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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Die Strafstunde

und dann mit mephistophelischen Lächeln erklärt: "Ja, ich bin auch einmal
auf der Schule gewesen!" wurde rettungslos sein Opfer, das heißt manchmal.
Keiner verstand es wie Jsidor, "Spickzettel" zu machen, die er im Augenblick
der Gefahr zu Kugeln ballte und dem Nachbar ins Tintenfaß stopfte; keiner
konnte so gut, wie er, die "chinesische Augenstellung", mit der man zugleich
rechts und links aus des Nachbarn Extcmporaleheft profitierte; keiner war
auch in schlimmen Dingen erfahrner und freute sich mehr des Lebens als
Jsidor, wenn er in seine schmutzigen Tiefen blicken konnte. Doch nicht immer
siegt die Untugend, das Unglück hatte ihn verfolgt, seine Neigung zu "Mecklen¬
burg" und "Giegler" war bekannt geworden und hatte ihn in das Lokal ge¬
führt, wo er bekannt und doch nicht gern war.

Nur ein süßer Trost war ihm geblieben: neben ihm saß der lange Franz
mit dem sommersprossigen Gesicht und den so unergründlich dummschlau
schauenden Augen. Überfülle an Begabung drückte ihn nicht, und auch er ge¬
hörte zu den Leuten, die sich getroffen fühlen mußten, wenn der Klaffenlehrer
bei dem "Genitiv der guten und schlechten Angewohnheiten" die bekannten
Beispiele des rouw et lakoris tu^isus mit bezeichnendem Blick nach
bestimmten Klassengegenden hin zu zitieren pflegte. Jedoch diese sonst so stille
Brust kannte eine Leidenschaft, die ihn oft bis zu strafstundenwürdiger Unauf¬
merksamkeit hinriß: er war ein eifriger und höchst betriebsamer Briefmarken¬
sammler. Als er noch Sextaner war, hatten ihm die "schwarzen Trauersachsen"
und einige exotische Marken als Höchstes vorgeschwebt; jetzt in Tertia redete
er nur in philatelistischen Kunstausdrücken. Worte wie Ganzsachen, Wasser¬
zeichen, Fehldrucke, zurückgezogne Emissionen usw. entrannen in unaufhaltsamem
Strome seinem breiten Munde; in kunstgerechter Übersetzung der Scmskrit-
umschriften indobritischer Marken und in der Auflösung der schmetterlingartigeu
Schriftgebilde älterer türkischer Postzeichen leistete er Verblüffendes. Man
Hütte ihm dieselben Riesenschritte auch auf den geistigen Heerstraßen des
Gymnasiums gegönnt, jedoch das war ihm viel zu gemein! Das konnte ja
jeder, auch der einfältigste Pastorjunge vom Lande! Wozu hatte man denn
diese Arbeitsbienen, wenn man nicht um ein fehlerhaftes, erkaupcltes Marken¬
exemplar von ihnen eine Präparation, eine Aufsatzskizze, ja ein völliges
Skriptum eintauschen konnte? Zum Unglück für Franz war aber Dr. Hilde
früher zu viel "auch einmal auf der Schule gewesen" und hatte ihm gerade
in dem Augenblick eine "dreieckige Kap der guten Hoffnung" weggenommen,
als er sie seinem Nachbar, Pastors Ludwig aus Nadefelde, für die sorgfältige
und sauber angefertigte Ovidpräparation überantworten wollte.

Und nun saß er hier und büßte! Da er sich durch Schaden nicht be¬
lehren ließ, sondern nach dem Grundsatz handelte: (zorsairs, oorsairs et
äsmi! so hatte er schon seine Strafarbeit für irgendeine Marke, die er seinem
davon überquellenden Portemonnaie entnahm, eingetauscht und abgeschrieben.
Anscheinend höchst eifrig beschäftigt, ließ er bisweilen die Augen und wohl
auch die Hand unter die Tafel gleiten und betrachtete liebäugelnd ein seltnes,
ruppig aussehendes Briefmarkenexemplar, eine graue "Dreißig" aus Brasilien,
die er einem Nichtkenner mit fabelhafter Zungengewandtheit abgeschwätzt hatte,
und in seines Geistes Tiefe schwebte ihm eine "unlädierte rote Dreier-Sachsen"
vor, die er mit weit mehr Respekt zu nennen pflegte als Vater und Mutter,
von seinen Lehrern gar nicht zu reden.

