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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Bosnien und die Herzegowina

Türkische Regierung und Finanzwirtschaft ist für uns gleichbedeutend mit
Schwäche, Unordnung und allgemeiner Korruption des Beamtentums.

Im fünfzehnten und im sechzehnten Jahrhundert war das anders. Die
Bosnier genossen unter der osmanischen Herrschaft zum erstenmal den Segen
einer geordneten Verwaltung und eines geregelten Steuerwesens. Der am
meisten geschätzte Vorteil für die Bosnier aber bestand darin, daß sie jetzt
einem großen fest gefügten Staatswesen angehörten, in dem es für politische
und kriegerische Kräfte bessere Gelegenheit zur Vetätigung und Auszeichnung
gab als in den Stammesfehden.

Die Voraussetzung zur Betätigung am Staatsleben war allerdings der
Übertritt zum Islam, zu dem sich auch der größte Teil des Adels und der
Grundbesitzer, schon um seine Güter zu retten, hergegeben hat. In der
Herzegowina waren die Bvgnmilen, wie erwähnt worden ist, schon vorher
freiwillig und direkt zum Islam übergetreten, im eigentlichen Bosnien hatten
sie sich zwar mit der Mehrzahl des Volkes kurz vor der Eroberung zum
Christentum bekannt, diese Zeit war aber so kurz, daß es nicht einmal zu
richtigen Kirchenbauten, geschweige denn zur innern Aufnahme des Christen¬
tums gekommen war. Wenn man heute in Bosnien fast keine mittelalterliche"
Kirchen findet, so ist daran nicht etwa die Zerstörnngswut der Türken schuld.
Die Türken haben kein vorgefundnes, für ihre religiösen Zwecke geeignetes
Bauwerk verschmäht, die Hagia Sophia in Konstantinopel so wenig wie den
Parthenon in Athen, und haben uns dadurch diese Kunstwerke erhalten, aber in
Bosnien war eben außer der Hofkirche in Jajee fast nichts zu finden.

Die Bogumilen, und als etwas andres können wir die Bosniaken, die aus
Nützlichkeitsgründen in so kurzer Zeit zweimal konvertierten, nicht betrachten,
konnten übrigens auch vom religiösen Standpunkt mit der Annahme des Islams
nur gewinnen. Statt des unklaren Verhältnisses zwischen guten und bösen über¬
irdischen Mächten bot die neue Religion einen festen Monotheismus, ferner,
wenigstens den Glaubensgenossen gegenüber, eine reine Moral und in der
Korcmschule wenigstens den Keim einer für alle gemeinsamen Bildung. Die
geradezu ideale Lösung der Frauenfrage für das Diesseits und das Jenseits
mochte den an Ungebundenheit gewöhnten Bogumilen auch mit dem Zwang
des Kultus versöhnen. Tatsache ist, daß sich die böhmischen Herren sehr rasch
in türkische Vegs und Agas und in fanatische Moslem verwandelt haben.

Den Osmanen mag das damalige Bosnien nicht viel kultivierter erschienen
sein als den Österreichern das türkische Bosnien 1878. Seit zweihundert
Jahren in den reichsten Gegenden des griechischen Kaisertums ansässig, waren
sie an große Städte mit reicher Kultur gewöhnt und kamen nun in ein ge¬
birgiges, von armen Viehzüchtern und Ackerbauern bewohntes Land, über
dessen reißende Ströme nirgends eine steinerne Brücke führte, in dessen kleinen
Städten erst Ansätze von Gewerbe vorhanden waren, und wo alle Bedürfnisse
des anspruchsvollern Lebenshaltes vom Ausland eingeführt werden mußten.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Land oder wenigstens die Städte im
ersten Jahrhundert der türkischen Herrschaft, was Wirtschaft und Kultur anlangt,
einen sichtbaren Aufschwung genommen haben.


Bosnien und die Herzegowina

Türkische Regierung und Finanzwirtschaft ist für uns gleichbedeutend mit
Schwäche, Unordnung und allgemeiner Korruption des Beamtentums.

Im fünfzehnten und im sechzehnten Jahrhundert war das anders. Die
Bosnier genossen unter der osmanischen Herrschaft zum erstenmal den Segen
einer geordneten Verwaltung und eines geregelten Steuerwesens. Der am
meisten geschätzte Vorteil für die Bosnier aber bestand darin, daß sie jetzt
einem großen fest gefügten Staatswesen angehörten, in dem es für politische
und kriegerische Kräfte bessere Gelegenheit zur Vetätigung und Auszeichnung
gab als in den Stammesfehden.

Die Voraussetzung zur Betätigung am Staatsleben war allerdings der
Übertritt zum Islam, zu dem sich auch der größte Teil des Adels und der
Grundbesitzer, schon um seine Güter zu retten, hergegeben hat. In der
Herzegowina waren die Bvgnmilen, wie erwähnt worden ist, schon vorher
freiwillig und direkt zum Islam übergetreten, im eigentlichen Bosnien hatten
sie sich zwar mit der Mehrzahl des Volkes kurz vor der Eroberung zum
Christentum bekannt, diese Zeit war aber so kurz, daß es nicht einmal zu
richtigen Kirchenbauten, geschweige denn zur innern Aufnahme des Christen¬
tums gekommen war. Wenn man heute in Bosnien fast keine mittelalterliche»
Kirchen findet, so ist daran nicht etwa die Zerstörnngswut der Türken schuld.
Die Türken haben kein vorgefundnes, für ihre religiösen Zwecke geeignetes
Bauwerk verschmäht, die Hagia Sophia in Konstantinopel so wenig wie den
Parthenon in Athen, und haben uns dadurch diese Kunstwerke erhalten, aber in
Bosnien war eben außer der Hofkirche in Jajee fast nichts zu finden.

