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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Memphis und die Pyramiden

großen Pyramiden von Gizeh zu, die bald in der Ferne erschienen. Links lag
die endlos weite, gelblich schimmernde Wüste, deren wellenförmiges Hügelland
daran erinnert, daß sie einst von den Fluten des Mittelländischen Meeres be¬
deckt gewesen ist, rechts zog sich der schmale Streifen fruchtbaren Landes, von
Kannten durchschnitten, am Nil entlang. Die Luft war rein, denn der kaum
merkbar wehende Wind vermochte nicht den Staub der Wüste aufzuwirbeln, und
so trocken, daß man die Hitze kaum empfand. Es ist das Gräberfeld von
Memphis, über das wir reiten; der Saum der Wüste ist bedeckt mit Mastabas
und Pyramiden. Die größte von diesen im Verhältnis zu den Titaneubautcn
von Gizeh winzig erscheinenden Pyramiden ist die sogenannte Stufenpyramide
von Sakkarah; immerhin ein mächtiger Bau, der sensenförmig ansteigt. Wir
reiten vorbei, denn diese Pyramide bietet wenig Interessantes. Immer gewaltiger
treten die großen Pyramiden hervor, immer größer erscheint ihr scharf gezeichnetes
Dreieck, das sich vom blauen Himmel abhebt, und uach einstündigem Ritt halten
wir vor den majestätischen Bauten der ältesten Pharaonen und fragen staunend,
wie Menschenhände diese Gebirge aus Steinblöcken haben aufrichten können.
Man muß die Pyramiden gesehen haben, wenn man ihre Größe ganz erfassen
will. Von diesen ungeheuern Steinmassen, die mehr wie ein Naturgebilde als
wie ein Werk von Menschenhand erscheinen, die sich in mächtiger Breite aufge¬
lagert nach oben mehr und mehr verjüngen, bis sie in eine Spitze auslaufen,
die höher zum Himmel ragt als die meisten unsrer mächtigen Dome, kann man
sich kaum eine Vorstellung machen. Die größte der Pyramiden, die Pyramide
des Cheops, hat hundertundsiebenunddreißig Meter Höhe; man könnte, wenn
sie hohl wäre, den großen Dom von Se. Peter in Rom hineinstellen, er würde
die Wände der Pyramide nicht berühren. Und dieser ganze gewaltige Raum
ist mit Steinblöcken ausgefüllt! Zwei und eine halbe Million Kubikmeter Stein
enthält die Pyramide, Material genug, die ganze Grenze des Deutschen Reichs
mit einer Mauer von drei Metern Höhe und einem halben Meter Dicke zu
umgeben. Es sind die Wunder der alten Welt, die wir betrachten. Vor beinahe
fünftausend Jahren sind sie errichtet worden, die ältesten Werke, die von Menschen
gebaut sind; sie waren schon uralt, als Abraham nach Ägypten kam; sie sahen
die Juden Ziegel streichen für die Bauten der Pharaonen unter dem Stocke
der Vögte. Ganze Völker, ganze Kulturen, ja sogar ganze Religionen haben
sie überdauert; sie sahen das Volk der Ägypter vergeh", das dreitausend Jahre
lang zu ihren Füßen gelebt und eine hohe Kultur entwickelt hatte; Perser,
Griechen und Römer sahen sie ins Land kommen, Alexander und Cäsar schauten
bewundernd zu ihnen auf. Sie sahen das Christentum sich ausbreiten und der
islamischen Religion weichen. Kairo entstand, und der Halbmond leuchtete von
den Moscheen. Und als Napoleon kam und das alte Ägypten aus seinen
Gräbern zu neuem Leben erweckte, konnte er seine Soldaten vor die Pyramiden
führen und ihnen zurufen: Vier Jahrtausende schauen auf euch herab!

(Schluß folgt)




