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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Aarl der Erste, König von Rumänien

am Ufer standen, hatten keine Ahnung, wer der Fremde sein konnte; sie
wussten nicht, daß sich in diesem Augenblick, um Nachmittag des 20. Mai 1866,
hier vor ihren Augen eine Tatsache vollzog, die für ihr Vaterland von Folgen
begleitet sein würde, wie sie damals wohl kaum jemand erwartete, und wäre
er noch so optimistisch gewesen.

Was führte Karl von Hohenzollern nach Rumänien? Menschliche Kritiksucht
ist immer rasch zur Stelle, Handlungen, besonders wenn sie von gesellschaftlich
Höherstehenden begangen werden, satirisch zu beleuchten. An ideale Beweggründe
denken wenige. Verwandt ist diese Neigung mit der, der sich oft die Besten an¬
fänglich nicht ganz entschlagen können, eine Art Schadenfreude zu empfinden,
wenn dem Nächsten ein Unternehmen scheitert, wenn ihm etwas zustößt, das den
gehofften Vorteil verhindert. So wurde auch der Schritt, den Prinz Karl unter¬
nommen hatte, von vielen Seiten ziemlich spöttisch beurteilt. Die einen
meinten, den preußischen Kavallerieoffizier gelüste es nach einem Abenteuer, andre
erachteten seinen Schritt als eine Tat des Hochmuts, noch andre zuckten mit¬
leidig und überlegen die Schultern und dachten an unüberlegtes Handeln eines
noch unerfahrnen jungen Mannes. Sogar aus der interessanten Unterredung,
die Karl von Hohenzollern mit Otto von Bismarck am 19. April 1866 hatte,
zuckte etwas wie Humor hervor, so wichtig und schwerwiegend auch sonst die
Worte waren, die der Minister, dessen Stern eben am Horizont aufging und
bald so mächtig aufstreben sollte, sprach: "Und selbst falls Sie nicht reüssierten --
Sie würden hierher zurückkehren und sich stets mit Vergnügen eines Coups
erinnern dürfen, der Ihnen nie zum Vorwurf gereichen kann." Der spätere
große Kanzler täuschte sich insofern in dem Prinzen, als er meinte, der könnte
sich mit Vergnügen an den mißlungnen Coup erinnern, wenn er gezwungen
würde, zurückzukehren. Hierin lag gerade die psychologische Seite des Problems,
das der Schritt des Prinzen für solche, die ihn nicht tiefer kannten, enthielt,
das Rätsel, das damals so wenige verstanden, und das heute ungezählte verstehn,
die deshalb Karl von Rumänien bewundern und seine Tätigkeit würdigen.

Es gibt einen Ehrgeiz, den die Tugend gebiert. Diesen Ehrgeiz hatte
der damals noch junge Mann, und noch heute ist er in dem Könige vor¬
handen. Es war der Ehrgeiz eines tiefangelegten Charakters, der sich nicht
begnügte mit dem ihm durch Zufall und ohne persönliches Verdienst gewordnen
Vorzug der fürstlichen Geburt mit allen ihren gesellschaftlichen Prärogativen.
Nicht als ob Karl von Hohenzollern nicht stolz gewesen wäre! König Karl
war allezeit stolz, aber er hat den wahren Stolz des ganzen Mannes, den
Stolz, dem Hochmut fremd ist, der hochgemut nach Hohem strebt, der Großes,
Tüchtiges im Leben leisten will. Das war der Beweggrund, der Karl von
Hohenzollern veranlaßte, alles zu verlassen, um was ihn Millionen vielleicht
beneideten, und darin lag auch die Stärke, die ihn befähigte, sein großes
Lebenswerk fort- und auszuführen, wenn auch oft, sehr oft alle Mühe, alle
Sorge, alle Zähigkeit vergeblich und erfolglos zu sein schienen. Es war der
edle Ehrgeiz eines Mannes, der den festen Glauben an eine Mission hatte.

