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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Der dritte panamerikanische Kongreß und die Drago-
doktrin

!N der zweiten Hälfte des Monats Juli soll der dritte Pan¬
amerikanische Kongreß in Rio de Janeiro zusammentreten. Die
Tatsache, daß Mr. E. Nove, der Staatssekretär der Vereinigten
Staaten von Amerika, persönlich daran teilnehmen will, und der
^Umstand, daß man den Zusammentritt des Haager Friedens¬
kongresses verschoben hat, um den Nationen des amerikanischen Kontinents Zeit
zu lassen, sich untereinander über gewisse Fragen zu beraten, die auch den
Friedenskongreß interessieren, haben die allgemeine Aufmerksamkeit in Europa
auf sich gezogen. Man fragte sich: Was soll denn eigentlich in dieser pan¬
amerikanischen Konferenz beraten und beschlossen werden, daß so viel Aufhebens
davon gemacht wird? und holte sich die Informationen da, wo sie am nächsten
und am leichtesten zu erhalten waren -- in den Vereinigten Staaten und ans
den Londoner Zeitungen. Aber es ist dabei nicht viel herausgekommen. Die
öffentliche Meinung Europas dürfte im Gegenteil zu einem irrigen Urteil ge¬
langt sein. Man ist so daran gewöhnt, die meisten der latino-amerikanischen
Länder als Herde ewiger Revolutionen und als leidenschaftliche Schulden¬
macher anzusehen, die sich ihren internationalen Zahlungsverpflichtungen ent-
Aiehn möchten, daß man sich mit verblüffender Leichtigkeit von Behauptungen
überzeugen ließ, die zu der wirklichen Sachlage in Widerspruch stehn.

Vor allen Dingen hat die sogenannte Dragodoktrin eine irrige Auslegung
gefunden. Argentinien hat seine Teilnahme am Kongreß davon abhängig
gemacht, daß dieser die leitenden Ideen der Dragothese in sein Beratungs¬
programm aufnehme. Was ihren Inhalt und die spätern Zusätze betrifft, so
wird es gut sein, zunächst einmal ganz von der Gelegenheit abzusehen, bei
der die diplomatische Note am 29. Dezember 1902 vom argentinischen Minister
des Äußern, L. M. Drago, an den argentinischen Vertreter in Washington
Zur Übermittlung an die Vereinigten Staatenregierung abgesandt wurde.
Wenden wir uns den Tendenzen zu, durch die sie ihre charakteristische Bedeu¬
tung erhält. "Eine der eigenartigen Bedingungen jeder Souveränität -- heißt


Grenzboten II 1906 51


Der dritte panamerikanische Kongreß und die Drago-
doktrin

!N der zweiten Hälfte des Monats Juli soll der dritte Pan¬
amerikanische Kongreß in Rio de Janeiro zusammentreten. Die
Tatsache, daß Mr. E. Nove, der Staatssekretär der Vereinigten
Staaten von Amerika, persönlich daran teilnehmen will, und der
^Umstand, daß man den Zusammentritt des Haager Friedens¬
kongresses verschoben hat, um den Nationen des amerikanischen Kontinents Zeit
zu lassen, sich untereinander über gewisse Fragen zu beraten, die auch den
Friedenskongreß interessieren, haben die allgemeine Aufmerksamkeit in Europa
auf sich gezogen. Man fragte sich: Was soll denn eigentlich in dieser pan¬
amerikanischen Konferenz beraten und beschlossen werden, daß so viel Aufhebens
davon gemacht wird? und holte sich die Informationen da, wo sie am nächsten
und am leichtesten zu erhalten waren — in den Vereinigten Staaten und ans
den Londoner Zeitungen. Aber es ist dabei nicht viel herausgekommen. Die
öffentliche Meinung Europas dürfte im Gegenteil zu einem irrigen Urteil ge¬
langt sein. Man ist so daran gewöhnt, die meisten der latino-amerikanischen
Länder als Herde ewiger Revolutionen und als leidenschaftliche Schulden¬
macher anzusehen, die sich ihren internationalen Zahlungsverpflichtungen ent-
Aiehn möchten, daß man sich mit verblüffender Leichtigkeit von Behauptungen
überzeugen ließ, die zu der wirklichen Sachlage in Widerspruch stehn.

