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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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San Francisco und die deutschen Feuerv erstes cree

als einer Einrichtung zur Verteilung drohender Vermögensverluste auf möglichst
viele Schultern, Der deutsche Versicherte darf nicht glauben, daß er es ist, der
den gutgestellten deutschen Versicherungsgesellschaften zu den starken Reserven
verholfen hat, aus deren Kapitalerträgen sie jetzt die hohen Dividenden zahlen,
über die der deutsche Philister die Nasen rümpft, weil er sich einbildet, er bezahle
zu hohe Prämien. Die Statistik zeigt, daß an den deutschen Prämien blutwenig
zu verdienen ist; und wenn die deutschen Gesellschaften deshalb auch im Aus¬
lande Geschäfte zu machen versuchen, so sollten sich der deutsche Aktionär und
der deutsche Versicherte darüber um so weniger aufregen, als er selbst in der
Frage, bei wem er Versicherung nehmen soll, keineswegs immer seine patriotischen
Gefühle mitsprechen läßt, sondern, nicht immer zu seinem Vorteil, bisweilen auch
ausländische Gesellschaften den einheimischen vorzieht. Freizügigkeit und Jnter-
nationcilität gehören zu den Grundpfeilern des Versicherungswesens; auf ihnen
bauend, haben deutsche Solidität und deutscher Unternehmungsgeist auch das
deutsche Versicherungswesen trotz aller staatlichen Bevormundung und Behinderung
zu einer Blüte entwickelt, die ihm erlaubt, auch bei solchen gewaltigen Katastrophen
wie in San Fraucisco, sobald eine vertragsmäßige Zahlungspflicht vorliegt, seine
Leistungsfähigkeit segensreich zu beweisen.

Aber die Frage, ob eine Zahlungspflicht vorhanden ist, muß immer im
Vordergrunde bleiben. Angesichts unendlichen menschlichen Elends soll das
menschliche Herz auch die unendliche Tiefe seiner Mitleidsfähigkeit und seiner
Nächstenliebe zeigen. Wenn die deutschen Versicherungsgesellschaften, die bisher
an dem kalifornischen Geschäft beteiligt waren, aus den etwa für solche Zwecke
verfügbaren Mitteln die reichlichsten Spenden nach Amerika senden, so wird das
diesseits von Herzen gebilligt und drüben dankbar empfunden werden. Aber
das Geschüft selbst muß Geschüft bleiben. Die Versicherung ist keine Mild¬
tätigkeit, sondern ein Rechtsgeschäft. Vielleicht bringt das Unglück von San
Francisco, das vorübergehend Kapitalisten, Aktionäre und Versicherte unsers
Landes für ihre berechtigten Ansprüche hat zittern lassen, auch den einheimischen
Versicherten die gute Lehre, daß die Einhaltung des Geschäftsplans, d. h. die
Befriedigung aller vertragsmäßig gesicherten Ansprüche und die Ablehnung aller
willkürlichen Forderungen die einzig richtige Grundlage eines reellen Versicherungs¬
unternehmens sein kann. Wenn es erlaubt ist, zu einem so trocknen Thema
Schiller zu zitieren, so möchte ich auf seine Worte im Demetrius hinweisen:


Es ist die große Sache aller Staaten
Und Thronen, daß gescheh, was Rechtens ist,
Und jedem auf der Welt das Seine werde;
Denn da, wo die Gerechtigkeit regiert,
Da freut sich jeder, sicher seines Erbs,
Und über jedem Hause, jedem Thron
Schwebt der Vertrag wie eine Cherubswache.

Das gilt auch vom Versicherungsvertrag!


<L. G.


San Francisco und die deutschen Feuerv erstes cree

als einer Einrichtung zur Verteilung drohender Vermögensverluste auf möglichst
viele Schultern, Der deutsche Versicherte darf nicht glauben, daß er es ist, der
den gutgestellten deutschen Versicherungsgesellschaften zu den starken Reserven
verholfen hat, aus deren Kapitalerträgen sie jetzt die hohen Dividenden zahlen,
über die der deutsche Philister die Nasen rümpft, weil er sich einbildet, er bezahle
zu hohe Prämien. Die Statistik zeigt, daß an den deutschen Prämien blutwenig
zu verdienen ist; und wenn die deutschen Gesellschaften deshalb auch im Aus¬
lande Geschäfte zu machen versuchen, so sollten sich der deutsche Aktionär und
der deutsche Versicherte darüber um so weniger aufregen, als er selbst in der
Frage, bei wem er Versicherung nehmen soll, keineswegs immer seine patriotischen
Gefühle mitsprechen läßt, sondern, nicht immer zu seinem Vorteil, bisweilen auch
ausländische Gesellschaften den einheimischen vorzieht. Freizügigkeit und Jnter-
nationcilität gehören zu den Grundpfeilern des Versicherungswesens; auf ihnen
bauend, haben deutsche Solidität und deutscher Unternehmungsgeist auch das
deutsche Versicherungswesen trotz aller staatlichen Bevormundung und Behinderung
zu einer Blüte entwickelt, die ihm erlaubt, auch bei solchen gewaltigen Katastrophen
wie in San Fraucisco, sobald eine vertragsmäßige Zahlungspflicht vorliegt, seine
Leistungsfähigkeit segensreich zu beweisen.

