Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.Lin ^ommerritt auf den j)ik von Teneriffa kaum noch, weshalb sie ihn "Hölle" nennen. Der kleine Krater auf der Spitze Aber auch das ist vergessen, und alles ist zur Ruhe gekommen. Keine Und das sollte mir -- lange erträumt und oft geplant -- im Verlaufe Grenzboten 1 190S 87
Lin ^ommerritt auf den j)ik von Teneriffa kaum noch, weshalb sie ihn „Hölle" nennen. Der kleine Krater auf der Spitze Aber auch das ist vergessen, und alles ist zur Ruhe gekommen. Keine Und das sollte mir — lange erträumt und oft geplant — im Verlaufe Grenzboten 1 190S 87
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0673" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88151"/> <fw type="header" place="top"> Lin ^ommerritt auf den j)ik von Teneriffa</fw><lb/> <p xml:id="ID_2805" prev="#ID_2804"> kaum noch, weshalb sie ihn „Hölle" nennen. Der kleine Krater auf der Spitze<lb/> wie auch sein älterer Nebenkrater, der ?ivo öl^'o, erloschen zuerst, und schlie߬<lb/> lich ebenso die Filialkrater am Fuße des Hauptkegels, die sich erst im acht¬<lb/> zehnten Jahrhundert aufgetan und noch einmal recht bedenklich rumort hatten.<lb/> Seit sie zum Stillschweigen gebracht sind, haben keine Ausbrüche mehr statt¬<lb/> gefunden. Daß dem Berge trotzdem noch immer nicht zu trauen ist, bewies er<lb/> freilich bei der großen Katastrophe am 6. November 1826, als zugleich mit<lb/> einem das Meer zu Bergeshöhen aufrüttelnden Sturme plötzlich gewaltige<lb/> Wassermassen aus dein Innern des anscheinend so dürren Gebirgsstockes hervor¬<lb/> brachen und in Strömen die Abhänge heruiederrauschten, Bäume, Weinpflan-<lb/> zuugen und Häuser, ja halbe Ortschaften mit sich ins Meer reißend — sicher<lb/> noch ein letztes Lebenszeichen des alten Zerstörers im Bergesschoß!</p><lb/> <p xml:id="ID_2806"> Aber auch das ist vergessen, und alles ist zur Ruhe gekommen. Keine<lb/> Flamme schlagt mehr aus dem tauben Gestein, kein unheimlich von unten<lb/> herauftönendes Grollen erschüttert hier — wie so manchmal in Neapel — die<lb/> Luft, und keine weiße Rauchsäule, die bei Nacht eiuen rötlichen Schein annimmt,<lb/> steigt aus dem Gipfel empor; nur glaubt man wohl, wenn er so recht hell in<lb/> der Mittagssonne liegt, eiuen gelbweißlichen Schleier um ihn herflattern zu<lb/> sehen — wohl eine Zusammenstellung der noch immer aus seinen Spalten und<lb/> „Blaslöchern" aufsteigenden, im Winde sich kräuselnden und hin und her<lb/> wallenden Schwefeldünste. — So ragt er also nun in ruhiger, ernster Majestät<lb/> in den tiefblauen Himmel, am Morgen frei auf seinem Felspiedestal auf¬<lb/> steigend, vom Mittag ab vielfach von den dem kanarischen Sommer eigentüm¬<lb/> lichen bräunlichen Dunstwolken — aus denen nie Regen fällt — umwoben,<lb/> wobei sie uur bald die Spitze, bald einen Teil des Untergestells minutenweise<lb/> durchleuchten lassen. Im Winter und Frühling, bis etwa zum Mai, ist er von<lb/> den „Canadas," d. i. von etwa 7000 Fuß aufwärts, in Schuee gehüllt, der<lb/> dam? aber unter der afrikanischen Sonne bald völlig verschwindet; nur die<lb/> Spitze mit ihrem gelbweißen Trachyt und Bimsstein schimmert auch im Sommer<lb/> hell über der grauschwarzen Lava der untern Partien und erweckt die Illusion<lb/> eines alpinen Schneegewandes. Sobald man der Basis des Kolosses zu nahe<lb/> rückt, versinkt er fast ganz hinter den Vorbergen, den langgestreckten Kämmen<lb/> der „Cumbres" und dem schrägen Dachfirst der „Ladera," und ist kaum aus<lb/> deren Gipfeln herauszufinden; je weiter man sich aber von ihm entfernt, um<lb/> so überwältigender tritt er hoch über alle» hervor; es ist fast, als ob er sichtbar<lb/> in die Höhe wüchse. Eine weithin leuchtende Säule, zeigt er dem über die<lb/> große Wasserwüste Heranschwimmenden die Nähe zweier Weltteile, Afrikas und<lb/> Europas, an — ein Heimatzeichen für den Zurückkehrenden, der erste Gruß<lb/> einer fremden Welt für den Ausfahrenden und beiden ein ebenso lang er¬<lb/> sehnter wie fesselnder und unvergeßlicher Anblick. Wie erst für den, der von<lb/> seinem Himmelsthron einmal Land und Meer so unendlich tief unter seinen<lb/> Füßen gesehen hat!</p><lb/> <p xml:id="ID_2807" next="#ID_2808"> Und das sollte mir — lange erträumt und oft geplant — im Verlaufe<lb/> eiuer kurzen Sommerurlaubsreise zuteil werden. Wie segensreich ist doch die<lb/> erstaunliche Entwicklung unsers überseeischen Verkehrs, die solches, was noch</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 1 190S 87</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0673]
Lin ^ommerritt auf den j)ik von Teneriffa
kaum noch, weshalb sie ihn „Hölle" nennen. Der kleine Krater auf der Spitze
wie auch sein älterer Nebenkrater, der ?ivo öl^'o, erloschen zuerst, und schlie߬
lich ebenso die Filialkrater am Fuße des Hauptkegels, die sich erst im acht¬
zehnten Jahrhundert aufgetan und noch einmal recht bedenklich rumort hatten.
