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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Menschenfrühling

Garten. Auch hier herrschten Einsamkeit und Stille; schweigend streckten die Bäume
ihre kahlen Zweige in den kalten Himmel. Leise knirschte der Hartgefrorne Rasen,
dort, wo die Blumen gestanden hatten, war es leer, und wo Cäsar eingegraben
war, hüpfte ein Vögelchen und zwitscherte leise und heimlich, gerade als wollte
es etwas erzählen. Anneli stand regungslos: der Zorn siel von ihr ab und auch
die große Trauer um etwas unnennbares. Als vom Hans her Tritte schallten, ging
sie ruhig der Frau Doktor entgegen, der sie bis jetzt scheu ausgewichen war.

Nun, Anneli -- die schwarzgekleidete Frau betrachtete sie wehmütig --, ich habe
immer gedacht, du sagtest mir einmal gute" Tag, aber bis jetzt wartete ich vergeblich.

Frau Doktor, Anneli sah sie ehrlich an, ich habe ein bißchen Angst gehabt.

Das wäre nicht nötig gewesen, liebes Kind!

Frau Sudecks Stimme klang freundlich, und sie fragte nach Aureus Lernen,
nach ihrem Unfall, nach der Demoiselle und der Erbschaft, nach allem, worauf
Anneli Antwort geben konnte. Sie sprach auch vernünftig und beantwortete alle
Fragen, aber es war ihr doch eine Erleichterung, als sie, diesesmal durch die Haus¬
tür, wieder gehn konnte.

Von Christel war nicht die Rede gewesen, und ihr Schatten wanderte doch
mit durch den Garten, durch das Haus. Und obgleich Anneli es nur vom Hören¬
sagen wußte, so sah sie sich doch allein und totkrank auf dem Fußboden der Giebel¬
stube liegen und hatte das dunkle Gefühl, daß diese anscheinend so gutmütige Frau
doch keine Liebe gehabt hatte, weder für ihre Tochter noch für das ihr anvertraute Kind.

Allmählich wurde es Frühling. Der See rollte seine grauen Wellen gegen
das Ufer, und die wilden Schwäne zogen gen Norden. Im Schloß wurden zwei
Wohnungen neu besetzt: die der alten Demoiselle und die von Onkel Aurelius, der
seine reiche Cousine geheiratet und keine Freiwohnung mehr nötig hatte. Schwester
Lene hauste noch allein in Hofrat Pankows Wohnung, und von ihm stand eines
schönen Tages etwas im Wochenblatt. Nämlich daß er ein Buch geschrieben hätte,
das überall viel Aussehen erregte, weil es eine Episode aus der Geschichte eines
alten und bekannten Fürstengeschlechts behandelte. In derselben Nummer des
Blattes war auch zu lesen, daß die zwei Erben der Demoiselle Stahl wieder in
die Stadt gekommen wären, um ihre Ansprüche auf das für Anneli Pankow be¬
stimmte Geld geltend zu machen. Leider hatten sie sich gleich wieder erzürnt, und
jeder wollte einen besondern Rechtsanwalt nehmen und für sich selbst die meisten
Ansprüche auf die zehntausend Mark erheben.

So berichtete das Wochenblatt, und obgleich sich Anneli noch immer schlecht
mit der Buchdruckertochter stand, so fand sie es nicht übel, den Pankowschen Namen
zweimal gedruckt zu sehen.

Ans die Erbschaft rechnete sie kaum mehr, es tat ihr nur leid, daß die zwei
Bilderbücher auch mit aufs Rathaus gewandert waren. Da sie sie nicht mehr hatte,
wurden sie ihr lieb. Doch sie fand sich allmählich in alles, wenn sie auch oft zum
Schloß hinausschaute, in der Hoffnung, ihren Onkel bald wieder einmal in seiner
Wohnung zu sehen.

Aber dann kam ein Brief von ihm. Liebe kleine Nichte! Wunderst du dich
auch, daß ich nicht am Schreibtisch oben im Schloß sitze und an meinen Bogen
schreibe? Mir ists sehr verwunderlich, und oft sehne ich mich von ganzen: Herzen
nach dem stillen Platz mit dem Ausblick auf das große, stille Wasser. Aber vor¬
läufig kaun ich die Sehnsucht nur als Gast betrachten, der wohl bei mir einkehren,
dem ich aber nicht folgen darf. Etwas andres ist zu mir gekommen: die Menschen
hier nennen es Ruhm, und es soll etwas schönes sein. Vielleicht bin ich zu alt,
um mich seiner Schöne freuen zu können. Auf meiner Zunge liegt manchmal ein
bittrer Geschmack, und wenn ich Nachts schlafen möchte, nahen sich mir Gestalten
mit vorwurfsvollen Augen. Das sind die Kinder meiner Seele, denen ich Leben
einhauchte, und die lieber bei mir geblieben wären. In meiner stillen Kammer,
ohne Ruhm und Weltlärm.