..Ich schwöre treu zu sein den Gesetzen des Landes, die Religion hochzu¬
halten, die Unantastbarkeit des vaterländischen Bodens zu schützen und zu


Aarl der Erste, König von Rumänien

am Ufer standen, hatten keine Ahnung, wer der Fremde sein konnte; sie
wussten nicht, daß sich in diesem Augenblick, um Nachmittag des 20. Mai 1866,
hier vor ihren Augen eine Tatsache vollzog, die für ihr Vaterland von Folgen
begleitet sein würde, wie sie damals wohl kaum jemand erwartete, und wäre
er noch so optimistisch gewesen.

Was führte Karl von Hohenzollern nach Rumänien? Menschliche Kritiksucht
ist immer rasch zur Stelle, Handlungen, besonders wenn sie von gesellschaftlich
Höherstehenden begangen werden, satirisch zu beleuchten. An ideale Beweggründe
denken wenige. Verwandt ist diese Neigung mit der, der sich oft die Besten an¬
fänglich nicht ganz entschlagen können, eine Art Schadenfreude zu empfinden,
wenn dem Nächsten ein Unternehmen scheitert, wenn ihm etwas zustößt, das den
gehofften Vorteil verhindert. So wurde auch der Schritt, den Prinz Karl unter¬
nommen hatte, von vielen Seiten ziemlich spöttisch beurteilt. Die einen
meinten, den preußischen Kavallerieoffizier gelüste es nach einem Abenteuer, andre
erachteten seinen Schritt als eine Tat des Hochmuts, noch andre zuckten mit¬
leidig und überlegen die Schultern und dachten an unüberlegtes Handeln eines
noch unerfahrnen jungen Mannes. Sogar aus der interessanten Unterredung,
die Karl von Hohenzollern mit Otto von Bismarck am 19. April 1866 hatte,
zuckte etwas wie Humor hervor, so wichtig und schwerwiegend auch sonst die
Worte waren, die der Minister, dessen Stern eben am Horizont aufging und
bald so mächtig aufstreben sollte, sprach: „Und selbst falls Sie nicht reüssierten —
Sie würden hierher zurückkehren und sich stets mit Vergnügen eines Coups
erinnern dürfen, der Ihnen nie zum Vorwurf gereichen kann." Der spätere
große Kanzler täuschte sich insofern in dem Prinzen, als er meinte, der könnte
sich mit Vergnügen an den mißlungnen Coup erinnern, wenn er gezwungen
würde, zurückzukehren. Hierin lag gerade die psychologische Seite des Problems,
das der Schritt des Prinzen für solche, die ihn nicht tiefer kannten, enthielt,
das Rätsel, das damals so wenige verstanden, und das heute ungezählte verstehn,
die deshalb Karl von Rumänien bewundern und seine Tätigkeit würdigen.

Es gibt einen Ehrgeiz, den die Tugend gebiert. Diesen Ehrgeiz hatte
der damals noch junge Mann, und noch heute ist er in dem Könige vor¬
handen. Es war der Ehrgeiz eines tiefangelegten Charakters, der sich nicht
begnügte mit dem ihm durch Zufall und ohne persönliches Verdienst gewordnen
Vorzug der fürstlichen Geburt mit allen ihren gesellschaftlichen Prärogativen.
Nicht als ob Karl von Hohenzollern nicht stolz gewesen wäre! König Karl
war allezeit stolz, aber er hat den wahren Stolz des ganzen Mannes, den
Stolz, dem Hochmut fremd ist, der hochgemut nach Hohem strebt, der Großes,
Tüchtiges im Leben leisten will. Das war der Beweggrund, der Karl von
Hohenzollern veranlaßte, alles zu verlassen, um was ihn Millionen vielleicht
beneideten, und darin lag auch die Stärke, die ihn befähigte, sein großes
Lebenswerk fort- und auszuführen, wenn auch oft, sehr oft alle Mühe, alle
Sorge, alle Zähigkeit vergeblich und erfolglos zu sein schienen. Es war der
edle Ehrgeiz eines Mannes, der den festen Glauben an eine Mission hatte.

