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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Iesuitenfrage und konfessionelle Polemik

entrinnen, die Absolution, so leicht wie möglich machten. Wenn mir ein
Trappist sagte: Ich glaube an die Hölle, so würde ich ihm erwidern: Das traue
ich dir schon zu; viele machen sich ja nur deswegen das Leben durch Abtötung
zu einer halben Hölle, weil sie dadurch der wirklichen, ewigen Hölle zu ent¬
rinnen gedenken. Aber was du mit deinem Höllenglaubeu aus Gott machst,
wie du ihn dadurch lästerst, das hast du nie in deinen vielstündigen Medi¬
tationen überdacht. Da nach deinem Glauben priesterliche Lossprechung, die
bei schlechter Disposition nicht einmal wirkt, für den Durchschnittssünder das
einzige Rettungsmittel ist, die Ketzer und die Ungetauften nur durch eine
vollkommne Neue, die auf der vollkommnen Gottesliebe beruht, gerettet werden
können, solche Gottesliebe aber das Vorstellungsvermögen wie die sittliche
Kraft des gewöhnlichen Sterblichen übersteigt und nnr vielleicht von einigen
wenigen auserwählten Seelen erreicht wird, so ist bis auf einen kläglichen
Rest das gesamte Menschengeschlecht, das am Ende der Zeiten nicht nach
Milliarden sondern nach Billionen zu zählen sein dürfte, ewigen Qualen ver¬
fallen, positiven körperlichen Peinigungen, wie eure Orthodoxen lehren. Ein
Dutzend ruchlose Verbrecher solchen zu unterwerfen und sich die Prozedur
Äonen hindurch ansehen zu sollen, das ist ein Gedanke, vor dem sich ein
Nero grausend abwenden würde. Und nun sollte Gott Billionen meist harm¬
lose Geschöpfe, darunter liebliche Kinder, herrliche Menschen wie Goethe, den
alle guten Menschen lieben, die ihn kennen, zu dem Zwecke geschaffen haben,
sich eine Ewigkeit lang an ihrem zur Fratze verzerrten Antlitz, ihrem Schmerz¬
geheul und Wutgebrüll zu ergötzen? Soll nicht die Seligkeit aus der Liebe
zu Gott erblnhn, und glaubst du, daß es auf der ganzen Welt einen Menschen
gibt, der einen solchen Gott lieben könnte? Viel tausend edle Menschen
heutiger Zeit haben den Glauben an Gottes Dasein aufgegeben, weil ihnen
der Gedanke unerträglich ist, daß ein bewußtes Wesen diese Welt mit allen
unsäglichen Leiden der Menschen und Tiere darin sollte hervorgebracht haben.
Und du möchtest diese Leiden vertausendfachen und ihnen ewige Dauer ver¬
leihen? Gehe hin und bitte Gott die Lästerung ab, die unendlich groß zu
nennen keine Übertreibung ist. So würde ich dem Trappisten antworten.
Dem jovialen Pfarrer aber oder dem katholischen Weltmanne, Geschäftsmanns
oder Politiker, der mir weis machen wollte, er glaube an die Hölle, würde
ich gar nichts antworten, sondern ich würde ihm ins Gesicht lachen und ihn
stehn lassen. Manche aufrichtig Frommen fürchten, die Menschheit mochte
medios werden, wenn niemand mehr an die Hölle glaubte. Ich habe aber
früher gezeigt, daß es gerade die orthodoxesten Zeitalter gewesen sind, die in
größerer Zahl als andre Teufel in Menschengestalt hervorgebracht haben.
Als Zügel der Leidenschaft und der Bosheit wirkt die Religion so schwach,
daß sie neben den stärker" Zügeln nicht in Betracht kommt. Nicht in dem
bißchen Hilfe, das sie der Polizei und der Justiz leistet, besteht ihr Wert,
sondern darin, daß sie den Gemütern, die sie aufnehmen, einen höhern Inhalt
verleiht, sie tröstet, zur Pflichterfüllung stärkt und das Gewissen rege erhält,
ja eigentlich das Gewissen erst schafft, namentlich das soziale Gewissen, das
den Einzelnen, je höher er gestellt ist, in desto höherm Grade verantwortlich


