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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Die Festungen Europas

nach Nizza führt. Im Anschluß an den Bau des Simplontunnels sind neuer¬
dings noch die drei Forts bei Jselle, Varzo und Crevola im Norden als
Sicherung des reichen Piemont dazugekommen. Dagegen sind jetzt die Be¬
festigungen von Casale und von Alessandria bis auf die Zitadelle dieser Stadt
verschwunden. (Siehe Militärwochenblatt 1904, Sy. 2551 und 1905, Sy. 150.)
Eine ganze Reihe von Forts an der Grenze der Ligurischen Alpen und des
Apennin sowie an der Küste dienen ferner dazu, einen Einmarsch französischer
Truppen durch Ligurien, wie ihn zum Beispiel einst Napoleon der Erste aus¬
führte, zu erschweren. Diese Reihe hat ihr Ende an der starken Fortfestung
Genua, dem weiter östlich das als großer Kriegshafen ausgerüstete und be¬
festigte Spezia folgt. Umgekehrt hat auch Frankreich seine italienische Grenze
durch die zwei großen Fortfestungen Brian?on und Grenoble sowie durch viele
Forts gesichert.

Stärker noch oder mindestens ebenso stark ist die Sicherung an der
österreichischen Grenze. Hier finden wir zunächst in der Poebene das alte be¬
rühmte Festuugsviereck Verona, Legnago, Mantua, Peschiera, von denen heute
aber nur noch bei Mantua einige ältere Werke stehn, während Verona in
allerneuster Zeit erst wieder ausgebaut wird. Hier sollen elf neue Forts errichtet
werden (Militärwochenblatt 1904, Sy. 2856). Dagegen liegen zahlreiche Sperr¬
forts an allen über die Grenze führenden Straßen, so unter anderm bei Rivoli
und bei Monte Lcssini östlich vom Gardasee an der Bahn von Innsbruck--
Trient nach Verona. Neuerdings ist auch im Ogliotale bei Legno am Tonale¬
paß ein Fort entstanden als Antwort auf die Restaurierung der österreichischen
Befestigungen im Sulzberg (Fort sermo). (Militärwochenblatt 1904, Sy. 627
und 2015.)

Wie seit dem Kriege von 1870 zwischen Frankreich und Deutschland
ein wirklich ehrlicher Friede noch immer nicht eingetreten ist, so stehn sich
auch Österreich und Italien noch heute nach vierzig Jahren seit dem letzten
schweren Konflikt ohne gegenseitiges Vertrauen gegenüber. Die südtirolischen
Landschaften sind ja dem Volkstume und der Sprache ihrer Bewohner nach
im Grunde italienisch, und andrerseits ist ja Venezien als natürliche Pforte
der Ostalpenländer nach dem Mittelmeer wirtschaftlich eng mit Tirol und
Österreich verknüpft. Den soeben genannten italienischen Schutzanlagen ent¬
sprechen demnach auch natürlich starke Befestigungen auf österreichischer Seite.
Das Zentrum dieser ist die von Forts rings umgebne Stadt im Etschtal,
Trient, während die ringsum von hier aus nach Italien führenden Paßstraßen
mit Sperrforts gedeckt sind; so das Tal Judikarien, der Gardasee bei Riva,
das Brentatal bei Levico, der Rollepaß im Osten. Die ältere Festung Franzens¬
feste wird heute kaum mehr lange Widerstand leisten können. Weiter östlich
sind vor allem die Zugangsstraßen aus dem italienischen Piavetal in das
Pustertal durch die Sperrbefestigungen bei Landro und bei Moos (beide nicht
weit von Toblach) und die Bahnlinie von Udine am Tagliamento nach Tarvis
an der Sau ebenso wie die über Cividcile führende Straße durch die Sperren
bei Malborgeth, Finsch und Predil geschlossen. Auf italienischer Seite stehn
diesen, wie wir hier noch nachträglich erwähnen "vollen, wichtigere Befestigungs-


