Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.Lemnos gardinen der Stolz der Hausfrau, die mit Watte gefütterten und die gewebten Die Dörfer gen Süden -- ihre Namen stehn noch größtenteils in falscher Die Ritte gen Norden brachten mehr ein. Eine halbe Stunde nord¬ Lemnos gardinen der Stolz der Hausfrau, die mit Watte gefütterten und die gewebten Die Dörfer gen Süden — ihre Namen stehn noch größtenteils in falscher Die Ritte gen Norden brachten mehr ein. Eine halbe Stunde nord¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0550" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299591"/> <fw type="header" place="top"> Lemnos</fw><lb/> <p xml:id="ID_2419" prev="#ID_2418"> gardinen der Stolz der Hausfrau, die mit Watte gefütterten und die gewebten<lb/> Decken, aufgeschichtet lagen, ferner die üblichen langen Holzbünke mit Lehnen,<lb/> die mit Decken belegt werden und unserm Sofa entsprechen, und als Besonder¬<lb/> heit jeine Art Küchenschrank, worin oben hinter Glastüren einiges Geschirr<lb/> prangte. Oben in einer Ecke fehlte nicht das Bild der Panagia mit der<lb/> ewigen Lampe davor; am Ersten des Monats kommt der Pope mit Weihwasser,<lb/> und da es gerade der 1. Mui (13. Mai unsers Stils) war, so war schon vor<lb/> Sonnenaufgang ein Strauß von Blumen und Ähren an der Haustür befestigt<lb/> worden,' das bringt Fruchtbarkeit auf dem Felde. Glück bedeutete auch das<lb/> Schwalbenpaar, das im Hausflur sein Nest baute und zwitschernd ein und aus<lb/> flog. Weniger erfreulich war die Mutter der Frau, die das Regiment hatte;<lb/> von ihr gingen wohl die meisten Versuche aus, den Fremden zu schröpfen.<lb/> Unbeschreiblich eng ist der Horizont dieser Dörfler, die ihr Eiland nie verlassen<lb/> haben, der einzige Gang führt Abends und an den vielen Festtagen in das<lb/> Cafe, mit dem das Bakali, der Kaufladen, verbunden ist. Seinem Besitzer ist<lb/> ein großer Teil der Bauern verschuldet; der Handel ist oft noch Tauschhandel<lb/> (für ein El zum Beispiel gab es drei Stücke Zucker). Die Gespräche aber<lb/> drehen sich um Geld und Geldeswert, und wenn sie unbeobachtet sind, um die<lb/> in ihren Augen unerträgliche Fremdherrschaft und das freie Griechenland.</p><lb/> <p xml:id="ID_2420"> Die Dörfer gen Süden — ihre Namen stehn noch größtenteils in falscher<lb/> Schreibung auf den Karten — sind arm an antiken Überresten; das antike<lb/> Zentrum lag eben im Norden. Aber in Komi konnte ich noch gerade die<lb/> Neste von dem Unterbau eines Tempels aufnehmen, der sich nach Inschriften<lb/> als Sitz des Herakles erweisen läßt. Eine neue große Kirche in dem benach¬<lb/> barten Kontopuli hatte das übrige verschlungen; früher retteten die Kapellen<lb/> manches antike Werkstück, manche Inschrift und verstecken sie höchstens unter<lb/> weißer Tünche, jetzt bearbeitet man die Steine und zerstört. In Kammla ging<lb/> ich den merkwürdigen Spuren früherer Besiedlung nach; viele Gräber sind in<lb/> den Felsboden geschnitten. Hier stand auf einer Höhe, die vom Meere aus<lb/> nicht sichtbar und durch zwei Bachläufe gedeckt ist, vielleicht schon eine Siedlung<lb/> der Tyrsener. Das einzige vielbesprochne aber noch immer unentziffertc Schrift¬<lb/> denkmal dieses Volkes ist hier entdeckt worden. Buchstabenfvrmen und die Art<lb/> des Schreibens zeigen die größte Verwandtschaft mit phrygischen Inschriften,<lb/> und mit diesen kleinasiatischen Stämmen waren die vorgriechischen Bewohner<lb/> von Lemnos auch zweifellos verwandt. Mit den Etruskern in Italien hat<lb/> man sie in einen unbewiesnen und unwahrscheinlichen Zusammenhang gebracht.<lb/> Der wohlhabendste Mann des Dorfes war Papa Athanas, der eine sehr zahl¬<lb/> reiche Familie wohl versorgt hatte, einundzwanzigjähriger Wein im Keller<lb/> pflegte und sich seine Nachrichten über Antiken am liebsten recht hoch hätte be¬<lb/> zahlen lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2421" next="#ID_2422"> Die Ritte gen Norden brachten mehr ein. Eine halbe Stunde nord¬<lb/> östlich von Waros läuft der Rücken aus trachytischer Breccia, der die Golfe<lb/> von Mudros und Purnia voneinander scheidet, in die Ebene aus. Auf dieser<lb/> letzten vor dem Abfall 52 Meter messenden Höhe wird am 6. (19.) August im<lb/> Beisein der griechischen und der türkischen Geistlichkeit die lemnische Erde ge-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0550]
