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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Anastasius Grün
Wilts Gott, solang ich gesund, erspäht
Bei diesen Fahnen ihr mich!
Wehrs Gott, wenn ihr je mich drüben fast,
Dann krank oder tot wär ich.
Denkt mein wie eines Toten dann;
Es mag wohl bitter sein,
Vorbeizugehn als lebendger Mann
Am eignen Leichenstein.

Nein, ein Abtrünniger ist Anastasius Grün nie gewesen! Das war er auch
in den Nevolutionstagen nicht. Immer war er ein aufrechter und ehren¬
werter Mann, der so gut wie ein andrer das Recht seiner Meinung hatte.
Es hat gar manchen gegeben, der später, nach den Stürmen, viel weiter nach
rechts hinüberschwenkte, als Auersperg je gestanden hatte. Eine andre hä߬
liche Erfahrung machte der Dichter noch 1843. Der "Dichter" Braun
von Brauntal hatte der Polizei angezeigt, daß Auersperg der bekannte
Anastasius Grün sei. Die Polizei legte dem Grafen eine Zahlung von fünf¬
undzwanzig Dukaten auf, weil er Schriften im Auslande habe drucken lassen!
Weiteres mochte sie nicht gegen den Mann unternehmen, der durch seine
Ehrenhaftigkeit und die Unabhängigkeit seiner Stellung geschützt war. Übrigens
war die Tatsache seiner Autorschaft längst bekannt.

Am 13. Mürz hatte Kaiser Ferdinand den Erlaß einer Verfassung für
Österreich feierlich zugesagt. Damals befand sich Auersperg in Wien. Nun
reiste er voll freudiger Erregung in die Heimat und verkündigte dort und
schon unterwegs überall die große Nachricht. Ein alter Bauer, dem der Graf
selbst die Sache mitteilte, sagte ihm: "Das verdanken wir zumeist dem Anastasius
Grün." Der schlichte Mann ahnte freilich nicht, wer Anastasius Grün sei,
und daß er vor ihm stehe. Im April wurde Graf Auersperg in das deutsche
Vorparlament gewählt und bald darauf als Abgeordneter seiner Heimat Krain
in die Frankfurter Nationalversammlung. Von seinem Wirken dort hören
wir nicht viel; zumeist beobachtete er und hörte zu. Doch sprach er auch
hier, wie schon früher, warm für die Polen. Damit offenbarte er allerdings
einen völligen Mangel an realpolitischem Verständnis, einen Fehler, der in
diesem Betracht freilich ein allgemeiner deutscher zu sein scheint -- leider oft
noch heute. Seines Bleibens dort war jedoch nicht lange. Über "die Sonne
der heiligen Märzen" hatten sich die trüben Wolkenschatten der unerfreulichen
Ereignisse des Sommers und des Herbstes gezogen. Die wüsten Vorgänge
des Oktobers, wo der General von Auerswald und der Graf Lichnowsky so
schändlich ihr Leben verloren, hatten ihm Frankfurt zum Abscheu gemacht,
und er kehrte in die Heimat zurück, nach Thurn am Hart. Von den hä߬
lichen Orgien der Revolution aufs schmerzlichste und tiefste verletzt, klagte er
um die kurze Dauer des Tages der Freiheit:

.
ferner:


Anastasius Grün
Wilts Gott, solang ich gesund, erspäht
Bei diesen Fahnen ihr mich!
Wehrs Gott, wenn ihr je mich drüben fast,
Dann krank oder tot wär ich.
Denkt mein wie eines Toten dann;
Es mag wohl bitter sein,
Vorbeizugehn als lebendger Mann
Am eignen Leichenstein.

Nein, ein Abtrünniger ist Anastasius Grün nie gewesen! Das war er auch
in den Nevolutionstagen nicht. Immer war er ein aufrechter und ehren¬
werter Mann, der so gut wie ein andrer das Recht seiner Meinung hatte.
Es hat gar manchen gegeben, der später, nach den Stürmen, viel weiter nach
rechts hinüberschwenkte, als Auersperg je gestanden hatte. Eine andre hä߬
liche Erfahrung machte der Dichter noch 1843. Der „Dichter" Braun
von Brauntal hatte der Polizei angezeigt, daß Auersperg der bekannte
Anastasius Grün sei. Die Polizei legte dem Grafen eine Zahlung von fünf¬
undzwanzig Dukaten auf, weil er Schriften im Auslande habe drucken lassen!
Weiteres mochte sie nicht gegen den Mann unternehmen, der durch seine
Ehrenhaftigkeit und die Unabhängigkeit seiner Stellung geschützt war. Übrigens
war die Tatsache seiner Autorschaft längst bekannt.

