Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

wertvoll genug. Schon bei den internationalen Verhandlungen völkerrechtlicher
Natur, die etwa im Laufe dieses Jahres bevorstehn, wird die Stellung Amerikas zu
den einzelnen Fragen für Deutschland von nicht geringem Werte sein. Die Gegner¬
schaft zu Amerika, in der sich heute noch ein nicht geringer Teil der deutschen
Landwirte befindet, wird offenbar in dem Maße abnehmen, als sich der Export
landwirtschaftlicher Erzeugnisse von Amerika nach Europa im Laufe der Jahre
mindern muß, teils durch gesteigerten Konsum und verminderten Anbau in Amerika
selbst, teils durch Ausfuhr auch nach andern Weltteilen. Nicht zum wenigsten
auch wohl durch eine gesteigerte Leistungsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft
selbst, die durch ihre eigne Produktion immer der beste Regulator fremder Einfuhr
sein wird. Wir sehen, daß die Vereinigten Staaten die Maßnahmen gegen die
Einwanderung fort und fort verschärfen und sich energisch dagegen wehren, mit dem
Abhub aller andern Länder beehrt zu werden. In ähnlicher Weise, wie die Aus¬
wanderung nach den Vereinigten Staaten, wird auch deren Ausfuhr im Laufe der
Zeit einer allmählichen Umgestaltung unterliegen. Schon klagt ja auch die deutsche
Industrie an einzelnen Stellen recht lebhaft über amerikanische Konkurrenz, aber
alle diese wirtschaftlichen Bedenken werden das Deutsche Reich nicht abhalten dürfen,
politisch in die Hand Amerikas kräftig einzuschlagen, denn es leistet damit seinem
Frieden die größten Dienste, dem Frieden, dessen Landwirtschaft wie Industrie zu
ihrem Gedeihen bedürfen, und hinter den alle Zollfragen weit zurücktreten müssen.
Die Zeit wird auch für den Gegensatz, der in dieser Hinsicht zwischen Amerika und
Europa -- nicht mit Deutschland allein -- besteht, den Ausgleich bringen, der in
der Entwicklung der innern amerikanischen Verhältnisse schließlich von selbst gegeben
ist. Auch sür Amerika wird der heimische Markt immer der beste Abnehmer bleiben.

Die Erkrankung des Reichskanzlers hat für einen Teil unsrer Presse das
Thema seiner Entlastung auf die Tagesordnung gesetzt. Auch die Grenzboten haben
sich damit beschäftigt und auf die Notwendigkeit zweijähriger Etatsperioden hin¬
gewiesen, deren Einführung die gesamten Reichsgeschäfte von einem auf ihnen
lastenden schweren Druck befreien würde, der sich natürlich an den obersten Stellen
der Reichsverwaltung am meisten fühlbar macht. An und für sich ist ein bundes¬
staatlicher Organismus schon unendlich schwieriger zu leiten -- und Schwierigkeit
bedeutet in diesem Falle einen viel größern Aufwand von Zeit und Arbeitskraft --
als der Organismus eines Einheitsstaates. Der Reichskanzler hat aber nicht nur die
ganze Arbeit des Ministerpräsidenten irgendeines der großen Reiche, sondern auch
noch die des preußischen Ministerpräsidenten zu leisten, die bei dem unausgesetzten
Fluß unsrer Gesetzgebung, bei der immer größern Ausdehnung der Verwaltung, dem
Anwachsen der Staatszwecke ein reichlich erschöpfendes Tagewerk für einen tüchtigen
Arbeiter ist. Da beide Funktionen voneinander nicht zu trennen sind, denn in dieser Un-
trennbarkeit kommt die Führung Deutschlands durch Preußen zu ihrem sachgemäßen Aus¬
druck, so bleibt dem König von Preußen immer nur übrig, als Ministerpräsidenten
einen Mann zu suchen, dessen Erfahrung, Sachkenntnis und Arbeitskraft diesem
Doppelamte gewachsen sind, zu dem sich schließlich auch noch die Leitung des preu¬
ßischen Ministeriums des Auswärtigen gesellt, die wegen der Beziehungen Preußens
zu den deutschen Bundesstaaten selbstverständlich von der größten Wichtigkeit bleibt.