Lemnos
gardinen der Stolz der Hausfrau, die mit Watte gefütterten und die gewebten
Decken, aufgeschichtet lagen, ferner die üblichen langen Holzbünke mit Lehnen,
die mit Decken belegt werden und unserm Sofa entsprechen, und als Besonder¬
heit jeine Art Küchenschrank, worin oben hinter Glastüren einiges Geschirr
prangte. Oben in einer Ecke fehlte nicht das Bild der Panagia mit der
ewigen Lampe davor; am Ersten des Monats kommt der Pope mit Weihwasser,
und da es gerade der 1. Mui (13. Mai unsers Stils) war, so war schon vor
Sonnenaufgang ein Strauß von Blumen und Ähren an der Haustür befestigt
worden,' das bringt Fruchtbarkeit auf dem Felde. Glück bedeutete auch das
Schwalbenpaar, das im Hausflur sein Nest baute und zwitschernd ein und aus
flog. Weniger erfreulich war die Mutter der Frau, die das Regiment hatte;
von ihr gingen wohl die meisten Versuche aus, den Fremden zu schröpfen.
Unbeschreiblich eng ist der Horizont dieser Dörfler, die ihr Eiland nie verlassen
haben, der einzige Gang führt Abends und an den vielen Festtagen in das
Cafe, mit dem das Bakali, der Kaufladen, verbunden ist. Seinem Besitzer ist
ein großer Teil der Bauern verschuldet; der Handel ist oft noch Tauschhandel
(für ein El zum Beispiel gab es drei Stücke Zucker). Die Gespräche aber
drehen sich um Geld und Geldeswert, und wenn sie unbeobachtet sind, um die
in ihren Augen unerträgliche Fremdherrschaft und das freie Griechenland.
Die Dörfer gen Süden — ihre Namen stehn noch größtenteils in falscher
Schreibung auf den Karten — sind arm an antiken Überresten; das antike
Zentrum lag eben im Norden. Aber in Komi konnte ich noch gerade die
Neste von dem Unterbau eines Tempels aufnehmen, der sich nach Inschriften
als Sitz des Herakles erweisen läßt. Eine neue große Kirche in dem benach¬
barten Kontopuli hatte das übrige verschlungen; früher retteten die Kapellen
manches antike Werkstück, manche Inschrift und verstecken sie höchstens unter
weißer Tünche, jetzt bearbeitet man die Steine und zerstört. In Kammla ging
ich den merkwürdigen Spuren früherer Besiedlung nach; viele Gräber sind in
den Felsboden geschnitten. Hier stand auf einer Höhe, die vom Meere aus
nicht sichtbar und durch zwei Bachläufe gedeckt ist, vielleicht schon eine Siedlung
der Tyrsener. Das einzige vielbesprochne aber noch immer unentziffertc Schrift¬
denkmal dieses Volkes ist hier entdeckt worden. Buchstabenfvrmen und die Art
des Schreibens zeigen die größte Verwandtschaft mit phrygischen Inschriften,
und mit diesen kleinasiatischen Stämmen waren die vorgriechischen Bewohner
von Lemnos auch zweifellos verwandt. Mit den Etruskern in Italien hat
man sie in einen unbewiesnen und unwahrscheinlichen Zusammenhang gebracht.
Der wohlhabendste Mann des Dorfes war Papa Athanas, der eine sehr zahl¬
reiche Familie wohl versorgt hatte, einundzwanzigjähriger Wein im Keller
pflegte und sich seine Nachrichten über Antiken am liebsten recht hoch hätte be¬
zahlen lassen.
Die Ritte gen Norden brachten mehr ein. Eine halbe Stunde nord¬
östlich von Waros läuft der Rücken aus trachytischer Breccia, der die Golfe
von Mudros und Purnia voneinander scheidet, in die Ebene aus. Auf dieser
letzten vor dem Abfall 52 Meter messenden Höhe wird am 6. (19.) August im
Beisein der griechischen und der türkischen Geistlichkeit die lemnische Erde ge-
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