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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Salomo von Richard Strauß

klänge eine Berechtigung erweist. Aber ebenso sicher ist es, daß Strauß seine
eminente Gabe für das Auffinden neuer Tonkombinationen zu Spekulationen
mißbraucht, die aus der Kunst hinausführen. In Leipziger Berichten ist die
Stelle der vierten Szene hervorgehoben worden, wo Herodes, durch die Nach¬
richt von der Auferweckung der Toten erschreckt, in A-Moll singt, während
das Orchester in As-Dur spielt. Sie hat außerordentlich viel Parallelstellen,
und diese gipfeln in der Szene der um Religionsfragen zankenden und
streitenden Juden. Da hört man fast immer vier Nachbarn aus der Skala
zugleich, es ist das höchste Maß von ausgesuchten Mißklängen, was nach den
"Todsünden" des Herrn Adalbert von Goldschmidt geboten worden ist. Wozu
aber? Um dem wirklichen Klang eines Gezänks möglichst nahe zu kommen.
Über die zoologischen Anspielungen Joseph Haydns, über Dittersdorfs, Gretrys
Froschspüße schmunzelt man ebenso beifällig wie überOvids: HuamHUÄin srmt
sub A<ma usw. Sie sind kurz und leicht hingeworfen. Wenn aber für solche
Scherze Räuber und Mörder aufgeboten werden, so wird die Sache anders.
Eine solche Verwirrung ist in der Zeit Zolas und des Milieu-Fanatismus
ja begreiflich, aber als Methode macht sie der Musik den Garaus. Die hat
ernstere Pflichten als plattes Leben abzuklatschen, und R. Strauß speziell ist
vorläufig zum Schleppenträger Max Liebermanns noch zu gut. Verschwendet
man die schärfsten Mittel an Lappalien, so schwächt sich deren Kraft für die
wichtigen Fälle. Nicht bloß der Zuhörer ermattet, sondern auch der Komponist
hat kein Pulver mehr, wo es gebraucht wird. Das ist Strauß wiederholt in
seiner Salome passiert, er ist aus diesem Grunde nicht bloß der Darstellung
der Titelheldin viel schuldig geblieben, sondern er steht auch manchen andern
großen Stellen der Dichtung mit matter Erfindung gegenüber. Der Tanz der
sieben Schleier gehört zwar nicht unter diese Rubrik, aber er ist ein Haupt¬
beispiel dafür, wie schwach die Phantasie eines alle Ökonomie verachtenden
Künstlers werden kann.

Ziehen wir die Summe, so lautet sie: eine große Begabung und eine
hervorragende wenn auch einseitige schöpferische Kraft, aber eine künstlerisch
ganz verkehrte Richtung!

Die Leipziger Aufführungen, die zu dem vorstehenden Bericht den Anlaß
geboten haben, entsprachen dem alten guten Ruf des Stadttheaters und ge¬
reichten dem Dirigenten. Kapellmeister Hagel, zur besondern Ehre. Er würde
am besten sagen können, ob immer richtig gesungen worden ist. Wesentliches
kommt darauf bei dieser Oper nicht an.




Grenzboten II 190676
Salomo von Richard Strauß

klänge eine Berechtigung erweist. Aber ebenso sicher ist es, daß Strauß seine
eminente Gabe für das Auffinden neuer Tonkombinationen zu Spekulationen
mißbraucht, die aus der Kunst hinausführen. In Leipziger Berichten ist die
Stelle der vierten Szene hervorgehoben worden, wo Herodes, durch die Nach¬
richt von der Auferweckung der Toten erschreckt, in A-Moll singt, während
das Orchester in As-Dur spielt. Sie hat außerordentlich viel Parallelstellen,
und diese gipfeln in der Szene der um Religionsfragen zankenden und
streitenden Juden. Da hört man fast immer vier Nachbarn aus der Skala
zugleich, es ist das höchste Maß von ausgesuchten Mißklängen, was nach den
„Todsünden" des Herrn Adalbert von Goldschmidt geboten worden ist. Wozu
aber? Um dem wirklichen Klang eines Gezänks möglichst nahe zu kommen.
Über die zoologischen Anspielungen Joseph Haydns, über Dittersdorfs, Gretrys
Froschspüße schmunzelt man ebenso beifällig wie überOvids: HuamHUÄin srmt
sub A<ma usw. Sie sind kurz und leicht hingeworfen. Wenn aber für solche
Scherze Räuber und Mörder aufgeboten werden, so wird die Sache anders.
Eine solche Verwirrung ist in der Zeit Zolas und des Milieu-Fanatismus
ja begreiflich, aber als Methode macht sie der Musik den Garaus. Die hat
ernstere Pflichten als plattes Leben abzuklatschen, und R. Strauß speziell ist
vorläufig zum Schleppenträger Max Liebermanns noch zu gut. Verschwendet
man die schärfsten Mittel an Lappalien, so schwächt sich deren Kraft für die
wichtigen Fälle. Nicht bloß der Zuhörer ermattet, sondern auch der Komponist
hat kein Pulver mehr, wo es gebraucht wird. Das ist Strauß wiederholt in
seiner Salome passiert, er ist aus diesem Grunde nicht bloß der Darstellung
der Titelheldin viel schuldig geblieben, sondern er steht auch manchen andern
großen Stellen der Dichtung mit matter Erfindung gegenüber. Der Tanz der
sieben Schleier gehört zwar nicht unter diese Rubrik, aber er ist ein Haupt¬
beispiel dafür, wie schwach die Phantasie eines alle Ökonomie verachtenden
Künstlers werden kann.