Die Festungen Europas

nach Nizza führt. Im Anschluß an den Bau des Simplontunnels sind neuer¬
dings noch die drei Forts bei Jselle, Varzo und Crevola im Norden als
Sicherung des reichen Piemont dazugekommen. Dagegen sind jetzt die Be¬
festigungen von Casale und von Alessandria bis auf die Zitadelle dieser Stadt
verschwunden. (Siehe Militärwochenblatt 1904, Sy. 2551 und 1905, Sy. 150.)
Eine ganze Reihe von Forts an der Grenze der Ligurischen Alpen und des
Apennin sowie an der Küste dienen ferner dazu, einen Einmarsch französischer
Truppen durch Ligurien, wie ihn zum Beispiel einst Napoleon der Erste aus¬
führte, zu erschweren. Diese Reihe hat ihr Ende an der starken Fortfestung
Genua, dem weiter östlich das als großer Kriegshafen ausgerüstete und be¬
festigte Spezia folgt. Umgekehrt hat auch Frankreich seine italienische Grenze
durch die zwei großen Fortfestungen Brian?on und Grenoble sowie durch viele
Forts gesichert.

Stärker noch oder mindestens ebenso stark ist die Sicherung an der
österreichischen Grenze. Hier finden wir zunächst in der Poebene das alte be¬
rühmte Festuugsviereck Verona, Legnago, Mantua, Peschiera, von denen heute
aber nur noch bei Mantua einige ältere Werke stehn, während Verona in
allerneuster Zeit erst wieder ausgebaut wird. Hier sollen elf neue Forts errichtet
werden (Militärwochenblatt 1904, Sy. 2856). Dagegen liegen zahlreiche Sperr¬
forts an allen über die Grenze führenden Straßen, so unter anderm bei Rivoli
und bei Monte Lcssini östlich vom Gardasee an der Bahn von Innsbruck—
Trient nach Verona. Neuerdings ist auch im Ogliotale bei Legno am Tonale¬
paß ein Fort entstanden als Antwort auf die Restaurierung der österreichischen
Befestigungen im Sulzberg (Fort sermo). (Militärwochenblatt 1904, Sy. 627
und 2015.)

Wie seit dem Kriege von 1870 zwischen Frankreich und Deutschland
ein wirklich ehrlicher Friede noch immer nicht eingetreten ist, so stehn sich
auch Österreich und Italien noch heute nach vierzig Jahren seit dem letzten
schweren Konflikt ohne gegenseitiges Vertrauen gegenüber. Die südtirolischen
Landschaften sind ja dem Volkstume und der Sprache ihrer Bewohner nach
im Grunde italienisch, und andrerseits ist ja Venezien als natürliche Pforte
der Ostalpenländer nach dem Mittelmeer wirtschaftlich eng mit Tirol und
Österreich verknüpft. Den soeben genannten italienischen Schutzanlagen ent¬
sprechen demnach auch natürlich starke Befestigungen auf österreichischer Seite.
Das Zentrum dieser ist die von Forts rings umgebne Stadt im Etschtal,
Trient, während die ringsum von hier aus nach Italien führenden Paßstraßen
mit Sperrforts gedeckt sind; so das Tal Judikarien, der Gardasee bei Riva,
das Brentatal bei Levico, der Rollepaß im Osten. Die ältere Festung Franzens¬
feste wird heute kaum mehr lange Widerstand leisten können. Weiter östlich
sind vor allem die Zugangsstraßen aus dem italienischen Piavetal in das
Pustertal durch die Sperrbefestigungen bei Landro und bei Moos (beide nicht
weit von Toblach) und die Bahnlinie von Udine am Tagliamento nach Tarvis
an der Sau ebenso wie die über Cividcile führende Straße durch die Sperren
bei Malborgeth, Finsch und Predil geschlossen. Auf italienischer Seite stehn
diesen, wie wir hier noch nachträglich erwähnen »vollen, wichtigere Befestigungs-


