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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Vie Strafstunde

blickt man Ostermannsätze für Quinta, begutachtet geometrische Analysen, die
ein Untersekundaner "nachreiten" muß, erörtert die Perfekta von ^."t?r^ und
gibt Auskunft, ob die Schmetterlingsblütler wirtelständige Blüten
haben, und entscheidet schließlich, souverän und mit Autoritütsmiene jeden Zweifel
niederschlagend, die Frage, ob es rin oder uns g.rbi-6 heißt, mit Berufung auf
die lateinische Genusregel: ?öinwini Asusris ist nur arvor, arboris. Wehe
aber dem Primaner, der einmal solchen "falschen Analogieschluß" anwenden
wollte! Und nun kommt der Augenblick, wo man Mensch sein, d. h. auf das
Katheder gehn, seine Blicke über das Ganze schweifen lassen oder den Einzelnen
beobachten darf.

Was magst du wohl verbrochen haben, du armer Zehnjähriger mit den
dick verweinten Augenlidern und den deutlichen Spuren der Reue auf den
nicht ganz tadellos gewaschnen Bausbacken? Mit rührendem Eifer sitzt er auf
der vordersten Bank und schreibt in seiner steilen Kinderschrift die Vokabeln
ab, die er früh nicht gewußt hat, weil ihm gerade ein so schöner Bindfaden
eingefallen war, den er "gestern noch ganz gewiß" gehabt hatte, und nach dem
er gerade suchen mußte, durch seelischen Zwang getrieben, als sich die Reihe
des Hersagens ihm bedenklich näherte. Ja freilich, die Weisheit vom neben
ihm brennenden Ukalegon war ihm nicht aufgegangen: weder der Bindfaden
noch die Vokabeln fanden sich, und so war denn der rächende Blitzstrahl: Du
hast nicht ordentlich gelernt! Strafstunde! auf ihn herniedergefahren. Und nun
mußte er um des "lumpigen" Bindfadens willen den Gang in den Zoologischen
Garten aufgeben, zu den Tieren, die es "eigentlich gar nicht gibt"; auch die
genußvolle Betrachtung der "Völkerwiese" mußte er sich versagen, nebst den
gelegentlichen Anbändelversuchen mit den Söhnen der Wildnis, gegen deren
körperliche Berührung ihm seine Mutter eine so unbegreifliche Abneigung zeigt,
daß er es ihr hat mit der Hand versprechen müssen und "wahrhaftig" sagen,
damit es auch sicher nicht geschähe! Ein Murren gegen des Lehrers hartes
Wort kommt in dieser Knabenseele noch nicht auf; er erkennt die volle Be¬
rechtigung der Strafe an; nur die Angst, ob es "herauskommt", daß er hat
brummen müssen, ist es, die sein Inneres bewegt.

Wie mag es wohl in deiner Seele aussehen, du schöner brauner Locken¬
kopf, der du mit so verbissenem Gesicht in deine lateinische Grammatik schaust,
angeblich äußerst eifrig, für den Kenner aber ganz unzweifelhaft mit weit
andern, wohl nicht ganz reinen Gedanken beschäftigt. Ein schöner Knabe,
"bräunlich und hold", der spütgeborne Liebling des reichen Hauses, der Verzug
der eleganten Weltdame, die sich den stolzen' Namen "Mutter" anmaßt, weil
auch sie einmal, widerwillig genug, des Weibes Los hat tragen müssen, und
der Gegenstand stiller und doch heißer Zärtlichkeit des alternden Vaters, der
in dem Einzigen die Erfüllung seiner tiefsten Wünsche sieht. Auch hier ist
der Arrest, der wohlverdiente Arrest, nicht eine Einzelerscheinung, die an sich
genommen und betrachtet werden muß, sondern nur Symptom und Folge¬
erscheinung verkehrter Erziehung: denn man hat dem jungen Mr. Easy erst
zuhause den Kopf groß gemacht. In seinen Babyjahren haben die eleganten
Freundinnen der Mama das "entzückende Kind" herumgegeben und abgeküßt;
dann hat man sich über die naiv-drolligen Antworten des Vierjährigen köstlich
amüsiert. "Was hat er gesagt?" ist die stete Frage gewesen; mit der Zeit
sind dem heranwachsenden Jungen neben Drolligkeiten auch Unarten und Bos¬
heiten entfahren; und wiederum hat der weibliche Chorus dies bewundert und
den Abcschützen als Ausbund von Geist und Überlegenheit erklärt. Was
Wunder, daß sich dieser Seele das "Erlaubt ist, was gefällt!" in rein egoistischer
Weise einprägte, und es ihm schon als Knaben in Sexta als ein Axiom fest¬
stand, daß es seine gottgewollte Bestimmung sei, daß er sich "auf Kosten andrer
ausleben", vorläufig auf Kosten andrer boshaft scherzen und spotten dürfe.


