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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Anastasius Grün
Ich will indes hinab die Bahn des Rheines
Auf schwarzem Schwan, dein Dampfschiff, singend schwimmen,
Den Becher schwingend, voll des goldnen Weines
Dir, Menschengeist, den SiegeShymnus stimmen.
Wie dir der Feuergeist die Flammenkrone
Herab von, stolzen Haupt Hai reichen müssen,
Wie du dein Erdengeiste, seinem Sohne,
Das eh'rne Herz kühn aus der Brust gerissen.
Wie du zu beiden sprachst: Ihr sollt nicht rasten!
Daß fürder Mensch nicht Menschen knechten niöge,
Geh, Feuer, du und trage seine Lasten!
Leb, Eisen, du und wandle seine Wege!
Ich weiß, daß deines Wandels Flammengleise
Kein Blümchen ini Poetenhain bedrängen,
So wie des Heilgenscheines Glutenkreise
Kein Söckchen am Madonnenhaupt versengen.
Nein, Amt der Poesie in allen Tagen
Jsts, hoher Geist, dein Siegfest zu verschönen,
Wie der Viktoria Goldbild überm Wagen
Des Triumphators schwebt, um ihn zu krönen.

Das ist himmelweit verschieden von der klassischen und der romantischen An¬
schauung, und mit Recht sagt Gottschall: "Grün ist unser erster wahrhaft
moderner Lyriker, dessen Lorbeer keine Kritik zerpflücken wird."

Lange Jahre hat Anastasius Grün seit dem Erscheinen seiner Gedichte
nichts veröffentlicht. Sein nächstes Werk, "Die Nibelungen im Frack," er¬
schien erst 1843, und zwar zu dem Zwecke, unberechtigte Angriffe abzu¬
wehren. Der Dichter hatte in der Zwischenzeit erfahren müssen, daß man
ihn verkannte. War Uhland der Vater des politischen Freiheitsgedichts ge¬
wesen, so hatte Grün es zum Hymnus ausgestaltet und ihm zugleich die
epigrammatische Zuspitzung verliehen. Die "Spaziergünge" hatten eine von
ihrem Sänger freilich nicht beabsichtigte Schule gemacht. Es war eine moderne
Politische Lyrik herangewachsen, die allerdings ganz anders aussah als die
Auerspergs. Grün verließ als politischer Dichter nie den Boden der Wirklich¬
keit; immer blieb er Deutscher und Österreicher, immer galt sein Zorn einem
ganz bestimmten Elend, immer strebte sein Wille ganz bestimmte Neugestaltungen
an. Die Modernen aber verloren sich ins Uferlose; sie suchten überall Ziele
für ihre giftigen Angriffe lind witterten überall "Apostasie," Wie maßlos
und ungerechtfertigt Georg Herweghs Vorgehn gegen den Grafen Auersperg
war, haben wir oben schon angeführt. Mußte der Dichter nicht tief erbittert
sein über solche Verdächtigungen? Und aus diesem Ärger heraus entstanden
die "Nibelungen im Frack." Sie waren "die Kriegserklärung -- nach Gottschalks
Ausdruck -- gegen die neue politische Lyrik, die er eine Poesie der Grimasse,
wie löschpapierue Zeitungspoesie und verifizierte Prosa nannte," Bcmern-
feld, Grüns Lebensbeschreiber, bezeichnete die "Nibelungen im Frack" als eine
reine Satire auf die Marotte. Der Dichter behandelte unter dem seltsamen


Anastasius Grün
Ich will indes hinab die Bahn des Rheines
Auf schwarzem Schwan, dein Dampfschiff, singend schwimmen,
Den Becher schwingend, voll des goldnen Weines
Dir, Menschengeist, den SiegeShymnus stimmen.
Wie dir der Feuergeist die Flammenkrone
Herab von, stolzen Haupt Hai reichen müssen,
Wie du dein Erdengeiste, seinem Sohne,
Das eh'rne Herz kühn aus der Brust gerissen.
Wie du zu beiden sprachst: Ihr sollt nicht rasten!
Daß fürder Mensch nicht Menschen knechten niöge,
Geh, Feuer, du und trage seine Lasten!
Leb, Eisen, du und wandle seine Wege!
Ich weiß, daß deines Wandels Flammengleise
Kein Blümchen ini Poetenhain bedrängen,
So wie des Heilgenscheines Glutenkreise
Kein Söckchen am Madonnenhaupt versengen.
Nein, Amt der Poesie in allen Tagen
Jsts, hoher Geist, dein Siegfest zu verschönen,
Wie der Viktoria Goldbild überm Wagen
Des Triumphators schwebt, um ihn zu krönen.

Das ist himmelweit verschieden von der klassischen und der romantischen An¬
schauung, und mit Recht sagt Gottschall: „Grün ist unser erster wahrhaft
moderner Lyriker, dessen Lorbeer keine Kritik zerpflücken wird."