Vor allen Dingen hat die sogenannte Dragodoktrin eine irrige Auslegung
gefunden. Argentinien hat seine Teilnahme am Kongreß davon abhängig
gemacht, daß dieser die leitenden Ideen der Dragothese in sein Beratungs¬
programm aufnehme. Was ihren Inhalt und die spätern Zusätze betrifft, so
wird es gut sein, zunächst einmal ganz von der Gelegenheit abzusehen, bei
der die diplomatische Note am 29. Dezember 1902 vom argentinischen Minister
des Äußern, L. M. Drago, an den argentinischen Vertreter in Washington
Zur Übermittlung an die Vereinigten Staatenregierung abgesandt wurde.
Wenden wir uns den Tendenzen zu, durch die sie ihre charakteristische Bedeu¬
tung erhält. „Eine der eigenartigen Bedingungen jeder Souveränität — heißt


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[0409] [Abbildung] Der dritte panamerikanische Kongreß und die Drago- doktrin !N der zweiten Hälfte des Monats Juli soll der dritte Pan¬ amerikanische Kongreß in Rio de Janeiro zusammentreten. Die Tatsache, daß Mr. E. Nove, der Staatssekretär der Vereinigten Staaten von Amerika, persönlich daran teilnehmen will, und der ^Umstand, daß man den Zusammentritt des Haager Friedens¬ kongresses verschoben hat, um den Nationen des amerikanischen Kontinents Zeit zu lassen, sich untereinander über gewisse Fragen zu beraten, die auch den Friedenskongreß interessieren, haben die allgemeine Aufmerksamkeit in Europa auf sich gezogen. Man fragte sich: Was soll denn eigentlich in dieser pan¬ amerikanischen Konferenz beraten und beschlossen werden, daß so viel Aufhebens davon gemacht wird? und holte sich die Informationen da, wo sie am nächsten und am leichtesten zu erhalten waren — in den Vereinigten Staaten und ans den Londoner Zeitungen. Aber es ist dabei nicht viel herausgekommen. Die öffentliche Meinung Europas dürfte im Gegenteil zu einem irrigen Urteil ge¬ langt sein. Man ist so daran gewöhnt, die meisten der latino-amerikanischen Länder als Herde ewiger Revolutionen und als leidenschaftliche Schulden¬ macher anzusehen, die sich ihren internationalen Zahlungsverpflichtungen ent- Aiehn möchten, daß man sich mit verblüffender Leichtigkeit von Behauptungen überzeugen ließ, die zu der wirklichen Sachlage in Widerspruch stehn. Vor allen Dingen hat die sogenannte Dragodoktrin eine irrige Auslegung gefunden. Argentinien hat seine Teilnahme am Kongreß davon abhängig gemacht, daß dieser die leitenden Ideen der Dragothese in sein Beratungs¬ programm aufnehme. Was ihren Inhalt und die spätern Zusätze betrifft, so wird es gut sein, zunächst einmal ganz von der Gelegenheit abzusehen, bei der die diplomatische Note am 29. Dezember 1902 vom argentinischen Minister des Äußern, L. M. Drago, an den argentinischen Vertreter in Washington Zur Übermittlung an die Vereinigten Staatenregierung abgesandt wurde. Wenden wir uns den Tendenzen zu, durch die sie ihre charakteristische Bedeu¬ tung erhält. „Eine der eigenartigen Bedingungen jeder Souveränität — heißt Grenzboten II 1906 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/409>, abgerufen am 02.07.2024.