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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Memphis und die Pyramiden

nicht, sie sind erst durch die Araber eingeführt worden. Ochsen und Gänse
werden geschlachtet, Fische werden ausgenommen und gesalzen. Schreiber sind
beschäftigt, den Viehbestand auf den Gütern festzustellen, Töpfer drehen Gefäße
aus Ton, brennen und bemalen sie, Seiler drehen Stricke; Kühe werden ge¬
molken, und Federvieh wird gerupft; Leinen wird gewebt, und Schuhzeug ver¬
fertigt. Hier wird die große Totenbarke des Ti gezimmert, dort schwimmt sie
auf dem Nil und trägt die Mumie des Verstorbnen zum Grabe hinüber. Die
Jagdvergnügen des Ti werden geschildert; man sieht ihn auf einem Nachen
stehend, seine Diener an Größe weit überragend, in das Papyrusdickicht des
Stromes fahren und auf Nilpferde und Krokodile jagen, Tiere, die man heute
im untern Laufe des Nils nicht mehr antrifft. Auch die Fischerei und den
Vogelfang scheint er geliebt zu haben, die Fische werden vom Boot aus ge¬
stochen, die Vögel werden in großen Netzen gefangen; neben einem mit Vögeln
reich gefüllten Netze steht geschrieben: "Sie sind für den Kar des Ti." Fürwahr,
dieser Ka konnte nicht Not leiden, wenn er Nahrungsmittel und alle Notdurft
des Lebens in solcher Hülle und Fülle ständig vor Augen hatte; allerdings
mußte er gute Augen haben, diese ägyptische Finsternis zu durchdringen, die
ihn in den dicken Mauern der Mastaba unter dem Sande der Wüste umgab;
uns waren sogar beim Lichte der Kerzen, die die Fellachen trugen, die Bilder
an den Wänden nur schwer erkennbar, und eine freudige Überraschung gab es,
als Plötzlich einer der Fellachen Magnesiumlicht erstrahlen ließ und die Räume
des Grabes für einige Zeit taghell erleuchtete. Allerdings forderte er dafür
auch einen nicht geringen Backschisch.

Auch in den übrigen Gräbern findet man die Wände bedeckt mit Nelief-
darstellungen ägyptischen Lebens, vor allen in den Mastabas des Mera und
Ptcchhotep. Dieser letzte enthält besonders berühmte Reliefs von Jagd- und
Nuderszenen, Tierleben und Landschaften, die Maspero, der Nachfolger Mariettes
in der Leitung des Bulaker Museums, wie folgt beschreibt: "Am Fuße der
Wand flutet der Nil; Kähne fahren hin und her, Matrosen schlagen sich mit
den Ruderstangen. Darüber sind die Ufer, die den Fluß begrenzen, dargestellt;
im Gras versteckte Sklaven fangen Vögel. Noch weiter oben werden Nachen
gebaut, Seile geflochten, und die gefangnen Fische aufgeschnitten und gesalzen.
Endlich sieht man unter dem Karnies die nackten Hügel und das wellenförmige
Terrain der Wüste, in der Gazellen von Windhunden verfolgt werden, und
fast nackte Jäger das Wild mit dem Lasso fangen. Die einzelnen Felder ent¬
sprechen dem Vorder-, Hinter- und Mittelgrunde der Landschaft, nur hat der
Künstler diese nicht in der richtigen Perspektive gezeigt, sondern getrennt und
übereinander gesetzt."

Wie vortrefflich schmeckte das Frühstück auf der schattigen Veranda des
gastlichen Hauses! Der französische Gelehrte hat es den Reisenden hinterlassen,
°le zu den Grübern wandern, deren Entdeckung seinem Scharfsinn und seinem
Eifer zu verdanken ist, und die er mit vieler Mühe wieder zugänglich gemacht
hat. Auch die Fellachen erhielten ihr Teil; nur den geräucherten Schinken,
der ihnen angeboten wurde, wiesen sie mit Abscheu zurück; ihre Hunde waren
in der Beziehung verständiger. Dann wurden die Esel wieder bestiegen, und
Kir ritten durch den Sand der Wüste immer hart am Fruchtlande entlang den