Der preußische Minister der auswärtigen Angelegenheiten ist heute nur noch Minister
für die deutschen Beziehungen Preußens und darum von der Person des Reichs¬
kanzlers untrennbar, noch untrennbarer als der Ministerpräsident. Diese Häufung
der Ämter erscheint an sich naturwidrig, weil sie an die Arbeitskräfte und an die
Leistungsfähigkeit eines Einzelnen zu große Ansprüche stellt. Aber sie ist die natür¬
liche und logische, darum auch unvermeidliche Folge des deutschen Verfassungs¬
organismus. Zu Bismarcks Lebzeiten ist von seinen Gegnern, gelegentlich auch von
seinen Anhängern, oft genug die Meinung ausgesprochen worden, daß die Verfassung
des Deutschen Reiches, und namentlich der Neichskcmzlerposten, ihm auf den Leib
zugeschnitten worden sei. Jetzt ist ein halbes Menschenalter nach seinem Ausscheiden


Maßgebliches und Unmaßgebliches

wertvoll genug. Schon bei den internationalen Verhandlungen völkerrechtlicher
Natur, die etwa im Laufe dieses Jahres bevorstehn, wird die Stellung Amerikas zu
den einzelnen Fragen für Deutschland von nicht geringem Werte sein. Die Gegner¬
schaft zu Amerika, in der sich heute noch ein nicht geringer Teil der deutschen
Landwirte befindet, wird offenbar in dem Maße abnehmen, als sich der Export
landwirtschaftlicher Erzeugnisse von Amerika nach Europa im Laufe der Jahre
mindern muß, teils durch gesteigerten Konsum und verminderten Anbau in Amerika
selbst, teils durch Ausfuhr auch nach andern Weltteilen. Nicht zum wenigsten
auch wohl durch eine gesteigerte Leistungsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft
selbst, die durch ihre eigne Produktion immer der beste Regulator fremder Einfuhr
sein wird. Wir sehen, daß die Vereinigten Staaten die Maßnahmen gegen die
Einwanderung fort und fort verschärfen und sich energisch dagegen wehren, mit dem
Abhub aller andern Länder beehrt zu werden. In ähnlicher Weise, wie die Aus¬
wanderung nach den Vereinigten Staaten, wird auch deren Ausfuhr im Laufe der
Zeit einer allmählichen Umgestaltung unterliegen. Schon klagt ja auch die deutsche
Industrie an einzelnen Stellen recht lebhaft über amerikanische Konkurrenz, aber
alle diese wirtschaftlichen Bedenken werden das Deutsche Reich nicht abhalten dürfen,
politisch in die Hand Amerikas kräftig einzuschlagen, denn es leistet damit seinem
Frieden die größten Dienste, dem Frieden, dessen Landwirtschaft wie Industrie zu
ihrem Gedeihen bedürfen, und hinter den alle Zollfragen weit zurücktreten müssen.
Die Zeit wird auch für den Gegensatz, der in dieser Hinsicht zwischen Amerika und
Europa — nicht mit Deutschland allein — besteht, den Ausgleich bringen, der in
der Entwicklung der innern amerikanischen Verhältnisse schließlich von selbst gegeben
ist. Auch sür Amerika wird der heimische Markt immer der beste Abnehmer bleiben.

Die Erkrankung des Reichskanzlers hat für einen Teil unsrer Presse das
Thema seiner Entlastung auf die Tagesordnung gesetzt. Auch die Grenzboten haben
sich damit beschäftigt und auf die Notwendigkeit zweijähriger Etatsperioden hin¬
gewiesen, deren Einführung die gesamten Reichsgeschäfte von einem auf ihnen
lastenden schweren Druck befreien würde, der sich natürlich an den obersten Stellen
der Reichsverwaltung am meisten fühlbar macht. An und für sich ist ein bundes¬
staatlicher Organismus schon unendlich schwieriger zu leiten — und Schwierigkeit
bedeutet in diesem Falle einen viel größern Aufwand von Zeit und Arbeitskraft —
als der Organismus eines Einheitsstaates. Der Reichskanzler hat aber nicht nur die
ganze Arbeit des Ministerpräsidenten irgendeines der großen Reiche, sondern auch
noch die des preußischen Ministerpräsidenten zu leisten, die bei dem unausgesetzten
Fluß unsrer Gesetzgebung, bei der immer größern Ausdehnung der Verwaltung, dem
Anwachsen der Staatszwecke ein reichlich erschöpfendes Tagewerk für einen tüchtigen
Arbeiter ist. Da beide Funktionen voneinander nicht zu trennen sind, denn in dieser Un-
trennbarkeit kommt die Führung Deutschlands durch Preußen zu ihrem sachgemäßen Aus¬
druck, so bleibt dem König von Preußen immer nur übrig, als Ministerpräsidenten
einen Mann zu suchen, dessen Erfahrung, Sachkenntnis und Arbeitskraft diesem
Doppelamte gewachsen sind, zu dem sich schließlich auch noch die Leitung des preu¬
ßischen Ministeriums des Auswärtigen gesellt, die wegen der Beziehungen Preußens
zu den deutschen Bundesstaaten selbstverständlich von der größten Wichtigkeit bleibt.