Vie Strafstunde

blickt man Ostermannsätze für Quinta, begutachtet geometrische Analysen, die
ein Untersekundaner „nachreiten" muß, erörtert die Perfekta von ^.«t?r^ und
gibt Auskunft, ob die Schmetterlingsblütler wirtelständige Blüten
haben, und entscheidet schließlich, souverän und mit Autoritütsmiene jeden Zweifel
niederschlagend, die Frage, ob es rin oder uns g.rbi-6 heißt, mit Berufung auf
die lateinische Genusregel: ?öinwini Asusris ist nur arvor, arboris. Wehe
aber dem Primaner, der einmal solchen „falschen Analogieschluß" anwenden
wollte! Und nun kommt der Augenblick, wo man Mensch sein, d. h. auf das
Katheder gehn, seine Blicke über das Ganze schweifen lassen oder den Einzelnen
beobachten darf.

Was magst du wohl verbrochen haben, du armer Zehnjähriger mit den
dick verweinten Augenlidern und den deutlichen Spuren der Reue auf den
nicht ganz tadellos gewaschnen Bausbacken? Mit rührendem Eifer sitzt er auf
der vordersten Bank und schreibt in seiner steilen Kinderschrift die Vokabeln
ab, die er früh nicht gewußt hat, weil ihm gerade ein so schöner Bindfaden
eingefallen war, den er „gestern noch ganz gewiß" gehabt hatte, und nach dem
er gerade suchen mußte, durch seelischen Zwang getrieben, als sich die Reihe
des Hersagens ihm bedenklich näherte. Ja freilich, die Weisheit vom neben
ihm brennenden Ukalegon war ihm nicht aufgegangen: weder der Bindfaden
noch die Vokabeln fanden sich, und so war denn der rächende Blitzstrahl: Du
hast nicht ordentlich gelernt! Strafstunde! auf ihn herniedergefahren. Und nun
mußte er um des „lumpigen" Bindfadens willen den Gang in den Zoologischen
Garten aufgeben, zu den Tieren, die es „eigentlich gar nicht gibt"; auch die
genußvolle Betrachtung der „Völkerwiese" mußte er sich versagen, nebst den
gelegentlichen Anbändelversuchen mit den Söhnen der Wildnis, gegen deren
körperliche Berührung ihm seine Mutter eine so unbegreifliche Abneigung zeigt,
daß er es ihr hat mit der Hand versprechen müssen und „wahrhaftig" sagen,
damit es auch sicher nicht geschähe! Ein Murren gegen des Lehrers hartes
Wort kommt in dieser Knabenseele noch nicht auf; er erkennt die volle Be¬
rechtigung der Strafe an; nur die Angst, ob es „herauskommt", daß er hat
brummen müssen, ist es, die sein Inneres bewegt.

Wie mag es wohl in deiner Seele aussehen, du schöner brauner Locken¬
kopf, der du mit so verbissenem Gesicht in deine lateinische Grammatik schaust,
angeblich äußerst eifrig, für den Kenner aber ganz unzweifelhaft mit weit
andern, wohl nicht ganz reinen Gedanken beschäftigt. Ein schöner Knabe,
„bräunlich und hold", der spütgeborne Liebling des reichen Hauses, der Verzug
der eleganten Weltdame, die sich den stolzen' Namen „Mutter" anmaßt, weil
auch sie einmal, widerwillig genug, des Weibes Los hat tragen müssen, und
der Gegenstand stiller und doch heißer Zärtlichkeit des alternden Vaters, der
in dem Einzigen die Erfüllung seiner tiefsten Wünsche sieht. Auch hier ist
der Arrest, der wohlverdiente Arrest, nicht eine Einzelerscheinung, die an sich
genommen und betrachtet werden muß, sondern nur Symptom und Folge¬
erscheinung verkehrter Erziehung: denn man hat dem jungen Mr. Easy erst
zuhause den Kopf groß gemacht. In seinen Babyjahren haben die eleganten
Freundinnen der Mama das „entzückende Kind" herumgegeben und abgeküßt;
dann hat man sich über die naiv-drolligen Antworten des Vierjährigen köstlich
amüsiert. „Was hat er gesagt?" ist die stete Frage gewesen; mit der Zeit
sind dem heranwachsenden Jungen neben Drolligkeiten auch Unarten und Bos¬
heiten entfahren; und wiederum hat der weibliche Chorus dies bewundert und
den Abcschützen als Ausbund von Geist und Überlegenheit erklärt. Was
Wunder, daß sich dieser Seele das „Erlaubt ist, was gefällt!" in rein egoistischer
Weise einprägte, und es ihm schon als Knaben in Sexta als ein Axiom fest¬
stand, daß es seine gottgewollte Bestimmung sei, daß er sich „auf Kosten andrer
ausleben", vorläufig auf Kosten andrer boshaft scherzen und spotten dürfe.


