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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Bosnien und die Herzegowina

der Gefangennahme an Allah gegebnes Versprechen, den Ketzerkönig auszurotten,
halten müsse.

Der König wurde in seiner ehemaligen Hauptstadt Jajce zu dem Grosz-
herrn gerufen, in Erinnerung des Geschickes andrer gefangner Fürsten nahm
er vorsorglich die Kapitulationsurknnde in das Zelt des Siegers mit, das er
aber lebend nicht mehr verlassen sollte. Die Franziskaner ließen das An¬
denken an den letzten christlichen König Bosniens nicht erlöschen, und der
Volksmund bezeichnete so genan die Stelle, wo Stephan Tomasevie auf einem
Hügel, im Angesicht der Stadt, in einer Steinkiste begraben sei, daß man
nach der Okkupation nachforschte und richtig an der bezeichneten Stelle einen
rohen Steinsarg mit einem Skelett ohne alle Beigaben fand. Der Sarg
zeigte an einer Stelle ein kleines, roh eingehauencs Kreuz. Die Franziskaner
ließen die Knochen in ihre Kirche bringen, wo sie jetzt vorzüglich, wie zu
Unterrichtszwecken, auf Eisen montiert, in einem Glassarg unter einer schwarz
und gelben Decke zu sehen siud. Seinem Skelett nach zu schließen war der
König übrigens auch körperlich ein Schwächling. Merkwürdigerweise vollendete
der Sultan die Eroberung des westlichen Teils von Bosnien nicht und ließ
auch die Königsstadt Jajce wieder in die Hände der Ungarn fallen, die diese
und siebzig andre feste Plätze bis zum Untergang ihres eignen Reiches rühm¬
lich behaupteten. Der Sultan begnügte sich nach der Ermordung des Königs
und einer großen Anzahl seiner Leute damit, den eroberten Teil als türkische
Provinz einzurichten und dazu vor allem den gesamten Grund und Boden
für Staatseigentum zu erklären. Aus dem eiugezognen Grund und Boden
wurden Lehen für die in der eroberten Provinz eingesetzten osmanischen Be¬
amten und Offiziere gebildet.

In der letzten Zeit der türkischen Herrschaft sprach man, um Stimmung
für die Befreiung Bosniens zu machen, viel von der hohen Kultur des einst
von den Türkenhvrden vernichteten christlichen Königreichs Bosnien. Über
den christlichen Charakter dieses Königreichs ist schon genügend gesprochen
worden. Was den angeblich hohen Kulturstand des vortürkischen Bosniens
anlangt, so möge nur noch darauf hingewiesen werden, daß das Land keine
Städte in unserm Sinne hatte, abgesehen von den paar Bergwertstädtcn, wo
deutsche Bergleute aus Siebenbürgen und Raguscmer Kaufleute den gesamten
Bürgerstand des Landes ausmachten.

Das andre Bildungsmittel des Mittelalters, die Kirche, war, da sich
nicht einmal ein Bistum ausgebildet hatte, nur durch die Franziskanerkloster
vertreten. Die königliche Kanzlei erging sich in den Formen des lateinisch-
ungarischen Kurialstils; eine richtige Staatsverwaltung bestand jedoch nicht,
da jeder Magnat ans seinem Territorium so gut wie selbständig war. Diese
Magnaten hatten sich äußerlich, was Bekleidung, Bewaffnung und Wappen
anlangt, an westeuropäische Vorbilder angelehnt; die Kunst des Lesens und des
Schreibens war aber unter ihnen selten, und für die Bildung ihrer Leibeignen
geschah von Staats wegen natürlich gar nichts. Unter diesen Umstünden ist
es zweifellos, daß die Fremdherrschaft wenigstens in der ersten Zeit für Bosnien
ein Fortschritt gegenüber der angestammten "polnischen" Wirtschaft war.


Bosnien und die Herzegowina

der Gefangennahme an Allah gegebnes Versprechen, den Ketzerkönig auszurotten,
halten müsse.

Der König wurde in seiner ehemaligen Hauptstadt Jajce zu dem Grosz-
herrn gerufen, in Erinnerung des Geschickes andrer gefangner Fürsten nahm
er vorsorglich die Kapitulationsurknnde in das Zelt des Siegers mit, das er
aber lebend nicht mehr verlassen sollte. Die Franziskaner ließen das An¬
denken an den letzten christlichen König Bosniens nicht erlöschen, und der
Volksmund bezeichnete so genan die Stelle, wo Stephan Tomasevie auf einem
Hügel, im Angesicht der Stadt, in einer Steinkiste begraben sei, daß man
nach der Okkupation nachforschte und richtig an der bezeichneten Stelle einen
rohen Steinsarg mit einem Skelett ohne alle Beigaben fand. Der Sarg
zeigte an einer Stelle ein kleines, roh eingehauencs Kreuz. Die Franziskaner
ließen die Knochen in ihre Kirche bringen, wo sie jetzt vorzüglich, wie zu
Unterrichtszwecken, auf Eisen montiert, in einem Glassarg unter einer schwarz
und gelben Decke zu sehen siud. Seinem Skelett nach zu schließen war der
König übrigens auch körperlich ein Schwächling. Merkwürdigerweise vollendete
der Sultan die Eroberung des westlichen Teils von Bosnien nicht und ließ
auch die Königsstadt Jajce wieder in die Hände der Ungarn fallen, die diese
und siebzig andre feste Plätze bis zum Untergang ihres eignen Reiches rühm¬
lich behaupteten. Der Sultan begnügte sich nach der Ermordung des Königs
und einer großen Anzahl seiner Leute damit, den eroberten Teil als türkische
Provinz einzurichten und dazu vor allem den gesamten Grund und Boden
für Staatseigentum zu erklären. Aus dem eiugezognen Grund und Boden
wurden Lehen für die in der eroberten Provinz eingesetzten osmanischen Be¬
amten und Offiziere gebildet.