Der preußische Minister der auswärtigen Angelegenheiten ist heute nur noch Minister
für die deutschen Beziehungen Preußens und darum von der Person des Reichs¬
kanzlers untrennbar, noch untrennbarer als der Ministerpräsident. Diese Häufung
der Ämter erscheint an sich naturwidrig, weil sie an die Arbeitskräfte und an die
Leistungsfähigkeit eines Einzelnen zu große Ansprüche stellt. Aber sie ist die natür¬
liche und logische, darum auch unvermeidliche Folge des deutschen Verfassungs¬
organismus. Zu Bismarcks Lebzeiten ist von seinen Gegnern, gelegentlich auch von
seinen Anhängern, oft genug die Meinung ausgesprochen worden, daß die Verfassung
des Deutschen Reiches, und namentlich der Neichskcmzlerposten, ihm auf den Leib
zugeschnitten worden sei. Jetzt ist ein halbes Menschenalter nach seinem Ausscheiden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0176" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299217"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_822" prev="#ID_821"> wertvoll genug. Schon bei den internationalen Verhandlungen völkerrechtlicher<lb/>
Natur, die etwa im Laufe dieses Jahres bevorstehn, wird die Stellung Amerikas zu<lb/>
den einzelnen Fragen für Deutschland von nicht geringem Werte sein. Die Gegner¬<lb/>
schaft zu Amerika, in der sich heute noch ein nicht geringer Teil der deutschen<lb/>
Landwirte befindet, wird offenbar in dem Maße abnehmen, als sich der Export<lb/>
landwirtschaftlicher Erzeugnisse von Amerika nach Europa im Laufe der Jahre<lb/>
mindern muß, teils durch gesteigerten Konsum und verminderten Anbau in Amerika<lb/>
selbst, teils durch Ausfuhr auch nach andern Weltteilen. Nicht zum wenigsten<lb/>
auch wohl durch eine gesteigerte Leistungsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft<lb/>
selbst, die durch ihre eigne Produktion immer der beste Regulator fremder Einfuhr<lb/>
sein wird. Wir sehen, daß die Vereinigten Staaten die Maßnahmen gegen die<lb/>
Einwanderung fort und fort verschärfen und sich energisch dagegen wehren, mit dem<lb/>
Abhub aller andern Länder beehrt zu werden. In ähnlicher Weise, wie die Aus¬<lb/>
wanderung nach den Vereinigten Staaten, wird auch deren Ausfuhr im Laufe der<lb/>
Zeit einer allmählichen Umgestaltung unterliegen. Schon klagt ja auch die deutsche<lb/>
Industrie an einzelnen Stellen recht lebhaft über amerikanische Konkurrenz, aber<lb/>
alle diese wirtschaftlichen Bedenken werden das Deutsche Reich nicht abhalten dürfen,<lb/>
politisch in die Hand Amerikas kräftig einzuschlagen, denn es leistet damit seinem<lb/>
Frieden die größten Dienste, dem Frieden, dessen Landwirtschaft wie Industrie zu<lb/>
ihrem Gedeihen bedürfen, und hinter den alle Zollfragen weit zurücktreten müssen.<lb/>
Die Zeit wird auch für den Gegensatz, der in dieser Hinsicht zwischen Amerika und<lb/>
Europa &#x2014; nicht mit Deutschland allein &#x2014; besteht, den Ausgleich bringen, der in<lb/>
der Entwicklung der innern amerikanischen Verhältnisse schließlich von selbst gegeben<lb/>
ist. Auch sür Amerika wird der heimische Markt immer der beste Abnehmer bleiben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_823" next="#ID_824"> Die Erkrankung des Reichskanzlers hat für einen Teil unsrer Presse das<lb/>
Thema seiner Entlastung auf die Tagesordnung gesetzt. Auch die Grenzboten haben<lb/>
sich damit beschäftigt und auf die Notwendigkeit zweijähriger Etatsperioden hin¬<lb/>
gewiesen, deren Einführung die gesamten Reichsgeschäfte von einem auf ihnen<lb/>
