Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.Aus dem Unglücksjahre ^307 Am 7. Juli wurde der Friede zwischen Frankreich und Rußland unter¬ Am 10. Juni begibt sich auch Percy auf den Heimweg, und wir wollen Überraschend ist die große Ausdehnung der Stadt, die von mehreren Napoleon reist am 13. Juli von Königsberg ab, geradeswegs nach Dresden; Aus dem Unglücksjahre ^307 Am 7. Juli wurde der Friede zwischen Frankreich und Rußland unter¬ Am 10. Juni begibt sich auch Percy auf den Heimweg, und wir wollen Überraschend ist die große Ausdehnung der Stadt, die von mehreren Napoleon reist am 13. Juli von Königsberg ab, geradeswegs nach Dresden; <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0494" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299535"/> <fw type="header" place="top"> Aus dem Unglücksjahre ^307</fw><lb/> <p xml:id="ID_2165"> Am 7. Juli wurde der Friede zwischen Frankreich und Rußland unter¬<lb/> zeichnet, zwei Tage später der mit Preußen. Alles rüstet sich, Tilsit, das nun<lb/> wieder in seine beschauliche Ruhe zurücksinken wird, zu verlassen. Bevor Napoleon<lb/> abreist, findet noch eine große Abschiedszeremonie statt. Vor dem Logis des<lb/> Kaisers Alexander nimmt dessen Garde unter dem Kommando des Großfürsten<lb/> Konstantin Paradeaufstellung; gegenüber steht ein Bataillon französische Garde¬<lb/> jäger. Französische und russische Militärkapellen konzertieren, die letzten mit<lb/> bessern: Erfolge. Bald erscheint Alexander, er wie sein Bruder angetan mit<lb/> dem Großkordon der Ehrenlegion, steigt zu Pferde und begrüßt seine Leute,<lb/> die wie mit einem einzigen Laut auf der ganzen Linie danken. Dann kommt<lb/> Napoleon, geschmückt mit dem blauen Bande des Andreasordens, schreitet die<lb/> russische Aufstellung ab, läßt mit Genehmigung seines Kaisers den ersten Flügel¬<lb/> mann vortreten und bändigt ihm das Kreuz der Ehrenlegion ein, wofür der<lb/> Mann befangen mit Handkuß dankt. Die Zuschauer sind gerührt; ein braver<lb/> Tilsiter Spießbürger neben Percy vergießt Tränen. Die beiden Kaiser ziehn<lb/> sich auf eine volle Stunde zurück. Dann reist Napoleon noch an demselben<lb/> Tage (9. Juli) ab. König Friedrich Wilhelm hat dieser rührenden Abschieds¬<lb/> feier nicht beigewohnt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2166"> Am 10. Juni begibt sich auch Percy auf den Heimweg, und wir wollen<lb/> ihm noch eine Strecke das Geleit geben. Er reist über Labien — unterwegs<lb/> fällt ihm das Barfußgehn der Leute auf; sie müssen doch sehr arm sein! er nimmt<lb/> auch Notiz von dem Großen Friedrichsgraben; gute Unterkunft; vivs I^vian!—<lb/> nach Königsberg, wo er am 12. Juli zur Mittagszeit eintrifft. Hier findet er<lb/> Quartier bei einem Bankier, der seit Monaten mit seinen Kindern in Riga<lb/> weilt und nur die Lehrerin und einen Kommis im Hause zurückgelassen hat.<lb/> Man ist aber sehr gut hier aufgehoben. Das erste, was in die Augen sticht,<lb/> sind die vielen schönen Damen, vollblütig, gesund und elegant gekleidet; sie<lb/> drängen sich, um den Kaiser Napoleon zu sehen. Die Stadt selbst liegt auf<lb/> einer Anhöhe, hat enge, krumme Straßen und ein entsetzliches Pflaster; außer<lb/> ein paar hübschen Häusern sieht man nicht ein bemerkenswertes Gebäude oder<lb/> Monument. Das alte, ehrwürdige Schloß erregt fast Übelbefinden dem, der<lb/> es näher ansieht. Es war ja freilich damals noch mit den häßlichen Anbauten<lb/> verunstaltet, die erst vor wenig Dezennien verschwunden sind. Die medizinische<lb/> Fakultät der Universität ist miserabel, mitleiderregend die Universitäts- und die<lb/> Schloßbibliothek. Der berühmte Kant hat lange Zeit die Köpfe der Lehrer<lb/> und Studenten verwirrt; er muß sehr häßlich gewesen sein, wie seine abscheuliche<lb/> Büste zeigt, die von den Russen zerbrochen und umgestürzt worden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_2167"> Überraschend ist die große Ausdehnung der Stadt, die von mehreren<lb/> Kannten durchschnitten ist (den Pregelarmen und