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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Jahrhundertausstellung in der Nationalgalerie

(1751 bis 1830) besonders in seinem Porträt der Kaiserin Maria Feodorowna
von Rußland (969). Von andern Rokokomalern wie I. Grassi, Fr. Krause
(902 farbig gutes Porträt), Bacciarelli absehend gehn wir gern weiter zu
Anton Graff aus Winterthur (1736 bis 1813 in Dresden). Endlich tritt eine
große Persönlichkeit auf voll Kraft und Charakter, wohltuend in der Frische
und der Klarheit, mit der er im Gegensatz zu den affektierten Techniken des
dekorativen vcrwaschnen Rokoko die Natur erfaßt. Zwar folgt er auf frühen
Bildnissen (618, 621, 626, 633) noch den Lichtneigungen im durchsichtigen
Rosaton des Rokoko, aber die steigende Sicherheit einer bewußten Pinsel¬
führung offenbart mehr und mehr ein neues, festeres Formgefühl. Außer¬
gewöhnlich farbig strahlend in kräftigen Lokaltönen ist das Ganzsigurenbildnis
der Herzogin Philippine Charlotte von Braunschweig (626). Das leuchtend
rote Gewand ist offenbar nur der gelbbraunen Gesichtsfarbe zuliebe gewählt,
die er mit realistischer Treue wiedergibt. Auch an den andern kräftigen Tönen,
die ohne weichliche Übergänge gegeneinanderstehn, merken wir, daß es aus ist
mit der Tändelei im Rokokodämmerschein. So geht denn auch Greiff schlie߬
lich in seinem Selbstporträt (629) und andern (616, 632) zu einem kräftigen,
formgebenden Helldunkel über, bis er in den letzten Jahren eine gewisse,
malerische Breite ganz ohne Lichtkonzentration gewinnt in dem fast modern
anmutenden Porträt des I. I. Mesmer (622). Höchst interessant sind einige
Landschaften von Graff. Zwei verraten deutlich die Anlehnung an die Nieder¬
länder (641, 641 d), zwei andre jedoch sind vorzügliche Stimmungslandschaften
fernab von süßlichen Rokokodunst in kräftiger Breite und saftiger Farbe, fast an
die Franzosen der sechziger Jahre erinnernd (640, 641s).

Als einer der größten, jedenfalls als der größte deutsche Plastiker des
Jahrhunderts offenbart sich Graffs Gegenpol in der Plastik, Gottfried Schadow
(1764 bis 1850). Auch er wächst aus dem Rokoko heraus. Er kennt noch
das ganze technische Raffinement der Porzellanzeit. Aber er vereint damit
eine schlichte Wahrheit der Naturwiedergabe und Frische der Auffassung, sodaß
er uns trotz allem als moderner Künstler und Realist erscheint. Das gut Teil
dekorativen Stilgefühls, das ihm vom Rokoko her noch im Blute saß, ver¬
hinderte, daß er brutal und roh realistisch wurde. Abgesehen von seiner be¬
rühmten Marmorgruppe der beiden Prinzessinnen (2047), der Bronze Friedrichs
des Großen mit den Windspielen (2052) sind einige Büsten wegen der Lebendig¬
keit des Ausdrucks beachtenswert (2055/56) und ebenso die vielen, breit hin-
geworfnen Kopfstudien in der Handzeichnungsabteilung (3017, 3027, 3031,
3061). Ein Meisterstück der Stilisierung der technischen Vollendung ist die
Marmorbüste David Gyllys (2054), von einem an römische Kaiserbüsten er¬
innernden Raffinement der Marmorbehandlung, wo das weiche Fleisch mit dem
spitz und lebhaft in scharfen Lichtern und Schatten flimmernden Lockenbau stark
kontrastiert. Neben Schadow wirkt der Berliner D. Chodowiecki (1726 bis 1801)
noch ganz als das Kind des Rokoko. Die Überschätzung, die man seinen nied¬
lichen Radierungen und Buchillustrationen entgegengebracht hat, reizt vor den
wenig bedeutenden, ganz nach französischem Muster gemalten Bildchen zu direktem
Widerspruch und Tadel.