Für sein armes Opfer, den Ludwig vom Lande mit den zu kurzen Hosen
und den unzureichenden Jackenärmeln, der von seiner Missetat rein gar nichts
gehabt hatte, hatte er nur ein mitleidiges grimmiges Achselzucken. "Wenn
der Kerl sich nicht so albern ängstlich umgesehen hätte, wäre dem Moppi -- das
sollte nämlich der etwas kurzhälsige Ordinarius sein -- nichts aufgefallen!"
Und nun folgte noch ein kräftiges Epitheton aus der Schulsprache. Toten-


Die Strafstunde

und dann mit mephistophelischen Lächeln erklärt: „Ja, ich bin auch einmal
auf der Schule gewesen!" wurde rettungslos sein Opfer, das heißt manchmal.
Keiner verstand es wie Jsidor, „Spickzettel" zu machen, die er im Augenblick
der Gefahr zu Kugeln ballte und dem Nachbar ins Tintenfaß stopfte; keiner
konnte so gut, wie er, die „chinesische Augenstellung", mit der man zugleich
rechts und links aus des Nachbarn Extcmporaleheft profitierte; keiner war
auch in schlimmen Dingen erfahrner und freute sich mehr des Lebens als
Jsidor, wenn er in seine schmutzigen Tiefen blicken konnte. Doch nicht immer
siegt die Untugend, das Unglück hatte ihn verfolgt, seine Neigung zu „Mecklen¬
burg" und „Giegler" war bekannt geworden und hatte ihn in das Lokal ge¬
führt, wo er bekannt und doch nicht gern war.

Nur ein süßer Trost war ihm geblieben: neben ihm saß der lange Franz
mit dem sommersprossigen Gesicht und den so unergründlich dummschlau
schauenden Augen. Überfülle an Begabung drückte ihn nicht, und auch er ge¬
hörte zu den Leuten, die sich getroffen fühlen mußten, wenn der Klaffenlehrer
bei dem „Genitiv der guten und schlechten Angewohnheiten" die bekannten
Beispiele des rouw et lakoris tu^isus mit bezeichnendem Blick nach
bestimmten Klassengegenden hin zu zitieren pflegte. Jedoch diese sonst so stille
Brust kannte eine Leidenschaft, die ihn oft bis zu strafstundenwürdiger Unauf¬
merksamkeit hinriß: er war ein eifriger und höchst betriebsamer Briefmarken¬
sammler. Als er noch Sextaner war, hatten ihm die „schwarzen Trauersachsen"
und einige exotische Marken als Höchstes vorgeschwebt; jetzt in Tertia redete
er nur in philatelistischen Kunstausdrücken. Worte wie Ganzsachen, Wasser¬
zeichen, Fehldrucke, zurückgezogne Emissionen usw. entrannen in unaufhaltsamem
Strome seinem breiten Munde; in kunstgerechter Übersetzung der Scmskrit-
umschriften indobritischer Marken und in der Auflösung der schmetterlingartigeu
Schriftgebilde älterer türkischer Postzeichen leistete er Verblüffendes. Man
Hütte ihm dieselben Riesenschritte auch auf den geistigen Heerstraßen des
Gymnasiums gegönnt, jedoch das war ihm viel zu gemein! Das konnte ja
jeder, auch der einfältigste Pastorjunge vom Lande! Wozu hatte man denn
diese Arbeitsbienen, wenn man nicht um ein fehlerhaftes, erkaupcltes Marken¬
exemplar von ihnen eine Präparation, eine Aufsatzskizze, ja ein völliges
Skriptum eintauschen konnte? Zum Unglück für Franz war aber Dr. Hilde
früher zu viel „auch einmal auf der Schule gewesen" und hatte ihm gerade
in dem Augenblick eine „dreieckige Kap der guten Hoffnung" weggenommen,
als er sie seinem Nachbar, Pastors Ludwig aus Nadefelde, für die sorgfältige
und sauber angefertigte Ovidpräparation überantworten wollte.

Und nun saß er hier und büßte! Da er sich durch Schaden nicht be¬
lehren ließ, sondern nach dem Grundsatz handelte: (zorsairs, oorsairs et
äsmi! so hatte er schon seine Strafarbeit für irgendeine Marke, die er seinem
davon überquellenden Portemonnaie entnahm, eingetauscht und abgeschrieben.
Anscheinend höchst eifrig beschäftigt, ließ er bisweilen die Augen und wohl
auch die Hand unter die Tafel gleiten und betrachtete liebäugelnd ein seltnes,
ruppig aussehendes Briefmarkenexemplar, eine graue „Dreißig" aus Brasilien,
die er einem Nichtkenner mit fabelhafter Zungengewandtheit abgeschwätzt hatte,
und in seines Geistes Tiefe schwebte ihm eine „unlädierte rote Dreier-Sachsen"
vor, die er mit weit mehr Respekt zu nennen pflegte als Vater und Mutter,
von seinen Lehrern gar nicht zu reden.