Seit sie zum Stillschweigen gebracht sind, haben keine Ausbrüche mehr statt¬
gefunden. Daß dem Berge trotzdem noch immer nicht zu trauen ist, bewies er
freilich bei der großen Katastrophe am 6. November 1826, als zugleich mit
einem das Meer zu Bergeshöhen aufrüttelnden Sturme plötzlich gewaltige
Wassermassen aus dein Innern des anscheinend so dürren Gebirgsstockes hervor¬
brachen und in Strömen die Abhänge heruiederrauschten, Bäume, Weinpflan-
zuugen und Häuser, ja halbe Ortschaften mit sich ins Meer reißend — sicher
noch ein letztes Lebenszeichen des alten Zerstörers im Bergesschoß!
Aber auch das ist vergessen, und alles ist zur Ruhe gekommen. Keine
Flamme schlagt mehr aus dem tauben Gestein, kein unheimlich von unten
herauftönendes Grollen erschüttert hier — wie so manchmal in Neapel — die
Luft, und keine weiße Rauchsäule, die bei Nacht eiuen rötlichen Schein annimmt,
steigt aus dem Gipfel empor; nur glaubt man wohl, wenn er so recht hell in
der Mittagssonne liegt, eiuen gelbweißlichen Schleier um ihn herflattern zu
sehen — wohl eine Zusammenstellung der noch immer aus seinen Spalten und
„Blaslöchern" aufsteigenden, im Winde sich kräuselnden und hin und her
wallenden Schwefeldünste. — So ragt er also nun in ruhiger, ernster Majestät
in den tiefblauen Himmel, am Morgen frei auf seinem Felspiedestal auf¬
steigend, vom Mittag ab vielfach von den dem kanarischen Sommer eigentüm¬
lichen bräunlichen Dunstwolken — aus denen nie Regen fällt — umwoben,
wobei sie uur bald die Spitze, bald einen Teil des Untergestells minutenweise
durchleuchten lassen. Im Winter und Frühling, bis etwa zum Mai, ist er von
den „Canadas," d. i. von etwa 7000 Fuß aufwärts, in Schuee gehüllt, der
dam? aber unter der afrikanischen Sonne bald völlig verschwindet; nur die
Spitze mit ihrem gelbweißen Trachyt und Bimsstein schimmert auch im Sommer
hell über der grauschwarzen Lava der untern Partien und erweckt die Illusion
eines alpinen Schneegewandes. Sobald man der Basis des Kolosses zu nahe
rückt, versinkt er fast ganz hinter den Vorbergen, den langgestreckten Kämmen
der „Cumbres" und dem schrägen Dachfirst der „Ladera," und ist kaum aus
deren Gipfeln herauszufinden; je weiter man sich aber von ihm entfernt, um
so überwältigender tritt er hoch über alle» hervor; es ist fast, als ob er sichtbar
in die Höhe wüchse. Eine weithin leuchtende Säule, zeigt er dem über die
große Wasserwüste Heranschwimmenden die Nähe zweier Weltteile, Afrikas und
Europas, an — ein Heimatzeichen für den Zurückkehrenden, der erste Gruß
einer fremden Welt für den Ausfahrenden und beiden ein ebenso lang er¬
sehnter wie fesselnder und unvergeßlicher Anblick. Wie erst für den, der von
seinem Himmelsthron einmal Land und Meer so unendlich tief unter seinen
Füßen gesehen hat!
Und das sollte mir — lange erträumt und oft geplant — im Verlaufe
eiuer kurzen Sommerurlaubsreise zuteil werden. Wie segensreich ist doch die
erstaunliche Entwicklung unsers überseeischen Verkehrs, die solches, was noch
Grenzboten 1 190S 87
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