Ziehen wir die Summe, so lautet sie: eine große Begabung und eine
hervorragende wenn auch einseitige schöpferische Kraft, aber eine künstlerisch
ganz verkehrte Richtung!

Die Leipziger Aufführungen, die zu dem vorstehenden Bericht den Anlaß
geboten haben, entsprachen dem alten guten Ruf des Stadttheaters und ge¬
reichten dem Dirigenten. Kapellmeister Hagel, zur besondern Ehre. Er würde
am besten sagen können, ob immer richtig gesungen worden ist. Wesentliches
kommt darauf bei dieser Oper nicht an.




Grenzboten II 190676
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[0597] Salomo von Richard Strauß klänge eine Berechtigung erweist. Aber ebenso sicher ist es, daß Strauß seine eminente Gabe für das Auffinden neuer Tonkombinationen zu Spekulationen mißbraucht, die aus der Kunst hinausführen. In Leipziger Berichten ist die Stelle der vierten Szene hervorgehoben worden, wo Herodes, durch die Nach¬ richt von der Auferweckung der Toten erschreckt, in A-Moll singt, während das Orchester in As-Dur spielt. Sie hat außerordentlich viel Parallelstellen, und diese gipfeln in der Szene der um Religionsfragen zankenden und streitenden Juden. Da hört man fast immer vier Nachbarn aus der Skala zugleich, es ist das höchste Maß von ausgesuchten Mißklängen, was nach den „Todsünden" des Herrn Adalbert von Goldschmidt geboten worden ist. Wozu aber? Um dem wirklichen Klang eines Gezänks möglichst nahe zu kommen. Über die zoologischen Anspielungen Joseph Haydns, über Dittersdorfs, Gretrys Froschspüße schmunzelt man ebenso beifällig wie überOvids: HuamHUÄin srmt sub A<ma usw. Sie sind kurz und leicht hingeworfen. Wenn aber für solche Scherze Räuber und Mörder aufgeboten werden, so wird die Sache anders. Eine solche Verwirrung ist in der Zeit Zolas und des Milieu-Fanatismus ja begreiflich, aber als Methode macht sie der Musik den Garaus. Die hat ernstere Pflichten als plattes Leben abzuklatschen, und R. Strauß speziell ist vorläufig zum Schleppenträger Max Liebermanns noch zu gut. Verschwendet man die schärfsten Mittel an Lappalien, so schwächt sich deren Kraft für die wichtigen Fälle. Nicht bloß der Zuhörer ermattet, sondern auch der Komponist hat kein Pulver mehr, wo es gebraucht wird. Das ist Strauß wiederholt in seiner Salome passiert, er ist aus diesem Grunde nicht bloß der Darstellung der Titelheldin viel schuldig geblieben, sondern er steht auch manchen andern großen Stellen der Dichtung mit matter Erfindung gegenüber. Der Tanz der sieben Schleier gehört zwar nicht unter diese Rubrik, aber er ist ein Haupt¬ beispiel dafür, wie schwach die Phantasie eines alle Ökonomie verachtenden Künstlers werden kann. Ziehen wir die Summe, so lautet sie: eine große Begabung und eine hervorragende wenn auch einseitige schöpferische Kraft, aber eine künstlerisch ganz verkehrte Richtung! Die Leipziger Aufführungen, die zu dem vorstehenden Bericht den Anlaß geboten haben, entsprachen dem alten guten Ruf des Stadttheaters und ge¬ reichten dem Dirigenten. Kapellmeister Hagel, zur besondern Ehre. Er würde am besten sagen können, ob immer richtig gesungen worden ist. Wesentliches kommt darauf bei dieser Oper nicht an. Grenzboten II 190676

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/597>, abgerufen am 30.06.2024.