Die deutsche Jahrhundertausstellung in der Nationalgalerie

(1751 bis 1830) besonders in seinem Porträt der Kaiserin Maria Feodorowna
von Rußland (969). Von andern Rokokomalern wie I. Grassi, Fr. Krause
(902 farbig gutes Porträt), Bacciarelli absehend gehn wir gern weiter zu
Anton Graff aus Winterthur (1736 bis 1813 in Dresden). Endlich tritt eine
große Persönlichkeit auf voll Kraft und Charakter, wohltuend in der Frische
und der Klarheit, mit der er im Gegensatz zu den affektierten Techniken des
dekorativen vcrwaschnen Rokoko die Natur erfaßt. Zwar folgt er auf frühen
Bildnissen (618, 621, 626, 633) noch den Lichtneigungen im durchsichtigen
Rosaton des Rokoko, aber die steigende Sicherheit einer bewußten Pinsel¬
führung offenbart mehr und mehr ein neues, festeres Formgefühl. Außer¬
gewöhnlich farbig strahlend in kräftigen Lokaltönen ist das Ganzsigurenbildnis
der Herzogin Philippine Charlotte von Braunschweig (626). Das leuchtend
rote Gewand ist offenbar nur der gelbbraunen Gesichtsfarbe zuliebe gewählt,
die er mit realistischer Treue wiedergibt. Auch an den andern kräftigen Tönen,
die ohne weichliche Übergänge gegeneinanderstehn, merken wir, daß es aus ist
mit der Tändelei im Rokokodämmerschein. So geht denn auch Greiff schlie߬
lich in seinem Selbstporträt (629) und andern (616, 632) zu einem kräftigen,
formgebenden Helldunkel über, bis er in den letzten Jahren eine gewisse,
malerische Breite ganz ohne Lichtkonzentration gewinnt in dem fast modern
anmutenden Porträt des I. I. Mesmer (622). Höchst interessant sind einige
Landschaften von Graff. Zwei verraten deutlich die Anlehnung an die Nieder¬
länder (641, 641 d), zwei andre jedoch sind vorzügliche Stimmungslandschaften
fernab von süßlichen Rokokodunst in kräftiger Breite und saftiger Farbe, fast an
die Franzosen der sechziger Jahre erinnernd (640, 641s).

Als einer der größten, jedenfalls als der größte deutsche Plastiker des
Jahrhunderts offenbart sich Graffs Gegenpol in der Plastik, Gottfried Schadow
(1764 bis 1850). Auch er wächst aus dem Rokoko heraus. Er kennt noch
das ganze technische Raffinement der Porzellanzeit. Aber er vereint damit
eine schlichte Wahrheit der Naturwiedergabe und Frische der Auffassung, sodaß
er uns trotz allem als moderner Künstler und Realist erscheint. Das gut Teil
dekorativen Stilgefühls, das ihm vom Rokoko her noch im Blute saß, ver¬
hinderte, daß er brutal und roh realistisch wurde. Abgesehen von seiner be¬
rühmten Marmorgruppe der beiden Prinzessinnen (2047), der Bronze Friedrichs
des Großen mit den Windspielen (2052) sind einige Büsten wegen der Lebendig¬
keit des Ausdrucks beachtenswert (2055/56) und ebenso die vielen, breit hin-
geworfnen Kopfstudien in der Handzeichnungsabteilung (3017, 3027, 3031,
3061). Ein Meisterstück der Stilisierung der technischen Vollendung ist die
Marmorbüste David Gyllys (2054), von einem an römische Kaiserbüsten er¬
innernden Raffinement der Marmorbehandlung, wo das weiche Fleisch mit dem
spitz und lebhaft in scharfen Lichtern und Schatten flimmernden Lockenbau stark
kontrastiert. Neben Schadow wirkt der Berliner D. Chodowiecki (1726 bis 1801)
noch ganz als das Kind des Rokoko. Die Überschätzung, die man seinen nied¬
lichen Radierungen und Buchillustrationen entgegengebracht hat, reizt vor den
wenig bedeutenden, ganz nach französischem Muster gemalten Bildchen zu direktem
Widerspruch und Tadel.


