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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Bosnien und die Herzegowina

auf das Grab gelegt. Darauf wurden dann Pferde, Reigentänze, Jagd- oder
Turuierszencn dargestellt, wie sie der Tote geliebt hatte, gerade wie es bei
klassischen Völkern auch Sitte war. Ein kleiner Unterschied bestand allerdings
in der künstlerischen Gestnltnng der Ausführung. Eine Inschrift wurde nur
in seltnen Füllen angebracht und pflegte dann zu lauten: "Im Namen
Gottes des Vaters hier ruht N. N. auf seinem eignen Grunde." Günstigsten¬
falls wurde dann noch ein Fluch angefügt für einen, der, ohne Familien¬
mitglied zu sein, sich etwa einfallen lassen sollte, sich ebenfalls hier begraben
zu lassen.

Der innere Gehalt des Bogumilentums war jedoch zu dürftig, als daß
es seine Anhänger zum Martyrium hätte begeistern können. Als sich in der
zweiten Hülste des fünfzehnten Jahrhunderts die von Bosnien abgefallnen
Bogumilen der Herzegowina unter den Schutz der Türken flüchteten, nahmen
sie freiwillig den Islam an.

Etwas anders gestalteten sich die Verhältnisse im eigentlichen Bosnien.
Dort war es in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts einem der
bognmilischen Stammeshäupter mit Hilfe des ungarischen Lehnsherrn gelungen,
die sämtlichen übrigen Großen unter seine Botmäßigkeit zu bringen; er ließ
sich als Turtko der Erste in einem Franziskanerkloster feierlich krönen, er¬
oberte Dalmatien und den von den Osmanen verschonten Teil Serbiens und
schüttelte zuletzt auch die ungarische Oberhoheit ab. Diese Zeit der voll¬
ständigen Unabhängigkeit Bosniens überdauerte aber seinen Tod nicht. Die
ganze Herrlichkeit hatte nur elf Jahre gewährt. Seine Nachfolger mußten
zugleich den Ungarn und den Türke" Tribut zahlen und lavierten wie er
zwischen Vogumilentum und Katholizismus hin und her, bis sich der vorletzte
König, Stephan Thomas (1444 bis 1461), dem der Makel seiner unehelichen
Geburt hinderlich war, taufen ließ, worauf er vom Papst für legitim erklärt
wurde. Das Beispiel des eignen Königs, das Drängen des Ungarnkönigs
und die Anstrengungen der Franziskaner wirkten endlich, und wenig Jahre
vor der Türkenkatastrophe trat die Mehrzahl der Bosnier zur katholischen
Kirche über.

Die Türkenkatastrophe wurde dadurch eingeleitet, daß der letzte König,
der sich als Vasall des Papstes hatte krönen lassen, im Vertrauen auf die
Hilfe Europas dem Eroberer Konstantinopels in verletzender Weise den Tribut
verweigerte. Aber Sultan Mohammed der Zweite war nicht der Mann, der
mit sich spaßen ließ. In Eilmärschen rückte er heran und trieb den König,
der keinen Widerstand wagte, vor sich her, bis sich dieser in einem uneinnehm-
baren Felsennest an der kroatischen Grenze einem Reitergcschwader ergab,
gegen schriftliche Zusicherung der Schonung seines Lebens. Der gefangne
König mußte alle seine Vasallen zur Übergabe der festen Plätze auffordern,
und in weniger als zwei Monaten war Mohammed zu seinem eignen Er¬
staunen Herr von ganz Bosnien. Der König Stephan Tomasevie sollte die
Frucht seiner Feigheit aber nicht genießen. Wohl fühlte sich der Sultan durch
die schriftliche Guadenzusage eines seiner verdientesten Heerführer gebunden,
aber einer seiner Hoftheologen bewies ihn?, daß der Sultan sein schon vor


Grenzboten 190ö 4
Bosnien und die Herzegowina

auf das Grab gelegt. Darauf wurden dann Pferde, Reigentänze, Jagd- oder
Turuierszencn dargestellt, wie sie der Tote geliebt hatte, gerade wie es bei
klassischen Völkern auch Sitte war. Ein kleiner Unterschied bestand allerdings
in der künstlerischen Gestnltnng der Ausführung. Eine Inschrift wurde nur
in seltnen Füllen angebracht und pflegte dann zu lauten: „Im Namen
Gottes des Vaters hier ruht N. N. auf seinem eignen Grunde." Günstigsten¬
falls wurde dann noch ein Fluch angefügt für einen, der, ohne Familien¬
mitglied zu sein, sich etwa einfallen lassen sollte, sich ebenfalls hier begraben
zu lassen.

Der innere Gehalt des Bogumilentums war jedoch zu dürftig, als daß
es seine Anhänger zum Martyrium hätte begeistern können. Als sich in der
zweiten Hülste des fünfzehnten Jahrhunderts die von Bosnien abgefallnen
Bogumilen der Herzegowina unter den Schutz der Türken flüchteten, nahmen
sie freiwillig den Islam an.

Etwas anders gestalteten sich die Verhältnisse im eigentlichen Bosnien.
Dort war es in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts einem der
bognmilischen Stammeshäupter mit Hilfe des ungarischen Lehnsherrn gelungen,
die sämtlichen übrigen Großen unter seine Botmäßigkeit zu bringen; er ließ
sich als Turtko der Erste in einem Franziskanerkloster feierlich krönen, er¬
oberte Dalmatien und den von den Osmanen verschonten Teil Serbiens und
schüttelte zuletzt auch die ungarische Oberhoheit ab. Diese Zeit der voll¬
ständigen Unabhängigkeit Bosniens überdauerte aber seinen Tod nicht. Die
ganze Herrlichkeit hatte nur elf Jahre gewährt. Seine Nachfolger mußten
zugleich den Ungarn und den Türke» Tribut zahlen und lavierten wie er
zwischen Vogumilentum und Katholizismus hin und her, bis sich der vorletzte
König, Stephan Thomas (1444 bis 1461), dem der Makel seiner unehelichen
Geburt hinderlich war, taufen ließ, worauf er vom Papst für legitim erklärt
wurde. Das Beispiel des eignen Königs, das Drängen des Ungarnkönigs
und die Anstrengungen der Franziskaner wirkten endlich, und wenig Jahre
vor der Türkenkatastrophe trat die Mehrzahl der Bosnier zur katholischen
Kirche über.

