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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Berards Homerwerk

Sizilien mit seinem Messina ereignet sich der verhängnisvolle Schlaf des
Helden, und die Folge davon ist seine Verwaisung; aus Sardinien, dessen
semitisches Stammwort Flucht bedeutet, muß er fliehen. An der Sireneniusel
erleidet er eine Bezauberung; der Besuch bei der Göttin Feronia - Circe endet
mit einer Befreiung, und die Insel, auf der er sieben Jahre lang, der griechischen
Welt entschwunden, in Sklaverei geweilt hat, gehört der Nymphe Kalypso;
in^l^vtsin heißt umhüllen, verbergen.

Dem großen Schiffbruch entronnen, wird Odysseus auf seinem Wrack noch
einmal durch die Meerenge von Sizilien und dann neun Tage lang fortgetrieben
zu einer Insel im fernsten Westen ir^os" eoL</"^ V, 55; die westliche Lage
folgt aus der Richtung der Rückfahrt). Als später Hermes hingesandt wird,
den göttlichen Dulder zu befreien, findet er die Nymphe in ihrer Grotte am
Herdfeuer.


Fern in das Eiland
Wallte der Zeder Gedüft, der gespaltenen, wallte des Thyons
Würzige Glut. Sie sang mit melodischer Stimm' in der Kammer,
Emsiger Eil' ein Gewebe mit goldener Spule sich wirkend.
Ringsher wuchs um die Grotte des grünenden Haines Umschattung,
Erle zugleich und Pappel und die balsamreiche Zypresse.
Dort auch bauten sich Nester die breitgefiederten Vögel,
Habichte, samt Baumenten, und samt breiizüngiger Krähen
Wassergeschlecht, das kundig der Meergeschüfto sich nähret.
Hier auch breitete sich um das Felsengewo'ib' ein Weinstock,
Rankend in üppigem Wuchs, und voll abHangender Trauben.
Auch vier Quellen ergossen gereiht ihr blinkendes Wasser,
nachbarlich nebeneinander, und schlängelten Hiehin und dorthin,
Wo rings schwellende Wiesen hinab mit Violen und Eppich
Grünsten.

Bewundernd schaute der Götterbote das reizende Idyll. Ich erinnere mich,
wie den Zwölfjährigen die ausgeführtere Schilderung in Fenelons Telemach
entzückt hat. Die Angabe, daß Kalypso die Tochter des Atlas sei, hat Berard
mit Hilfe der Instructions MMhuss auf die Insel geführt. Es ist das
Jnselchen Perejil (das spanische Wort bedeutet Petersilie) an der marokkanischen
Küste westlich von Ceuta, am Fuße des mons ^tila der Alten, der jetzt Affen¬
berg heißt. Berard war verhindert, selbst hinzureisen, aber einer seiner Freunde
hat die Insel und ihre Umgebung untersucht und die photographischen Auf¬
nahmen gemacht. Der Berg ist 859 Meter hoch, nimmt sich darum, unmittelbar
aus dem Meere aufsteigend, imposant aus (Gibraltar ist nur 420 Meter hoch),
und sein Gipfel erscheint den von Osten Kommenden fast immer in Wolken
gehüllt, also unmittelbar mit dem Himmel zusammenhängend. Berard hält es
für unzweifelhaft, daß dieser Berg als der Träger, Atlas, des Himmels galt.
Erst später, nachdem man sich in den Atlantischen Ozean hinausgewagt hatte,
die Straße also eine Pforte darstellte, durch die man aus dem Mittelmeer
hinausgelangte, traten an die Stelle der einen Himmelssüule die beiden Säulen
des Herakles; die andre ist natürlich Gibraltar. Das zu Füßen des Atlas,
wie ein Stück von ihm, liegende Jnselchen erscheint dem Griechen als seine
Tochter. Atlas wird olooxllrov., Verderben sinnend, genannt, weil von dem


