Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.Lemnos war, da auch hier Mysterien gefeiert wurden, stand auf diesem Hügel neben Eine Viertelstunde nordwestlich von ihm zieht sich der Strand der Purnia- Lemnos war, da auch hier Mysterien gefeiert wurden, stand auf diesem Hügel neben Eine Viertelstunde nordwestlich von ihm zieht sich der Strand der Purnia- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0552" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299593"/> <fw type="header" place="top"> Lemnos</fw><lb/> <p xml:id="ID_2424" prev="#ID_2423"> war, da auch hier Mysterien gefeiert wurden, stand auf diesem Hügel neben<lb/> einem heiligen Haine, worin, wie es scheint, das Feuer loderte; der Hephaistos-<lb/> tempel erhob sich am Fuße des Hügels, Von allem ist über der Erde keine<lb/> Spur zu sehen. Der Hügel wird jetzt bebaut; ich sah ihn mit der reichen<lb/> Vegetation des Mai, von Juli ab mag er so kahl und anscheinend verbrannt<lb/> aussehen, wie ihn Galen beschreibt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2425" next="#ID_2426"> Eine Viertelstunde nordwestlich von ihm zieht sich der Strand der Purnia-<lb/> bucht hin, in die der Nordwind um diese Jahreszeit schon oft starke wei߬<lb/> geränderte Wogen treibt. An ihrem innersten Winkel ein paar Hütten und ein<lb/> 15 bis 20 Meter hoher Hügel mit einem Kirchlein der Pcmagia. Kotschino<lb/> heißt die Stelle, das ist Kokkino, Rotenburg, weil die rötliche Erde so nahe<lb/> ist. Die Pauagia wohnte einst in der Mitte einer doppelten Befestigung des<lb/> Hügels. Aus der Vorhalle steigt man auf sechsundfünfzig ausgetretnen Stufen<lb/> hinab in einen mit einer Kuppel überdeckten kleinen Raum; in ihm sprudelt<lb/> eine schwache Quelle, die trotz der Nähe des Meeres süßes Wasser führt und<lb/> der Besatzung das Trinkwasser lieferte. Ein roher Tisch (Stein auf Stein),<lb/> ein paar schlecht geformte Tonlampen zeugen von der Verehrung der Stätte;<lb/> es ist eben ein Hagiasma. Nicht selten sind die christlichen Kapellen so über<lb/> eine Quelle gesetzt, die Verehrung der Quellgottheit ist geblieben, sie ist nur<lb/> getauft worden. Von den Mauern des Kastells ragen an der Seeseite noch<lb/> von der Seeluft zerfressene Stücke 2 bis 3 Meter hoch auf. Sonst sind die<lb/> Steine gestohlen worden, wie sie aus dem nordöstlich liegenden Hephaistias<lb/> gestohlen worden waren. Erst als diese Stadt untergegangen war, konnte Kokkino<lb/> emporkommen; es ist vielleicht dann erst gegründet worden. Im Jahre 1397<lb/> taucht der Name zum erstenmal in der Überlieferung ans. Kaiser Johann der<lb/> Achte von Byzanz gibt den Ort, mit Gebiet natürlich, seiner Gemahlin Eugenia,<lb/> Tochter von Francesco dem Ersten Gattilusi von Lesbos, als Wittum. Der<lb/> Doppeladler, wie er noch auf einem Stein in der Wand der Kirche zu sehen<lb/> ist, hat manchesmal die Krallen der osmanischen Raubvögel zu spüren be¬<lb/> kommen; aber Kokkino war fest, wenn auch nicht unnahbar wie Kastro (Myrina).<lb/> Denkwürdig ist die Belagerung von 1442. Der Mann, der am 29. Mai 1453<lb/> in der Bresche am Tor des heiligen Romanos in Konstantinopel fiel, entging<lb/> damals hier mit Mühe dem Tode oder der Gefangenschaft. Konstantin der<lb/> Elfte Paläologos hatte 1441 Katharina Gattilusi, eine Nichte der Eugenia,<lb/> geheiratet. Im Jahre 1442 wollte er sie. die ein Kind von ihm unter dem<lb/> Herzen trug, nach Konstantinopel holen. Vielleicht schon von türkischen Korsaren<lb/> verfolgt, gelangten sie nach Kokkino und wurden siebenundzwanzig Tage lang<lb/> belagert. Endlich mußten die Türken mit blutigen Köpfen abziehn, aber<lb/> Katharina starb infolge der Leiden und der Schrecken und wurde in Kastro<lb/> beigesetzt; ihre Grabstätte scheint nicht erhalten zu sein. Ihre Schwester Maria<lb/> kam nach dem Tode des ersten Gemahls um 1445 in den Harem des spätern<lb/> Besiegers ihres Schwagers, des ersten Sultans von Konstantinopel. Ihr<lb/> jüngerer Bruder Niccolo der Zweite wurde 1462 von demselben Mohammed<lb/> dem Zweiten besiegt und mit einer Bogensehne erdrosselt; er war freilich ein<lb/> Scheusal gewesen und hatte vier Jahre vorher seinen ältern Bruder ermorden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0552]
Lemnos
war, da auch hier Mysterien gefeiert wurden, stand auf diesem Hügel neben
einem heiligen Haine, worin, wie es scheint, das Feuer loderte; der Hephaistos-
tempel erhob sich am Fuße des Hügels, Von allem ist über der Erde keine
Spur zu sehen. Der Hügel wird jetzt bebaut; ich sah ihn mit der reichen
Vegetation des Mai, von Juli ab mag er so kahl und anscheinend verbrannt
aussehen, wie ihn Galen beschreibt.
