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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Die Festungen Europas

anlagen an derselben Bahnlinie bei Osoppo und Chiusaforte gegenüber, während
wir im Piavetal Pieve als die bedeutendste finden. -- Auch weit in der
Westecke Tirols, an der Schweizer Grenze, hat Österreich zwei Alpenforts,
Nauders am Eintritt des Jnn nach Tirol und Gomagoi am Stilfser Joch,
beide, wie ein Blick auf die Karte lehrt, offenbar gegen einen Einbruch
italienischer Truppen durch den äußersten Zipfel der Ostschweiz und daran
vorbei berechnet.

Den Parallelismus zwischen Deutschland und Italien können wir noch er¬
weitern, wenn wir uns an ihren Anteil am offnen Meer erinnern. Nur ist
die italienische Küste viel ausgedehnter als die deutsche, und es würde dadurch
eine weit größere Zahl starker Seebefestigungen verlangen, als -- wohl mit
Rücksicht auf die enormen Kosten -- tatsächlich vorhanden sind. Wir haben
schon oben die ausgedehnten Befestigungen bei Genua (6) und den großen
Kriegshafen von Spezia genannt. Dazu kommen neben einigen kleinern Küsten¬
befestigungen wie am Monte Argentario als weitere große Stützpunkte der
Flotte im Westen Livorno, das neu befestigt wird, Civitavecchia (31), Gaeta,
Messina (18). dessen Meerenge sehr stark befestigt ist. Auf der Herrschaft über
diese Meerenge beruht ja die Sicherung des Zusammenhalts zwischen Sizilien
und dem Festlande. Dazu müssen wir noch am Nordende von Sardinien die
starken Seebefestigungen und Werftanlagen von Maddalena (18) nennen, die
nicht nur für die Herrschaft über die Insel einen -- wohl kaum ausreichenden --
Rückhalt gewähren, sondern mehr noch in Gemeinschaft mit den Festlandhäfen
der Flotte als Basis und Zuflucht dienen. An der Südküste Italiens ist
Tarent (12), an der Ostküste Ancona (4) schwach, stärker Venedig (8) aus¬
gebaut. Die hier in Klammern beigefügten Zahlen geben die Verteilung der
Torpedoflotte auf die einzelnen Häfen an (nach einer Mitteilung im Militär-
Wochenblatt von 1904, Sy. 1715).

Das eben genannte Messina ist auf Sizilien der bedeutendste und am besten
aufgebaute befestigte Platz, mit seinen Forts ringsherum ein großes verschanztes
Lager, aber es ist nicht der einzige Platz. Palermo, Milazzo, Trapcmi,
Surakus und Porto d'Augusta sind nach der Seeseite, zum Teil freilich gegen¬
über modernen Waffen durchaus ungenügend, gesichert. Weit wichtiger dagegen
ist das Projekt, die im Innern als Knotenpunkt liegende Stadt Castrogiovanni,
das alte Enna, zu einer großen Festung auszubauen. Diese würde gewisser¬
maßen als Zeutralfestung die Herrschaft über die Insel dem Königreiche immer
noch sichern, auch wenn, wie man im Falle eines französisch-italienischen Krieges
erwarten muß, ein starkes Laudungskorps von Bizerta aus Sizilien besetzen
sollte. Girqenti oder Licata an der Südküste würden von dieser in der neusten
Zeit sehr erweiterten französischen Seefestung in zwölf Stunden bequem erreicht
werden können. (Militürwochenblatt 1905, Sy. 532.)