Lange Jahre hat Anastasius Grün seit dem Erscheinen seiner Gedichte
nichts veröffentlicht. Sein nächstes Werk, „Die Nibelungen im Frack," er¬
schien erst 1843, und zwar zu dem Zwecke, unberechtigte Angriffe abzu¬
wehren. Der Dichter hatte in der Zwischenzeit erfahren müssen, daß man
ihn verkannte. War Uhland der Vater des politischen Freiheitsgedichts ge¬
wesen, so hatte Grün es zum Hymnus ausgestaltet und ihm zugleich die
epigrammatische Zuspitzung verliehen. Die „Spaziergünge" hatten eine von
ihrem Sänger freilich nicht beabsichtigte Schule gemacht. Es war eine moderne
Politische Lyrik herangewachsen, die allerdings ganz anders aussah als die
Auerspergs. Grün verließ als politischer Dichter nie den Boden der Wirklich¬
keit; immer blieb er Deutscher und Österreicher, immer galt sein Zorn einem
ganz bestimmten Elend, immer strebte sein Wille ganz bestimmte Neugestaltungen
an. Die Modernen aber verloren sich ins Uferlose; sie suchten überall Ziele
für ihre giftigen Angriffe lind witterten überall „Apostasie," Wie maßlos
und ungerechtfertigt Georg Herweghs Vorgehn gegen den Grafen Auersperg
war, haben wir oben schon angeführt. Mußte der Dichter nicht tief erbittert
sein über solche Verdächtigungen? Und aus diesem Ärger heraus entstanden
die „Nibelungen im Frack." Sie waren „die Kriegserklärung — nach Gottschalks
Ausdruck — gegen die neue politische Lyrik, die er eine Poesie der Grimasse,
wie löschpapierue Zeitungspoesie und verifizierte Prosa nannte," Bcmern-
feld, Grüns Lebensbeschreiber, bezeichnete die „Nibelungen im Frack" als eine
reine Satire auf die Marotte. Der Dichter behandelte unter dem seltsamen


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[0145] Anastasius Grün Ich will indes hinab die Bahn des Rheines Auf schwarzem Schwan, dein Dampfschiff, singend schwimmen, Den Becher schwingend, voll des goldnen Weines Dir, Menschengeist, den SiegeShymnus stimmen. Wie dir der Feuergeist die Flammenkrone Herab von, stolzen Haupt Hai reichen müssen, Wie du dein Erdengeiste, seinem Sohne, Das eh'rne Herz kühn aus der Brust gerissen. Wie du zu beiden sprachst: Ihr sollt nicht rasten! Daß fürder Mensch nicht Menschen knechten niöge, Geh, Feuer, du und trage seine Lasten! Leb, Eisen, du und wandle seine Wege! Ich weiß, daß deines Wandels Flammengleise Kein Blümchen ini Poetenhain bedrängen, So wie des Heilgenscheines Glutenkreise Kein Söckchen am Madonnenhaupt versengen. Nein, Amt der Poesie in allen Tagen Jsts, hoher Geist, dein Siegfest zu verschönen, Wie der Viktoria Goldbild überm Wagen Des Triumphators schwebt, um ihn zu krönen. Das ist himmelweit verschieden von der klassischen und der romantischen An¬ schauung, und mit Recht sagt Gottschall: „Grün ist unser erster wahrhaft moderner Lyriker, dessen Lorbeer keine Kritik zerpflücken wird." Lange Jahre hat Anastasius Grün seit dem Erscheinen seiner Gedichte nichts veröffentlicht. Sein nächstes Werk, „Die Nibelungen im Frack," er¬ schien erst 1843, und zwar zu dem Zwecke, unberechtigte Angriffe abzu¬ wehren. Der Dichter hatte in der Zwischenzeit erfahren müssen, daß man ihn verkannte. War Uhland der Vater des politischen Freiheitsgedichts ge¬ wesen, so hatte Grün es zum Hymnus ausgestaltet und ihm zugleich die epigrammatische Zuspitzung verliehen. Die „Spaziergünge" hatten eine von ihrem Sänger freilich nicht beabsichtigte Schule gemacht. Es war eine moderne Politische Lyrik herangewachsen, die allerdings ganz anders aussah als die Auerspergs. Grün verließ als politischer Dichter nie den Boden der Wirklich¬ keit; immer blieb er Deutscher und Österreicher, immer galt sein Zorn einem ganz bestimmten Elend, immer strebte sein Wille ganz bestimmte Neugestaltungen an. Die Modernen aber verloren sich ins Uferlose; sie suchten überall Ziele für ihre giftigen Angriffe lind witterten überall „Apostasie," Wie maßlos und ungerechtfertigt Georg Herweghs Vorgehn gegen den Grafen Auersperg war, haben wir oben schon angeführt. Mußte der Dichter nicht tief erbittert sein über solche Verdächtigungen? Und aus diesem Ärger heraus entstanden die „Nibelungen im Frack." Sie waren „die Kriegserklärung — nach Gottschalks Ausdruck — gegen die neue politische Lyrik, die er eine Poesie der Grimasse, wie löschpapierue Zeitungspoesie und verifizierte Prosa nannte," Bcmern- feld, Grüns Lebensbeschreiber, bezeichnete die „Nibelungen im Frack" als eine reine Satire auf die Marotte. Der Dichter behandelte unter dem seltsamen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/145>, abgerufen am 24.07.2024.