lastenden schweren Druck befreien würde, der sich natürlich an den obersten Stellen<lb/>
der Reichsverwaltung am meisten fühlbar macht. An und für sich ist ein bundes¬<lb/>
staatlicher Organismus schon unendlich schwieriger zu leiten &#x2014; und Schwierigkeit<lb/>
bedeutet in diesem Falle einen viel größern Aufwand von Zeit und Arbeitskraft &#x2014;<lb/>
als der Organismus eines Einheitsstaates. Der Reichskanzler hat aber nicht nur die<lb/>
ganze Arbeit des Ministerpräsidenten irgendeines der großen Reiche, sondern auch<lb/>
noch die des preußischen Ministerpräsidenten zu leisten, die bei dem unausgesetzten<lb/>
Fluß unsrer Gesetzgebung, bei der immer größern Ausdehnung der Verwaltung, dem<lb/>
Anwachsen der Staatszwecke ein reichlich erschöpfendes Tagewerk für einen tüchtigen<lb/>
Arbeiter ist. Da beide Funktionen voneinander nicht zu trennen sind, denn in dieser Un-<lb/>
trennbarkeit kommt die Führung Deutschlands durch Preußen zu ihrem sachgemäßen Aus¬<lb/>
druck, so bleibt dem König von Preußen immer nur übrig, als Ministerpräsidenten<lb/>
einen Mann zu suchen, dessen Erfahrung, Sachkenntnis und Arbeitskraft diesem<lb/>
Doppelamte gewachsen sind, zu dem sich schließlich auch noch die Leitung des preu¬<lb/>
ßischen Ministeriums des Auswärtigen gesellt, die wegen der Beziehungen Preußens<lb/>
zu den deutschen Bundesstaaten selbstverständlich von der größten Wichtigkeit bleibt.<lb/>
Der preußische Minister der auswärtigen Angelegenheiten ist heute nur noch Minister<lb/>
für die deutschen Beziehungen Preußens und darum von der Person des Reichs¬<lb/>
kanzlers untrennbar, noch untrennbarer als der Ministerpräsident. Diese Häufung<lb/>
der Ämter erscheint an sich naturwidrig, weil sie an die Arbeitskräfte und an die<lb/>
Leistungsfähigkeit eines Einzelnen zu große Ansprüche stellt. Aber sie ist die natür¬<lb/>
liche und logische, darum auch unvermeidliche Folge des deutschen Verfassungs¬<lb/>
organismus. Zu Bismarcks Lebzeiten ist von seinen Gegnern, gelegentlich auch von<lb/>
seinen Anhängern, oft genug die Meinung ausgesprochen worden, daß die Verfassung<lb/>
des Deutschen Reiches, und namentlich der Neichskcmzlerposten, ihm auf den Leib<lb/>
zugeschnitten worden sei. Jetzt ist ein halbes Menschenalter nach seinem Ausscheiden</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0176] Maßgebliches und Unmaßgebliches wertvoll genug. Schon bei den internationalen Verhandlungen völkerrechtlicher Natur, die etwa im Laufe dieses Jahres bevorstehn, wird die Stellung Amerikas zu den einzelnen Fragen für Deutschland von nicht geringem Werte sein. Die Gegner¬ schaft zu Amerika, in der sich heute noch ein nicht geringer Teil der deutschen Landwirte befindet, wird offenbar in dem Maße abnehmen, als sich der Export landwirtschaftlicher Erzeugnisse von Amerika nach Europa im Laufe der Jahre mindern muß, teils durch gesteigerten Konsum und verminderten Anbau in Amerika selbst, teils durch Ausfuhr auch nach andern Weltteilen. Nicht zum wenigsten auch wohl durch eine gesteigerte Leistungsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft selbst, die durch ihre eigne Produktion immer der beste Regulator fremder Einfuhr sein wird. Wir sehen, daß die Vereinigten Staaten die Maßnahmen gegen die Einwanderung fort und fort verschärfen und sich energisch dagegen wehren, mit dem Abhub aller andern Länder beehrt zu werden. In ähnlicher Weise, wie die Aus¬ wanderung nach den Vereinigten