Am 13. Mürz hatte Kaiser Ferdinand den Erlaß einer Verfassung für
Österreich feierlich zugesagt. Damals befand sich Auersperg in Wien. Nun
reiste er voll freudiger Erregung in die Heimat und verkündigte dort und
schon unterwegs überall die große Nachricht. Ein alter Bauer, dem der Graf
selbst die Sache mitteilte, sagte ihm: „Das verdanken wir zumeist dem Anastasius
Grün." Der schlichte Mann ahnte freilich nicht, wer Anastasius Grün sei,
und daß er vor ihm stehe. Im April wurde Graf Auersperg in das deutsche
Vorparlament gewählt und bald darauf als Abgeordneter seiner Heimat Krain
in die Frankfurter Nationalversammlung. Von seinem Wirken dort hören
wir nicht viel; zumeist beobachtete er und hörte zu. Doch sprach er auch
hier, wie schon früher, warm für die Polen. Damit offenbarte er allerdings
einen völligen Mangel an realpolitischem Verständnis, einen Fehler, der in
diesem Betracht freilich ein allgemeiner deutscher zu sein scheint — leider oft
noch heute. Seines Bleibens dort war jedoch nicht lange. Über „die Sonne
der heiligen Märzen" hatten sich die trüben Wolkenschatten der unerfreulichen
Ereignisse des Sommers und des Herbstes gezogen. Die wüsten Vorgänge
des Oktobers, wo der General von Auerswald und der Graf Lichnowsky so
schändlich ihr Leben verloren, hatten ihm Frankfurt zum Abscheu gemacht,
und er kehrte in die Heimat zurück, nach Thurn am Hart. Von den hä߬
lichen Orgien der Revolution aufs schmerzlichste und tiefste verletzt, klagte er
um die kurze Dauer des Tages der Freiheit:

.
ferner:


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[0028] Anastasius Grün Wilts Gott, solang ich gesund, erspäht Bei diesen Fahnen ihr mich! Wehrs Gott, wenn ihr je mich drüben fast, Dann krank oder tot wär ich. Denkt mein wie eines Toten dann; Es mag wohl bitter sein, Vorbeizugehn als lebendger Mann Am eignen Leichenstein. Nein, ein Abtrünniger ist Anastasius Grün nie gewesen! Das war er auch in den Nevolutionstagen nicht. Immer war er ein aufrechter und ehren¬ werter Mann, der so gut wie ein andrer das Recht seiner Meinung hatte. Es hat gar manchen gegeben, der später, nach den Stürmen, viel weiter nach rechts hinüberschwenkte, als Auersperg je gestanden hatte. Eine andre hä߬ liche Erfahrung machte der Dichter noch 1843. Der „Dichter" Braun von Brauntal hatte der Polizei angezeigt, daß Auersperg der bekannte Anastasius Grün sei. Die Polizei legte dem Grafen eine Zahlung von fünf¬ undzwanzig Dukaten auf, weil er Schriften im Auslande habe drucken lassen! Weiteres mochte sie nicht gegen den Mann unternehmen, der durch seine Ehrenhaftigkeit und die Unabhängigkeit seiner Stellung geschützt war. Übrigens war die Tatsache seiner Autorschaft längst bekannt. Am 13. Mürz hatte Kaiser Ferdinand den Erlaß einer Verfassung für Österreich feierlich zugesagt. Damals befand sich Auersperg in Wien. Nun reiste er voll freudiger Erregung in die Heimat und verkündigte dort und schon unterwegs überall die große Nachricht. Ein alter Bauer, dem der Graf selbst die Sache mitteilte, sagte ihm: „Das verdanken wir zumeist dem Anastasius Grün." Der schlichte Mann ahnte freilich nicht, wer Anastasius Grün sei, und daß er vor ihm stehe. Im April wurde Graf Auersperg in das deutsche Vorparlament gewählt und bald darauf als Abgeordneter seiner Heimat Krain in die Frankfurter Nationalversammlung. Von seinem Wirken dort hören wir nicht viel; zumeist beobachtete er und hörte zu. Doch sprach er auch hier, wie schon früher, warm für die Polen. Damit offenbarte er allerdings einen völligen Mangel an realpolitischem Verständnis, einen Fehler, der in diesem Betracht freilich ein allgemeiner deutscher zu sein scheint — leider oft noch heute. Seines Bleibens dort war jedoch nicht lange. Über „die Sonne der heiligen Märzen" hatten sich die trüben Wolkenschatten der unerfreulichen Ereignisse des Sommers und des Herbstes gezogen. Die wüsten Vorgänge des Oktobers, wo der General von Auerswald und der Graf Lichnowsky so schändlich ihr Leben verloren, hatten ihm Frankfurt zum Abscheu gemacht, und er kehrte in die Heimat zurück, nach Thurn am Hart. Von den hä߬ lichen Orgien der Revolution aufs schmerzlichste und tiefste verletzt, klagte er um die kurze Dauer des Tages der Freiheit: . ferner:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/28>, abgerufen am 02.07.2024.