Memphis und die Pyramiden

nicht, sie sind erst durch die Araber eingeführt worden. Ochsen und Gänse
werden geschlachtet, Fische werden ausgenommen und gesalzen. Schreiber sind
beschäftigt, den Viehbestand auf den Gütern festzustellen, Töpfer drehen Gefäße
aus Ton, brennen und bemalen sie, Seiler drehen Stricke; Kühe werden ge¬
molken, und Federvieh wird gerupft; Leinen wird gewebt, und Schuhzeug ver¬
fertigt. Hier wird die große Totenbarke des Ti gezimmert, dort schwimmt sie
auf dem Nil und trägt die Mumie des Verstorbnen zum Grabe hinüber. Die
Jagdvergnügen des Ti werden geschildert; man sieht ihn auf einem Nachen
stehend, seine Diener an Größe weit überragend, in das Papyrusdickicht des
Stromes fahren und auf Nilpferde und Krokodile jagen, Tiere, die man heute
im untern Laufe des Nils nicht mehr antrifft. Auch die Fischerei und den
Vogelfang scheint er geliebt zu haben, die Fische werden vom Boot aus ge¬
stochen, die Vögel werden in großen Netzen gefangen; neben einem mit Vögeln
reich gefüllten Netze steht geschrieben: „Sie sind für den Kar des Ti." Fürwahr,
dieser Ka konnte nicht Not leiden, wenn er Nahrungsmittel und alle Notdurft
des Lebens in solcher Hülle und Fülle ständig vor Augen hatte; allerdings
mußte er gute Augen haben, diese ägyptische Finsternis zu durchdringen, die
ihn in den dicken Mauern der Mastaba unter dem Sande der Wüste umgab;
uns waren sogar beim Lichte der Kerzen, die die Fellachen trugen, die Bilder
an den Wänden nur schwer erkennbar, und eine freudige Überraschung gab es,
als Plötzlich einer der Fellachen Magnesiumlicht erstrahlen ließ und die Räume
des Grabes für einige Zeit taghell erleuchtete. Allerdings forderte er dafür
auch einen nicht geringen Backschisch.

Auch in den übrigen Gräbern findet man die Wände bedeckt mit Nelief-
darstellungen ägyptischen Lebens, vor allen in den Mastabas des Mera und
Ptcchhotep. Dieser letzte enthält besonders berühmte Reliefs von Jagd- und
Nuderszenen, Tierleben und Landschaften, die Maspero, der Nachfolger Mariettes
in der Leitung des Bulaker Museums, wie folgt beschreibt: „Am Fuße der
Wand flutet der Nil; Kähne fahren hin und her, Matrosen schlagen sich mit
den Ruderstangen. Darüber sind die Ufer, die den Fluß begrenzen, dargestellt;
im Gras versteckte Sklaven fangen Vögel. Noch weiter oben werden Nachen
gebaut, Seile geflochten, und die gefangnen Fische aufgeschnitten und gesalzen.
Endlich sieht man unter dem Karnies die nackten Hügel und das wellenförmige
Terrain der Wüste, in der Gazellen von Windhunden verfolgt werden, und
fast nackte Jäger das Wild mit dem Lasso fangen. Die einzelnen Felder ent¬
sprechen dem Vorder-, Hinter- und Mittelgrunde der Landschaft, nur hat der
Künstler diese nicht in der richtigen Perspektive gezeigt, sondern getrennt und
übereinander gesetzt."

Wie vortrefflich schmeckte das Frühstück auf der schattigen Veranda des
gastlichen Hauses! Der französische Gelehrte hat es den Reisenden hinterlassen,
°le zu den Grübern wandern, deren Entdeckung seinem Scharfsinn und seinem
Eifer zu verdanken ist, und die er mit vieler Mühe wieder zugänglich gemacht
hat. Auch die Fellachen erhielten ihr Teil; nur den geräucherten Schinken,
der ihnen angeboten wurde, wiesen sie mit Abscheu zurück; ihre Hunde waren
in der Beziehung verständiger. Dann wurden die Esel wieder bestiegen, und
Kir ritten durch den Sand der Wüste immer hart am Fruchtlande entlang den


