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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Die russische Armee nach dem Kriege gegen Japan

Hälfte der den sonstigen Avancementsbedingungen genügenden Kapitäne (Ritt¬
meister) nach ihrem Dienstalter zur Beförderung eingegeben wird, wahrend die
übrigen, darunter auch die nicht in den Generalstab eingereihten ehemaligen
Akademiker, als "besonders qualifiziert" beurteilt und früher berücksichtigt werden.
So gibt es Kapitäne und Rittmeister, die schon nach vierjährigen Verbleib
in dieser Charge Oberstleutnant (bei der Garde Oberst) werden, während andre,
wenn sie überhaupt dazu gelangen, zwölf und mehr Jahre auf die Beförderung
warten müssen. Viele und oft sehr tüchtige Kapitäne haben bis dahin die
"Altersgrenze" überschritten und werden mit ihrer geringen Pension verab¬
schiedet.

Ähnliche Grundsätze gelten für das Avancement von Oberstleutnants zu
Regimentskommandeuren oder zu Kommandeuren selbständiger Truppenteile
(darunter auch die Batterien).

Die nunmehr vom Kaiser ins Auge gefaßten Reformen sind folgende:

Bis zum Oberstleutnant, also nicht mehr bis zum Kapitän und Rittmeister
einschließlich, sollen die Beförderungen nur nach der Alterstour und nur
innerhalb des Truppenteils erfolgen. Dieses, um das sogenannte "Springer-
tum" und das "Fortloben" zu verhindern. Dafür sollen alle Kapitäne (Ritt¬
meister) zuvor mit Erfolg einen Stabsoffizierkursus durchmachen. Damit die
Beförderung zu einer höhern Charge nicht mehr allein von der mehr oder
minder einseitigen Beurteilung der direkten Vorgesetzten abhänge, sollen die
Kandidaten, namentlich wenn es sich um die Beförderung zum Kommandeur
eines selbständigen Truppenteils handelt, einer kollektiven Wahl durch die im
nächsten höhern Range stehenden, derselben höhern Truppeneinheit (Armeekorps)
angehörenden Offiziere unterliegen. So würde zum Beispiel ein zum Regi¬
mentskommandeur eingegebner Oberst von einer aus den Brigadekommandeuren
desselben Armeekorps zusammengesetzten Kommission durch Ballotement aus¬
gewählt werden. Auf die eigentlichen militärischen Leistungen und die Be¬
fähigung zur Führung soll dabei das Hauptgewicht gelegt werden. Um dieses
zu ermöglichen, erscheint es notwendig, die Truppenteile von dem Okonomie-
betrieb zu entlasten und die dazu bisher notwendig gewesenen Offiziere durch
Beamte zu ersetzen. Die Hauptarbeit ist der Intendantur zu übertragen. Die
Befehle zu dieser Reform sind schon erlassen.

Den die Qualifikationen erteilenden direkten Vorgesetzten wird strenge Un¬
parteilichkeit und gründliches Eingehn auf die Eigenschaften des Kandidaten
zur Pflicht gemacht, und die Befähigung zur Ausstellung solcher Qualifikationen
soll als einer der Hauptpunkte zu der Beurteilung des betreffenden Vorgesetzten
gelten.

Die Einsicht in die Qualifikationen soll den Beurteilten jederzeit offen
stehen.

Auch in den untern Graden sind nur die wirklich brauchbaren Offiziere
zum Avancement zuzulassen, alle nicht geeigneten Leute aber sind rechtzeitig
zu entfernen. Die Übernahme von "Nichtfrontstellungen" soll frühestens nach
zweijähriger praktischer Dienstzeit als Unterleutnant erlaubt sein und muß durch
Wiedereinstellung in die Front unterbrochen werden.


Die russische Armee nach dem Kriege gegen Japan

Hälfte der den sonstigen Avancementsbedingungen genügenden Kapitäne (Ritt¬
meister) nach ihrem Dienstalter zur Beförderung eingegeben wird, wahrend die
übrigen, darunter auch die nicht in den Generalstab eingereihten ehemaligen
Akademiker, als „besonders qualifiziert" beurteilt und früher berücksichtigt werden.
So gibt es Kapitäne und Rittmeister, die schon nach vierjährigen Verbleib
in dieser Charge Oberstleutnant (bei der Garde Oberst) werden, während andre,
wenn sie überhaupt dazu gelangen, zwölf und mehr Jahre auf die Beförderung
warten müssen. Viele und oft sehr tüchtige Kapitäne haben bis dahin die
„Altersgrenze" überschritten und werden mit ihrer geringen Pension verab¬
schiedet.

Ähnliche Grundsätze gelten für das Avancement von Oberstleutnants zu
Regimentskommandeuren oder zu Kommandeuren selbständiger Truppenteile
(darunter auch die Batterien).

Die nunmehr vom Kaiser ins Auge gefaßten Reformen sind folgende:

Bis zum Oberstleutnant, also nicht mehr bis zum Kapitän und Rittmeister
einschließlich, sollen die Beförderungen nur nach der Alterstour und nur
innerhalb des Truppenteils erfolgen. Dieses, um das sogenannte „Springer-
tum" und das „Fortloben" zu verhindern. Dafür sollen alle Kapitäne (Ritt¬
meister) zuvor mit Erfolg einen Stabsoffizierkursus durchmachen. Damit die
Beförderung zu einer höhern Charge nicht mehr allein von der mehr oder
minder einseitigen Beurteilung der direkten Vorgesetzten abhänge, sollen die
Kandidaten, namentlich wenn es sich um die Beförderung zum Kommandeur
eines selbständigen Truppenteils handelt, einer kollektiven Wahl durch die im
nächsten höhern Range stehenden, derselben höhern Truppeneinheit (Armeekorps)
angehörenden Offiziere unterliegen. So würde zum Beispiel ein zum Regi¬
mentskommandeur eingegebner Oberst von einer aus den Brigadekommandeuren
desselben Armeekorps zusammengesetzten Kommission durch Ballotement aus¬
gewählt werden. Auf die eigentlichen militärischen Leistungen und die Be¬
fähigung zur Führung soll dabei das Hauptgewicht gelegt werden. Um dieses
zu ermöglichen, erscheint es notwendig, die Truppenteile von dem Okonomie-
betrieb zu entlasten und die dazu bisher notwendig gewesenen Offiziere durch
Beamte zu ersetzen. Die Hauptarbeit ist der Intendantur zu übertragen. Die
Befehle zu dieser Reform sind schon erlassen.

Den die Qualifikationen erteilenden direkten Vorgesetzten wird strenge Un¬
parteilichkeit und gründliches Eingehn auf die Eigenschaften des Kandidaten
zur Pflicht gemacht, und die Befähigung zur Ausstellung solcher Qualifikationen
soll als einer der Hauptpunkte zu der Beurteilung des betreffenden Vorgesetzten
gelten.

Die Einsicht in die Qualifikationen soll den Beurteilten jederzeit offen
stehen.

Auch in den untern Graden sind nur die wirklich brauchbaren Offiziere
zum Avancement zuzulassen, alle nicht geeigneten Leute aber sind rechtzeitig
zu entfernen. Die Übernahme von „Nichtfrontstellungen" soll frühestens nach
zweijähriger praktischer Dienstzeit als Unterleutnant erlaubt sein und muß durch
Wiedereinstellung in die Front unterbrochen werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/184>, abgerufen am 04.07.2024.