Grenzboten I 190S 12
Berards Homerwerk

Sizilien mit seinem Messina ereignet sich der verhängnisvolle Schlaf des
Helden, und die Folge davon ist seine Verwaisung; aus Sardinien, dessen
semitisches Stammwort Flucht bedeutet, muß er fliehen. An der Sireneniusel
erleidet er eine Bezauberung; der Besuch bei der Göttin Feronia - Circe endet
mit einer Befreiung, und die Insel, auf der er sieben Jahre lang, der griechischen
Welt entschwunden, in Sklaverei geweilt hat, gehört der Nymphe Kalypso;
in^l^vtsin heißt umhüllen, verbergen.

Dem großen Schiffbruch entronnen, wird Odysseus auf seinem Wrack noch
einmal durch die Meerenge von Sizilien und dann neun Tage lang fortgetrieben
zu einer Insel im fernsten Westen ir^os" eoL</«^ V, 55; die westliche Lage
folgt aus der Richtung der Rückfahrt). Als später Hermes hingesandt wird,
den göttlichen Dulder zu befreien, findet er die Nymphe in ihrer Grotte am
Herdfeuer.


Fern in das Eiland
Wallte der Zeder Gedüft, der gespaltenen, wallte des Thyons
Würzige Glut. Sie sang mit melodischer Stimm' in der Kammer,
Emsiger Eil' ein Gewebe mit goldener Spule sich wirkend.
Ringsher wuchs um die Grotte des grünenden Haines Umschattung,
Erle zugleich und Pappel und die balsamreiche Zypresse.
Dort auch bauten sich Nester die breitgefiederten Vögel,
Habichte, samt Baumenten, und samt breiizüngiger Krähen
Wassergeschlecht, das kundig der Meergeschüfto sich nähret.
Hier auch breitete sich um das Felsengewo'ib' ein Weinstock,
Rankend in üppigem Wuchs, und voll abHangender Trauben.
Auch vier Quellen ergossen gereiht ihr blinkendes Wasser,
nachbarlich nebeneinander, und schlängelten Hiehin und dorthin,
Wo rings schwellende Wiesen hinab mit Violen und Eppich
Grünsten.

Bewundernd schaute der Götterbote das reizende Idyll. Ich erinnere mich,
wie den Zwölfjährigen die ausgeführtere Schilderung in Fenelons Telemach
entzückt hat. Die Angabe, daß Kalypso die Tochter des Atlas sei, hat Berard
mit Hilfe der Instructions MMhuss auf die Insel geführt. Es ist das
Jnselchen Perejil (das spanische Wort bedeutet Petersilie) an der marokkanischen
Küste westlich von Ceuta, am Fuße des mons ^tila der Alten, der jetzt Affen¬
berg heißt. Berard war verhindert, selbst hinzureisen, aber einer seiner Freunde
hat die Insel und ihre Umgebung untersucht und die photographischen Auf¬
nahmen gemacht. Der Berg ist 859 Meter hoch, nimmt sich darum, unmittelbar
aus dem Meere aufsteigend, imposant aus (Gibraltar ist nur 420 Meter hoch),
und sein Gipfel erscheint den von Osten Kommenden fast immer in Wolken
gehüllt, also unmittelbar mit dem Himmel zusammenhängend. Berard hält es
für unzweifelhaft, daß dieser Berg als der Träger, Atlas, des Himmels galt.
Erst später, nachdem man sich in den Atlantischen Ozean hinausgewagt hatte,
die Straße also eine Pforte darstellte, durch die man aus dem Mittelmeer
hinausgelangte, traten an die Stelle der einen Himmelssüule die beiden Säulen
des Herakles; die andre ist natürlich Gibraltar. Das zu Füßen des Atlas,
wie ein Stück von ihm, liegende Jnselchen erscheint dem Griechen als seine
Tochter. Atlas wird olooxllrov., Verderben sinnend, genannt, weil von dem


