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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Anastasius Grün

lind Weiter:

Wie er über die Revolution dachte, zeigt ein Brief vom 20. Dezember 1849
an den frühern Reichstagsabgeordneten Kolatschek, der damals ein politisches
Blatt, die Deutsche Monatsschrift, leitete. Der Standpunkt dieses Blattes
war der der entschiednen Linken im Parlament, also republikanisch. Kolatschek
hatte als die Grundlage seiner Zeitschrift den "Rechtsboden der Revolution"
erklärt und den Grafen Auersperg zur Mitarbeiterschaft aufgefordert. Aber
er sah sich in seinen Erwartungen getäuscht, denn der Graf leugnete, daß die
Revolution überhaupt einen Rechtsboden habe. Er fand in dem Ausdruck
eine <zcmtrg,äiot,i.0 in ach'few; nur die Notwehr sei berechtigt, durch sie zu einem
neuen Rechtsboden zu gelangen. Also Evolution wäre das, nicht Revo¬
lution. Getreu dieser Ansicht war er denn auch nur mit der Hälfte des von
Karl Vogt aufgestellten Programms einverstanden: "Die Einheit nicht ohne
die Freiheit; die Freiheit nicht ohne Einheit"; von der andern Hälfte: "Die
wirkliche Einheit um jeden Preis" wollte er nichts wissen, da ihm das zu
teuer werden könnte. Er erklärte in dem Antwortschreiben, die großen geistigen
und sittlichen Güter des Volkes könnten nur auf geistigem und sittlichem
Wege errungen und dauernd erhalten werden. Das ist teilweise irrig; denn
wenn es auch richtig ist, daß diese Güter nur auf geistigem und sittlichem
Wege auf die Dauer erhalten werden können, so ist es doch mit dem Er¬
ringen oft eine andre Sache. Wenn Anastasius Grün auf dem von ihm be-
tretnen Boden der politischen Lyrik auch noch so viele Nachfolger gehabt hätte,
so wäre das System Metternich dadurch doch keineswegs beseitigt worden.
Dazu bedürfte es stärkerer Mittel. Grüns politische Klänge wirkten nur vor¬
bereitend, insofern als sie das Volk auf die Trübsal der Zustände hinwiesen
und den Sturz des herrschenden "Systems" als erstrebenswert bezeichneten.
Und auch der Hinweis Auerspergs auf die begeisterungsvollen Wiener März¬
tage, wo der sittliche Wille ohne Gewalttat alles erreichte, ist nicht dafür
beweiskräftig, daß es immer ohne Gewalt geht. Hätten in Frankreich zum
Beispiel die vereinigten liberalen und revolutionären Parteien nicht zu den
Waffen gegriffen, so würden sich Louis Philipp und sein Ministerium Guizot
Wohl kaum gefügt haben. Graf Auersperg erklärte ferner, er sei Poet und
stehe mit Freiligrath "auf einer höhern Warte," die dieser leider verlassen
habe; er sei kein Parteimann, das sei etwas andres. Unabhängige Charaktere
und universelle Naturen hätten von jeher schlecht in die Disziplin einer ge¬
schlossenen Partei gepaßt. "Die deutsche Muse -- so rief er mit Zorn und
Widerwillen aus -- im bacchantischen Taumel furienartig bis an die Knöchel
im Blute watend und in fanatischen Dithyramben die Guillotine als Welterlöserin
proklamierend -- abschreckenden, ekelerregenden Beispiels genug!"

Tief verstimmt zog sich der Dichter in die Einsamkeit seines Schlosses
Thurn am Hart zurück. Fern vom Parteigetriebe wollte er dort singen, wie


Anastasius Grün

lind Weiter:

Wie er über die Revolution dachte, zeigt ein Brief vom 20. Dezember 1849
an den frühern Reichstagsabgeordneten Kolatschek, der damals ein politisches
Blatt, die Deutsche Monatsschrift, leitete. Der Standpunkt dieses Blattes
war der der entschiednen Linken im Parlament, also republikanisch. Kolatschek
hatte als die Grundlage seiner Zeitschrift den „Rechtsboden der Revolution"
erklärt und den Grafen Auersperg zur Mitarbeiterschaft aufgefordert. Aber
er sah sich in seinen Erwartungen getäuscht, denn der Graf leugnete, daß die
Revolution überhaupt einen Rechtsboden habe. Er fand in dem Ausdruck
eine <zcmtrg,äiot,i.0 in ach'few; nur die Notwehr sei berechtigt, durch sie zu einem
neuen Rechtsboden zu gelangen. Also Evolution wäre das, nicht Revo¬
lution. Getreu dieser Ansicht war er denn auch nur mit der Hälfte des von
Karl Vogt aufgestellten Programms einverstanden: „Die Einheit nicht ohne
die Freiheit; die Freiheit nicht ohne Einheit"; von der andern Hälfte: „Die
wirkliche Einheit um jeden Preis" wollte er nichts wissen, da ihm das zu
teuer werden könnte. Er erklärte in dem Antwortschreiben, die großen geistigen
und sittlichen Güter des Volkes könnten nur auf geistigem und sittlichem
Wege errungen und dauernd erhalten werden. Das ist teilweise irrig; denn
wenn es auch richtig ist, daß diese Güter nur auf geistigem und sittlichem
Wege auf die Dauer erhalten werden können, so ist es doch mit dem Er¬
ringen oft eine andre Sache. Wenn Anastasius Grün auf dem von ihm be-
tretnen Boden der politischen Lyrik auch noch so viele Nachfolger gehabt hätte,
so wäre das System Metternich dadurch doch keineswegs beseitigt worden.
Dazu bedürfte es stärkerer Mittel. Grüns politische Klänge wirkten nur vor¬
bereitend, insofern als sie das Volk auf die Trübsal der Zustände hinwiesen
und den Sturz des herrschenden „Systems" als erstrebenswert bezeichneten.
Und auch der Hinweis Auerspergs auf die begeisterungsvollen Wiener März¬
tage, wo der sittliche Wille ohne Gewalttat alles erreichte, ist nicht dafür
beweiskräftig, daß es immer ohne Gewalt geht. Hätten in Frankreich zum
Beispiel die vereinigten liberalen und revolutionären Parteien nicht zu den
Waffen gegriffen, so würden sich Louis Philipp und sein Ministerium Guizot
Wohl kaum gefügt haben. Graf Auersperg erklärte ferner, er sei Poet und
stehe mit Freiligrath „auf einer höhern Warte," die dieser leider verlassen
habe; er sei kein Parteimann, das sei etwas andres. Unabhängige Charaktere
und universelle Naturen hätten von jeher schlecht in die Disziplin einer ge¬
schlossenen Partei gepaßt. „Die deutsche Muse — so rief er mit Zorn und
Widerwillen aus — im bacchantischen Taumel furienartig bis an die Knöchel
im Blute watend und in fanatischen Dithyramben die Guillotine als Welterlöserin
proklamierend — abschreckenden, ekelerregenden Beispiels genug!"