Vergleicht man diese italienische Küstcnsicherung etwa mit der der britischen
Inseln, so kann man keinen Augenblick darüber im unklaren bleiben, daß sie
durchaus nicht ausreicht, eine feindliche Landung zu verhindern. Im Gegensatz
zu England sind deshalb die Befestigung der Hauptstadt und die Erhaltung
eines bedeutenden mobilen Heeres eine absolute Notwendigkeit, zumal da auch


Die Festungen Europas

anlagen an derselben Bahnlinie bei Osoppo und Chiusaforte gegenüber, während
wir im Piavetal Pieve als die bedeutendste finden. — Auch weit in der
Westecke Tirols, an der Schweizer Grenze, hat Österreich zwei Alpenforts,
Nauders am Eintritt des Jnn nach Tirol und Gomagoi am Stilfser Joch,
beide, wie ein Blick auf die Karte lehrt, offenbar gegen einen Einbruch
italienischer Truppen durch den äußersten Zipfel der Ostschweiz und daran
vorbei berechnet.

Den Parallelismus zwischen Deutschland und Italien können wir noch er¬
weitern, wenn wir uns an ihren Anteil am offnen Meer erinnern. Nur ist
die italienische Küste viel ausgedehnter als die deutsche, und es würde dadurch
eine weit größere Zahl starker Seebefestigungen verlangen, als — wohl mit
Rücksicht auf die enormen Kosten — tatsächlich vorhanden sind. Wir haben
schon oben die ausgedehnten Befestigungen bei Genua (6) und den großen
Kriegshafen von Spezia genannt. Dazu kommen neben einigen kleinern Küsten¬
befestigungen wie am Monte Argentario als weitere große Stützpunkte der
Flotte im Westen Livorno, das neu befestigt wird, Civitavecchia (31), Gaeta,
Messina (18). dessen Meerenge sehr stark befestigt ist. Auf der Herrschaft über
diese Meerenge beruht ja die Sicherung des Zusammenhalts zwischen Sizilien
und dem Festlande. Dazu müssen wir noch am Nordende von Sardinien die
starken Seebefestigungen und Werftanlagen von Maddalena (18) nennen, die
nicht nur für die Herrschaft über die Insel einen — wohl kaum ausreichenden —
Rückhalt gewähren, sondern mehr noch in Gemeinschaft mit den Festlandhäfen
der Flotte als Basis und Zuflucht dienen. An der Südküste Italiens ist
Tarent (12), an der Ostküste Ancona (4) schwach, stärker Venedig (8) aus¬
gebaut. Die hier in Klammern beigefügten Zahlen geben die Verteilung der
Torpedoflotte auf die einzelnen Häfen an (nach einer Mitteilung im Militär-
Wochenblatt von 1904, Sy. 1715).

Das eben genannte Messina ist auf Sizilien der bedeutendste und am besten
aufgebaute befestigte Platz, mit seinen Forts ringsherum ein großes verschanztes
Lager, aber es ist nicht der einzige Platz. Palermo, Milazzo, Trapcmi,
Surakus und Porto d'Augusta sind nach der Seeseite, zum Teil freilich gegen¬
über modernen Waffen durchaus ungenügend, gesichert. Weit wichtiger dagegen
ist das Projekt, die im Innern als Knotenpunkt liegende Stadt Castrogiovanni,
das alte Enna, zu einer großen Festung auszubauen. Diese würde gewisser¬
maßen als Zeutralfestung die Herrschaft über die Insel dem Königreiche immer
noch sichern, auch wenn, wie man im Falle eines französisch-italienischen Krieges
erwarten muß, ein starkes Laudungskorps von Bizerta aus Sizilien besetzen
sollte. Girqenti oder Licata an der Südküste würden von dieser in der neusten
Zeit sehr erweiterten französischen Seefestung in zwölf Stunden bequem erreicht
werden können. (Militürwochenblatt 1905, Sy. 532.)

Vergleicht man diese italienische Küstcnsicherung etwa mit der der britischen
Inseln, so kann man keinen Augenblick darüber im unklaren bleiben, daß sie
durchaus nicht ausreicht, eine feindliche Landung zu verhindern. Im Gegensatz
zu England sind deshalb die Befestigung der Hauptstadt und die Erhaltung
eines bedeutenden mobilen Heeres eine absolute Notwendigkeit, zumal da auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/201>, abgerufen am 04.07.2024.