Grenzboten I 190S 12
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[0092] Berards Homerwerk Sizilien mit seinem Messina ereignet sich der verhängnisvolle Schlaf des Helden, und die Folge davon ist seine Verwaisung; aus Sardinien, dessen semitisches Stammwort Flucht bedeutet, muß er fliehen. An der Sireneniusel erleidet er eine Bezauberung; der Besuch bei der Göttin Feronia - Circe endet mit einer Befreiung, und die Insel, auf der er sieben Jahre lang, der griechischen Welt entschwunden, in Sklaverei geweilt hat, gehört der Nymphe Kalypso; in^l^vtsin heißt umhüllen, verbergen. Dem großen Schiffbruch entronnen, wird Odysseus auf seinem Wrack noch einmal durch die Meerenge von Sizilien und dann neun Tage lang fortgetrieben zu einer Insel im fernsten Westen ir^os" eoL</«^ V, 55; die westliche Lage folgt aus der Richtung der Rückfahrt). Als später Hermes hingesandt wird, den göttlichen Dulder zu befreien, findet er die Nymphe in ihrer Grotte am Herdfeuer. Fern in das Eiland Wallte der Zeder Gedüft, der gespaltenen, wallte des Thyons Würzige Glut. Sie sang mit melodischer Stimm' in der Kammer, Emsiger Eil' ein Gewebe mit goldener Spule sich wirkend. Ringsher wuchs um die Grotte des grünenden Haines Umschattung, Erle zugleich und Pappel und die balsamreiche Zypresse. Dort auch bauten sich Nester die breitgefiederten Vögel, Habichte, samt Baumenten, und samt breiizüngiger Krähen Wassergeschlecht, das kundig der Meergeschüfto sich nähret. Hier auch breitete sich um das Felsengewo'ib' ein Weinstock, Rankend in üppigem Wuchs, und voll abHangender Trauben. Auch vier Quellen ergossen gereiht ihr blinkendes Wasser, nachbarlich nebeneinander, und schlängelten Hiehin und dorthin, Wo rings schwellende Wiesen hinab mit Violen und Eppich Grünsten. Bewundernd schaute der Götterbote das reizende Idyll. Ich erinnere mich, wie den Zwölfjährigen die ausgeführtere Schilderung in Fenelons Telemach entzückt hat. Die Angabe, daß Kalypso die Tochter des Atlas sei, hat Berard mit Hilfe der Instructions MMhuss auf die Insel geführt. Es ist das Jnselchen Perejil (das spanische Wort bedeutet Petersilie) an der marokkanischen Küste westlich von Ceuta, am Fuße des mons ^tila der Alten, der jetzt Affen¬ berg heißt. Berard war verhindert, selbst hinzureisen, aber einer seiner Freunde hat die Insel und ihre Umgebung untersucht und die photographischen Auf¬ nahmen gemacht. Der Berg ist 859 Meter hoch, nimmt sich darum, unmittelbar aus dem Meere aufsteigend, imposant aus (Gibraltar ist nur 420 Meter hoch), und sein Gipfel erscheint den von Osten Kommenden fast immer in Wolken gehüllt, also unmittelbar mit dem Himmel zusammenhängend. Berard hält es für unzweifelhaft, daß dieser Berg als der Träger, Atlas, des Himmels galt. Erst später, nachdem man sich in den Atlantischen Ozean hinausgewagt hatte, die Straße also eine Pforte darstellte, durch die man aus dem Mittelmeer hinausgelangte, traten an die Stelle der einen Himmelssüule die beiden Säulen des Herakles; die andre ist natürlich Gibraltar. Das zu Füßen des Atlas, wie ein Stück von ihm, liegende Jnselchen erscheint dem Griechen als seine Tochter. Atlas wird olooxllrov., Verderben sinnend, genannt, weil von dem Grenzboten I 190S 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/92>, abgerufen am 23.07.2024.