicht bekannt sind.

Nun haben Neunmalweise in patriotischer Empörung auch die Frage auf¬
geworfen: Was haben denn aber die putschen Gesellschaften überhaupt in Amerika
M suchen? Was geht die „Rhein und Mosel" in Straßburg oder die „Preußische
National" in Stettin denn Kalifornien an? Die Antwort auf diese Frage ist
schon angedeutet worden. Eine verständige Verstcherungsunternehmung muß
in die Weite schweifen; denn das entspricht der Grundaufgabe der Versicherung


Grenzboten II 1306 81
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/641>, abgerufen am 27.12.2024.