Iesuitenfrage und konfessionelle Polemik

entrinnen, die Absolution, so leicht wie möglich machten. Wenn mir ein
Trappist sagte: Ich glaube an die Hölle, so würde ich ihm erwidern: Das traue
ich dir schon zu; viele machen sich ja nur deswegen das Leben durch Abtötung
zu einer halben Hölle, weil sie dadurch der wirklichen, ewigen Hölle zu ent¬
rinnen gedenken. Aber was du mit deinem Höllenglaubeu aus Gott machst,
wie du ihn dadurch lästerst, das hast du nie in deinen vielstündigen Medi¬
tationen überdacht. Da nach deinem Glauben priesterliche Lossprechung, die
bei schlechter Disposition nicht einmal wirkt, für den Durchschnittssünder das
einzige Rettungsmittel ist, die Ketzer und die Ungetauften nur durch eine
vollkommne Neue, die auf der vollkommnen Gottesliebe beruht, gerettet werden
können, solche Gottesliebe aber das Vorstellungsvermögen wie die sittliche
Kraft des gewöhnlichen Sterblichen übersteigt und nnr vielleicht von einigen
wenigen auserwählten Seelen erreicht wird, so ist bis auf einen kläglichen
Rest das gesamte Menschengeschlecht, das am Ende der Zeiten nicht nach
Milliarden sondern nach Billionen zu zählen sein dürfte, ewigen Qualen ver¬
fallen, positiven körperlichen Peinigungen, wie eure Orthodoxen lehren. Ein
Dutzend ruchlose Verbrecher solchen zu unterwerfen und sich die Prozedur
Äonen hindurch ansehen zu sollen, das ist ein Gedanke, vor dem sich ein
Nero grausend abwenden würde. Und nun sollte Gott Billionen meist harm¬
lose Geschöpfe, darunter liebliche Kinder, herrliche Menschen wie Goethe, den
alle guten Menschen lieben, die ihn kennen, zu dem Zwecke geschaffen haben,
sich eine Ewigkeit lang an ihrem zur Fratze verzerrten Antlitz, ihrem Schmerz¬
geheul und Wutgebrüll zu ergötzen? Soll nicht die Seligkeit aus der Liebe
zu Gott erblnhn, und glaubst du, daß es auf der ganzen Welt einen Menschen
gibt, der einen solchen Gott lieben könnte? Viel tausend edle Menschen
heutiger Zeit haben den Glauben an Gottes Dasein aufgegeben, weil ihnen
der Gedanke unerträglich ist, daß ein bewußtes Wesen diese Welt mit allen
unsäglichen Leiden der Menschen und Tiere darin sollte hervorgebracht haben.
Und du möchtest diese Leiden vertausendfachen und ihnen ewige Dauer ver¬
leihen? Gehe hin und bitte Gott die Lästerung ab, die unendlich groß zu
nennen keine Übertreibung ist. So würde ich dem Trappisten antworten.
Dem jovialen Pfarrer aber oder dem katholischen Weltmanne, Geschäftsmanns
oder Politiker, der mir weis machen wollte, er glaube an die Hölle, würde
ich gar nichts antworten, sondern ich würde ihm ins Gesicht lachen und ihn
stehn lassen. Manche aufrichtig Frommen fürchten, die Menschheit mochte
medios werden, wenn niemand mehr an die Hölle glaubte. Ich habe aber
früher gezeigt, daß es gerade die orthodoxesten Zeitalter gewesen sind, die in
größerer Zahl als andre Teufel in Menschengestalt hervorgebracht haben.
Als Zügel der Leidenschaft und der Bosheit wirkt die Religion so schwach,
daß sie neben den stärker» Zügeln nicht in Betracht kommt. Nicht in dem
bißchen Hilfe, das sie der Polizei und der Justiz leistet, besteht ihr Wert,
sondern darin, daß sie den Gemütern, die sie aufnehmen, einen höhern Inhalt
verleiht, sie tröstet, zur Pflichterfüllung stärkt und das Gewissen rege erhält,
ja eigentlich das Gewissen erst schafft, namentlich das soziale Gewissen, das
den Einzelnen, je höher er gestellt ist, in desto höherm Grade verantwortlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/655>, abgerufen am 22.12.2024.