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[0444] Vie Strafstunde blickt man Ostermannsätze für Quinta, begutachtet geometrische Analysen, die ein Untersekundaner „nachreiten" muß, erörtert die Perfekta von ^.«t?r^ und gibt Auskunft, ob die Schmetterlingsblütler wirtelständige Blüten haben, und entscheidet schließlich, souverän und mit Autoritütsmiene jeden Zweifel niederschlagend, die Frage, ob es rin oder uns g.rbi-6 heißt, mit Berufung auf die lateinische Genusregel: ?öinwini Asusris ist nur arvor, arboris. Wehe aber dem Primaner, der einmal solchen „falschen Analogieschluß" anwenden wollte! Und nun kommt der Augenblick, wo man Mensch sein, d. h. auf das Katheder gehn, seine Blicke über das Ganze schweifen lassen oder den Einzelnen beobachten darf. Was magst du wohl verbrochen haben, du armer Zehnjähriger mit den dick verweinten Augenlidern und den deutlichen Spuren der Reue auf den nicht ganz tadellos gewaschnen Bausbacken? Mit rührendem Eifer sitzt er auf der vordersten Bank und schreibt in seiner steilen Kinderschrift die Vokabeln ab, die er früh nicht gewußt hat, weil ihm gerade ein so schöner Bindfaden eingefallen war, den er „gestern noch ganz gewiß" gehabt hatte, und nach dem er gerade suchen mußte, durch seelischen Zwang getrieben, als sich die Reihe des Hersagens ihm bedenklich näherte. Ja freilich, die Weisheit vom neben ihm brennenden Ukalegon war ihm nicht aufgegangen: weder der Bindfaden noch die Vokabeln fanden sich, und so war denn der rächende Blitzstrahl: Du hast nicht ordentlich gelernt! Strafstunde! auf ihn herniedergefahren. Und nun mußte er um des „lumpigen" Bindfadens willen den Gang in den Zoologischen Garten aufgeben, zu den Tieren, die es „eigentlich gar nicht gibt"; auch die genußvolle Betrachtung der „Völkerwiese" mußte er sich versagen, nebst den gelegentlichen Anbändelversuchen mit den Söhnen der Wildnis, gegen deren körperliche Berührung ihm seine Mutter eine so unbegreifliche Abneigung zeigt, daß er es ihr hat mit der Hand versprechen müssen und „wahrhaftig" sagen, damit es auch sicher nicht geschähe! Ein Murren gegen des Lehrers hartes Wort kommt in dieser Knabenseele noch nicht auf; er erkennt die volle Be¬ rechtigung der Strafe an; nur die Angst, ob es „herauskommt", daß er hat brummen müssen, ist es, die sein Inneres bewegt. Wie mag es wohl in deiner Seele aussehen, du schöner brauner Locken¬ kopf, der du mit so verbissenem Gesicht in deine lateinische Grammatik schaust, angeblich äußerst eifrig, für den Kenner aber ganz unzweifelhaft mit weit andern, wohl nicht ganz reinen Gedanken beschäftigt. Ein schöner Knabe, „bräunlich und hold", der spütgeborne Liebling des reichen Hauses, der Verzug der eleganten Weltdame, die sich den stolzen' Namen „Mutter" anmaßt, weil auch sie einmal, widerwillig genug, des Weibes Los hat tragen müssen, und der Gegenstand stiller und doch heißer Zärtlichkeit des alternden Vaters, der in dem Einzigen die Erfüllung seiner tiefsten Wünsche sieht. Auch hier ist der Arrest, der wohlverdiente Arrest, nicht eine Einzelerscheinung, die an sich genommen und betrachtet werden muß, sondern nur Symptom und Folge¬ erscheinung verkehrter Erziehung: denn man hat dem jungen Mr. Easy erst zuhause den Kopf groß gemacht. In seinen Babyjahren haben die eleganten Freundinnen der Mama das „entzückende Kind" herumgegeben und abgeküßt; dann hat man sich über die naiv-drolligen Antworten des Vierjährigen köstlich amüsiert. „Was hat er gesagt?" ist die stete Frage gewesen; mit der Zeit sind dem heranwachsenden Jungen neben Drolligkeiten auch Unarten und Bos¬ heiten entfahren; und wiederum hat der weibliche Chorus dies bewundert und den Abcschützen als Ausbund von Geist und Überlegenheit erklärt. Was Wunder, daß sich dieser Seele das „Erlaubt ist, was gefällt!" in rein egoistischer Weise einprägte, und es ihm schon als Knaben in Sexta als ein Axiom fest¬ stand, daß es seine gottgewollte Bestimmung sei, daß er sich „auf Kosten andrer ausleben", vorläufig auf Kosten andrer boshaft scherzen und spotten dürfe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/444>, abgerufen am 30.06.2024.