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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Titel eine" seltsamen Stoff in der heroischen Nibelungenstrophe, die jedoch zu
dem Wesen der Dichtung, als eines humoristischen Capriccios, nicht paßte.
Der Held des wunderlichen Werkes ist ein verdrehter Musiknarr, ein Herzog
Moritz Wilhelm von Sachsen-Merseburg aus dem Anfange des siebzehnten
Jahrhunderts, der auf den ungereimten Einfall kam, einen Musikus haben zu
wollen, der so groß wäre, daß er die Baßgeige wie eine Violine handhaben
könne, und einen andern Musikus im Gegensatz dazu so zwerghaft, daß er
die Violine wie eine Baßgeige zwischen den Knien strich. Nach langem Suchen
sah der verdrehte Herzog seineu Lebenswunsch erfüllt. In dieses versifizierte
Geschichtchen aus der Zopfzeit sind allerlei Seltsamkeiten hineingewebt, so zum
Beispiel die himmellangen "Kerls" des preußischen Soldatenkönigs, der Zwerg
des Zaren Peter und der Rabe des Thilo von Troddel in Merseburg. Der
schrullenhafte Herzog war kein ungeeigneter Vertreter der verschnörkelten und
an Wunderlichkeiten, Launen und seltsamen Zügen aller Art so reichen Zeit-
In diese harmlos spielende Geschichte legte der Dichter seineu Widerspruch
hinein gegen die Rolle eines poetischen Parteihäuptlings, die man ihm un¬
ausgesetzt zumutete, und deu weitern Widerspruch gegen die allzugroße Ab¬
sichtlichkeit, die die modernen lyrischen Kampfhähne von der Poesie forderten.
Grün hat eine ganz andre Ansicht von der politischen Dichtkunst. Wohl ver¬
sieht er eifrig die Berechtigung des politischen Liedes, aber er spricht sich mit
tiefer Abneigung aus gegen die Gedankenlosen, die die Poesie zwingen wollten,
"im Feldrock der Politik zu fechten." Die göttliche Dichtkunst soll man
nicht dadurch entwürdigen, daß man sie in die Parteizänkereien des Tages
hineinzieht.

Die ganze Art des launigen Gedichts ist fein poetisch und an sich vollendet,
aber das Werk wirkte trotzdem nicht so recht, weil der Federkrieg, der nur auf
das Verstüuduis kleiner Kreise berechnet war, in starker Verhüllung auftrat.
Nur an einer Stelle, die durch den Vorwurf der "Apostasie" hervorgerufen
war, klingt der politische Ton kräftig durch:

Schmerzlich enttäuscht durch die Wendung, die die öffentlichen Angelegen¬
heiten in der Revolutionszeit genommen hatten, war der Dichter, wie oben
gesagt wurde, in sein Tnskulum Thurn am Hart geflüchtet. Dort beschäftigte
er sich neben andern Aufgaben auch mit der Übertragung der "Volkslieder
aus Krain," die durch ihn erst in die Weltliteratur eingeführt worden sind.
Die im Spätherbst 1849 vorbereitete Sammlung erschien 1850. Eigentlich
war es keine Übersetzung, sondern eine meisterhafte Wiederdichtung. Grün
wollte "die bereits allmählich verklingende poetische Stimme dieses merkwürdigen
Nolksstammes" der Welt vermitteln. Höchst wertvoll ist die Vorrede, die das


Titel eine» seltsamen Stoff in der heroischen Nibelungenstrophe, die jedoch zu
dem Wesen der Dichtung, als eines humoristischen Capriccios, nicht paßte.
Der Held des wunderlichen Werkes ist ein verdrehter Musiknarr, ein Herzog
Moritz Wilhelm von Sachsen-Merseburg aus dem Anfange des siebzehnten
Jahrhunderts, der auf den ungereimten Einfall kam, einen Musikus haben zu
wollen, der so groß wäre, daß er die Baßgeige wie eine Violine handhaben
könne, und einen andern Musikus im Gegensatz dazu so zwerghaft, daß er
die Violine wie eine Baßgeige zwischen den Knien strich. Nach langem Suchen
sah der verdrehte Herzog seineu Lebenswunsch erfüllt. In dieses versifizierte
Geschichtchen aus der Zopfzeit sind allerlei Seltsamkeiten hineingewebt, so zum
Beispiel die himmellangen „Kerls" des preußischen Soldatenkönigs, der Zwerg
des Zaren Peter und der Rabe des Thilo von Troddel in Merseburg. Der
schrullenhafte Herzog war kein ungeeigneter Vertreter der verschnörkelten und
an Wunderlichkeiten, Launen und seltsamen Zügen aller Art so reichen Zeit-
In diese harmlos spielende Geschichte legte der Dichter seineu Widerspruch
hinein gegen die Rolle eines poetischen Parteihäuptlings, die man ihm un¬
ausgesetzt zumutete, und deu weitern Widerspruch gegen die allzugroße Ab¬
sichtlichkeit, die die modernen lyrischen Kampfhähne von der Poesie forderten.
Grün hat eine ganz andre Ansicht von der politischen Dichtkunst. Wohl ver¬
sieht er eifrig die Berechtigung des politischen Liedes, aber er spricht sich mit
tiefer Abneigung aus gegen die Gedankenlosen, die die Poesie zwingen wollten,
„im Feldrock der Politik zu fechten." Die göttliche Dichtkunst soll man
nicht dadurch entwürdigen, daß man sie in die Parteizänkereien des Tages
hineinzieht.

Die ganze Art des launigen Gedichts ist fein poetisch und an sich vollendet,
aber das Werk wirkte trotzdem nicht so recht, weil der Federkrieg, der nur auf
das Verstüuduis kleiner Kreise berechnet war, in starker Verhüllung auftrat.
Nur an einer Stelle, die durch den Vorwurf der „Apostasie" hervorgerufen
war, klingt der politische Ton kräftig durch:

Schmerzlich enttäuscht durch die Wendung, die die öffentlichen Angelegen¬
heiten in der Revolutionszeit genommen hatten, war der Dichter, wie oben
gesagt wurde, in sein Tnskulum Thurn am Hart geflüchtet. Dort beschäftigte
er sich neben andern Aufgaben auch mit der Übertragung der „Volkslieder
aus Krain," die durch ihn erst in die Weltliteratur eingeführt worden sind.
Die im Spätherbst 1849 vorbereitete Sammlung erschien 1850. Eigentlich
war es keine Übersetzung, sondern eine meisterhafte Wiederdichtung. Grün
wollte „die bereits allmählich verklingende poetische Stimme dieses merkwürdigen
Nolksstammes" der Welt vermitteln. Höchst wertvoll ist die Vorrede, die das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/146>, abgerufen am 27.12.2024.