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[0273] Memphis und die Pyramiden nicht, sie sind erst durch die Araber eingeführt worden. Ochsen und Gänse werden geschlachtet, Fische werden ausgenommen und gesalzen. Schreiber sind beschäftigt, den Viehbestand auf den Gütern festzustellen, Töpfer drehen Gefäße aus Ton, brennen und bemalen sie, Seiler drehen Stricke; Kühe werden ge¬ molken, und Federvieh wird gerupft; Leinen wird gewebt, und Schuhzeug ver¬ fertigt. Hier wird die große Totenbarke des Ti gezimmert, dort schwimmt sie auf dem Nil und trägt die Mumie des Verstorbnen zum Grabe hinüber. Die Jagdvergnügen des Ti werden geschildert; man sieht ihn auf einem Nachen stehend, seine Diener an Größe weit überragend, in das Papyrusdickicht des Stromes fahren und auf Nilpferde und Krokodile jagen, Tiere, die man heute im untern Laufe des Nils nicht mehr antrifft. Auch die Fischerei und den Vogelfang scheint er geliebt zu haben, die Fische werden vom Boot aus ge¬ stochen, die Vögel werden in großen Netzen gefangen; neben einem mit Vögeln reich gefüllten Netze steht geschrieben: „Sie sind für den Kar des Ti." Fürwahr, dieser Ka konnte nicht Not leiden, wenn er Nahrungsmittel und alle Notdurft des Lebens in solcher Hülle und Fülle ständig vor Augen hatte; allerdings mußte er gute Augen haben, diese ägyptische Finsternis zu durchdringen, die ihn in den dicken Mauern der Mastaba unter dem Sande der Wüste umgab; uns waren sogar beim Lichte der Kerzen, die die Fellachen trugen, die Bilder an den Wänden nur schwer erkennbar, und eine freudige Überraschung gab es, als Plötzlich einer der Fellachen Magnesiumlicht erstrahlen ließ und die Räume des Grabes für einige Zeit taghell erleuchtete. Allerdings forderte er dafür auch einen nicht geringen Backschisch. Auch in den übrigen Gräbern findet man die Wände bedeckt mit Nelief- darstellungen ägyptischen Lebens, vor allen in den Mastabas des Mera und Ptcchhotep. Dieser letzte enthält besonders berühmte Reliefs von Jagd- und Nuderszenen, Tierleben und Landschaften, die Maspero, der Nachfolger Mariettes in der Leitung des Bulaker Museums, wie folgt beschreibt: „Am Fuße der Wand flutet der Nil; Kähne fahren hin und her, Matrosen schlagen sich mit den Ruderstangen. Darüber sind die Ufer, die den Fluß begrenzen, dargestellt; im Gras versteckte Sklaven fangen Vögel. Noch weiter oben werden Nachen gebaut, Seile geflochten, und die gefangnen Fische aufgeschnitten und gesalzen. Endlich sieht man unter dem Karnies die nackten Hügel und das wellenförmige Terrain der Wüste, in der Gazellen von Windhunden verfolgt werden, und fast nackte Jäger das Wild mit dem Lasso fangen. Die einzelnen Felder ent¬ sprechen dem Vorder-, Hinter- und Mittelgrunde der Landschaft, nur hat der Künstler diese nicht in der richtigen Perspektive gezeigt, sondern getrennt und übereinander gesetzt." Wie vortrefflich schmeckte das Frühstück auf der schattigen Veranda des gastlichen Hauses! Der französische Gelehrte hat es den Reisenden hinterlassen, °le zu den Grübern wandern, deren Entdeckung seinem Scharfsinn und seinem Eifer zu verdanken ist, und die er mit vieler Mühe wieder zugänglich gemacht hat. Auch die Fellachen erhielten ihr Teil; nur den geräucherten Schinken, der ihnen angeboten wurde, wiesen sie mit Abscheu zurück; ihre Hunde waren in der Beziehung verständiger. Dann wurden die Esel wieder bestiegen, und Kir ritten durch den Sand der Wüste immer hart am Fruchtlande entlang den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/273>, abgerufen am 27.12.2024.