In der letzten Zeit der türkischen Herrschaft sprach man, um Stimmung
für die Befreiung Bosniens zu machen, viel von der hohen Kultur des einst
von den Türkenhvrden vernichteten christlichen Königreichs Bosnien. Über
den christlichen Charakter dieses Königreichs ist schon genügend gesprochen
worden. Was den angeblich hohen Kulturstand des vortürkischen Bosniens
anlangt, so möge nur noch darauf hingewiesen werden, daß das Land keine
Städte in unserm Sinne hatte, abgesehen von den paar Bergwertstädtcn, wo
deutsche Bergleute aus Siebenbürgen und Raguscmer Kaufleute den gesamten
Bürgerstand des Landes ausmachten.

Das andre Bildungsmittel des Mittelalters, die Kirche, war, da sich
nicht einmal ein Bistum ausgebildet hatte, nur durch die Franziskanerkloster
vertreten. Die königliche Kanzlei erging sich in den Formen des lateinisch-
ungarischen Kurialstils; eine richtige Staatsverwaltung bestand jedoch nicht,
da jeder Magnat ans seinem Territorium so gut wie selbständig war. Diese
Magnaten hatten sich äußerlich, was Bekleidung, Bewaffnung und Wappen
anlangt, an westeuropäische Vorbilder angelehnt; die Kunst des Lesens und des
Schreibens war aber unter ihnen selten, und für die Bildung ihrer Leibeignen
geschah von Staats wegen natürlich gar nichts. Unter diesen Umstünden ist
es zweifellos, daß die Fremdherrschaft wenigstens in der ersten Zeit für Bosnien
ein Fortschritt gegenüber der angestammten „polnischen" Wirtschaft war.


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[0036] Bosnien und die Herzegowina der Gefangennahme an Allah gegebnes Versprechen, den Ketzerkönig auszurotten, halten müsse. Der König wurde in seiner ehemaligen Hauptstadt Jajce zu dem Grosz- herrn gerufen, in Erinnerung des Geschickes andrer gefangner Fürsten nahm er vorsorglich die Kapitulationsurknnde in das Zelt des Siegers mit, das er aber lebend nicht mehr verlassen sollte. Die Franziskaner ließen das An¬ denken an den letzten christlichen König Bosniens nicht erlöschen, und der Volksmund bezeichnete so genan die Stelle, wo Stephan Tomasevie auf einem Hügel, im Angesicht der Stadt, in einer Steinkiste begraben sei, daß man nach der Okkupation nachforschte und richtig an der bezeichneten Stelle einen rohen Steinsarg mit einem Skelett ohne alle Beigaben fand. Der Sarg zeigte an einer Stelle ein kleines, roh eingehauencs Kreuz. Die Franziskaner ließen die Knochen in ihre Kirche bringen, wo sie jetzt vorzüglich, wie zu Unterrichtszwecken, auf Eisen montiert, in einem Glassarg unter einer schwarz und gelben Decke zu sehen siud. Seinem Skelett nach zu schließen war der König übrigens auch körperlich ein Schwächling. Merkwürdigerweise vollendete der Sultan die Eroberung des westlichen Teils von Bosnien nicht und ließ auch die Königsstadt Jajce wieder in die Hände der Ungarn fallen, die diese und siebzig andre feste Plätze bis zum Untergang ihres eignen Reiches rühm¬ lich behaupteten. Der Sultan begnügte sich nach der Ermordung des Königs und einer großen Anzahl seiner Leute damit, den eroberten Teil als türkische Provinz einzurichten und dazu vor allem den gesamten Grund und Boden für Staatseigentum zu erklären. Aus dem eiugezognen Grund und Boden wurden Lehen für die in der eroberten Provinz eingesetzten osmanischen Be¬ amten und Offiziere gebildet. In der letzten Zeit der türkischen Herrschaft sprach man, um Stimmung für die Befreiung Bosniens zu machen, viel von der hohen Kultur des einst von den Türkenhvrden vernichteten christlichen Königreichs Bosnien. Über den christlichen Charakter dieses Königreichs ist schon genügend gesprochen worden. Was den angeblich hohen Kulturstand des vortürkischen Bosniens anlangt, so möge nur noch darauf hingewiesen werden, daß das Land keine Städte in unserm Sinne hatte, abgesehen von den paar Bergwertstädtcn, wo deutsche Bergleute aus Siebenbürgen und Raguscmer Kaufleute den gesamten Bürgerstand des Landes ausmachten. Das andre Bildungsmittel des Mittelalters, die Kirche, war, da sich nicht einmal ein Bistum ausgebildet hatte, nur durch die Franziskanerkloster vertreten. Die königliche Kanzlei erging sich in den Formen des lateinisch- ungarischen Kurialstils; eine richtige Staatsverwaltung bestand jedoch nicht, da jeder Magnat ans seinem Territorium so gut wie selbständig war. Diese Magnaten hatten sich äußerlich, was Bekleidung, Bewaffnung und Wappen anlangt, an westeuropäische Vorbilder angelehnt; die Kunst des Lesens und des Schreibens war aber unter ihnen selten, und für die Bildung ihrer Leibeignen geschah von Staats wegen natürlich gar nichts. Unter diesen Umstünden ist es zweifellos, daß die Fremdherrschaft wenigstens in der ersten Zeit für Bosnien ein Fortschritt gegenüber der angestammten „polnischen" Wirtschaft war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/36>, abgerufen am 24.07.2024.