Die Türkenkatastrophe wurde dadurch eingeleitet, daß der letzte König,
der sich als Vasall des Papstes hatte krönen lassen, im Vertrauen auf die
Hilfe Europas dem Eroberer Konstantinopels in verletzender Weise den Tribut
verweigerte. Aber Sultan Mohammed der Zweite war nicht der Mann, der
mit sich spaßen ließ. In Eilmärschen rückte er heran und trieb den König,
der keinen Widerstand wagte, vor sich her, bis sich dieser in einem uneinnehm-
baren Felsennest an der kroatischen Grenze einem Reitergcschwader ergab,
gegen schriftliche Zusicherung der Schonung seines Lebens. Der gefangne
König mußte alle seine Vasallen zur Übergabe der festen Plätze auffordern,
und in weniger als zwei Monaten war Mohammed zu seinem eignen Er¬
staunen Herr von ganz Bosnien. Der König Stephan Tomasevie sollte die
Frucht seiner Feigheit aber nicht genießen. Wohl fühlte sich der Sultan durch
die schriftliche Guadenzusage eines seiner verdientesten Heerführer gebunden,
aber einer seiner Hoftheologen bewies ihn?, daß der Sultan sein schon vor


Grenzboten 190ö 4
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[0035] Bosnien und die Herzegowina auf das Grab gelegt. Darauf wurden dann Pferde, Reigentänze, Jagd- oder Turuierszencn dargestellt, wie sie der Tote geliebt hatte, gerade wie es bei klassischen Völkern auch Sitte war. Ein kleiner Unterschied bestand allerdings in der künstlerischen Gestnltnng der Ausführung. Eine Inschrift wurde nur in seltnen Füllen angebracht und pflegte dann zu lauten: „Im Namen Gottes des Vaters hier ruht N. N. auf seinem eignen Grunde." Günstigsten¬ falls wurde dann noch ein Fluch angefügt für einen, der, ohne Familien¬ mitglied zu sein, sich etwa einfallen lassen sollte, sich ebenfalls hier begraben zu lassen. Der innere Gehalt des Bogumilentums war jedoch zu dürftig, als daß es seine Anhänger zum Martyrium hätte begeistern können. Als sich in der zweiten Hülste des fünfzehnten Jahrhunderts die von Bosnien abgefallnen Bogumilen der Herzegowina unter den Schutz der Türken flüchteten, nahmen sie freiwillig den Islam an. Etwas anders gestalteten sich die Verhältnisse im eigentlichen Bosnien. Dort war es in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts einem der bognmilischen Stammeshäupter mit Hilfe des ungarischen Lehnsherrn gelungen, die sämtlichen übrigen Großen unter seine Botmäßigkeit zu bringen; er ließ sich als Turtko der Erste in einem Franziskanerkloster feierlich krönen, er¬ oberte Dalmatien und den von den Osmanen verschonten Teil Serbiens und schüttelte zuletzt auch die ungarische Oberhoheit ab. Diese Zeit der voll¬ ständigen Unabhängigkeit Bosniens überdauerte aber seinen Tod nicht. Die ganze Herrlichkeit hatte nur elf Jahre gewährt. Seine Nachfolger mußten zugleich den Ungarn und den Türke» Tribut zahlen und lavierten wie er zwischen Vogumilentum und Katholizismus hin und her, bis sich der vorletzte König, Stephan Thomas (1444 bis 1461), dem der Makel seiner unehelichen Geburt hinderlich war, taufen ließ, worauf er vom Papst für legitim erklärt wurde. Das Beispiel des eignen Königs, das Drängen des Ungarnkönigs und die Anstrengungen der Franziskaner wirkten endlich, und wenig Jahre vor der Türkenkatastrophe trat die Mehrzahl der Bosnier zur katholischen Kirche über. Die Türkenkatastrophe wurde dadurch eingeleitet, daß der letzte König, der sich als Vasall des Papstes hatte krönen lassen, im Vertrauen auf die Hilfe Europas dem Eroberer Konstantinopels in verletzender Weise den Tribut verweigerte. Aber Sultan Mohammed der Zweite war nicht der Mann, der mit sich spaßen ließ. In Eilmärschen rückte er heran und trieb den König, der keinen Widerstand wagte, vor sich her, bis sich dieser in einem uneinnehm- baren Felsennest an der kroatischen Grenze einem Reitergcschwader ergab, gegen schriftliche Zusicherung der Schonung seines Lebens. Der gefangne König mußte alle seine Vasallen zur Übergabe der festen Plätze auffordern, und in weniger als zwei Monaten war Mohammed zu seinem eignen Er¬ staunen Herr von ganz Bosnien. Der König Stephan Tomasevie sollte die Frucht seiner Feigheit aber nicht genießen. Wohl fühlte sich der Sultan durch die schriftliche Guadenzusage eines seiner verdientesten Heerführer gebunden, aber einer seiner Hoftheologen bewies ihn?, daß der Sultan sein schon vor Grenzboten 190ö 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/35>, abgerufen am 24.07.2024.