Memphis und die Pyramiden

großen Pyramiden von Gizeh zu, die bald in der Ferne erschienen. Links lag
die endlos weite, gelblich schimmernde Wüste, deren wellenförmiges Hügelland
daran erinnert, daß sie einst von den Fluten des Mittelländischen Meeres be¬
deckt gewesen ist, rechts zog sich der schmale Streifen fruchtbaren Landes, von
Kannten durchschnitten, am Nil entlang. Die Luft war rein, denn der kaum
merkbar wehende Wind vermochte nicht den Staub der Wüste aufzuwirbeln, und
so trocken, daß man die Hitze kaum empfand. Es ist das Gräberfeld von
Memphis, über das wir reiten; der Saum der Wüste ist bedeckt mit Mastabas
und Pyramiden. Die größte von diesen im Verhältnis zu den Titaneubautcn
von Gizeh winzig erscheinenden Pyramiden ist die sogenannte Stufenpyramide
von Sakkarah; immerhin ein mächtiger Bau, der sensenförmig ansteigt. Wir
reiten vorbei, denn diese Pyramide bietet wenig Interessantes. Immer gewaltiger
treten die großen Pyramiden hervor, immer größer erscheint ihr scharf gezeichnetes
Dreieck, das sich vom blauen Himmel abhebt, und uach einstündigem Ritt halten
wir vor den majestätischen Bauten der ältesten Pharaonen und fragen staunend,
wie Menschenhände diese Gebirge aus Steinblöcken haben aufrichten können.
Man muß die Pyramiden gesehen haben, wenn man ihre Größe ganz erfassen
will. Von diesen ungeheuern Steinmassen, die mehr wie ein Naturgebilde als
wie ein Werk von Menschenhand erscheinen, die sich in mächtiger Breite aufge¬
lagert nach oben mehr und mehr verjüngen, bis sie in eine Spitze auslaufen,
die höher zum Himmel ragt als die meisten unsrer mächtigen Dome, kann man
sich kaum eine Vorstellung machen. Die größte der Pyramiden, die Pyramide
des Cheops, hat hundertundsiebenunddreißig Meter Höhe; man könnte, wenn
sie hohl wäre, den großen Dom von Se. Peter in Rom hineinstellen, er würde
die Wände der Pyramide nicht berühren. Und dieser ganze gewaltige Raum
ist mit Steinblöcken ausgefüllt! Zwei und eine halbe Million Kubikmeter Stein
enthält die Pyramide, Material genug, die ganze Grenze des Deutschen Reichs
mit einer Mauer von drei Metern Höhe und einem halben Meter Dicke zu
umgeben. Es sind die Wunder der alten Welt, die wir betrachten. Vor beinahe
fünftausend Jahren sind sie errichtet worden, die ältesten Werke, die von Menschen
gebaut sind; sie waren schon uralt, als Abraham nach Ägypten kam; sie sahen
die Juden Ziegel streichen für die Bauten der Pharaonen unter dem Stocke
der Vögte. Ganze Völker, ganze Kulturen, ja sogar ganze Religionen haben
sie überdauert; sie sahen das Volk der Ägypter vergeh«, das dreitausend Jahre
lang zu ihren Füßen gelebt und eine hohe Kultur entwickelt hatte; Perser,
Griechen und Römer sahen sie ins Land kommen, Alexander und Cäsar schauten
bewundernd zu ihnen auf. Sie sahen das Christentum sich ausbreiten und der
islamischen Religion weichen. Kairo entstand, und der Halbmond leuchtete von
den Moscheen. Und als Napoleon kam und das alte Ägypten aus seinen
Gräbern zu neuem Leben erweckte, konnte er seine Soldaten vor die Pyramiden
führen und ihnen zurufen: Vier Jahrtausende schauen auf euch herab!

(Schluß folgt)




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[0274] Memphis und die Pyramiden großen Pyramiden von Gizeh zu, die bald in der Ferne erschienen. Links lag die endlos weite, gelblich schimmernde Wüste, deren wellenförmiges Hügelland daran erinnert, daß sie einst von den Fluten des Mittelländischen Meeres be¬ deckt gewesen ist, rechts zog sich der schmale Streifen fruchtbaren Landes, von Kannten durchschnitten, am Nil entlang. Die Luft war rein, denn der kaum merkbar wehende Wind vermochte nicht den Staub der Wüste aufzuwirbeln, und so trocken, daß man die Hitze kaum empfand. Es ist das Gräberfeld von Memphis, über das wir reiten; der Saum der Wüste ist bedeckt mit Mastabas und Pyramiden. Die größte von diesen im Verhältnis zu den Titaneubautcn von Gizeh winzig erscheinenden Pyramiden ist die sogenannte Stufenpyramide von Sakkarah; immerhin ein mächtiger Bau, der sensenförmig ansteigt. Wir reiten vorbei, denn diese Pyramide bietet wenig Interessantes. Immer gewaltiger treten die großen Pyramiden hervor, immer größer erscheint ihr scharf gezeichnetes Dreieck, das sich vom blauen Himmel abhebt, und uach einstündigem Ritt halten wir vor den majestätischen Bauten der ältesten Pharaonen und fragen staunend, wie Menschenhände diese Gebirge aus Steinblöcken haben aufrichten können. Man muß die Pyramiden gesehen haben, wenn man ihre Größe ganz erfassen will. Von diesen ungeheuern Steinmassen, die mehr wie ein Naturgebilde als wie ein Werk von Menschenhand erscheinen, die sich in mächtiger Breite aufge¬ lagert nach oben mehr und mehr verjüngen, bis sie in eine Spitze auslaufen, die höher zum Himmel ragt als die meisten unsrer mächtigen Dome, kann man sich kaum eine Vorstellung machen. Die größte der Pyramiden, die Pyramide des Cheops, hat hundertundsiebenunddreißig Meter Höhe; man könnte, wenn sie hohl wäre, den großen Dom von Se. Peter in Rom hineinstellen, er würde die Wände der Pyramide nicht berühren. Und dieser ganze gewaltige Raum ist mit Steinblöcken ausgefüllt! Zwei und eine halbe Million Kubikmeter Stein enthält die Pyramide, Material genug, die ganze Grenze des Deutschen Reichs mit einer Mauer von drei Metern Höhe und einem halben Meter Dicke zu umgeben. Es sind die Wunder der alten Welt, die wir betrachten. Vor beinahe fünftausend Jahren sind sie errichtet worden, die ältesten Werke, die von Menschen gebaut sind; sie waren schon uralt, als Abraham nach Ägypten kam; sie sahen die Juden Ziegel streichen für die Bauten der Pharaonen unter dem Stocke der Vögte. Ganze Völker, ganze Kulturen, ja sogar ganze Religionen haben sie überdauert; sie sahen das Volk der Ägypter vergeh«, das dreitausend Jahre lang zu ihren Füßen gelebt und eine hohe Kultur entwickelt hatte; Perser, Griechen und Römer sahen sie ins Land kommen, Alexander und Cäsar schauten bewundernd zu ihnen auf. Sie sahen das Christentum sich ausbreiten und der islamischen Religion weichen. Kairo entstand, und der Halbmond leuchtete von den Moscheen. Und als Napoleon kam und das alte Ägypten aus seinen Gräbern zu neuem Leben erweckte, konnte er seine Soldaten vor die Pyramiden führen und ihnen zurufen: Vier Jahrtausende schauen auf euch herab! (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/274>, abgerufen am 24.07.2024.