Eine Viertelstunde nordwestlich von ihm zieht sich der Strand der Purnia-
bucht hin, in die der Nordwind um diese Jahreszeit schon oft starke wei߬
geränderte Wogen treibt. An ihrem innersten Winkel ein paar Hütten und ein
15 bis 20 Meter hoher Hügel mit einem Kirchlein der Pcmagia. Kotschino
heißt die Stelle, das ist Kokkino, Rotenburg, weil die rötliche Erde so nahe
ist. Die Pauagia wohnte einst in der Mitte einer doppelten Befestigung des
Hügels. Aus der Vorhalle steigt man auf sechsundfünfzig ausgetretnen Stufen
hinab in einen mit einer Kuppel überdeckten kleinen Raum; in ihm sprudelt
eine schwache Quelle, die trotz der Nähe des Meeres süßes Wasser führt und
der Besatzung das Trinkwasser lieferte. Ein roher Tisch (Stein auf Stein),
ein paar schlecht geformte Tonlampen zeugen von der Verehrung der Stätte;
es ist eben ein Hagiasma. Nicht selten sind die christlichen Kapellen so über
eine Quelle gesetzt, die Verehrung der Quellgottheit ist geblieben, sie ist nur
getauft worden. Von den Mauern des Kastells ragen an der Seeseite noch
von der Seeluft zerfressene Stücke 2 bis 3 Meter hoch auf. Sonst sind die
Steine gestohlen worden, wie sie aus dem nordöstlich liegenden Hephaistias
gestohlen worden waren. Erst als diese Stadt untergegangen war, konnte Kokkino
emporkommen; es ist vielleicht dann erst gegründet worden. Im Jahre 1397
taucht der Name zum erstenmal in der Überlieferung ans. Kaiser Johann der
Achte von Byzanz gibt den Ort, mit Gebiet natürlich, seiner Gemahlin Eugenia,
Tochter von Francesco dem Ersten Gattilusi von Lesbos, als Wittum. Der
Doppeladler, wie er noch auf einem Stein in der Wand der Kirche zu sehen
ist, hat manchesmal die Krallen der osmanischen Raubvögel zu spüren be¬
kommen; aber Kokkino war fest, wenn auch nicht unnahbar wie Kastro (Myrina).
Denkwürdig ist die Belagerung von 1442. Der Mann, der am 29. Mai 1453
in der Bresche am Tor des heiligen Romanos in Konstantinopel fiel, entging
damals hier mit Mühe dem Tode oder der Gefangenschaft. Konstantin der
Elfte Paläologos hatte 1441 Katharina Gattilusi, eine Nichte der Eugenia,
geheiratet. Im Jahre 1442 wollte er sie. die ein Kind von ihm unter dem
Herzen trug, nach Konstantinopel holen. Vielleicht schon von türkischen Korsaren
verfolgt, gelangten sie nach Kokkino und wurden siebenundzwanzig Tage lang
belagert. Endlich mußten die Türken mit blutigen Köpfen abziehn, aber
Katharina starb infolge der Leiden und der Schrecken und wurde in Kastro
beigesetzt; ihre Grabstätte scheint nicht erhalten zu sein. Ihre Schwester Maria
kam nach dem Tode des ersten Gemahls um 1445 in den Harem des spätern
Besiegers ihres Schwagers, des ersten Sultans von Konstantinopel. Ihr
jüngerer Bruder Niccolo der Zweite wurde 1462 von demselben Mohammed
dem Zweiten besiegt und mit einer Bogensehne erdrosselt; er war freilich ein
Scheusal gewesen und hatte vier Jahre vorher seinen ältern Bruder ermorden
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