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[0200] Die Festungen Europas nach Nizza führt. Im Anschluß an den Bau des Simplontunnels sind neuer¬ dings noch die drei Forts bei Jselle, Varzo und Crevola im Norden als Sicherung des reichen Piemont dazugekommen. Dagegen sind jetzt die Be¬ festigungen von Casale und von Alessandria bis auf die Zitadelle dieser Stadt verschwunden. (Siehe Militärwochenblatt 1904, Sy. 2551 und 1905, Sy. 150.) Eine ganze Reihe von Forts an der Grenze der Ligurischen Alpen und des Apennin sowie an der Küste dienen ferner dazu, einen Einmarsch französischer Truppen durch Ligurien, wie ihn zum Beispiel einst Napoleon der Erste aus¬ führte, zu erschweren. Diese Reihe hat ihr Ende an der starken Fortfestung Genua, dem weiter östlich das als großer Kriegshafen ausgerüstete und be¬ festigte Spezia folgt. Umgekehrt hat auch Frankreich seine italienische Grenze durch die zwei großen Fortfestungen Brian?on und Grenoble sowie durch viele Forts gesichert. Stärker noch oder mindestens ebenso stark ist die Sicherung an der österreichischen Grenze. Hier finden wir zunächst in der Poebene das alte be¬ rühmte Festuugsviereck Verona, Legnago, Mantua, Peschiera, von denen heute aber nur noch bei Mantua einige ältere Werke stehn, während Verona in allerneuster Zeit erst wieder ausgebaut wird. Hier sollen elf neue Forts errichtet werden (Militärwochenblatt 1904, Sy. 2856). Dagegen liegen zahlreiche Sperr¬ forts an allen über die Grenze führenden Straßen, so unter anderm bei Rivoli und bei Monte Lcssini östlich vom Gardasee an der Bahn von Innsbruck— Trient nach Verona. Neuerdings ist auch im Ogliotale bei Legno am Tonale¬ paß ein Fort entstanden als Antwort auf die Restaurierung der österreichischen Befestigungen im Sulzberg (Fort sermo). (Militärwochenblatt 1904, Sy. 627 und 2015.) Wie seit dem Kriege von 1870 zwischen Frankreich und Deutschland ein wirklich ehrlicher Friede noch immer nicht eingetreten ist, so stehn sich auch Österreich und Italien noch heute nach vierzig Jahren seit dem letzten schweren Konflikt ohne gegenseitiges Vertrauen gegenüber. Die südtirolischen Landschaften sind ja dem Volkstume und der Sprache ihrer Bewohner nach im Grunde italienisch, und andrerseits ist ja Venezien als natürliche Pforte der Ostalpenländer nach dem Mittelmeer wirtschaftlich eng mit Tirol und Österreich verknüpft. Den soeben genannten italienischen Schutzanlagen ent¬ sprechen demnach auch natürlich starke Befestigungen auf österreichischer Seite. Das Zentrum dieser ist die von Forts rings umgebne Stadt im Etschtal, Trient, während die ringsum von hier aus nach Italien führenden Paßstraßen mit Sperrforts gedeckt sind; so das Tal Judikarien, der Gardasee bei Riva, das Brentatal bei Levico, der Rollepaß im Osten. Die ältere Festung Franzens¬ feste wird heute kaum mehr lange Widerstand leisten können. Weiter östlich sind vor allem die Zugangsstraßen aus dem italienischen Piavetal in das Pustertal durch die Sperrbefestigungen bei Landro und bei Moos (beide nicht weit von Toblach) und die Bahnlinie von Udine am Tagliamento nach Tarvis an der Sau ebenso wie die über Cividcile führende Straße durch die Sperren bei Malborgeth, Finsch und Predil geschlossen. Auf italienischer Seite stehn diesen, wie wir hier noch nachträglich erwähnen »vollen, wichtigere Befestigungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/200>, abgerufen am 24.07.2024.