Aber die Frage, ob eine Zahlungspflicht vorhanden ist, muß immer im
Vordergrunde bleiben. Angesichts unendlichen menschlichen Elends soll das
menschliche Herz auch die unendliche Tiefe seiner Mitleidsfähigkeit und seiner
Nächstenliebe zeigen. Wenn die deutschen Versicherungsgesellschaften, die bisher
an dem kalifornischen Geschäft beteiligt waren, aus den etwa für solche Zwecke
verfügbaren Mitteln die reichlichsten Spenden nach Amerika senden, so wird das
diesseits von Herzen gebilligt und drüben dankbar empfunden werden. Aber
das Geschüft selbst muß Geschüft bleiben. Die Versicherung ist keine Mild¬
tätigkeit, sondern ein Rechtsgeschäft. Vielleicht bringt das Unglück von San
Francisco, das vorübergehend Kapitalisten, Aktionäre und Versicherte unsers
Landes für ihre berechtigten Ansprüche hat zittern lassen, auch den einheimischen
Versicherten die gute Lehre, daß die Einhaltung des Geschäftsplans, d. h. die
Befriedigung aller vertragsmäßig gesicherten Ansprüche und die Ablehnung aller
willkürlichen Forderungen die einzig richtige Grundlage eines reellen Versicherungs¬
unternehmens sein kann. Wenn es erlaubt ist, zu einem so trocknen Thema
Schiller zu zitieren, so möchte ich auf seine Worte im Demetrius hinweisen:


Es ist die große Sache aller Staaten
Und Thronen, daß gescheh, was Rechtens ist,
Und jedem auf der Welt das Seine werde;
Denn da, wo die Gerechtigkeit regiert,
Da freut sich jeder, sicher seines Erbs,
Und über jedem Hause, jedem Thron
Schwebt der Vertrag wie eine Cherubswache.

Das gilt auch vom Versicherungsvertrag!


<L. G.


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[0642] San Francisco und die deutschen Feuerv erstes cree als einer Einrichtung zur Verteilung drohender Vermögensverluste auf möglichst viele Schultern, Der deutsche Versicherte darf nicht glauben, daß er es ist, der den gutgestellten deutschen Versicherungsgesellschaften zu den starken Reserven verholfen hat, aus deren Kapitalerträgen sie jetzt die hohen Dividenden zahlen, über die der deutsche Philister die Nasen rümpft, weil er sich einbildet, er bezahle zu hohe Prämien. Die Statistik zeigt, daß an den deutschen Prämien blutwenig zu verdienen ist; und wenn die deutschen Gesellschaften deshalb auch im Aus¬ lande Geschäfte zu machen versuchen, so sollten sich der deutsche Aktionär und der deutsche Versicherte darüber um so weniger aufregen, als er selbst in der Frage, bei wem er Versicherung nehmen soll, keineswegs immer seine patriotischen Gefühle mitsprechen läßt, sondern, nicht immer zu seinem Vorteil, bisweilen auch ausländische Gesellschaften den einheimischen vorzieht. Freizügigkeit und Jnter- nationcilität gehören zu den Grundpfeilern des Versicherungswesens; auf ihnen bauend, haben deutsche Solidität und deutscher Unternehmungsgeist auch das deutsche Versicherungswesen trotz aller staatlichen Bevormundung und Behinderung zu einer Blüte entwickelt, die ihm erlaubt, auch bei solchen gewaltigen Katastrophen wie in San Fraucisco, sobald eine vertragsmäßige Zahlungspflicht vorliegt, seine Leistungsfähigkeit segensreich zu beweisen. Aber die Frage, ob eine Zahlungspflicht vorhanden ist, muß immer im Vordergrunde bleiben. Angesichts unendlichen menschlichen Elends soll das menschliche Herz auch die unendliche Tiefe seiner Mitleidsfähigkeit und seiner Nächstenliebe zeigen. Wenn die deutschen Versicherungsgesellschaften, die bisher an dem kalifornischen Geschäft beteiligt waren, aus den etwa für solche Zwecke verfügbaren Mitteln die reichlichsten Spenden nach Amerika senden, so wird das diesseits von Herzen gebilligt und drüben dankbar empfunden werden. Aber das Geschüft selbst muß Geschüft bleiben. Die Versicherung ist keine Mild¬ tätigkeit, sondern ein Rechtsgeschäft. Vielleicht bringt das Unglück von San Francisco, das vorübergehend Kapitalisten, Aktionäre und Versicherte unsers Landes für ihre berechtigten Ansprüche hat zittern lassen, auch den einheimischen Versicherten die gute Lehre, daß die Einhaltung des Geschäftsplans, d. h. die Befriedigung aller vertragsmäßig gesicherten Ansprüche und die Ablehnung aller willkürlichen Forderungen die einzig richtige Grundlage eines reellen Versicherungs¬ unternehmens sein kann. Wenn es erlaubt ist, zu einem so trocknen Thema Schiller zu zitieren, so möchte ich auf seine Worte im Demetrius hinweisen: Es ist die große Sache aller Staaten Und Thronen, daß gescheh, was Rechtens ist, Und jedem auf der Welt das Seine werde; Denn da, wo die Gerechtigkeit regiert, Da freut sich jeder, sicher seines Erbs, Und über jedem Hause, jedem Thron Schwebt der Vertrag wie eine Cherubswache. Das gilt auch vom Versicherungsvertrag! <L. G.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/642>, abgerufen am 24.07.2024.