Menschenfrühling

Garten. Auch hier herrschten Einsamkeit und Stille; schweigend streckten die Bäume
ihre kahlen Zweige in den kalten Himmel. Leise knirschte der Hartgefrorne Rasen,
dort, wo die Blumen gestanden hatten, war es leer, und wo Cäsar eingegraben
war, hüpfte ein Vögelchen und zwitscherte leise und heimlich, gerade als wollte
es etwas erzählen. Anneli stand regungslos: der Zorn siel von ihr ab und auch
die große Trauer um etwas unnennbares. Als vom Hans her Tritte schallten, ging
sie ruhig der Frau Doktor entgegen, der sie bis jetzt scheu ausgewichen war.

Nun, Anneli — die schwarzgekleidete Frau betrachtete sie wehmütig —, ich habe
immer gedacht, du sagtest mir einmal gute» Tag, aber bis jetzt wartete ich vergeblich.

Frau Doktor, Anneli sah sie ehrlich an, ich habe ein bißchen Angst gehabt.

Das wäre nicht nötig gewesen, liebes Kind!

Frau Sudecks Stimme klang freundlich, und sie fragte nach Aureus Lernen,
nach ihrem Unfall, nach der Demoiselle und der Erbschaft, nach allem, worauf
Anneli Antwort geben konnte. Sie sprach auch vernünftig und beantwortete alle
Fragen, aber es war ihr doch eine Erleichterung, als sie, diesesmal durch die Haus¬
tür, wieder gehn konnte.

Von Christel war nicht die Rede gewesen, und ihr Schatten wanderte doch
mit durch den Garten, durch das Haus. Und obgleich Anneli es nur vom Hören¬
sagen wußte, so sah sie sich doch allein und totkrank auf dem Fußboden der Giebel¬
stube liegen und hatte das dunkle Gefühl, daß diese anscheinend so gutmütige Frau
doch keine Liebe gehabt hatte, weder für ihre Tochter noch für das ihr anvertraute Kind.

Allmählich wurde es Frühling. Der See rollte seine grauen Wellen gegen
das Ufer, und die wilden Schwäne zogen gen Norden. Im Schloß wurden zwei
Wohnungen neu besetzt: die der alten Demoiselle und die von Onkel Aurelius, der
seine reiche Cousine geheiratet und keine Freiwohnung mehr nötig hatte. Schwester
Lene hauste noch allein in Hofrat Pankows Wohnung, und von ihm stand eines
schönen Tages etwas im Wochenblatt. Nämlich daß er ein Buch geschrieben hätte,
das überall viel Aussehen erregte, weil es eine Episode aus der Geschichte eines
alten und bekannten Fürstengeschlechts behandelte. In derselben Nummer des
Blattes war auch zu lesen, daß die zwei Erben der Demoiselle Stahl wieder in
die Stadt gekommen wären, um ihre Ansprüche auf das für Anneli Pankow be¬
stimmte Geld geltend zu machen. Leider hatten sie sich gleich wieder erzürnt, und
jeder wollte einen besondern Rechtsanwalt nehmen und für sich selbst die meisten
Ansprüche auf die zehntausend Mark erheben.

So berichtete das Wochenblatt, und obgleich sich Anneli noch immer schlecht
mit der Buchdruckertochter stand, so fand sie es nicht übel, den Pankowschen Namen
zweimal gedruckt zu sehen.

Ans die Erbschaft rechnete sie kaum mehr, es tat ihr nur leid, daß die zwei
Bilderbücher auch mit aufs Rathaus gewandert waren. Da sie sie nicht mehr hatte,
wurden sie ihr lieb. Doch sie fand sich allmählich in alles, wenn sie auch oft zum
Schloß hinausschaute, in der Hoffnung, ihren Onkel bald wieder einmal in seiner
Wohnung zu sehen.

Aber dann kam ein Brief von ihm. Liebe kleine Nichte! Wunderst du dich
auch, daß ich nicht am Schreibtisch oben im Schloß sitze und an meinen Bogen
schreibe? Mir ists sehr verwunderlich, und oft sehne ich mich von ganzen: Herzen
nach dem stillen Platz mit dem Ausblick auf das große, stille Wasser. Aber vor¬
läufig kaun ich die Sehnsucht nur als Gast betrachten, der wohl bei mir einkehren,
dem ich aber nicht folgen darf. Etwas andres ist zu mir gekommen: die Menschen
hier nennen es Ruhm, und es soll etwas schönes sein. Vielleicht bin ich zu alt,
um mich seiner Schöne freuen zu können. Auf meiner Zunge liegt manchmal ein
bittrer Geschmack, und wenn ich Nachts schlafen möchte, nahen sich mir Gestalten
mit vorwurfsvollen Augen. Das sind die Kinder meiner Seele, denen ich Leben
einhauchte, und die lieber bei mir geblieben wären. In meiner stillen Kammer,
ohne Ruhm und Weltlärm.