dem Schloßteiche, den Percy<lb/> auch für einen Kanal ansieht). Das Wasser ist braun und stagnierend und<lb/> verbreitet einen pestilenzialischen Geruch — wie zuweilen noch heute in Sommer¬<lb/> tagen —, doch soll darunter die Gesundheit der Leute gar nicht leiden. Nirgends<lb/> hat Percy so viele Heringe essen sehen wie hier; sogar auf der Straße sieht<lb/> man Leute, die rohe Heringe ohne Brot verspeisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2168" next="#ID_2169"> Napoleon reist am 13. Juli von Königsberg ab, geradeswegs nach Dresden;</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0494]
Aus dem Unglücksjahre ^307
Am 7. Juli wurde der Friede zwischen Frankreich und Rußland unter¬
zeichnet, zwei Tage später der mit Preußen. Alles rüstet sich, Tilsit, das nun
wieder in seine beschauliche Ruhe zurücksinken wird, zu verlassen. Bevor Napoleon
abreist, findet noch eine große Abschiedszeremonie statt. Vor dem Logis des
Kaisers Alexander nimmt dessen Garde unter dem Kommando des Großfürsten
Konstantin Paradeaufstellung; gegenüber steht ein Bataillon französische Garde¬
jäger. Französische und russische Militärkapellen konzertieren, die letzten mit
bessern: Erfolge. Bald erscheint Alexander, er wie sein Bruder angetan mit
dem Großkordon der Ehrenlegion, steigt zu Pferde und begrüßt seine Leute,
die wie mit einem einzigen Laut auf der ganzen Linie danken. Dann kommt
Napoleon, geschmückt mit dem blauen Bande des Andreasordens, schreitet die
russische Aufstellung ab, läßt mit Genehmigung seines Kaisers den ersten Flügel¬
mann vortreten und bändigt ihm das Kreuz der Ehrenlegion ein, wofür der
Mann befangen mit Handkuß dankt. Die Zuschauer sind gerührt; ein braver
Tilsiter Spießbürger neben Percy vergießt Tränen. Die beiden Kaiser ziehn
sich auf eine volle Stunde zurück. Dann reist Napoleon noch an demselben
Tage (9. Juli) ab. König Friedrich Wilhelm hat dieser rührenden Abschieds¬
feier nicht beigewohnt.
Am 10. Juni begibt sich auch Percy auf den Heimweg, und wir wollen
ihm noch eine Strecke das Geleit geben. Er reist über Labien — unterwegs
fällt ihm das Barfußgehn der Leute auf; sie müssen doch sehr arm sein! er nimmt
auch Notiz von dem Großen Friedrichsgraben; gute Unterkunft; vivs I^vian!—
nach Königsberg, wo er am 12. Juli zur Mittagszeit eintrifft. Hier findet er
Quartier bei einem Bankier, der seit Monaten mit seinen Kindern in Riga
weilt und nur die Lehrerin und einen Kommis im Hause zurückgelassen hat.
Man ist aber sehr gut hier aufgehoben. Das erste, was in die Augen sticht,
sind die vielen schönen Damen, vollblütig, gesund und elegant gekleidet; sie
drängen sich, um den Kaiser Napoleon zu sehen. Die Stadt selbst liegt auf
einer Anhöhe, hat enge, krumme Straßen und ein entsetzliches Pflaster; außer
ein paar hübschen Häusern sieht man nicht ein bemerkenswertes Gebäude oder
Monument. Das alte, ehrwürdige Schloß erregt fast Übelbefinden dem, der
es näher ansieht. Es war ja freilich damals noch mit den häßlichen Anbauten
verunstaltet, die erst vor wenig Dezennien verschwunden sind. Die medizinische
Fakultät der Universität ist miserabel, mitleiderregend die Universitäts- und die
Schloßbibliothek. Der berühmte Kant hat lange Zeit die Köpfe der Lehrer
und Studenten verwirrt; er muß sehr häßlich gewesen sein, wie seine abscheuliche
Büste zeigt, die von den Russen zerbrochen und umgestürzt worden ist.
Überraschend ist die große Ausdehnung der Stadt, die von mehreren
Kannten durchschnitten ist (den Pregelarmen und dem Schloßteiche, den Percy
auch für einen Kanal ansieht). Das Wasser ist braun und stagnierend und
verbreitet einen pestilenzialischen Geruch — wie zuweilen noch heute in Sommer¬
tagen —, doch soll darunter die Gesundheit der Leute gar nicht leiden. Nirgends
hat Percy so viele Heringe essen sehen wie hier; sogar auf der Straße sieht
man Leute, die rohe Heringe ohne Brot verspeisen.
Napoleon reist am 13. Juli von Königsberg ab, geradeswegs nach Dresden;
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