Tief verstimmt zog sich der Dichter in die Einsamkeit seines Schlosses
Thurn am Hart zurück. Fern vom Parteigetriebe wollte er dort singen, wie


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[0029] Anastasius Grün lind Weiter: Wie er über die Revolution dachte, zeigt ein Brief vom 20. Dezember 1849 an den frühern Reichstagsabgeordneten Kolatschek, der damals ein politisches Blatt, die Deutsche Monatsschrift, leitete. Der Standpunkt dieses Blattes war der der entschiednen Linken im Parlament, also republikanisch. Kolatschek hatte als die Grundlage seiner Zeitschrift den „Rechtsboden der Revolution" erklärt und den Grafen Auersperg zur Mitarbeiterschaft aufgefordert. Aber er sah sich in seinen Erwartungen getäuscht, denn der Graf leugnete, daß die Revolution überhaupt einen Rechtsboden habe. Er fand in dem Ausdruck eine <zcmtrg,äiot,i.0 in ach'few; nur die Notwehr sei berechtigt, durch sie zu einem neuen Rechtsboden zu gelangen. Also Evolution wäre das, nicht Revo¬ lution. Getreu dieser Ansicht war er denn auch nur mit der Hälfte des von Karl Vogt aufgestellten Programms einverstanden: „Die Einheit nicht ohne die Freiheit; die Freiheit nicht ohne Einheit"; von der andern Hälfte: „Die wirkliche Einheit um jeden Preis" wollte er nichts wissen, da ihm das zu teuer werden könnte. Er erklärte in dem Antwortschreiben, die großen geistigen und sittlichen Güter des Volkes könnten nur auf geistigem und sittlichem Wege errungen und dauernd erhalten werden. Das ist teilweise irrig; denn wenn es auch richtig ist, daß diese Güter nur auf geistigem und sittlichem Wege auf die Dauer erhalten werden können, so ist es doch mit dem Er¬ ringen oft eine andre Sache. Wenn Anastasius Grün auf dem von ihm be- tretnen Boden der politischen Lyrik auch noch so viele Nachfolger gehabt hätte, so wäre das System Metternich dadurch doch keineswegs beseitigt worden. Dazu bedürfte es stärkerer Mittel. Grüns politische Klänge wirkten nur vor¬ bereitend, insofern als sie das Volk auf die Trübsal der Zustände hinwiesen und den Sturz des herrschenden „Systems" als erstrebenswert bezeichneten. Und auch der Hinweis Auerspergs auf die begeisterungsvollen Wiener März¬ tage, wo der sittliche Wille ohne Gewalttat alles erreichte, ist nicht dafür beweiskräftig, daß es immer ohne Gewalt geht. Hätten in Frankreich zum Beispiel die vereinigten liberalen und revolutionären Parteien nicht zu den Waffen gegriffen, so würden sich Louis Philipp und sein Ministerium Guizot Wohl kaum gefügt haben. Graf Auersperg erklärte ferner, er sei Poet und stehe mit Freiligrath „auf einer höhern Warte," die dieser leider verlassen habe; er sei kein Parteimann, das sei etwas andres. Unabhängige Charaktere und universelle Naturen hätten von jeher schlecht in die Disziplin einer ge¬ schlossenen Partei gepaßt. „Die deutsche Muse — so rief er mit Zorn und Widerwillen aus — im bacchantischen Taumel furienartig bis an die Knöchel im Blute watend und in fanatischen Dithyramben die Guillotine als Welterlöserin proklamierend — abschreckenden, ekelerregenden Beispiels genug!" Tief verstimmt zog sich der Dichter in die Einsamkeit seines Schlosses Thurn am Hart zurück. Fern vom Parteigetriebe wollte er dort singen, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/29>, abgerufen am 30.06.2024.