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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Lemnos

graben, die wie im Altertum in kleinen Päckchen, die jetzt die türkische Ne¬
gierung beglaubigt, in den Apotheken verkauft wird. Eine frühere chemische
Untersuchung und eine neue der von mir mitgebrachten Probe hat ergeben,
daß dieser Erde keine besondern medizinischen Eigenschaften innewohnen. Und
doch gilt sie seit Jahrtausenden als heilkräftig! Wie erklärt sich das? Wir
stehn an einer Stätte uralten Gottesdienstes; der Glaube hat auch hier die
Wunder gewirkt. Dichter des fünften Jahrhunderts vor Christo und spätere Nach¬
ahmer singen von einem Berge Mosychlos auf Lemnos, auf dem Flammen
hoch aufloderten. Daraus schloß man auf einen tätigen Vulkan, aber die
Reisenden konnten ihn nicht nachweisen, und deshalb vermutete man, er sei in
das Meer gesunken an einer Stelle, von der noch zu sprechen sein wird. Der
Geograph Partsch hat es zuerst ausgesprochen und bewiesen, daß nicht von
einem Vulkan, sondern von einem Erdfeuer, wie sie auch auf der Balkanhalb-
insel und sonst vorkommen, die Rede sein könne. Dieses flammte also auf dem
niedrigen einförmigen Hügel, auf dem wir stehn; es ist der Mosychlos. Und,
füge ich hinzu, dieses oft kurzlebige Feuer war. als jene Dichter lebten, schon
längst erloschen; das beweisen ältere Sagen und Kultgebräuche, auf die ich
hier nicht eingehn will. Die Erdgöttin und der Fcuerdämon waren auf diesem
Hügel also vermählt, in dieser Erde, die rötlich wie Mennig aussah; deshalb
ist sie heilig und heilkräftig. Von den Zeremonien, die sich hier im Frühling
und im Spätsommer abspielten, haben uns antike Schriftsteller, besonders ein
Lemnier Philostrat, etwa Zeitgenosse Galens, einige wesentliche merkwürdige
Züge bewahrt. Sie find offenbar uralt, weil man in primitiven Gottesdiensten
bei Indianern Nordamerikas und in Hinterindien Parallelen nachweisen kann.
Im Frühjahr wurden alle Feuer auf der Insel gelöscht und nach neuntägigen
Feiern, während deren Männer und Frauen streng getrennt waren, an dem
Erdfeuer neu entzündet, und als dieses erloschen war, an einem Feuer, das
zu Schiff aus Delos geholt worden war. Damit waren alle Sünden gesühnt,
ein neues Jahr begann, ein neues Leben. Manche andre Gebräuche des
Gottesdienstes kann man aus den Sagen zusammentragen, die um diese Insel
gesponnen worden sind, zumal aus der Argonautensage. Aber dieses Götterpaar
~~ der Feuerdümon wurde natürlich zum Hephaistos der Griechen -- blieb
nicht allein; es wurde ihm ein männliches Götterpaar angegliedert, das von
außen hereingetragen worden war, das neben ihnen stand und auch von manchen
später wohl zu ihren Adoptivkindern gemacht worden ist, die Kabiren. Bekannt
sind sie als Schützer der Schiffahrt:

Ihr Hauptsitz war die Jusel Samothrake; bei ihrem Besuch soll auch von
diesen scheinbar rätselhaften Dämonen die Rede sein. Nur so viel sei gesagt,
daß es ursprünglich zwei waren, ein Alter und ein Knabe, und daß sie ursprüng¬
lich der Erdgöttin wesensühnlich waren, der sie angegliedert worden sind. Ihr
Heiligtum, dessen Hauptteil ein großer Säulensaal ähnlich dem von Eleusis


Lemnos

graben, die wie im Altertum in kleinen Päckchen, die jetzt die türkische Ne¬
gierung beglaubigt, in den Apotheken verkauft wird. Eine frühere chemische
Untersuchung und eine neue der von mir mitgebrachten Probe hat ergeben,
daß dieser Erde keine besondern medizinischen Eigenschaften innewohnen. Und
doch gilt sie seit Jahrtausenden als heilkräftig! Wie erklärt sich das? Wir
stehn an einer Stätte uralten Gottesdienstes; der Glaube hat auch hier die
Wunder gewirkt. Dichter des fünften Jahrhunderts vor Christo und spätere Nach¬
ahmer singen von einem Berge Mosychlos auf Lemnos, auf dem Flammen
hoch aufloderten. Daraus schloß man auf einen tätigen Vulkan, aber die
Reisenden konnten ihn nicht nachweisen, und deshalb vermutete man, er sei in
das Meer gesunken an einer Stelle, von der noch zu sprechen sein wird. Der
Geograph Partsch hat es zuerst ausgesprochen und bewiesen, daß nicht von
einem Vulkan, sondern von einem Erdfeuer, wie sie auch auf der Balkanhalb-
insel und sonst vorkommen, die Rede sein könne. Dieses flammte also auf dem
niedrigen einförmigen Hügel, auf dem wir stehn; es ist der Mosychlos. Und,
füge ich hinzu, dieses oft kurzlebige Feuer war. als jene Dichter lebten, schon
längst erloschen; das beweisen ältere Sagen und Kultgebräuche, auf die ich
hier nicht eingehn will. Die Erdgöttin und der Fcuerdämon waren auf diesem
Hügel also vermählt, in dieser Erde, die rötlich wie Mennig aussah; deshalb
ist sie heilig und heilkräftig. Von den Zeremonien, die sich hier im Frühling
und im Spätsommer abspielten, haben uns antike Schriftsteller, besonders ein
Lemnier Philostrat, etwa Zeitgenosse Galens, einige wesentliche merkwürdige
Züge bewahrt. Sie find offenbar uralt, weil man in primitiven Gottesdiensten
bei Indianern Nordamerikas und in Hinterindien Parallelen nachweisen kann.
Im Frühjahr wurden alle Feuer auf der Insel gelöscht und nach neuntägigen
Feiern, während deren Männer und Frauen streng getrennt waren, an dem
Erdfeuer neu entzündet, und als dieses erloschen war, an einem Feuer, das
zu Schiff aus Delos geholt worden war. Damit waren alle Sünden gesühnt,
ein neues Jahr begann, ein neues Leben. Manche andre Gebräuche des
Gottesdienstes kann man aus den Sagen zusammentragen, die um diese Insel
gesponnen worden sind, zumal aus der Argonautensage. Aber dieses Götterpaar
~~ der Feuerdümon wurde natürlich zum Hephaistos der Griechen — blieb
nicht allein; es wurde ihm ein männliches Götterpaar angegliedert, das von
außen hereingetragen worden war, das neben ihnen stand und auch von manchen
später wohl zu ihren Adoptivkindern gemacht worden ist, die Kabiren. Bekannt
sind sie als Schützer der Schiffahrt:

Ihr Hauptsitz war die Jusel Samothrake; bei ihrem Besuch soll auch von
diesen scheinbar rätselhaften Dämonen die Rede sein. Nur so viel sei gesagt,
daß es ursprünglich zwei waren, ein Alter und ein Knabe, und daß sie ursprüng¬
lich der Erdgöttin wesensühnlich waren, der sie angegliedert worden sind. Ihr
Heiligtum, dessen Hauptteil ein großer Säulensaal ähnlich dem von Eleusis


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/551>, abgerufen am 29.12.2024.