..Ich schwöre treu zu sein den Gesetzen des Landes, die Religion hochzu¬
halten, die Unantastbarkeit des vaterländischen Bodens zu schützen und zu


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[0188] Aarl der Erste, König von Rumänien am Ufer standen, hatten keine Ahnung, wer der Fremde sein konnte; sie wussten nicht, daß sich in diesem Augenblick, um Nachmittag des 20. Mai 1866, hier vor ihren Augen eine Tatsache vollzog, die für ihr Vaterland von Folgen begleitet sein würde, wie sie damals wohl kaum jemand erwartete, und wäre er noch so optimistisch gewesen. Was führte Karl von Hohenzollern nach Rumänien? Menschliche Kritiksucht ist immer rasch zur Stelle, Handlungen, besonders wenn sie von gesellschaftlich Höherstehenden begangen werden, satirisch zu beleuchten. An ideale Beweggründe denken wenige. Verwandt ist diese Neigung mit der, der sich oft die Besten an¬ fänglich nicht ganz entschlagen können, eine Art Schadenfreude zu empfinden, wenn dem Nächsten ein Unternehmen scheitert, wenn ihm etwas zustößt, das den gehofften Vorteil verhindert. So wurde auch der Schritt, den Prinz Karl unter¬ nommen hatte, von vielen Seiten ziemlich spöttisch beurteilt. Die einen meinten, den preußischen Kavallerieoffizier gelüste es nach einem Abenteuer, andre erachteten seinen Schritt als eine Tat des Hochmuts, noch andre zuckten mit¬ leidig und überlegen die Schultern und dachten an unüberlegtes Handeln eines noch unerfahrnen jungen Mannes. Sogar aus der interessanten Unterredung, die Karl von Hohenzollern mit Otto von Bismarck am 19. April 1866 hatte, zuckte etwas wie Humor hervor, so wichtig und schwerwiegend auch sonst die Worte waren, die der Minister, dessen Stern eben am Horizont aufging und bald so mächtig aufstreben sollte, sprach: „Und selbst falls Sie nicht reüssierten — Sie würden hierher zurückkehren und sich stets mit Vergnügen eines Coups erinnern dürfen, der Ihnen nie zum Vorwurf gereichen kann." Der spätere große Kanzler täuschte sich insofern in dem Prinzen, als er meinte, der könnte sich mit Vergnügen an den mißlungnen Coup erinnern, wenn er gezwungen würde, zurückzukehren. Hierin lag gerade die psychologische Seite des Problems, das der Schritt des Prinzen für solche, die ihn nicht tiefer kannten, enthielt, das Rätsel, das damals so wenige verstanden, und das heute ungezählte verstehn, die deshalb Karl von Rumänien bewundern und seine Tätigkeit würdigen. Es gibt einen Ehrgeiz, den die Tugend gebiert. Diesen Ehrgeiz hatte der damals noch junge Mann, und noch heute ist er in dem Könige vor¬ handen. Es war der Ehrgeiz eines tiefangelegten Charakters, der sich nicht begnügte mit dem ihm durch Zufall und ohne persönliches Verdienst gewordnen Vorzug der fürstlichen Geburt mit allen ihren gesellschaftlichen Prärogativen. Nicht als ob Karl von Hohenzollern nicht stolz gewesen wäre! König Karl war allezeit stolz, aber er hat den wahren Stolz des ganzen Mannes, den Stolz, dem Hochmut fremd ist, der hochgemut nach Hohem strebt, der Großes, Tüchtiges im Leben leisten will. Das war der Beweggrund, der Karl von Hohenzollern veranlaßte, alles zu verlassen, um was ihn Millionen vielleicht beneideten, und darin lag auch die Stärke, die ihn befähigte, sein großes Lebenswerk fort- und auszuführen, wenn auch oft, sehr oft alle Mühe, alle Sorge, alle Zähigkeit vergeblich und erfolglos zu sein schienen. Es war der edle Ehrgeiz eines Mannes, der den festen Glauben an eine Mission hatte. ..Ich schwöre treu zu sein den Gesetzen des Landes, die Religion hochzu¬ halten, die Unantastbarkeit des vaterländischen Bodens zu schützen und zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/188>, abgerufen am 27.12.2024.