Staaten, wird auch deren Ausfuhr im Laufe der Zeit einer allmählichen Umgestaltung unterliegen. Schon klagt ja auch die deutsche Industrie an einzelnen Stellen recht lebhaft über amerikanische Konkurrenz, aber alle diese wirtschaftlichen Bedenken werden das Deutsche Reich nicht abhalten dürfen, politisch in die Hand Amerikas kräftig einzuschlagen, denn es leistet damit seinem Frieden die größten Dienste, dem Frieden, dessen Landwirtschaft wie Industrie zu ihrem Gedeihen bedürfen, und hinter den alle Zollfragen weit zurücktreten müssen. Die Zeit wird auch für den Gegensatz, der in dieser Hinsicht zwischen Amerika und Europa — nicht mit Deutschland allein — besteht, den Ausgleich bringen, der in der Entwicklung der innern amerikanischen Verhältnisse schließlich von selbst gegeben ist. Auch sür Amerika wird der heimische Markt immer der beste Abnehmer bleiben. Die Erkrankung des Reichskanzlers hat für einen Teil unsrer Presse das Thema seiner Entlastung auf die Tagesordnung gesetzt. Auch die Grenzboten haben sich damit beschäftigt und auf die Notwendigkeit zweijähriger Etatsperioden hin¬ gewiesen, deren Einführung die gesamten Reichsgeschäfte von einem auf ihnen lastenden schweren Druck befreien würde, der sich natürlich an den obersten Stellen der Reichsverwaltung am meisten fühlbar macht. An und für sich ist ein bundes¬ staatlicher Organismus schon unendlich schwieriger zu leiten — und Schwierigkeit bedeutet in diesem Falle einen viel größern Aufwand von Zeit und Arbeitskraft — als der Organismus eines Einheitsstaates. Der Reichskanzler hat aber nicht nur die ganze Arbeit des Ministerpräsidenten irgendeines der großen Reiche, sondern auch noch die des preußischen Ministerpräsidenten zu leisten, die bei dem unausgesetzten Fluß unsrer Gesetzgebung, bei der immer größern Ausdehnung der Verwaltung, dem Anwachsen der Staatszwecke ein reichlich erschöpfendes Tagewerk für einen tüchtigen Arbeiter ist. Da beide Funktionen voneinander nicht zu trennen sind, denn in dieser Un- trennbarkeit kommt die Führung Deutschlands durch Preußen zu ihrem sachgemäßen Aus¬ druck, so bleibt dem König von Preußen immer nur übrig, als Ministerpräsidenten einen Mann zu suchen, dessen Erfahrung, Sachkenntnis und Arbeitskraft diesem Doppelamte gewachsen sind, zu dem sich schließlich auch noch die Leitung des preu¬ ßischen Ministeriums des Auswärtigen gesellt, die wegen der Beziehungen Preußens zu den deutschen Bundesstaaten selbstverständlich von der größten Wichtigkeit bleibt. Der preußische Minister der auswärtigen Angelegenheiten ist heute nur noch Minister für die deutschen Beziehungen Preußens und darum von der Person des Reichs¬ kanzlers untrennbar, noch untrennbarer als der Ministerpräsident. Diese Häufung der Ämter erscheint an sich naturwidrig, weil sie an die Arbeitskräfte und an die Leistungsfähigkeit eines Einzelnen zu große Ansprüche stellt. Aber sie ist die natür¬ liche und logische, darum auch unvermeidliche Folge des deutschen Verfassungs¬ organismus. Zu Bismarcks Lebzeiten ist von seinen Gegnern, gelegentlich auch von seinen Anhängern, oft genug die Meinung ausgesprochen worden, daß die Verfassung des Deutschen Reiches, und namentlich der Neichskcmzlerposten, ihm auf den Leib zugeschnitten worden sei. Jetzt ist ein halbes Menschenalter nach seinem Ausscheiden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/176
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/176>, abgerufen am 27.12.2024.