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[0558] Menschenfrühling Garten. Auch hier herrschten Einsamkeit und Stille; schweigend streckten die Bäume ihre kahlen Zweige in den kalten Himmel. Leise knirschte der Hartgefrorne Rasen, dort, wo die Blumen gestanden hatten, war es leer, und wo Cäsar eingegraben war, hüpfte ein Vögelchen und zwitscherte leise und heimlich, gerade als wollte es etwas erzählen. Anneli stand regungslos: der Zorn siel von ihr ab und auch die große Trauer um etwas unnennbares. Als vom Hans her Tritte schallten, ging sie ruhig der Frau Doktor entgegen, der sie bis jetzt scheu ausgewichen war. Nun, Anneli — die schwarzgekleidete Frau betrachtete sie wehmütig —, ich habe immer gedacht, du sagtest mir einmal gute» Tag, aber bis jetzt wartete ich vergeblich. Frau Doktor, Anneli sah sie ehrlich an, ich habe ein bißchen Angst gehabt. Das wäre nicht nötig gewesen, liebes Kind! Frau Sudecks Stimme klang freundlich, und sie fragte nach Aureus Lernen, nach ihrem Unfall, nach der Demoiselle und der Erbschaft, nach allem, worauf Anneli Antwort geben konnte. Sie sprach auch vernünftig und beantwortete alle Fragen, aber es war ihr doch eine Erleichterung, als sie, diesesmal durch die Haus¬ tür, wieder gehn konnte. Von Christel war nicht die Rede gewesen, und ihr Schatten wanderte doch mit durch den Garten, durch das Haus. Und obgleich Anneli es nur vom Hören¬ sagen wußte, so sah sie sich doch allein und totkrank auf dem Fußboden der Giebel¬ stube liegen und hatte das dunkle Gefühl, daß diese anscheinend so gutmütige Frau doch keine Liebe gehabt hatte, weder für ihre Tochter noch für das ihr anvertraute Kind. Allmählich wurde es Frühling. Der See rollte seine grauen Wellen gegen das Ufer, und die wilden Schwäne zogen gen Norden. Im Schloß wurden zwei Wohnungen neu besetzt: die der alten Demoiselle und die von Onkel Aurelius, der seine reiche Cousine geheiratet und keine Freiwohnung mehr nötig hatte. Schwester Lene hauste noch allein in Hofrat Pankows Wohnung, und von ihm stand eines schönen Tages etwas im Wochenblatt. Nämlich daß er ein Buch geschrieben hätte, das überall viel Aussehen erregte, weil es eine Episode aus der Geschichte eines alten und bekannten Fürstengeschlechts behandelte. In derselben Nummer des Blattes war auch zu lesen, daß die zwei Erben der Demoiselle Stahl wieder in die Stadt gekommen wären, um ihre Ansprüche auf das für Anneli Pankow be¬ stimmte Geld geltend zu machen. Leider hatten sie sich gleich wieder erzürnt, und jeder wollte einen besondern Rechtsanwalt nehmen und für sich selbst die meisten Ansprüche auf die zehntausend Mark erheben. So berichtete das Wochenblatt, und obgleich sich Anneli noch immer schlecht mit der Buchdruckertochter stand, so fand sie es nicht übel, den Pankowschen Namen zweimal gedruckt zu sehen. Ans die Erbschaft rechnete sie kaum mehr, es tat ihr nur leid, daß die zwei Bilderbücher auch mit aufs Rathaus gewandert waren. Da sie sie nicht mehr hatte, wurden sie ihr lieb. Doch sie fand sich allmählich in alles, wenn sie auch oft zum Schloß hinausschaute, in der Hoffnung, ihren Onkel bald wieder einmal in seiner Wohnung zu sehen. Aber dann kam ein Brief von ihm. Liebe kleine Nichte! Wunderst du dich auch, daß ich nicht am Schreibtisch oben im Schloß sitze und an meinen Bogen schreibe? Mir ists sehr verwunderlich, und oft sehne ich mich von ganzen: Herzen nach dem stillen Platz mit dem Ausblick auf das große, stille Wasser. Aber vor¬ läufig kaun ich die Sehnsucht nur als Gast betrachten, der wohl bei mir einkehren, dem ich aber nicht folgen darf. Etwas andres ist zu mir gekommen: die Menschen hier nennen es Ruhm, und es soll etwas schönes sein. Vielleicht bin ich zu alt, um mich seiner Schöne freuen zu können. Auf meiner Zunge liegt manchmal ein bittrer Geschmack, und wenn ich Nachts schlafen möchte, nahen sich mir Gestalten mit vorwurfsvollen Augen. Das sind die Kinder meiner Seele, denen ich Leben einhauchte, und die lieber bei mir geblieben wären. In meiner stillen Kammer, ohne Ruhm und Weltlärm.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/558>, abgerufen am 02.07.2024.