Für sein armes Opfer, den Ludwig vom Lande mit den zu kurzen Hosen
und den unzureichenden Jackenärmeln, der von seiner Missetat rein gar nichts
gehabt hatte, hatte er nur ein mitleidiges grimmiges Achselzucken. „Wenn
der Kerl sich nicht so albern ängstlich umgesehen hätte, wäre dem Moppi — das
sollte nämlich der etwas kurzhälsige Ordinarius sein — nichts aufgefallen!"
Und nun folgte noch ein kräftiges Epitheton aus der Schulsprache. Toten-


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[0446] Die Strafstunde und dann mit mephistophelischen Lächeln erklärt: „Ja, ich bin auch einmal auf der Schule gewesen!" wurde rettungslos sein Opfer, das heißt manchmal. Keiner verstand es wie Jsidor, „Spickzettel" zu machen, die er im Augenblick der Gefahr zu Kugeln ballte und dem Nachbar ins Tintenfaß stopfte; keiner konnte so gut, wie er, die „chinesische Augenstellung", mit der man zugleich rechts und links aus des Nachbarn Extcmporaleheft profitierte; keiner war auch in schlimmen Dingen erfahrner und freute sich mehr des Lebens als Jsidor, wenn er in seine schmutzigen Tiefen blicken konnte. Doch nicht immer siegt die Untugend, das Unglück hatte ihn verfolgt, seine Neigung zu „Mecklen¬ burg" und „Giegler" war bekannt geworden und hatte ihn in das Lokal ge¬ führt, wo er bekannt und doch nicht gern war. Nur ein süßer Trost war ihm geblieben: neben ihm saß der lange Franz mit dem sommersprossigen Gesicht und den so unergründlich dummschlau schauenden Augen. Überfülle an Begabung drückte ihn nicht, und auch er ge¬ hörte zu den Leuten, die sich getroffen fühlen mußten, wenn der Klaffenlehrer bei dem „Genitiv der guten und schlechten Angewohnheiten" die bekannten Beispiele des rouw et lakoris tu^isus mit bezeichnendem Blick nach bestimmten Klassengegenden hin zu zitieren pflegte. Jedoch diese sonst so stille Brust kannte eine Leidenschaft, die ihn oft bis zu strafstundenwürdiger Unauf¬ merksamkeit hinriß: er war ein eifriger und höchst betriebsamer Briefmarken¬ sammler. Als er noch Sextaner war, hatten ihm die „schwarzen Trauersachsen" und einige exotische Marken als Höchstes vorgeschwebt; jetzt in Tertia redete er nur in philatelistischen Kunstausdrücken. Worte wie Ganzsachen, Wasser¬ zeichen, Fehldrucke, zurückgezogne Emissionen usw. entrannen in unaufhaltsamem Strome seinem breiten Munde; in kunstgerechter Übersetzung der Scmskrit- umschriften indobritischer Marken und in der Auflösung der schmetterlingartigeu Schriftgebilde älterer türkischer Postzeichen leistete er Verblüffendes. Man Hütte ihm dieselben Riesenschritte auch auf den geistigen Heerstraßen des Gymnasiums gegönnt, jedoch das war ihm viel zu gemein! Das konnte ja jeder, auch der einfältigste Pastorjunge vom Lande! Wozu hatte man denn diese Arbeitsbienen, wenn man nicht um ein fehlerhaftes, erkaupcltes Marken¬ exemplar von ihnen eine Präparation, eine Aufsatzskizze, ja ein völliges Skriptum eintauschen konnte? Zum Unglück für Franz war aber Dr. Hilde früher zu viel „auch einmal auf der Schule gewesen" und hatte ihm gerade in dem Augenblick eine „dreieckige Kap der guten Hoffnung" weggenommen, als er sie seinem Nachbar, Pastors Ludwig aus Nadefelde, für die sorgfältige und sauber angefertigte Ovidpräparation überantworten wollte. Und nun saß er hier und büßte! Da er sich durch Schaden nicht be¬ lehren ließ, sondern nach dem Grundsatz handelte: (zorsairs, oorsairs et äsmi! so hatte er schon seine Strafarbeit für irgendeine Marke, die er seinem davon überquellenden Portemonnaie entnahm, eingetauscht und abgeschrieben. Anscheinend höchst eifrig beschäftigt, ließ er bisweilen die Augen und wohl auch die Hand unter die Tafel gleiten und betrachtete liebäugelnd ein seltnes, ruppig aussehendes Briefmarkenexemplar, eine graue „Dreißig" aus Brasilien, die er einem Nichtkenner mit fabelhafter Zungengewandtheit abgeschwätzt hatte, und in seines Geistes Tiefe schwebte ihm eine „unlädierte rote Dreier-Sachsen" vor, die er mit weit mehr Respekt zu nennen pflegte als Vater und Mutter, von seinen Lehrern gar nicht zu reden. Für sein armes Opfer, den Ludwig vom Lande mit den zu kurzen Hosen und den unzureichenden Jackenärmeln, der von seiner Missetat rein gar nichts gehabt hatte, hatte er nur ein mitleidiges grimmiges Achselzucken. „Wenn der Kerl sich nicht so albern ängstlich umgesehen hätte, wäre dem Moppi — das sollte nämlich der etwas kurzhälsige Ordinarius sein — nichts aufgefallen!" Und nun folgte noch ein kräftiges Epitheton aus der Schulsprache. Toten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/446>, abgerufen am 29.12.2024.