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[0479] Die deutsche Jahrhundertausstellung in der Nationalgalerie (1751 bis 1830) besonders in seinem Porträt der Kaiserin Maria Feodorowna von Rußland (969). Von andern Rokokomalern wie I. Grassi, Fr. Krause (902 farbig gutes Porträt), Bacciarelli absehend gehn wir gern weiter zu Anton Graff aus Winterthur (1736 bis 1813 in Dresden). Endlich tritt eine große Persönlichkeit auf voll Kraft und Charakter, wohltuend in der Frische und der Klarheit, mit der er im Gegensatz zu den affektierten Techniken des dekorativen vcrwaschnen Rokoko die Natur erfaßt. Zwar folgt er auf frühen Bildnissen (618, 621, 626, 633) noch den Lichtneigungen im durchsichtigen Rosaton des Rokoko, aber die steigende Sicherheit einer bewußten Pinsel¬ führung offenbart mehr und mehr ein neues, festeres Formgefühl. Außer¬ gewöhnlich farbig strahlend in kräftigen Lokaltönen ist das Ganzsigurenbildnis der Herzogin Philippine Charlotte von Braunschweig (626). Das leuchtend rote Gewand ist offenbar nur der gelbbraunen Gesichtsfarbe zuliebe gewählt, die er mit realistischer Treue wiedergibt. Auch an den andern kräftigen Tönen, die ohne weichliche Übergänge gegeneinanderstehn, merken wir, daß es aus ist mit der Tändelei im Rokokodämmerschein. So geht denn auch Greiff schlie߬ lich in seinem Selbstporträt (629) und andern (616, 632) zu einem kräftigen, formgebenden Helldunkel über, bis er in den letzten Jahren eine gewisse, malerische Breite ganz ohne Lichtkonzentration gewinnt in dem fast modern anmutenden Porträt des I. I. Mesmer (622). Höchst interessant sind einige Landschaften von Graff. Zwei verraten deutlich die Anlehnung an die Nieder¬ länder (641, 641 d), zwei andre jedoch sind vorzügliche Stimmungslandschaften fernab von süßlichen Rokokodunst in kräftiger Breite und saftiger Farbe, fast an die Franzosen der sechziger Jahre erinnernd (640, 641s). Als einer der größten, jedenfalls als der größte deutsche Plastiker des Jahrhunderts offenbart sich Graffs Gegenpol in der Plastik, Gottfried Schadow (1764 bis 1850). Auch er wächst aus dem Rokoko heraus. Er kennt noch das ganze technische Raffinement der Porzellanzeit. Aber er vereint damit eine schlichte Wahrheit der Naturwiedergabe und Frische der Auffassung, sodaß er uns trotz allem als moderner Künstler und Realist erscheint. Das gut Teil dekorativen Stilgefühls, das ihm vom Rokoko her noch im Blute saß, ver¬ hinderte, daß er brutal und roh realistisch wurde. Abgesehen von seiner be¬ rühmten Marmorgruppe der beiden Prinzessinnen (2047), der Bronze Friedrichs des Großen mit den Windspielen (2052) sind einige Büsten wegen der Lebendig¬ keit des Ausdrucks beachtenswert (2055/56) und ebenso die vielen, breit hin- geworfnen Kopfstudien in der Handzeichnungsabteilung (3017, 3027, 3031, 3061). Ein Meisterstück der Stilisierung der technischen Vollendung ist die Marmorbüste David Gyllys (2054), von einem an römische Kaiserbüsten er¬ innernden Raffinement der Marmorbehandlung, wo das weiche Fleisch mit dem spitz und lebhaft in scharfen Lichtern und Schatten flimmernden Lockenbau stark kontrastiert. Neben Schadow wirkt der Berliner D. Chodowiecki (1726 bis 1801) noch ganz als das Kind des Rokoko. Die Überschätzung, die man seinen nied¬ lichen Radierungen und Buchillustrationen entgegengebracht hat, reizt vor den wenig bedeutenden, ganz nach französischem Muster gemalten Bildchen zu direktem Widerspruch und Tadel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/479>, abgerufen am 27.12.2024.