Die Bogumilen, und als etwas andres können wir die Bosniaken, die aus
Nützlichkeitsgründen in so kurzer Zeit zweimal konvertierten, nicht betrachten,
konnten übrigens auch vom religiösen Standpunkt mit der Annahme des Islams
nur gewinnen. Statt des unklaren Verhältnisses zwischen guten und bösen über¬
irdischen Mächten bot die neue Religion einen festen Monotheismus, ferner,
wenigstens den Glaubensgenossen gegenüber, eine reine Moral und in der
Korcmschule wenigstens den Keim einer für alle gemeinsamen Bildung. Die
geradezu ideale Lösung der Frauenfrage für das Diesseits und das Jenseits
mochte den an Ungebundenheit gewöhnten Bogumilen auch mit dem Zwang
des Kultus versöhnen. Tatsache ist, daß sich die böhmischen Herren sehr rasch
in türkische Vegs und Agas und in fanatische Moslem verwandelt haben.

Den Osmanen mag das damalige Bosnien nicht viel kultivierter erschienen
sein als den Österreichern das türkische Bosnien 1878. Seit zweihundert
Jahren in den reichsten Gegenden des griechischen Kaisertums ansässig, waren
sie an große Städte mit reicher Kultur gewöhnt und kamen nun in ein ge¬
birgiges, von armen Viehzüchtern und Ackerbauern bewohntes Land, über
dessen reißende Ströme nirgends eine steinerne Brücke führte, in dessen kleinen
Städten erst Ansätze von Gewerbe vorhanden waren, und wo alle Bedürfnisse
des anspruchsvollern Lebenshaltes vom Ausland eingeführt werden mußten.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Land oder wenigstens die Städte im
ersten Jahrhundert der türkischen Herrschaft, was Wirtschaft und Kultur anlangt,
einen sichtbaren Aufschwung genommen haben.


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[0037] Bosnien und die Herzegowina Türkische Regierung und Finanzwirtschaft ist für uns gleichbedeutend mit Schwäche, Unordnung und allgemeiner Korruption des Beamtentums. Im fünfzehnten und im sechzehnten Jahrhundert war das anders. Die Bosnier genossen unter der osmanischen Herrschaft zum erstenmal den Segen einer geordneten Verwaltung und eines geregelten Steuerwesens. Der am meisten geschätzte Vorteil für die Bosnier aber bestand darin, daß sie jetzt einem großen fest gefügten Staatswesen angehörten, in dem es für politische und kriegerische Kräfte bessere Gelegenheit zur Vetätigung und Auszeichnung gab als in den Stammesfehden. Die Voraussetzung zur Betätigung am Staatsleben war allerdings der Übertritt zum Islam, zu dem sich auch der größte Teil des Adels und der Grundbesitzer, schon um seine Güter zu retten, hergegeben hat. In der Herzegowina waren die Bvgnmilen, wie erwähnt worden ist, schon vorher freiwillig und direkt zum Islam übergetreten, im eigentlichen Bosnien hatten sie sich zwar mit der Mehrzahl des Volkes kurz vor der Eroberung zum Christentum bekannt, diese Zeit war aber so kurz, daß es nicht einmal zu richtigen Kirchenbauten, geschweige denn zur innern Aufnahme des Christen¬ tums gekommen war. Wenn man heute in Bosnien fast keine mittelalterliche» Kirchen findet, so ist daran nicht etwa die Zerstörnngswut der Türken schuld. Die Türken haben kein vorgefundnes, für ihre religiösen Zwecke geeignetes Bauwerk verschmäht, die Hagia Sophia in Konstantinopel so wenig wie den Parthenon in Athen, und haben uns dadurch diese Kunstwerke erhalten, aber in Bosnien war eben außer der Hofkirche in Jajee fast nichts zu finden. Die Bogumilen, und als etwas andres können wir die Bosniaken, die aus Nützlichkeitsgründen in so kurzer Zeit zweimal konvertierten, nicht betrachten, konnten übrigens auch vom religiösen Standpunkt mit der Annahme des Islams nur gewinnen. Statt des unklaren Verhältnisses zwischen guten und bösen über¬ irdischen Mächten bot die neue Religion einen festen Monotheismus, ferner, wenigstens den Glaubensgenossen gegenüber, eine reine Moral und in der Korcmschule wenigstens den Keim einer für alle gemeinsamen Bildung. Die geradezu ideale Lösung der Frauenfrage für das Diesseits und das Jenseits mochte den an Ungebundenheit gewöhnten Bogumilen auch mit dem Zwang des Kultus versöhnen. Tatsache ist, daß sich die böhmischen Herren sehr rasch in türkische Vegs und Agas und in fanatische Moslem verwandelt haben. Den Osmanen mag das damalige Bosnien nicht viel kultivierter erschienen sein als den Österreichern das türkische Bosnien 1878. Seit zweihundert Jahren in den reichsten Gegenden des griechischen Kaisertums ansässig, waren sie an große Städte mit reicher Kultur gewöhnt und kamen nun in ein ge¬ birgiges, von armen Viehzüchtern und Ackerbauern bewohntes Land, über dessen reißende Ströme nirgends eine steinerne Brücke führte, in dessen kleinen Städten erst Ansätze von Gewerbe vorhanden waren, und wo alle Bedürfnisse des anspruchsvollern Lebenshaltes vom Ausland eingeführt werden mußten. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Land oder wenigstens die Städte im ersten Jahrhundert der türkischen Herrschaft, was Wirtschaft und Kultur anlangt, einen sichtbaren Aufschwung genommen haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/37>, abgerufen am 24.07.2024.